OGH 10ObS2118/96k

OGH10ObS2118/96k21.5.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer und Dr.Danzl sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Karlheinz Kux und Dr.Josef Fellner (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssachen der klagenden Partei Gerhard W*****, vertreten durch Dr.Peter Posch und Dr.Ingrid Posch, Rechtsanwälte in Wels, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, wegen Wiederaufnahme, infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19.März 1996, GZ 12 Rs 8/96z-6, womit der Beschluß des Landesgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 3. November 1995, GZ 17 Cgs 195/95w-3, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird keine Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung

Der am 21.9.1954 geborene Kläger erlitt als Taxiunternehmer im eigenen Betrieb am 2.7.1989 einen Arbeitsunfall. Mit Bescheid vom 13.6.1990 wurde ihm gemäß § 209 Abs 2 ASVG für die Zeit vom 3.9.1989 bis 30.9.1990 unter Zugrundelegung einer MdE von 20 vH eine Gesamtvergütung im Ausmaß einer Versehrtenrente von 20 vH zuerkannt. Hiegegen erhob er das Klagebegehren, festzustellen, daß er durch den Arbeitsunfall ab diesem Tag zu 100 % arbeitsunfähig geworden und somit die beklagte Partei in diesem Ausmaß leistungspflichtig sei, sowie weiters, daß dem Kläger zu 100 % Leistungsansprüche gegen die beklagte Partei aus diesem Unfall zustehen. Mit Urteil des (damals) Kreisgerichtes W***** als Arbeits- und Sozialgericht vom 27.8.1991, 25 Cgs 135/90-27, wurde ausgesprochen, daß das Klagebegehren, dem Kläger eine Versehrtenrente von 20 % der Vollrente im gesetzlichen Ausmaß vom 3.9.1989 bis 28.2.1991 zu bezahlen, dem Grunde nach zu Recht besteht und der beklagten Partei aufgetragen, dem Kläger bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung von monatlich S 500 ab 1.10.1990 zu erbringen. Das Mehrbegehren, dem Kläger die Vollrente im gesetzlichen Ausmaß zu zahlen, wurde hingegen abgewiesen. Eine nur vom Kläger erhobene Berufung blieb erfolglos (Urteil des OLG Linz vom 4.2.1992, 12 Rs 7/92-31 des bezogenen Aktes). Eine Revision war nicht erhoben worden. In diesem Verfahren waren als medizinische Sachverständige für Neurologie und Psychiatrie FA Dr.S***** (ON 4), für Unfallchirurgie Primar Dr.H***** (ON 6) sowie für Neurochirurgie Univ.Doz. Dr.W***** (ON 15 und 25) bestellt worden. Aufgrund der Beweisergebnisse hatte das Erstgericht - zusammenfassend - festgestellt, daß der Kläger beim genannten Unfall eine Prellung der Lendenwirbelsäule, eine Zerrung des Plexus lumbosacralis rechts und eine Prellung des rechten Scheitelbeines erlitten hatte; daß in der Folge aufgetretene Bandscheibenvorfälle auch durch den Arbeitsunfall hervorgerufen wurden, wurde durch eine Negativfeststellung offengelassen bzw (vom Berufungsgericht) als Auslösung einer bloß anlagebedingten Gelegenheitsursache beurteilt.

Bereits am 2.11.1989 hatte der Kläger zu 7 Cg 336/89 (nunmehr 5 Cg 363/93v) des Kreis- (nunmehr: Landes-)gerichtes W***** aus diesem Verkehrsunfall eine Schadenersatzklage gegen seinen Unfallgegner (Lenker und Halter) als Erstbeklagten sowie dessen Haftpflichtversicherer (als Zweitbeklagte) auf Zahlung von (mehrfach ausgedehnt) zuletzt S 1,158.734,10 sA samt Feststellungsbegehren eingebracht. In diesem Verfahren waren als medizinischer Sachverständiger Univ.Prof.Dr.J***** (ON 8, 15, 35, 43, 55 und 63), als Sachverständiger für Verkehrssicherheit und Straßenverkehr Dipl.Ing. L***** (ON 23 und 32) sowie als Buchsachverständiger zur Ermittlung des Verdienstentganges Prof.Dkfm. Dr.E***** (ON 68) bestellt worden. Mit Urteil vom 3.8.1995 wurden die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 194.921,44 samt Staffelzinsen verpflichtet und das Mehrbegehren einschließlich des Feststellungsbegehrens abgewiesen. Der vom Kläger erhobenen Berufung gab das Oberlandesgericht L***** als Berufungsgericht mit Urteil vom 22.11.1995, 3 R 228/95-101, teilweise Folge. Mit Teilurteil wurden die beklagten Parteien zur Zahlung von S 409.184,30 sA verpflichtet, das Mehrbegehren von S 449.549,81 sA wurde abgewiesen, im übrigen (Leistung weiterer S 300.000 sowie Feststellungsbegehren und Kosten) wurde das angefochtene Urteil aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zurückverwiesen. Gegen den abändernden Teil des Ersturteils wurde die ordentliche Revision zugelassen, gegen den Aufhebungsbeschluß auch der Rekurs an den Obersten Gerichtshof. Beide Rechtsmittel wurden vom Kläger zwischenzeitlich erhoben, hierüber jedoch vom Obersten Gerichtshof noch nicht entschieden (anhängig zu 2 Ob 15, 1029/96). Das Landesgericht W***** war dabei zum Ergebnis gekommen, daß die im Bereich der Wirbelsäule vorgelegenen Beschwerden sowie ein im März und Mai 1990 erhobener Bandscheibenvorfall samt anschließender Behandlungen und Operationen ursächlich von den beim Arbeitsunfall am 2.7.1989 kollisionsbedingten Belastungen ausgelöst und durch die beim Kläger vorgelegene Vorschädigung der Wirbelsäule begünstigt worden sind. Diese Feststellung wurde vom Berufungsgericht (schon mangels Bekämpfung) unverändert übernommen.

Am 27.9.1995 brachte der Kläger nunmehr gegen die bereits zu 25 Cgs 135/90 des Kreisgerichtes W***** beklagte Partei eine Wiederaufnahmsklage, gestützt auf die Wiederaufnahmsgründe nach § 530 Z 6 und 7 (richtig: § 530 Abs 1 Z 6 und 7) ZPO, mit dem Begehren ein, festzustellen, daß die beim Kläger vorliegenden Bandscheibenvorfälle mit allen Weiterungen Folge des Arbeitsunfalles vom 2.7.1989 sind, und die beklagte Partei schuldig erkannt werde, dem Kläger die Vollrente im gesetzlichen Ausmaß seit 2.7.1989 zu bezahlen, in eventu ab dem 26.9.1995. Als neues Beweismittel im Sinne der letztgenannten Gesetzesstelle wird hiebei das bereits zitierte Urteil des Landesgerichtes Wels vom 3.8.1995, 5 Cg 363/93v, angegeben, aus welchem nunmehr unzweifelhaft und eindeutig hervorgehe, daß die nach seinem Unfall vom 2.7.1989 insbesondere im Bereich der Wirbelsäule vorgelegenen Beschwerden, der später erhobene Bandscheibenvorfall und die anschließenden Behandlungen und Operationen ursächlich auf die beim Unfall vorgelegenen kollisionsbedingten Belastungen zurückgehen; hätte der Kläger dieses Beweismittel bereits im Verfahren 25 Cgs 135/90 verwenden bzw anbieten können, hätte die Benützung desselben eine für ihn günstigere Entscheidung herbeigeführt und wäre dem damaligen Klagebegehren vollinhaltlich stattgegeben worden.

Die beklagte Partei hat primär die Zurückweisung der Klage als unzulässig beantragt, andernfalls die Abweisung des Klagebegehrens als unbegründet.

Das Erstgericht hat die Klage samt Eventualbegehren zurückgewiesen und ausgesprochen, daß der Kläger seine Prozeßkosten selbst zu tragen hat. Der Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs 1 Z 6 ZPO wurde verneint, da es sich beim Urteil des Landesgerichtes W***** vom 3.8.1995 um kein dem erstinstanzlichen Urteil vom 27.8.1991 (in der Sozialrechtssache) früheres handle und diese Entscheidung auch zufolge des erhobenen Rechtsmittels gar nicht rechtskräftig sei. Der Wiederaufnahmegrund nach Z 7 leg cit hingegen liege deshalb nicht vor, weil nach der Rechtsprechung später abweichende Sachverständigenergebnisse keinen tauglichen Wiederaufnahmsgrund darstellten; daß die späteren Gutachten auf einer neuen wissenschaftlichen Methode basierten, habe der Kläger nicht einmal behauptet.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß und übernahm auch dessen rechtliche Beurteilung.

Rechtliche Beurteilung

Der auf die Rekursgründe des Vorliegens wesentlicher Verfahrensmängel sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte, von der beklagten Partei unbeantwortet gebliebene Revisionsrekurs des Klägers ist zulässig (§ 47 Abs 2 ASGG), jedoch nicht berechtigt.

Die gerügte (und im übrigen gar nicht näher begründete) Mangelhaftigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3, § 528a ZPO). Bereits das Erstgericht hatte die erforderlichen Kopien aus dem Vorakt 5 Cg 363/93v angefertigt und seinem Akt angeschlossen. Diese Aktenstücke lagen daher auch dem Rekursgericht vor. Daß gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes Revision und Rekurs an den Obersten Gerichtshof durch den Kläger erhoben wurden, konnte dieser selbständig im eigenen Wirkungsbereich erheben.

Auch die gerügte unrichtige rechtliche Beurteilung durch die Vorinstanzen trifft nicht zu. Beide haben vielmehr ohne Rechtsirrtum erkannt, daß die Wiederaufnahmsklage auf keinen gesetzlichen Anfechtungsgrund gestützt ist. Es kann daher genügen, auf die diesbezüglich zutreffenden Ausführungenn des Rekursgerichtes zu verweisen (§ 48 ASGG) und nur ergänzende Ausführungen hinzuzufügen. Der Wiederaufnahmsgrund nach § 530 Abs 1 Z 6 ZPO ist schon vom klaren Gesetzeswortlaut her nicht gegeben. Er wird im Revisionsrekurs nur mehr "aus anwaltlicher Vorsicht" aufrechterhalten, ohne hiezu etwas rechtlich Substantielles auszuführen. Zur zitierten Gesetzesstelle zählt nämlich nur eine über den gleichen Anspruch ergangene Vorentscheidung, die materielle Rechtskraft zwischen den Parteien des angefochtenen (späteren) Urteiles schafft (siehe ausführlich Fasching IV 508 f Anm 16). Verfehlt ist auch die Argumentation des Rechtsmittelwerbers, daß es sich bei dem Urteil des Landesgerichtes W***** vom 3.8.1995 um eine "bereits gleichsam in Rechtskraft erwachsene Entscheidung" handle, wurde diese doch vom Berufungsgericht nicht nur zum Teil abgeändert, zum Teil aufgehoben, sondern überdies durch ein weiteres (ordentliches) Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof angefochten, ohne daß hierüber (derzeit) bereits eine Entscheidung gefällt worden wäre (Fasching, Lehrbuch2 Rz 1494; Rechberger/Simotta, Grundriß4 Rz 692; Ballon, Einführung5 Rz 324). Selbst eine bloß außerordentliche Revision würde nach § 505 Abs 3 zweiter Satz ZPO den Eintritt der Rechtskraft hemmen (Kodek in Rechberger, ZPO Rz 4 zu § 505).

Ohne auf die Frage, ob ein Urteil in einem Verfahren mit zumindest teilweise anderen Parteien über einen auch völlig anders gelagerten Anspruch überhaupt eine neue Tatsache oder ein neues Beweismittel im Sinne des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO darzustellen in der Lage ist, näher eingehen zu müssen, liegt auch dieser Wiederaufnahmsgrund schon deshalb nicht vor, weil sich der Kläger hiezu inhaltlich ausschließlich auf eine zu seinen Gunsten (gegenüber der Vorentscheidung) veränderte Einschätzung der Unfallfolgen durch die im bezogenen späteren Verfahren beigezogenen anderen Sachverständigen gegenüber jenen im betroffenen Vorverfahren wendet. Das Rekursgericht hat hiezu jedoch bereits zutreffend ausgeführt, daß nach der Rechtsprechung des erkennenden Senates auch in Sozialrechtssachen eine Wiederaufnahmsklage nicht darauf gestützt werden kann, daß ein anderer Sachverständiger später ein abweichendes Gutachten erstattet hat; der Wiederaufnahmskläger müßte vielmehr den Nachweis erbringen, daß der seinerzeitige Sachverständige eine behauptete Zwischenerhebung in Wahrheit nicht durchgeführt hat oder daß die jüngeren Gutachten auf einer neuen wissenschaftlichen Methode basieren, die zum Zeitpunkt der Begutachtung im Hauptverfahren noch unbekannt war (SSV-NF 1/40 [wobei diese Entscheidung insofern mit dem hier zur Beurteilung anstehenden Fall ident ist, als auch dort dem Sozialrechtsverfahren ein Schadenersatzprozeß gegen Unfallgegner und Haftpflichtversicherer nachfolgte, in welchen die Sachverständigen zu abweichenden Ergebnissen gelangt waren], SSV-NF 7/115; jüngst auch ausführlich 1 Ob 575/95 vom 30.1.1996 mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus Judikatur und Literatur sowie 1 Ob 2059/96t vom 23.4.1996).

Wenn sich aber ein geltend gemachter Wiederaufnahmsgrund überhaupt unter keinen der im Gesetz angeführten Wiederaufnahmsgründe einordnen läßt, dann ist die Zurückweisung der Klage nach § 538 Abs 1 ZPO gerechtfertigt. Dem Rechtsmittel des Klägers konnte daher aus den vorstehenden Erwägungen keine Folge gegeben werden.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Im Hinblick auf die klare Rechtslage ist die vom Revisionsrekurswerber in seinem Rechtsmittel zurBegründung einer Kostenersatzforderung behauptete "außerordentliche rechtliche Schwierigkeit" nicht gegeben.

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