Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 9.2.1986 gewährte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter der Klägerin ab 19.11.1985 den Hilfslosenzuschuß. Der Klägerin, die an einem Folgezustand nach einer im 3.Lebensjahr durchgemachten tuberkulösen Hüftgelenksentzündung leidet, war im September 1985 ein künstliches Hüftgelenk implantiert worden. Die Klägerin konnte im Zeitpunkt der Gewährung nur mit zwei Stützkrücken äußerst unsicher gehen und trug eine starre Orthese. Sie war zufolge der dadurch bedingten Behinderungen nicht im Stande, die Verrichtungen des täglichen Lebens auch nur teilweise auszuführen. Die Beweglichkeit des Beines hat sich mittlerweile stark gebessert. Sie betrug im Gewährungszeitpunkt praktisch 0 und jetzt in der (beweglichen) Orthese 45 Grad. Die Beinverkürzung beträgt zwar nunmehr 7 cm gegenüber früher 2 cm, doch ist dies durch einen Längenausgleich korrigierbar. Nach wie vor besteht eine Tendenz zur Luxation des linken Hüftgelenkes. Der linke Hüftgelenkskopf springt durchschnittlich einmal jährlich aus dem Gelenk, was jeweils einen Spitalsaufenthalt von 8 Tagen erfordert.
Die Klägerin ist in der Lage, sich allein An- und Auszukleiden, wobei allerdings beim An- und Ablegen der Fußbekleidung links fremde Hilfe oder ein Hilfsmittel notwendig ist. Die Körperpflege mit Ausnahme der Pflege des linken Fußes und des Unterschenkels ist möglich. Die Klägerin kann die kleine Leibwäsche waschen, Speisen zubereiten und einnehmen, kleine Verrichtungen wie oberflächliches Aufräumen und Bettenmachen vornehmen und die vorhandene Zentralheizung bedienen. Unter Verwendung der Orthese und des vorhandenen Liftes ist sie in der Lage, im Nahbereich bis zu 500 m allein auszugehen und Lebensmittel bis zu 3 kg heimzutragen. Dieser Zustand besteht seit Oktober 1992.
Mit Bescheid vom 23.10.1992 setzte die beklagte Partei die Invaliditätspension der Klägerin um den Hilflosenzuschuß herab. Zufolge einer Besserung des Zustandes der Klägerin lägen die Voraussetzungen für diese Leistung nicht mehr vor.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage mit dem Begehren, die beklagte Partei zu verpflichten, den Hilflosenzuschuß weiter zu gewähren. Die Klägerin sei nach wie vor nicht in der Lage, die lebensnotwendigen Verrichtungen alleine auszuführen.
Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage, wobei sie im wesentlichen die Ausführungen in der Bescheidbegründung wiederholt.
Das Erstgericht schloß die Verhandlung am 14.6.1993 und wies mit Urteil vom selben Tag das Begehren der Klägerin ab. Der Zustand der Klägerin habe sich wesentlich gebessert. Während sie im Gewährungszeitpunkt nicht in der Lage gewesen sei, irgendwelche Verrichtungen allein vorzunehmen, sei sie nunmehr im Stande, zahlreiche in ihrem Lebensbereich notwendigen Tätigkeiten alleine zu besorgen. Die von der Klägerin für die gründliche Wohnungsreinigung und das Waschen der großen Wäsche sowie für die Hilfeleistungen im Zusammenhang mit der Pflege und Bekleidung des linken Fußes und Unterschenkels aufzuwendenden Kosten erreichten nicht die Höhe des Hilflosenzuschusses. Die Voraussetzungen für die Entziehung der strittigen Leistung seien daher erfüllt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge, wobei es im wesentlichen der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes beitrat. Daß die Klägerin beim An- und Auskleiden des linken Fußes behindert sei, falle nicht ins Gewicht, weil sie diese Verrichtungen unter Verwendung eines Hilfsmittels allein besorgen könne.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Fest steht, daß es bei der Klägerin durchschnittlich einmal jährlich zu einer Luxation des künstlichen Hüftgelenkes kommt. Dafür, daß diese Gefahr bei der Durchführung der täglich notwendigen Verrichtungen erhöht wird, fehlt jeder Hinweis. Soweit die Klägerin unterstellt, daß sie bei Einkaufswegen vermehrt der Gefahr einer Luxation ausgesetzt wäre, geht sie nicht von den Feststellungen aus. Die Revision ist diesbezüglich nicht gesetzmäßig ausgeführt.
Nach dem festgestellten Sachverhalt benötigt die Klägerin beim An- und Auskleiden sowie beim Waschen des linken Fußes und Unterschenkels fremde Hilfe, wobei sie aber das An- und Auskleiden unter Benützung eines Hilfsmittels alleine verrichten kann. Darüber hinaus kann sie die täglich notwendigen Verrichtungen selbst besorgen und ist nur beim Waschen der Großwäsche und der gründlichen Wohnungsreinigung auf eine Hilfsperson angewiesen. Selbst wenn man für die Hilfeleistungen beim Waschen des linken Fußes und des Unterschenkels einen Zeitaufwand von täglich 1/2 Stunde in Anschlag bringt, ergibt sich, auch unter Berücksichtigung der nicht wöchentlich erforderlichen gründlichen Reinigung der Wohnung und der großen Wäsche (selbst bei wöchentlichem Wechsel der Bettwäsche ist das Waschen in größeren Zeitabständen möglich, weil regelmäßig ein größerer Wäschevorrat, als für den zweimaligen Wechsel erforderlich ist, zur Verfügung steht), kein Bedarf nach fremder Hilfe in einem Ausmaß, daß die hiefür aufzuwendenden Kosten den Betrag des monatlichen Hilflosenzuschusses übersteigen. Die Begründung der Vorinstanzen, daß die Voraussetzungen für die Entziehung des Hilflosenzuschusses erfüllt seien, ist daher zutreffend.
Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes umfaßt das auf Weitergewährung einer entzogenen Leistung gerichtete Klagebegehren (mit der Behauptung, die Entziehung sei nicht gerechtfertigt gewesen) - als logisches Substrat - das Eventualbegehren auf Wiedergewährung der Leistung, sollte die Entziehung doch berechtigt gewesen sein, inzwischen aber die Voraussetzung für eine Neugewährung vorliegen (SSV-NF 7/92). Ausgehend von den Feststellungen wurde der Hilflosenzuschuß zu Recht entzogen. Im Verfahren über das Begehren der Klägerin auf Weitergewährung der Leistung über den Entziehungszeitpunkt hinaus ist jedoch unter Anwendung des dargestellten Grundsatzes auch zu prüfen, ob im Laufe des Verfahrens die Leistungsvoraussetzungen eingetreten sind. Dies könnte in einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes aber auch in einer Neuregelung der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen begründet sein.
Gemäß der Bestimmung des 3.Teiles, Abschnitt 1 Z 1 BPGG trat dieses Bundesgesetz mit 1.7.1993 in Kraft. Dieser Zeitpunkt lag sohin nach Schluß der Verhandlung und Fällung des Urteiles erster Instanz. Zu prüfen ist daher, ob die Bestimmungen des BPGG auf den vorliegenden Fall anzuwenden sind.
Wie der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, ist auf eine Änderung von Gesetzesbestimmungen in jeder Lage des Rechtsstreites Bedacht zu nehmen, sofern die neuen Bestimmungen ihrem Inhalt nach auf das streitgegenständliche Rechtsverhältnis anzuwenden sind (JBl 1947, 516; EFSlg 27.805, 27.869 ua). Diese Voraussetzung wurde vom Obersten Gerichtshof etwa für den Fall einer während des Revisionsverfahrens über einen aus dem Dauerrechtsverhältnis der Ehe abgeleiteten Unterhaltsanspruch eingetretenen Rechtsänderung bejaht; die erst im Laufe des Revisionsverfahrens erfolgte Rechtsänderung betreffend den Anspruch für die Zeit nach Schluß der Verhandlung erster Instanz sei vom Obersten Gerichtshof wahrzunehmen (6 Ob 548/79 teilweise veröffentlicht in EFSlg 32.692). Im Hinblick darauf, daß es sich bei der pflegebezogenen Leistung um eine Dauerleistung handelt, können diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall übertragen werden.
In erster Linie ist aber bei Rechtsänderungen, die nach Fällung des Urteiles erster Instanz erfolgen, von den Übergangsvorschriften auszugehen, die in der neuen Rechtsquelle enthalten sind (Fasching ZPR2 Rz 1927). Gemäß § 43 Abs 2 BPGG sind allen am 1.7.1993 noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren für die Zeit bis zum 30.6.1993 die bis zu diesem Zeitpunkt jeweils geltenden Bestimmungen der im § 3 BPGG genannten Normen zugrunde zu legen, hier also § 105 a ASVG. Aus dieser Bestimmung ergibt sich, daß der Gesetzgeber grundsätzlich davon ausgeht, daß das Inkrafttreten des BPGG in allen anhängigen Verfahren bis zur Rechtskraft der Entscheidung zu beachten ist. Fink, Die verfahrensrechtlichen Bestimmungen des Bundespflegegeldgesetzes, SozSi 1993, 352 (371) führt zu § 38 Abs 1 BPGG zutreffend aus, von Amts wegen bedeute, daß ein Pflegegeld in Höhe der Stufe 2 mit Wirkung vom 1.7.1993 auch dann zu gewähren sei, wenn der Anspruchswerber sein Begehren nicht in diesem Sinn modifiziert habe. Hier liege eine ex lege angeordnete Ausnahme von § 405 ZPO vor. Außerdem werde der Grundsatz der sukzessiven Kompetenz durchbrochen, weil der Anspruch auf Pflegegeld iSd BPGG nicht Gegenstand des vorgeschalteten Verwaltungsverfahrens gewesen sei (aaO FN 193). Soweit die Sonderbestimmung des § 43 Abs 2 BPGG anzuwenden ist, sind daher auch noch im Rechtsmittelverfahren die Bestimmungen des BPGG heranzuziehen; der Anspruch ist ausgehend von den getroffenen Feststellungen für die Zeit ab 1.7.1993 auf dieser Grundlage zu prüfen.
In der Entscheidung SSV-NF 3/134 ua hat der Oberste Gerichtshof wohl ausgesprochen, daß bei Entscheidung über einen Pensionsanspruch Rechtsänderungen nach Schluß der Verhandlung erster Instanz nicht zu berücksichtigen sind. Dies steht aber dem obigen Ergebnis nicht entgegen. Diese Entscheidung wurde nämlich mit der Stichtagsregelung begründet. Der Anspruch auf eine Pensionsleistung sei zu einem bestimmten Stichtag zu prüfen. Das im Rechtsmittelverfahren bestehende Neuerungsverbot stehe der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen zu einem nach Schluß der Verhandlung erster Instanz ausgelösten Stichtag entgegen. Da eine Stichtagsregelung für Ansprüche auf Hilflosenzuschuß bzw Pflegegeld nicht besteht, kann diese Begründung auf den vorliegenden Fall nicht übertragen werden. Im übrigen bestand in den Bestimmungen, die im Fall der zitierten Entscheidung anzuwenden waren, keine dem § 43 Abs 2 BPGG vergleichbare Übergangsbestimmung.
Ausgehend von den Feststellungen der Vorinstanzen besteht aber auch kein Anspruch der Klägerin auf Pflegegeld ab 1.7.1993. Von den im § 2 Abs 2 EinstV genannten Hilfsverrichtungen bedarf die Klägerin für das gründliche Reinigen der Wohnung und das Waschen der großen Wäsche fremder Hilfe. Hiefür ist ein fixer Zeitwert von je 10 Stunden (§ 2 Abs 3 EinstV) zugrunde zu legen. Gemäß § 3 Abs 1 EinstV ist Pflegebedarf insoweit nicht anzunehmen, als die notwendigen Verrichtungen vom Anspruchswerber durch die Verwendung einfacher Hilfsmittel selbständig vorgenommen werden können und ihm der Gebrauch dieser Hilfsmittel mit Rücksicht auf seinen physischen und psychischen Zustand zumutbar ist. Nach den Feststellungen muß sich die Klägerin bei der Bekleidung des linken Fußes und Unterschenkels entweder einer Hilfsperson oder eines Hilfsmittels (offenbar Strumpfzange) bedienen. Da diese beiden Möglichkeiten nebeneinanderstehen, ist davon auszugehen, daß die Klägerin bei Benützung eines Hilfsmittels diese Verrichtungen alleine ausführen kann. Dafür, daß aufgrund ihres physischen und psychischen Zustandes Hindernisse gegen die Benützung eines Hilfsmittels bestehen, ergeben sich aus dem Verfahren keinerlei Hinweise. Für diese Verrichtungen besteht daher kein Pflegebedarf. Es erweist sich nicht erforderlich zu prüfen, ob die Klägerin allenfalls in der Lage ist, auch die den linken Fuß betreffende Körperpflege unter Benützung eines Hilfsmittels alleine auszuführen. Pflegegeld der Stufe 1 gebührt nämlich nur, wenn der Pflegebedarf durchschnittlich mehr als 50 Stunden monatlich beträgt (§ 4 Abs 2 Z 1 BPGG). Wie dargestellt besteht bei der Klägerin ein Hilfsbedürfnis von 20 Stunden monatlich. Selbst wenn die Klägerin für die Körperpflege des linken Fußes und Unterschenkels einer Hilfsperson bedürfte, wäre aber jedenfalls auszuschließen, daß der hiefür notwendige Pflegeaufwand mehr als 30 Stunden monatlich beträgt. Da der für Pflegegeld der Stufe 1 mindestens erforderliche Zeitwert nicht erreicht wird, besteht auch kein Anspruch auf Pflegegeld.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Umstände, die einen Kostenzuspruch aus Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch aus der Aktenlage nicht.
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