Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden in ihrem klagestattgebenden Teil dahin abgeändert, daß sie insgesamt zu lauten haben:
"Das Begehren des Inhalts, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei Pflegegeld in der gesetzlichen Höhe ab 1.2.1994 zu gewähren, wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin, die von der beklagten Partei eine Alterspension bezieht, leidet bei Übergewichtigkeit an Wirbelgleiten und Gefügelockerung im Lendenwirbelbereich sowie an Bluthochdruck. Aufgrund ihres Leidenszustandes ist es ihr nicht möglich, Heizöl aus einem 10-lt-Kanister in ihre Ölheizung zu füllen. Sie kann Lebensmittel nicht einkaufen und bedarf sowohl zur Reinigung der großen Wäsche als auch zur gründlichen Wohnungsreinigung fremder Hilfe. Sie kann auch ihre Stufenwanne ohne fremde Hilfe nicht mehr besteigen. Bei der gründlichen Körperpflege außerhalb der Badewanne besteht die Einschränkung, daß sie die Füße nur mit einer Stielbürste waschen, dabei jedoch den Bereich zwischen den Zehen nicht reinigen kann. Sie kann die Füße nur abtrocknen, indem sie ein größeres Handtuch zu einer Schlaufe formt, kann dabei aber den Bereich zwischen den Zehen nicht erreichen.
Mit Bescheid vom 27.6.1994 wies die beklagte Partei den Antrag der Klägerin vom 28.2.1994 auf Gewährung von Pflegegeld ab.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage mit dem Begehren, die beklagte Partei zur Gewährung von Pflegegeld zu verpflichten. Im Hinblick auf die bestehenden Leidenszustände bedürfe die Klägerin täglich in einem Ausmaß der Hilfe von dritter Seite, das die Gewährung der begehrten Leistung rechtfertige.
Die beklagte Partei beantragt die Abweisung des Klagebegehrens.
Das Erstgericht verpflichtete die beklagte Partei, der Klägerin Pflegegeld der Stufe 1 ab 1.2.1994 zu gewähren und wies das Begehren auf Pflegegeld in einem darüber hinausgehenden Ausmaß ab. Der Klägerin sei die gesamte tägliche gründliche Körperpflege ohne fremde Hilfe nicht möglich, da sie die Reinigung der Füße nicht vollständig ohne fremde Hilfe durchführen könne. Bei dem Zeitwert für die tägliche Körperpflege handle es sich um einen Mindestwert, der nicht unterschritten werden dürfe. Von diesem Mindestwert sei auch dann auszugehen, wenn nur einzelne zur täglichen Körperpflege erforderliche Verrichtungen nicht möglich seien. Insgesamt müßten daher für die Hilfe bei der täglichen Körperpflege 25 Stunden in Anschlag gebracht werden. Berücksichtige man daneben den für die Herbeischaffung der Nahrungsmittel und Medikamente, für die Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände, für die Pflege der Leib- und Bettwäsche und für die Beheizung des Wohnraumes erforderlichen Hilfsbedarf von je 10 Stunden, so ergebe sich ein Betreuungsaufwand von insgesamt 65 Stunden, so daß die Voraussetzungen für den Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 1 erfüllt seien.
Das Berufungsgericht gab der gegen den stattgebenden Teil dieses Urteiles erhobenen Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Ob die Klägerin in der Lage sei, den Bereich zwischen den Zehen zu waschen, sei nicht erheblich. Zum Reinigen eines Körperteiles gehöre es auch, ihn nach dem Waschen abzutrocknen. Besonders in der kalten Jahreszeit könne etwa das Ausgehen mit nassen Füßen leicht zu Erkrankungen führen. Im mitteleuropäischen Kulturkreis sei es üblich, sich einmal täglich die Füße zu waschen. Das Reinigen der Füße gehöre daher zur täglichen Körperpflege, so daß das Erstgericht zu Recht den in der Eintufungsverordnung für die tägliche Körperpflege vorgesehenen Mindestwert von 2 x 25 Minuten täglich in Anschlag gebracht habe.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde.
Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Durch § 4 Abs 5 BPGG ist der Bundesminister für Arbeit und Soziales ermächtigt, nach Anhörung des Bundesbehindertenbeirates nähere Bestimmungen für die Beurteilung des Pflegebedarfes durch Verordnung festzulegen, die ua insbesondere festlegen kann: 1. eine Defintion der Begriffe "Betreuung" und "Hilfe", 2. Richtwerte für den zeitlichen Betreuungsaufwand, wobei verbindliche Mindestwerte zumindest für die tägliche Körperpflege, die Zubereitung und das Einnehmen von Mahlzeiten sowie für die Verrichtung der Notdurft festzulegen sind, 3. verbindliche Pauschalwerte für den Zeitaufwand der Hilfsverrichtungen, wobei der gesamte Zeitaufwand für alle Hilfsverrichtungen mit höchstens 50 Stunden pro Monat festgelegt werden darf.
Nach § 1 Abs 1 Verordnung des Bundesministers für Arbeit und Soziales über die Beurteilung des Pflegebedarfes nach dem Bundespflegegeldgesetz (Einstufungsverordnung zum Bundespflegegeldgesetz) BGBl 1993/314 (idF mit EinstV abgekürzt) sind unter Betreuung alle in relativ kurzer Folge notwendigen Verrichtungen anderer Personen zu verstehen, die vornehmlich den persönlichen Lebensbereich betreffen und ohne die der pflegebedürftige Mensch der Verwahrlosung ausgesetzt wäre. Zu den im Abs 1 genannten Verrichtungen zählen insbesondere solche beim An- und Auskleiden, bei der Körperpflege, der Zubereitung und Einnahme von Mahlzeiten, der Verrichtung der Notdurft, der Einnahme von Medikamenten und der Mobilitätshilfe im engeren Sinn (Abs 2). Bei der Feststellung des zeitlichen Betreuungsaufwandes für An- und Auskleiden ist - auf einen Tag bezogen - von einem Richtwert von 2 x 20 Minuten auszugehen (Abs 3). Diese Richtwerte können daher im einzelnen Fall unter- und überschritten werden (sa Pfeil, Probleme des BPGG in DRdA 1993, 181/191). Für bestimmte Verrichtungen werden folgende zeitliche Mindestwerte festgelegt, zB für tägliche Körperpflege 2 x 25 Minuten. Abweichungen von diesen Zeitwerten sind nur dann zu berücksichtigen, wenn der tatsächliche Betreuungsaufwand diese Mindestwerte erheblich überschreitet (Abs 4).
Daß die Klägerin für Herbeischaffung von Nahrungsmitteln und Medikamenten, für die Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände, für die Pflege der Leib- und Bettwäsche und für die Beheizung des Wohnraumes Hilfe von dritter Seite benötigt, wird von der beklagten Partei nicht in Zweifel gezogen. Strittig ist, ob die Tatsache, daß die Klägerin nicht in der Lage ist, den Zwischenraum zwischen den Zehen allein abzutrocknen, die Annahme des Mindestwertes gemäß § 1 Abs 4 1.Fall EinstV rechtfertigt. In diesem Punkt kann der Rechtsansicht der Vorinstanzen nicht beigetreten werden.
Vorerst spricht vieles dafür, daß der Betroffene dann, wenn er in der Lage ist, die Füße mit einer Stielbürste zu waschen, auch den Zwischenraum zwischen den Zehen in ausreichendem Maß reinigen kann und mit einem zu einer Schlaufe gelegten Handtuch die Füße in ausreichendem Maß abgetrocket werden können. Wenn nicht medizinische Gründe das völlige Trockenwischen erfordern, erscheint das Abtrocknen des Zwischenraumes zwischen den Zehen nicht unbedingt notwendig. Nach dem Waschen genügt ein kurzes Zuwarten vor dem Verlassen der Wohnung, um auch in der kalten Jahreszeit die Gefahr von Verkühlungen vorzubeugen. Es kann auch nicht ernstlich unterstellt werden, daß das Selbstwertgefühl eines Menschen nenenswert beeinträchtigt wird, wenn er nicht in der Lage ist, den Zwischenraum zwischen den Zehen nach dem Waschen vollständig abzutrocknen.
Aus der Tatsache, daß der Verordnungsgeber den Mindestwert für die tägliche Körperpflege mit 2 x 25 Minuten täglich festlegt, ergibt sich überdies, daß er ein Mindestausmaß an Betreuungsaufwand bei diesen Verrichtungen unterstellt. Ist der Betroffene in der Lage, die tägliche Körperpflege grundsätzlich allein vorzunehmen und bedarf er nur für einzelne dabei anfallende, im Verhältnis zum Gesamtaufwand unbedeutende Handgriffe der Hilfe einer anderen Person, so ist es nicht gerechtfertigt, hiefür den gesamten für die Unterstützung bei der täglichen Körperpflege vorgesehenen Mindestwert als Betreuungsaufwand zu veranschlagen. Dies hat vielmehr zur Voraussetzung, daß der Betroffene bei der täglichen Körperpflege in relevantem Umfang der Unterstützung durch eine Hilfsperson bedarf, nur dann sind die Voraussetzungen für die Heranziehung des Mindestwertes gemäß § 1 Abs 4 1.Fall EinstV gegeben. Es wäre mit den Zielsetzungen des BPGG und der EinstV nicht vereinbar, wollte man für Handreichungen, deren Zeitaufwand im Bereich von einigen Sekunden gelegen ist, und die nicht nennenswert ins Gewicht fallen, einen Zeitwert von 50 Minuten in Anschlag bringen. Es handelt sich dabei nicht um die tägliche Körperpflege an sich im Sinne der zitierten Bestimmung, sondern um eine Hilfe bei der Körperpflege im Sinne des § 1 Abs 2 EinstV, die mit dem tatsächlich erforderlichen Zeitaufwand anzusetzen ist. Dieser liegt aber auch bei einer täglichen Reinigung der Füße nicht über einer Stunde monatlich.
Für die Hilfsverrichtungen, zu denen die Klägerin nicht in der Lage ist, ergibt sich ein Zeitwert von insgesamt 40 Stunden (§ 2 Abs 3 EinstV). Berücksichtigt man darüber hinaus, daß die Klägerin bei der Benützung der Badewanne der Hilfe bedarf, wofür ein Zeitwert von 3,5 bis 4 Stunden zu veranschlagen ist (SSV-NF 8/55, 67, 74, 79), so ergibt sich einschließlich der Betreuungshandlungen beim Abtrocknen des Zwischenraumes zwischen den Zehen ein Betreuungsaufwand von insgesamt rund 45 Stunden. Da dies unter dem Wert liegt, der nach § 4 Abs 2 BPGG den Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 1 begründet, kommt dem Begehren der Klägerin keine Berechtigung zu.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe, die einen Kostenanspruch aus Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden weder geltend gemacht, noch ergeben sich Anhaltspunkte für solche Gründe aus dem Akt.
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