Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen die im unangefochtenen Teil unberührt bleiben, werden im Umfang der Abweisung des Begehrens auf Pflegegeld ab dem 1.7.1993 aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird insoweit zur Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten erster Instanz.
Text
Begründung
Mit Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter vom 22.9.1992 wurde der Antrag der Klägerin vom 22.7.1992 auf Gewährung des Hilflosenzuschusses (zur Witwenpension) mit der Begründung abgelehnt, daß sie nicht ständig der Wartung und Hilfe bedürfe (§ 105a ASVG).
Mit der dagegen rechtzeitig erhobenen Klage stellte die Klägerin das Begehren auf Gewährung des Hilflosenzuschusses im gesetzlichen Ausmaß ab dem Antragstag. Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens.
Das Erstgericht wies mit dem am 30.8.1993 gefällten Urteil das Klagebegehren ab und traf folgende Feststellungen:
Die am 3.6.1920 geborene Klägerin wohnt mit dem unverheirateten Sohn im gemeinsamen Haushalt. Die Heizung erfolgt mit einem E-Herd und einem Herd mit Festbrennstoffen in der Küche und in den Zimmern mit Ölöfen. Das nächste Kaufhaus ist 200 m entfernt. Bei der Klägerin bestehen schwere degenerative Aufbrauchserscheinungen am Stamm und beiden Kniegelenken, ein Bluthochdruck, eine coronare Herzkrankheit, eine chronische Otitis bei einem Zustand nach einer Mittelohroperation beidseits und Krampfadernbildungen beidseits. Die Klägerin kann sich alleine an- und auskleiden, oberflächlich waschen, selbständig die Toilette aufsuchen, alleine essen, einfache Mahlzeiten zubereiten, einen Herd einheizen, einen Wohnraum oberflächlich säubern und kleine Mengen persönlicher Wäsche waschen. Zum Tätigen von Einkäufen, zum Ausräumen des Herdes, zum Herbeibringen von Festbrennstoffen bzw Öl für die Ölöfen, zur gründlichen körperlichen Säuberung in der Badewanne, zum Großwäschewaschen und zum gründlichen Säubern der Wohnung bedarf sie der fremden Hilfe.
Daraus folgerte das Erstgericht, daß für die der Klägerin nicht mehr zumutbaren dauernd wiederkehrenden lebensnotwendigen Verrichtungen ein Zeitaufwand einer dritten Person von höchstens 30 Stunden im Monat erforderlich sei. Der begehrte Hilflosenzuschuß betrage aber mindestens ca 2.800,-- S. Bei Kosten von S 90,-- pro Stunde Zeitaufwand einer dritten Person würde die üblicherweise aufzuwendenden Kosten im Monatsdurchschnitt nicht den begehrten Hilflosenzuschuß übersteigen. Die Klägerin habe daher keinen Anspruch auf Hilflosenzuschuß gemäß § 105a Abs 1 ASVG (bis 30.6.1993). Sie erfülle auch nicht die Voraussetzungen für die Gewährung eines Pflegegeldes wenigstens in Höhe der Stufe 1 ab 1.7.1993, weil der Pflegebedarf 50 Stunden nicht übersteige.
Gegen dieses Urteil erhob die Klägerin Berufung nur insoweit, als ihr nicht ab 1.7.1993 das Pflegegeld in der Höhe der Stufe 2, allenfalls in Höhe der Stufe 1 zuerkannt wurde. Die Abweisung des Begehrens auf Hilflosenzuschuß für die Zeit vom 22.7.1992 bis zum 30.6.1993 ist rechtskräftig.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Die Klägerin habe für die Herbeischaffung von Nahrungsmitteln und Medikamenten sowie für Heizmaterial den vollen Satz von jeweils 10 Stunden nach § 2 EinstV zu erhalten. Für die Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände wäre ebenfalls ein Stundensatz von 10 Stunden vorgesehen, doch bedürfe die Klägerin nur für die gründliche Wohnungsreinigung einer Hilfe, weshalb hiefür 6 Stunden veranschlagt würden. Ähnlich verhalte es sich mit dem Waschen der Großwäsche; die Leibwäsche könne die Klägerin alleine versorgen. Für das Waschen der Großwäsche würden ebenfalls 6 Stunden veranschlagt. Hiezu komme noch der Zeitaufwand für die gründliche Körperreinigung in der Badewanne. Da eine solche aus medizinischen Gründen nicht indiziert sei, genüge nach ständiger Rechtsprechung eine zweimalige gründliche Körperreinigung pro Woche, wofür 100 Minuten pro Woche sohin rund 7 Stunden pro Monat aufzuwenden seien. Insgesamt errechne sich ein Gesamtaufwand von 39 Stunden. Selbst wenn man zusätzlich die Hilfe bei der Bereitung von vollständigen Mahlzeiten berücksichtigte und weitere 7 Stunden hinzuzählte, würde die Grenze von 50 Stunden nicht erreicht werden. Zu Recht habe daher das Erstgericht der Klägerin ab 1.7.1993 kein Pflegegeld zugesprochen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Klägerin ist im Sinne ihres hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages berechtigt.
Das BPGG trat gemäß dem 3. Teil, 1. Abschnitt Z 1 mit 1.7.1993 in Kraft. Gemäß § 43 Abs 2 BPGG sind allen am 1.7.1993 noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren für die Zeit bis zum 30.6.1993 die bis zu diesem Zeitpunkt jeweils für die Beurteilung des Anspruches geltenden Bestimmungen der in § 3 genannten Normen (hier des ASVG) zugrunde zu legen. Der Anspruch der Klägerin war daher bis zum 30.6.1993 nach § 105a ASVG und ab dem 1.7.1993 nach dem BPGG zu beurteilen. Das Erstgericht hat zwar im Spruch seiner Entscheidung nur über den mit 30.6.1993 begrenzten Anspruch der Klägerin auf Hilflosenzuschuß erkannt, doch ergibt sich aus den Gründen der Entscheidung, daß es auch den Anspruch auf Pflegegeld prüfte und nicht für berechtigt erachtete. Das Berufungsgericht hat infolge Berufung der Klägerin über diesen Teil des Anspruches erkannt; gegen eine Entscheidung über den Anspruch der Klägerin auf Pflegegeld besteht daher auch im Revisionsverfahren kein Hindernis (ebenso 10 ObS 139/94).
Zu Recht wendet sich die Revision zunächst dagegen, daß das Berufungsgericht von dem für jede Hilfsverrichtung anzunehmenden fixen Zeitwert von 10 Stunden (§ 2 Abs 3 EinstV) abgegangen ist. Hilfsverrichtungen sind gemäß § 2 Abs 2 EinstV die Herbeischaffung von Nahrungsmitteln und Medikamenten, die Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände, die Pflege der Leib- und Bettwäsche, die Beheizung des Wohnraumes einschließlich der Herbeischaffung von Heizmaterial und die Mobilitätshilfe im weiteren Sinn. Für jede dieser Hilfsverrichtung ist nach Abs 3 ein fixer Zeitwert von 10 Stunden monatlich anzunehmen. Hier steht fest, daß die Klägerin zur Herbeischaffung von Nahrungsmitteln, zur gründlichen Reinigung der Wohnung, zum Waschen der großen Wäsche und zur Beheizung des Wohnraumes einschließlich der Herbeischaffung von Heizmaterial fremder Hilfe bedarf. Ein Hilfsbedürfnis ist daher bezüglich jeder der oben angeführten Hilfsverrichtungen gegeben. Das Berufungsgericht meint, daß die Klägerin nach dem festgestellten Sachverhalt nur zur gründlichen Wohnungsreinigung und nur zum Waschen der Großwäsche Hilfe von dritter Seite bedürfe; die oberflächliche Wohnungsreinigung und das Waschen der Leibwäsche könne sie alleine durchführen. Für die Wohnungsreinigung und das Wäschewaschen seien daher nur ein Hilfsbedarf von je 6 Stunden anzunehmen. Dem kann nicht beigetreten werden, weil nach der genannten Verordnungsbestimmung für jede Hilfsverrichtung ein - auf einen Monat bezogener - fixer Zeitwert von 10 Stunden anzunehmen ist. Diese Diktion eröffnet keinen Spielraum für ein Abweichen von dem angeordneten Zeitwert nach oben oder unten. Ist im Bereich einer der in § 2 Abs 2 EinstV genannten Hilfsverrichtungen, soweit sie zur Sicherung der Existenz erforderlich ist (Abs 1), ein Bedarf des Anspruchswerbers auf fremde Hilfe gegeben, so ist ohne Rücksicht darauf, wie weitgehend dieses Hilfsbedürfnis ist, der vom Verordnungsgeber angeordnete fixe Zeitwert zugrundezulegen. Daß der Anspruchswerber die Hilfe nicht im vollem Umfang benötigt und imstande ist, im Bereich der in Frage kommenden Hilfsverrichtungen einzelne einfachere Verrichtungen selbst zu besorgen, rechtfertigt demnach nicht ein Abweichen von den in der Verordnung ausdrücklich als fix bezeichneten Zeitwerten. Hier kommt die Pauschalierung der zeitlichen Vorgaben der EinstV besonders deutlich zum Ausdruck. Da das Pflegegeld nur einen Beitrag zu diesen Aufwendungen darstellt (§ 1 BPGG), ist es auch unerheblich, ob im konkreten Einzelfall mit 10 Stunden das Auslangen gefunden werden kann. Da diese 10 Stunden jedoch nicht bloß als Obergrenze, sondern auch als nach unten fixer Wert anzusehen sind, muß die Pauschalierung ebenso gelten, wenn im Einzelfall für die betreffende Verrichtung unter Umständen mit einem geringeren Ausmaß an Hilfe das Auslangen gefunden werden könnte. Die Notwendigkeit, auf derartige subjektiven bzw individuellen Besonderheiten einzugehen, soll durch Pauschalwerte im Sinne des § 4 Abs 5 Z 3 BPGG gerade vermieden werden. Bereits dem Gesetz ist also zu entnehmen, daß bei Hilfsverrichtungen keine konkret-individuelle Prüfung anzustellen ist. Die Gefahr, daß es dadurch zu allenfalls nicht zu rechtfertigenden Verzerrungen und damit vielleicht zu unsachlichen Differenzierungen kommen könnte, besteht nicht: Zum einen vermag ein Bedarf nach Hilfe allein keinen Pflegegeldanspruch zu begründen, zum andern sind die Pauschalwerte für die Hilfsverrichtungen so niedrig angesetzt, daß ein Bedarf in mindestens drei Hilfsbereichen vorliegen müßte, damit ein Pflegegebedürftiger bloß in den Genuß eines Pflegegeldes der Stufe 2 statt eines solchen der Stufe 1 gelangen könnte. Sehr wohl im konkreten Fall zu prüfen ist allerdings, ob ein solcher Bedarf besteht (so zutreffend Pfeil, Pflegebedürftigkeit als Rechtsproblem, dritter Teil, Abschnitt 2. III. 3. 5. 2 - in Druck). Für den Fall der Klägerin bedeutet dies, daß allein die Hilfsverrrichtungen nach § 2 EinstV einen Pflegebedarf von durchschnittlich 40 Stunden monatlich erreichen.
Unter Betreuung sind nach § 1 Abs 1 EinstV alle in relativ kurzer Folge notwendigen Verrichtungen anderer Personen zu verstehen, die vornehmlich den persönlichen Lebensbereich betreffen und ohne die der pflegebedürftige Mensch der Verwahrlosung ausgesetzt wäre. Zu diesen Verrichtungen zählen nach Abs 2 insbesondere unter anderem solche bei der Körperpflege sowie bei der Zubereitung und Einnahme von Mahlzeiten. Der in § 1 Abs 4 EinstV festgelegte zeitliche Mindestwert von 2 x 25 Minuten gilt allerdings nur für die "tägliche" Körperpflege. Dies ergibt sich zum einen aus der Differenzierung zu Abs 2 dieser Bestimmung, wo von Körperpflege schlechthin gesprochen wird; zudem hätte es wohl deutlicher Hinweise bedurft, wenn nunmehr von der bisher maßgebenden Auffassung abgewichen werden sollte, wonach jede Form der Ganzkörperreinigung ausreiche, es sei denn, es bestünde eine besondere medizinische Notwendigkeit (Pfeil aaO mwN bei FN 171 und 172). Die Ganzkörperreinigung durch ein Wannenvollbad zählt - abgesehen von medizinischer Notwendigkeit, für die hier kein Anhaltspunkt besteht - nicht zur täglichen Körperpflege. Die in dieser Hinsicht pflegebedürftige Klägerin wäre auch dann nicht der Verwahrlosung ausgesetzt, wenn sie pro Woche nur zwei solcher Bäder nehmen könnte. Der zeitliche Betreuungsaufwand im Zusammenhang mit einem Wannenvollbad kann in Anlehnung an den im § 1 Abs 4 EinstV für eine tägliche Körperpflege festgelegten zeitlichen Mindestwert von etwa 25 Minuten angenommen werden (ebenso 10 ObS 143/94, ähnlich 10 ObS 139/94). Geht man davon aus, daß die Klägerin auch dann nicht der Verwahrlosung ausgesetzt wäre, wenn sie wöchentlich nur zwei Wannenvollbäder nehmen kann, dann ergibt sich diesbezüglich ein zeitlicher Betreuungsaufwand von etwa 3 1/2 bis 4 Stunden monatlich. Da sich nach den bisherigen Ausführungen ein Pflegebedarf von 44 Stunden monatlich errechnet, ist für die Anspruchsbegründung von wesentlicher Bedeutung, ob und inwieweit die Klägerin Hilfe bei der Zubereitung von Mahlzeiten bedarf.
Während das Erstgericht über diesen Punkt mit Stillschweigen hinwegging, meinte das Berufungsgericht, daß die Bereitung von vollständigen Mahlzeiten einen Pflegeaufwand von weiteren 7 Stunden erfordere. Dies steht in einem Widerspruch zu § 1 Abs 4 EinstV, wonach für die Zubereitung von Mahlzeiten ein zeitlicher Mindestwert von einer Stunde täglich festgelegt ist; Abweichungen von diesen Zeitwert sind nur dann zu berücksichtigen, wenn der tatsächliche Betreuungsaufwand diesen Mindestwert erheblich überschreitet. Die vom Erstgericht getroffene Feststellung, die Klägerin könne einfache Mahlzeiten zubereiten, läßt allerdings nicht erkennen, ob sie sich damit auf eine dem allgemeinen Standard angemessene Weise ernähren kann. Dies bedarf vielmehr näherer Aufklärung. Die zum Hilflosenzuschuß entwickelte Judikatur ging davon aus, daß für eine dem allgemeinen Standard angemessene menschengerechte Lebensführung mindestens einmal täglich die Einnahme einer ordentlichen warmen Mahlzeit erforderlich ist, deren Zubereitung nicht nur eine ganz kurze Zeitspanne in Anspruch nimmt und daß es einem Pensionisten nicht zumutbar ist, sich ausschließlich von aufgewärmten Speisen zu ernähren, daß aber bei Prüfung des für die Speisenzubereitung notwendigen Aufwandes das handelsübliche Angebot an Tiefkühlkost und Fertiggerichten zu berücksichtigen ist. Es ist immer auf den Einzelfall abzustellen und zu beurteilen, ob die Speisen, die ein Pensionist selbst zubereiten kann, für seine Versorgung als ausreichend angesehen werden können oder ausgehend von den dargestellten Grundsätzen für eine entsprechende Versorgung mit Nahrung Hilfe von dritter Seite erforderlich ist (SSV/NF 5/46 ua). Im wesentlichen haben diese Erwägungen auch bei Beurteilung des Pflegeaufwandes nach dem BPGG zu gelten. Mit der Feststellung, daß die Klägerin "einfache Speisen" zubereiten könne, ist keine ausreichende Aussage getroffen. Es wird vielmehr zu erheben sein, welche Art von Speisen die Klägerin selbst bereiten kann bzw für welche Speisezubereitung sie fremder Hilfe bedarf. Sollte sich etwa ergeben, daß sie aufgrund ihrer Behinderung zur Zubereitung einer warmen Hauptmahlzeit unfähig ist, Frühstück oder Jause usw dagegen selbst zubereiten könne, läge der dennoch verbleibende Betreuungsaufwand nicht erheblich unter dem im § 1 Abs 4 EinstV normierten Wert (zutreffend Pfeil aaO Abschnitt 2. III. 3. 5.3 - in Druck). Sollte sich im fortgesetzten Verfahren ergeben, daß die Klägerin eine ordentlich gekochte warme Mittagsmahlzeit nicht zubereiten kann, dann wäre hiefür der zeitliche Mindestwert von täglich einer Stunde anzusetzen und damit zumindest ein Pflegebedarf von mehr als 50 Stunden monatlich überschritten, sodaß der Klägerin Pflegegeld zumindest in Höhe der Stufe 1 gebühren würde.
Da es einer Verhandlung erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, waren die Urteile der Vorinstanzen im aufgezeigten Umfang aufzuheben und die Sache insoweit an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG.
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