OGH 10ObS165/06x

OGH10ObS165/06x5.12.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Lukas Stärker und Dr. Peter Zeitler (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Maria E*****, Pensionistin, ***** im Revisionsverfahren nicht vertreten, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, 1031 Wien, Ghegastraße 1, vertreten durch Dr. Michael Stögerer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Erhöhung des Pflegegeldes, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. Juni 2006, GZ 8 Rs 81/06z-15, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 14. März 2006, GZ 8 Cgs 337/05b-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, die hinsichtlich des Zuspruches von Pflegegeld der Stufe 4 als unbekämpft unberührt bleiben, werden im Übrigen im Umfang des Differenzbetrages zwischen den Pflegegeldstufen 4 und 5 aufgehoben.

Die Sozialrechtssache wird in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die am 8. 2. 1925 geborene Klägerin bezieht von der beklagten Partei das Pflegegeld der Stufe 2. Sie bewohnt alleine ein mit einer Gaszentralheizung ausgestattetes Einfamilienhaus. Sie bezieht Essen auf Rädern und wird von ihrem im Nachbarhaus wohnenden Sohn betreut. Zweimal täglich „kommt die Caritas". Sie leidet an einer Osteoporose mit Wirbelkörpereinbrüchen L1 und L2 sowie an Bandscheibenvorwölbungen in der Halswirbelsäule C3/4 und C5/6. Weiters bestehen ein Zustand nach abgeheiltem Venengeschwür am rechten Bein, ein Morbus Parkinson mit Gangunsicherheit sowie stark degenerative Veränderungen der gesamten Wirbelsäule mit verminderter körperlicher Tragfähigkeit und Mobilität, eine verminderte Mobilität und Funktionsfähigkeit beider Arme sowie eine Harninkontinenz mit Einlagenversorgung. Weiters liegen bei der Klägerin eine linkshirnige Durchblutungsstörung, wiederholte Harnblasenentzündungen sowie nervenbedingte Blasen- und Darmstörungen und ein Bluthochdruck vor. Es bestehen auch eine zunehmende Verschlechterung der Schmerzzustände, ein zunehmender Verwirrtheitszustand bei Exsiccose (Austrocknung) und wiederholte Harnwegsinfektionen. Die Klägerin benötigt für alle Handlungen ständige Begleitung. Sie bedarf für die Herbeischaffung von Nahrungsmitteln, die Reinigung der Wohnung, die Reinigung der Leib- und Bettwäsche, das An- und Auskleiden, die tägliche kleine und große Körperpflege, das Zubereiten von Mahlzeiten, die Einnahme von Medikamenten, die Verrichtung der Notdurft und die Reinigung bei Inkontinenz fremder Hilfe. Weiters benötigt sie Mobilitätshilfe im engeren und im weiteren Sinn. Daraus ergibt sich ein monatlicher Pflegebedarf von 183 Stunden. Die Pflege in geordneten Einheiten ist möglich.

Die Klägerin benützt einen Rollstuhl und kommt aus eigener Kraft nicht in oder aus dem Rollstuhl. Aufgrund ihrer höhergradigen Behinderung ist es erforderlich, dass zwei Personen bei der Pflege, beim Ankleiden oder auch beim Toilettentraining mithelfen. Sie ist kooperativ. Im Wirbelsäulenbereich liegt aufgrund der multiplen Wirbeleinbrüche eine hochgradige Schmerzhaftigkeit vor, das heißt die Klägerin muss in einer besonders vorsichtigen Art gehalten werden, wenn sie ihre Position verändern möchte bzw auch beim An- oder Auskleiden oder auch bei der Körperpflege.

Mit Bescheid der beklagten Partei vom 20. 9. 2005 wurde der Antrag der Klägerin vom 7. 7. 2005 auf Erhöhung des Pflegegeldes abgelehnt. Dagegen erhob die Klägerin Klage mit dem Begehren auf Gewährung des Pflegegeldes im gesetzlichen Ausmaß.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin Pflegegeld der Stufe 5 in Höhe von EUR 859,30 monatlich ab 1. 8. 2005 zu gewähren. Nach seiner rechtlichen Beurteilung bestehe nach § 4 Abs 2 BPGG ein Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 5, wenn zu einem monatlichen Pflegebedarf von mehr als 180 Stunden ein außergewöhnlicher Pflegebedarf hinzutrete. Aufgrund des bei der Klägerin vorliegenden Zustandsbildes, insbesondere der Stuhl- und Harninkontinenz, der Tatsache, dass die Klägerin auf das Hilfsmittel eines Rollstuhles angewiesen sei, wobei ein deutlicher Ausfall der oberen Extremitäten vorliege, sei eine diagnosebezogene Mindesteinstufung der Klägerin nach § 4a Abs 3 BPGG in die Stufe 5 gerechtfertigt.

Das Berufungsgericht gab der auf Abweisung eines die Stufe 4 übersteigenden Begehrens gerichteten Berufung der beklagten Partei keine Folge. Das Erstgericht sei nicht von einer diagnosebezogenen Einstufung der Klägerin ausgegangen. Es habe vielmehr im Rahmen einer funktionellen Einstufung das Vorliegen eines außergewöhnlichen Pflegebedarfes nach § 4 Abs 2 BPGG zutreffend bejaht, da bei der Klägerin eine Stuhl- und Harninkontinenz, hochgradig schmerzhafte Wirbeleinbrüche sowie ein deutlicher Ausfall der oberen Extremitäten vorlägen und für den Transfer in und aus dem Rollstuhl zwei Hilfspersonen erforderlich seien. Außerdem könne bei der gebotenen Berücksichtigung eines „selbstbestimmten, bedürfnisorientierten Lebens" die Notwendigkeit der Entfernung der Exkremente nicht auf die lange Bank geschoben werden. Es lägen daher Umstände vor, die einen Betreuungsaufwand bedingten, der jederzeit auftreten könne und daher das unmittelbare zeitlich nicht planbare Einschreiten einer Betreuungsperson erforderlich machten. Der Klägerin gebühre daher Pflegegeld der Stufe 5.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass die beklagte Partei lediglich zur Zahlung des Pflegegeldes der Stufe 4 ab 1. 8. 2005 verpflichtet und das darüber hinausgehende Begehren der Klägerin abgewiesen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist, wie die folgenden Ausführungen zeigen werden, zulässig und im Sinne der beschlossenen Aufhebung auch berechtigt. Die beklagte Partei macht in ihren Revisionsausführungen geltend, es sei der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht eindeutig zu entnehmen, ob für eine Einstufung in die Pflegegeldstufe 5 (Vorliegen eines „außergewöhnlichen Pflegeaufwandes") in jedem Fall das Fehlen einer zeitlichen Koordinierungsmöglichkeit der notwendigen Betreuungsmaßnahmen Voraussetzung sei, zumal in der Judikatur das Vorliegen eines außergewöhnlichen Pflegeaufwandes auch bei der Notwendigkeit einer Nachschau nach dem Pflegebedürftigen in relativ kurzen Zeitabständen bejaht werde. Im vorliegenden Fall seien diese Voraussetzungen jedenfalls nicht gegeben. So werde der Transfer der Klägerin in und aus dem Rollstuhl zwar durch die Notwendigkeit, dass hiefür zwei Personen erforderlich seien, erschwert. Es sei aber nicht nachvollziehbar, dass dieser Betreuungsaufwand jederzeit auftreten könne und zeitlich nicht planbar sei. Das Bestehen von Stuhl- oder Harninkontinenz bedinge nach der Rechtsprechung ebenfalls keinen außergewöhnlichen Pflegebedarf. Auch weitere Betreuungsmaßnahmen, die eine Nachschau bei der Klägerin in relativ kurzen Zeitabständen erfordern würden, seien nicht ersichtlich. Die vom Erstgericht vorgenommene diagnosebezogene Einstufung sei ebenfalls nicht gerechtfertigt, weil bei der Klägerin keine der im § 4a Abs 1 BPGG aufgezählten Diagnosen vorliege.

Der erkennende Senat hat dazu Folgendes erwogen:

Zutreffend macht die beklagte Partei geltend, dass die vom Erstgericht vorgenommene diagnosebezogene Einstufung der Klägerin als aktive Rollstuhlfahrerin im Sinn des § 4a Abs 3 BPGG schon deshalb nicht in Betracht kommt, weil diese Mindesteinstufung für Rollstuhlfahrer neben dem überwiegenden Angewiesensein auf den selbständigen Gebrauch eines Rollstuhles oder eines technisch adaptierten Rollstuhles auf das Vorliegen bestimmter, taxativ aufgezählter Diagnosen (Querschnittlähmung, beidseitige Beinamputation, genetische Muskeldystrophie, Enzephalitis disseminata oder infantile Cerebralparese) abstellt. Eine analoge Anwendung der in § 4a BPGG normierten Mindesteinstufung käme nur dann in Betracht, wenn die Klägerin eine der in dieser Gesetzesstelle ausdrücklich angeführten Diagnosen ihrem Inhalt nach vergleichbare und in ihren Auswirkungen gleichzusetzende Diagnose aufweisen würde (SSV-NF 16/83 mwN). Dies ist jedoch nicht der Fall, weshalb die Voraussetzungen für eine diagnosebezogene Mindesteinstufung bei der Klägerin nicht vorliegen. Auch eine der Rechtsansicht des Erstgerichtes offenbar zugrundeliegende „Vermischung" der diagnosebezogenen Mindesteinstufung mit der funktionsbezogenen Einstufung ist nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes unzulässig (SSV-NF 14/99 ua).

Bei der somit gebotenen funktionsbezogenen Einstufung ist unbestritten, dass die Klägerin einen Pflegebedarf von durchschnittlich mehr als 180 Stunden monatlich hat. Für eine Einstufung in die Pflegegeldstufen 5, 6 und 7 ist neben einem Pflegebedarf von mehr als 180 Stunden monatlich eine besonders qualifizierte Form der Pflege erforderlich. Während der Gesetzgeber die für eine Einordnung in die Stufen 6 und 7 erforderlichen zusätzlichen Kriterien einer besonders qualifizierten Pflege anhand von konkret umschriebenen Voraussetzungen näher definiert hat, sind die Voraussetzungen für die Stufe 5 - offenbar ganz bewusst - sehr weit formuliert. So besteht nach § 4 Abs 2 BPGG Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 5, wenn zu einem durchschnittlichen monatlichen Pflegebedarf von mehr als 180 Stunden ein „außergewöhnlicher Pflegebedarf" hinzutritt. Aus dieser gesetzlichen Regelung ist zu folgern, dass die Stufe 5 allen Pflegebedürftigen zugänglich sein soll, bei denen zum funktionsbezogen ermittelten, rein zeitmäßig bestimmten Pflegebedarf von mehr als 180 Stunden besondere - die Pflege zusätzlich erschwerende - qualifizierende Elemente hinzutreten, die aber noch nicht ausreichen, die Voraussetzungen für die Stufen 6 oder 7 (zur Gänze) zu erfüllen (Greifeneder/Liebhart, Handbuch Pflegegeld Rz 335). Zur Erleichterung der administrativen Handhabung und zur Sicherstellung einer einheitlichen Entscheidungspraxis im gesamten Bundesgebiet ermächtigt § 4 Abs 4 BPGG den Bundesminister für Soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz nähere Bestimmungen für die Beurteilung des Pflegebedarfes durch Verordnung festzulegen. In diesem Sinne definiert § 6 EinstV den Begriff „außergewöhnlicher Pflegebedarf" näher und legt dazu fest, dass ein außergewöhnlicher Pflegebedarf vorliegt, wenn die dauernde Bereitschaft, nicht jedoch die dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson erforderlich ist.

Bei der Auslegung des weit gefassten Begriffes des „außergewöhnlichen Pflegebedarfes" in § 4 Abs 2 BPGG ist zu berücksichtigen, dass auch Verordnungen im Zweifel gesetzeskonform auszulegen sind (vgl Bydlinski in Rummel, ABGB³ § 6 Rz 21; MGA, ABGB36 § 6 E Nr 49 ff mwN). Ausgehend von dem Grundsatz, dass sich Verordnungen innerhalb der gesetzlichen Ermächtigung zu bewegen haben und ihre Bestimmungen daher stets im Sinne des ermächtigenden Gesetzes auszulegen sind, ist auch die Bestimmung des § 6 EinstV im Sinne des § 4 Abs 2 BPGG auszulegen (Tomandl, Einige grundsätzliche Überlegungen zum Pflegegeldanspruch, ZAS 1999, 13 ff [16 f]). Dass die Ermächtigung des Bundesministers zur Festlegung näherer Bestimmungen für die Beurteilung des Pflegebedarfes keine Ermächtigung zur abschließenden Festlegung der Leistungsvoraussetzungen darstellt, ergibt sich schon daraus, dass die EinstV als dem Gesetz nachgeordneter Maßstab die gängigsten und häufigsten Fälle regeln soll, um die Erledigung der Masse der Fälle nach einer einheitlichen Leitlinie sicherzustellen (SSV-NF 9/66; Tomandl aaO ZAS 1999, 17). Aber auch die Formulierung des § 6 EinstV („Ein außergewöhnlicher Pflegeaufwand liegt vor, wenn die dauernde Bereitschaft, nicht jedoch die dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson erforderlich ist.") verlangt nicht zwingend eine restriktive Auslegung dahingehend, dass nach dieser Bestimmung ein „außergewöhnlicher Pflegebedarf" im Sinne einer besonders qualifizierten Pflege ausschließlich bei Notwendigkeit einer „dauernden Bereitschaft" denkbar ist. Umgekehrt liegt aber ein außergewöhnlicher Pflegebedarf im Sinn des § 4 Abs 2 BPGG iVm § 6 EinstV jedenfalls dann vor, wenn die Notwendigkeit einer besonders qualifizierten Form der Pflege durch das Erfordernis einer dauernden Bereitschaft (Rufbereitschaft) einer Pflegeperson indiziert ist. Darüber hinaus kommen für eine Einstufung in die Pflegegeldstufe 5 auch noch andere einen vergleichbaren besonders qualifizierten Pflegebedarf indizierende Fallgestaltungen in Betracht. So wurde in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes das Vorliegen eines außergewöhnlichen Pflegebedarfes auch dann bejaht, wenn beim Pflegebedürftigen eine Nachschau durch eine Pflegeperson in relativ kurzen Zeitabständen erforderlich ist (SSV-NF 16/61). Auch die Fälle der unkoordinierbaren Pflegeleistungen, die regelmäßig nur bei Tag oder bei Nacht notwendig sind und/oder kein unverzügliches Eingreifen erfordern, stellen typische Anwendungsfälle der Pflegegeldstufe 5 dar (vgl SSV-NF 13/7; 16/61; 16/110; 17/10 ua). Soweit aus diesen auch von der beklagten Partei in ihren Revisionsausführungen zitierten Entscheidungen auch die Auffassung abgeleitet werden kann, die Möglichkeit der zeitlichen Koordination der Pflegeleistungen schließe einen Anspruch auf Stufe 5 von vornherein aus, kann diese Ansicht nicht aufrechterhalten werden. In diesem Sinne hat der erkennende Senat in der erst jüngst ergangenen Entscheidung 10 ObS 39/06t bereits ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit der zeitlichen Koordination der Pflegeleistungen einen Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 5 nicht scheitern lässt, wenn eine Nachschau in relativ kurzen Zeitabständen erforderlich ist. Die Fälle der unkoordinierbaren Pflegeleistungen, die regelmäßig nur bei Tag oder bei Nacht notwendig sind und/oder kein unverzügliches Eingreifen erfordern, stellen daher typische Anwendungsfälle der Pflegegeldstufe 5 dar, ohne diese aber abschließend zu umschreiben (in diesem Sinne auch Greifeneder/Liebhart aaO Rz 337 f). Das Erfordernis einer besonders qualifizierten Pflege muss jedoch auch bei der Pflegegeldstufe 5 ein gewisses Ausmaß erreichen, um von einem „außergewöhnlichen Pflegebedarf" sprechen zu können. So rechtfertigt eine Stuhl- und/oder Harninkontinenz für sich allein ebensowenig wie der Umstand, dass der Betroffene weitgehend an das Bett bzw den Rollstuhl gebunden ist, die Annahme eines außergewöhnlichen Pflegebedarfes (SSV-NF 11/69; 15/117 ua).

Bei Anwendung der dargelegten Grundsätze auf den vorliegenden Fall ist zunächst davon auszugehen, dass die Frage, ob ein außergewöhnlicher Pflegeaufwand vorliegt ebenso wie die Frage, ob das Erfordernis einer dauernden Bereitschaft einer Pflegeperson besteht, keine Tat-, sondern eine Rechtsfrage ist,die ausgehend von den Feststellungen über die Bedürfnisse der Betroffenen im konkreten Fall zu prüfen ist (SSV-NF 15/114 ua). Der Umstand, dass die Pflege der Klägerin in zeitlich vorgeplanten pflegerischen Einheiten möglich ist, schließt, wie dargelegt, die Klägerin noch nicht von vornherein vom Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 5 aus. Von den Vorinstanzen wurde das Vorliegen eines außergewöhnlichen Pflegebedarfs im Wesentlichen damit begründet, dass bei der Klägerin eine Stuhl- und Harninkontinenz sowie eine beträchtliche Verminderung der Mobilität und Funktionsfähigkeit beider Arme vorliege, wobei zum Transfer in und aus dem Rollstuhl die Unterstützung durch zwei Pflegepersonen notwendig sei. Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, dass bei der Klägerin nach den Feststellungen lediglich eine Harninkontinenz mit Einlagenversorgung vorliegt, welche für sich allein jedenfalls noch nicht die Bejahung eines außergewöhnlichen Pflegeaufwandes rechtfertigt (SSV-NF 11/69). Aber auch die Berücksichtigung des weiteren Umstandes, dass die Klägerin auf die Benützung eines Rollstuhles angewiesen ist und der Transfer in und aus dem Rollstuhl - wie gelegentlich auch bei schwergewichtigen Pflegebedürftigen - durch die Notwendigkeit der Mithilfe von zwei Pflegepersonen erschwert ist, rechtfertigt noch nicht die Annahme der Voraussetzungen für den Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 5. Ein außergewöhnlicher Pflegeaufwand würde nach Ansicht des erkennenden Senates jedoch dann vorliegen, wenn die Klägerin darüber hinaus auch bei den anderen wesentlichen Betreuungsverrichtungen der Hilfe zweier Pflegepersonen bedürfte und dieser Umstand nicht bereits für den für die Stufe 5 erforderlichen Pflegebedarf von mehr als 180 Stunden monatlich berücksichtigt wurde. Die bisher vorliegenden Feststellungen bieten zwar Anhaltspunkte dafür, sie sind jedoch noch nicht eindeutig beurteilbar. So wird die Klägerin nach den bisher getroffenen Feststellungen von ihrem im Nachbarhaus wohnenden Sohn betreut und „es kommt zweimal täglich die Caritas". Aufgrund der „höhergradigen Behinderung" der Klägerin ist es erforderlich, dass zwei Personen „bei der Pflege, beim Ankleiden oder auch beim Toilettentraining" mithelfen. Ob auch die aufgrund der multiplen Wirbeleinbrüche bei der Klägerin bestehende besondere Schmerzhaftigkeit bei einer Veränderung ihrer Position im Zuge des An- oder Auskleidens oder der Körperpflege die Hilfe zweier Pflegepersonen erfordert, ist den Feststellungen nicht zu entnehmen. Das Erstgericht wird daher im fortzusetzenden Verfahren die Frage des Vorliegens eines außergewöhnlichen Pflegeaufwandes im Sinne der oben dargelegten Ausführungen mit den Parteien zu erörtern haben. Es wird jedenfalls mit dem Sachverständigen die Frage der Notwendigkeit der Mithilfe einer zweiten Pflegeperson bei der Betreuung der Klägerin näher zu erörtern haben, insbesondere aus welchen konkreten medizinischen Gründen und für welche konkreten Betreuungsverrichtungen eine solche Mithilfe einer zweiten Pflegeperson erforderlich ist. Erst danach wird die Frage des Vorliegens eines außergewöhnlichen Pflegeaufwandes bei der Klägerin abschließend beurteilt werden können. Da es zur Abklärung dieser aufgezeigten Feststellungsmängel einer Verhandlung erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, waren die Urteile der Vorinstanzen im noch strittigen Umfang, also hinsichtlich des Zuspruches bzw der Abweisung eines die Stufe 4 übersteigenden Pflegegeldes, aufzuheben und die Sache insoweit an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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