Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:
"Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger ab 1. April 1987 eine Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, wird abgewiesen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 2. Juni 1987 wies die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 19. März 1987 auf Berufsunfähigkeitspension mangels Berufsunfähigkeit iS des § 273 Abs 1 ASVG ab.
Die auf die abgelehnte Leistung ab 1. April 1987 gerichtete Klage stützt sich darauf, daß der seit 1970 in einer EDV-Abteilung beschäftigte Kläger insbesondere wegen der Amputation des linken Unterschenkels mit Phantomschmerzen, verschiedener Einschränkungen des rechten Beines, Abnützungserscheinungen der Wirbelsäule und Schlaflosigkeit keiner geregelten Beschäftigung nachgehen könne. Die beklagte Partei beantragte, die Klage mangels Berufsunfähigkeit abzuweisen.
Das Erstgericht gab der Klage statt, ohne der beklagten Partei die im § 89 Abs 2 ASGG vorgeschriebene vorläufige Zahlung aufzutragen. Nach seinen wesentlichen Feststellungen ist der am 15. August 1936 geborene Kläger seit 1952 bei der V*** beschäftigt, und zwar seit 1960 als kaufmännischer Angestellter, seit 1970 in der für das Walzwerk eingerichteten EDV. Er hatte diese Räume zu verwalten und die Betriebsmittel und Büroeinrichtungen zu bestellen und ist in die Gruppe IV des Kollektivvertrages eingestuft. Neben einer durch Brille ausgleichbaren Alterssichtigkeit und einem Teilprothetischen Gebiß besteht ein Zustand nach Amputation des linken Unterschenkels mit gut weichteilgedecktem, prothesenfähigem Stumpf und glaubhaften Phantomschmerzen. Geringgradige und weitgehend altersentsprechende Abnützungserscheinungen der Lendenwirbelsäule lösen Lumbalgien aus. Der Zustand nach einem Schienbeinkopftrümmerbruch rechts und eine Gonarthrose rechts lassen Schmerzen glaubhaft erscheinen. Es bestehen auch eine gewisse Unsicherheit im rechten Kniegelenk und eine deutliche Atrophie der rechten Oberschenkelmuskulatur sowie mäßige Abnützungserscheinungen im Bereich des rechten Schultergelenkes mit endlagiger, schmerzbedingter Bewegungseinschränkung. Wegen dieses Gesundheitszustandes kann der Kläger (während der üblichen Arbeitszeit) ohne unübliche Arbeitspausen alle leichten Arbeiten in vorwiegend sitzender Haltung verrichten, aber auch vorübergehend (zum Herbeischaffen von Arbeitsmaterial und Wechseln des Arbeitsplatzes) jeweils bis zu 20 Minuten im Stehen oder Gehen arbeiten. Arbeiten mit Stiegensteigen, auf Leitern und Gerüsten, an Maschinen mit mechanischem Fußantrieb, im Freien unter drohender Unterkühlung oder Durchnässung, mit häufigem Bücken bis zum Boden, Akkord-, Nacht- und Schichtarbeit, Arbeit mit intensivem Kunden- und Parteienverkehr und Bildschirmarbeiten sind nicht möglich. Der Kläger kann umgeschult, angelernt, unterwiesen und eingeordnet werden. Seine überdurchschnittlichen Fähigkeiten lassen ihn für Büroarbeiten sehr gut geeignet erscheinen. Er kann jederzeit ein öffentliches Verkehrsmittel benützen. Der festgestellte Gesundheitszustand besteht seit der Antragstellung. Im Jahre 1986
war der Kläger etwa 40 Tage, im Jahre 1987 ingesamt 43 Tage im Krankenstand. Mit ähnlichen Krankenständen ist auch in Zukunft zu rechnen. bei der oö Gebietskrankenkasse versicherte Dienstnehmer sind pro Jahr durchschnittlich etwa zwölf bis 14 Tage im Krankenstand.
Die diesen Durchschnittswert übersteigende Dauer der zu erwartenden Krankenstände erfordere ein besonderes Entgegenkommen des Arbeitgebers. Deshalb könne der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht eingesetzt werden und sei daher berufsunfähig iS des § 273 Abs 1 ASVG.
Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Nach der Rechtsprechung führe der Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit erst dann zum Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit, wenn die sonst ausreichende Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt so häufig und so lange durch immer wiederkehrende Krankenstände herabgemindert werde, daß dies - insgesamt gesehen - dauernd die Verwertung der Arbeitskraft verhindere. Ob das der Fall sei, sei nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. Invalidität sei angenommen worden:
bei vierzehn Krankenstandstagen pro Vierteljahr, bei vier dreiwöchigen Krankenständen pro Jahr, bei Krankenständen in der Gesamtdauer von drei Monaten pro Jahr und bei alle vier bis sechs Wochen auftretenden vierzehntägigen Krankenständen. Invalidität sei verneint worden: bei zwei drei bis vier Wochen dauernden Krankenständen pro Jahr, bei zwei je zehntägigen Krankenständen und einem eine Woche dauernden Krankenstand pro Jahr. In anderen Entscheidungen sei betont worden, es komme darauf an, ob es sich um Ausfälle der Arbeitskraft in zusammenhängender Form oder um immer wieder auftretende, kurzfristige Ausfälle handle. Der vorliegende Fall sei zwar sowohl hinsichtlich der Dauer als auch wegen der sich aus dem Ergänzungsgutachten ON 10 ergebenden Form der Krankenstände ein Grenzfall, doch führe die zu erwartende Krankenstandsdauer bei Berücksichtigung der allgemeinen Situation auf dem Arbeitsmarkt zur Annahme, daß der Kläger seinen bisherigen Arbeitsplatz nur infolge eines besonderen Entgegenkommens seines Dienstgebers erhalten konnte, den verbliebenen Rest seiner Arbeitsfähigkeit aber auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr verwerten könnte.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die vom Kläger nicht beantwortete Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im klageabweisenden Sinn abzuändern oder es aufzuheben. Die nach § 46 Abs 4 ASGG ohne die Beschränkungen des Abs 2 dieser Gesetzesstelle zulässige Revision ist berechtigt.
Nach den übereinstimmenden ärztlichen Gutachten sind die häufigeren Krankenstände auf durch die Phantomschmerzen bedingte Erschöpfungszustände zurückzuführen. Der Kläger gab nämlich an, daß er wegen der Phantomschmerzen häufig nicht schlafen könne und daher für den nächsten Arbeitstag nicht ausgeruht sei, so daß er unter zunehmender Nervosität und Konzentrationsschwäche leide (ON 4, 5 und 6). Bei Auswertung der im Ergänzungsgutachten ON 10 aufgrund der Angaben des Klägers angeführten Krankenstände des Jahres 1987 fällt auf, daß der Kläger nach Abzug der Samstage, Sonn- und Feiertage, die für Büroangestellte üblicherweise keine Arbeitstage sind, insgesamt 31 Arbeitstage im Krankenstand war, und zwar: einmal fünf Tage im Jänner, einmal sieben Tage im März, einen Tag im April, einmal zwei Tage im Mai, einmal vier Tage im Juni, einmal fünf Tage im Juli und einmal neun Tage im September. In den Monaten Februar, August, Oktober, November und Dezember 1987 sowie Jänner und Februar (bis 25.) 1988 war er nicht im Krankenstand.
Daraus ergibt sich, daß beim Kläger jährlich mit einem krankheitsbedingten Ausfall an etwa 30 Arbeitstagen zu rechnen ist. Berücksichtigt man, daß im Jahre 1986 in Österreich auf 1.000 Beschäftigte insgesamt 1.056 Krankenstandstage kamen (vgl österreichisches Statistisches Zentralamt, Statistisches Handbuch für die Republik Österreich XXXIX Jg NF 1988, 85; BMAS, Bericht über die soziale Lage 1987, 346), dann zeigt sich, daß beim Kläger jährlich etwas mehr als das Zweieinhalbfache an Krankenstandstagen zu erwarten ist wie durchschnittlich bei allen österreichischen Beschäftigten. Da es sich dabei um einen Durchschnittswert der Beschäftigten aller Altersgruppen handelt, wird deutlich, daß die beim Kläger zu erwartende jährliche Anzahl und Dauer von Krankenständen nicht so ungewöhnlich hoch ist, daß seine Arbeitsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr bewertet würde und er daher von diesem ausgeschlossen wäre. Daß der Kläger mit seinem Gesundheitszustand nicht nur seine bisherige Tätigkeit weiterhin ausüben kann, sondern im Rahmen der Berufsgruppe der kaufmännischen Angestellten auch eine große Zahl von Verweisungstätigkeiten ausüben könnte, ergibt sich aus dem berufskundlichen Gutachten ON 9 und ist auch gerichtsbekannt. Der Kläger gilt daher nicht als berufsunfähig iS des § 273 Abs 1 ASVG und hat deshalb nach § 271 Abs 1 leg cit keinen Anspruch auf die begehrte Berufsunfähigkeitspension.
Der Revision war daher Folge zu geben, und die Urteile der Vorinstanzen waren im klageabweisenden Sinn abzuändern.
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