OGH 10ObS151/15a

OGH10ObS151/15a22.2.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Ing. Thomas Bauer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei G*****, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Graz, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert‑Stifter-Straße 65, 1200 Wien, wegen Versehrtenrente, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 5. November 2015, GZ 7 Rs 43/15w‑14, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00151.15A.0222.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Der 1963 geborene, als angestellter EDV‑Berater tätige Kläger nahm ab Donnerstag, 14. November 2013, an einem von einem Softwarelieferanten der Arbeitgeberin organisierten dreitägigen Seminar („Partnertagung“) in W***** in Nordrhein‑Westfalen (Deutschland) teil. Am Freitag waren von 9:00 Uhr bis 16:15 Uhr („Wrap‑Up“) einzelne Programmpunkte vorgesehen. Um 16:30 Uhr gab es eine kleine Stärkung. Als weitere Programmpunkte waren für 17:45 Uhr die Abfahrt zur Bobbahn, um 18:00 Uhr eine Bahnführung, um 19:00 Uhr ein Team‑Event Bobfahren bzw ein sogenannter „Cup“ im Taxibob und um 20:30 Uhr ein zünftiges Abendessen mit einer Teamsiegerehrung geplant. Auch am Samstag waren Programmpunkte ab 9:30 Uhr vorgesehen.

Zum Bobfahren waren alle 20 bis 30 Teilnehmer der Partnertagung, an der auch der Chef des Klägers teilnahm, eingeladen. An der Besichtigung der Bahn nahmen sämtliche Seminarteilnehmer zu Fuß teil. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger noch nicht geplant gehabt, im Bob mitzufahren; er war auch noch nicht angemeldet. Da aber noch Plätze im Bob frei waren, fühlte sich der Kläger bemüßigt, doch noch an der „Taxi‑Bobfahrt“ teilzunehmen; dies deshalb, weil ihn auch sein Chef zur Teilnahme ermunterte. Er meldete sich an und unterfertigte auch den Haftungsausschluss. In der letzten Kurve gab es durch eine Richtungsänderung einen gewaltigen Ruck, wodurch der Kläger einen Bruch des 4. Lendenwirbelkörpers erlitt.

Mit Bescheid vom 24. Juni 2014 lehnte die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt die Anerkennung des Unfalls vom 15. November 2013 als Arbeitsunfall und die Gewährung von Leistungen aus der Unfallversicherung ab.

Das Erstgericht verpflichtete die beklagte Partei, dem Kläger zur Abgeltung der Folgen des Arbeitsunfalls vom 15. November 2013 ab 3. März 2014 eine Versehrtenrente im Ausmaß von 20 vH der Vollrente als vorläufige Rente im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren. Bei der Bobfahrt habe es sich um eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung gehandelt, weil sie im offiziellen Programm des Seminars enthalten gewesen sei, sämtliche Teilnehmer an der Besichtigung der Bahn teilgenommen hätten und auch nach der Fahrt ein gemeinsames Abendessen geplant gewesen sei. Weiters sei der Kläger von seinem Chef zur Teilnahme an der Fahrt ermuntert worden.

Infolge Berufung der beklagten Partei wies das Berufungsgericht die Klage ab. Bei der Partnertagung in W***** habe es sich nicht um eine unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehende betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung gehandelt, weil diese Veranstaltung nicht vom Arbeitgeber des Klägers organisiert und finanziert worden sei und sie auch nicht dem Zweck der Verbundenheit mit dem Unternehmen bzw der Arbeitnehmer untereinander gedient habe. Vielmehr seien der Kläger und sein Vorgesetzter von einer Softwarelieferantin und Geschäftspartnerin der Arbeitgeberin des Klägers zu einer Fortbildungsveranstaltung eingeladen worden. Grund bzw Sinn von Tagungen dieser Art sei die Intensivierung der Geschäftsbeziehungen, nicht aber die Pflege der Betriebsverbundenheit. Auch wenn der Erwerb beruflicher Kenntnisse und Fähigkeiten und Erfahrungen im Rahmen einer betrieblichen Fortbildungsveranstaltung grundsätzlich unter die Generalklausel des § 175 Abs 1 ASVG falle, erstrecke sich der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nicht auf die gesamte Zeit der Veranstaltung, sondern nur auf Tätigkeiten, die mit dieser Veranstaltung in zeitlichem, örtlichem und ursächlichem Zusammenhang stünden. Bei einem Unfall, der sich anlässlich einer freiwilligen Teilnahme an einer vom Veranstalter angebotenen Freizeitaktivität ereignet habe, fehle jedoch der geforderte ursächliche Zusammenhang. Die Bobfahrt sei vom Veranstalter als Freizeitaktivität angeboten worden, zu der zwar sämtliche Teilnehmer der Tagung eingeladen gewesen seien, doch habe keine Verpflichtung zur Teilnahme bestanden. Am fehlenden Unfallversicherungsschutz ändere auch nichts, dass sich der Kläger im letzten Moment doch noch zur Teilnahme an der Bobfahrt bemüßigt gefühlt habe, weil noch Plätze im Bob frei gewesen seien und ihn sein Chef zur Teilnahme ermuntert habe. Infolge der Freiwilligkeit der Teilnahme fehle der geforderte ursächliche Zusammenhang zur Fortbildungsveranstaltung.

In seiner außerordentlichen Revision stellt der Kläger in den Vordergrund, dass er in seiner Arbeitszeit im Auftrag seines Arbeitgebers (und auf dessen Kosten) ein Fortbildungsseminar besucht habe, zu dem ein Softwarelieferant seines Arbeitgebers eingeladen habe; dieser habe das Seminar auch organisiert. Die Bobfahrt habe unter der Autorität seines Arbeitgebers stattgefunden; der Chef habe ihn erst zur Fahrt animiert.

Rechtliche Beurteilung

Damit wird keine erhebliche Rechtsfrage dargestellt.

1. Arbeitsunfälle sind nach § 175 Abs 1 ASVG „Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignen“. Für die Qualifikation eines Unfalls als Arbeitsunfall ist insbesondere erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang).

2.1. Unter die Generalklausel des § 175 Abs 1 ASVG fällt auch der Erwerb beruflicher Kenntnisse und Fähigkeiten und Erfahrungen im Rahmen einer betrieblichen Berufsausbildung (10 ObS 137/01x, SSV‑NF 15/138 [Ausbildung einer Berufsschullehrerin auf der Pädagogischen Akademie]). Darunter versteht man Ausbildungs‑, Schulungs- und Umschulungsmaßnahmen (Vorträge, Kurse, Workshops, Seminare etc), die der Dienstgeber für seine Dienstnehmer veranstaltet oder zumindest organisiert. Wenn und insoweit die Teilnahme verpflichtend ist, liegt eine unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehende Beschäftigung vor, wovon im Zweifel jedenfalls dann auszugehen ist, wenn die Ausbildungsmaßnahme in der Arbeitszeit stattfindet (Rudolf Müller in SV-Komm [92. Lfg, Stand 1. 3. 2014] § 175 ASVG Rz 57).

2.2. Außerhalb der Arbeitszeit stattfindende Ausbildungsmaßnahmen, bei denen die Teilnahme den Arbeitnehmern freigestellt ist, sind dann nach der Generalklausel versichert, wenn eine Organisation durch den Arbeitgeber wie bei einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung vorliegt (Rudolf Müller in SV‑Komm [92. Lfg, Stand 1. 3. 2014] § 175 ASVG Rz 58).

2.3. Findet die Ausbildungsmaßnahme außerhalb des Betriebs statt, dann gilt der Versicherungsschutz konsequenterweise wie bei Dienstreisen. Soweit dabei eine Verpflichtung zur Teilnahme an einem Rahmenprogramm besteht, ist auch dieses versichert (Rudolf Müller in SV‑Komm [92. Lfg, Stand 1. 3. 2014] § 175 ASVG Rz 59).

3. Dienstreisen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie in unmittelbarem Dienstinteresse unternommen werden. Es ist aber durchaus möglich, dass eine Dienstreise mit privaten Interessen verknüpft wird, sodass im Einzelfall genau zu prüfen ist, ob im Zeitpunkt des Unfallgeschehens tatsächlich der ursächliche Zusammenhang mit der dienstlichen Tätigkeit gewahrt ist. Zu bedenken ist jedoch, dass auf einer Dienstreise der Aufenthalt in einem fremden Ort auch außerhalb der Dienstzeit nicht in demselben Maße von rein eigenwirtschaftlichen Belangen beeinflusst ist wie derjenige am Wohnort. Auch wenn nicht die gesamte Dauer einer Dienstreise oder Dienstzuteilung als Dienst aufgefasst werden kann, ist ein innerer Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis auch außerhalb der eigentlichen dienstlichen Tätigkeit im Allgemeinen eher anzuerkennen als am Wohn- oder Dienstort (10 ObS 316/91, SSV‑NF 6/39 [Sturz im Seminarhotel auf dem Weg zum Abendessen]; 10 ObS 120/01x, SSV‑NF 15/82 [Schießübung im Rahmen einer Dienstreise in China]). Der Versicherungsschutz während einer Dienstreise kann sich daher auch auf solche Tätigkeiten erstrecken, die sonst dem privaten Bereich zuzuordnen sind. Der Versicherungsschutz entfällt aber jedenfalls dann, wenn sich der Reisende rein persönlichen, von der dienstlichen Tätigkeit und den Besonderheiten des auswärtigen Aufenthalts nicht mehr wesentlich beeinflussten Belangen widmet (RIS‑Justiz RS0084819), etwa einem Saunabesuch, dem Besuch der Hotelbar nach Beendigung der Dienstgeschäfte oder einem Spaziergang (Schwerdtfeger in Lauterbach, UV‑SGB VII4 [55. Lfg, Januar 2015] § 8 Rz 290, 297 ‑ 299 mwN aus der deutschen Rechtsprechung; ebenso Krasney in SGB VII‑Komm [22. Lfg, November 2015] § 8 Rz 102).

4. Der vorliegende Fall ist in gewisser Weise in der Mitte zwischen der eigentlichen Seminarteilnahme und einer rein privaten Verrichtung angesiedelt. Es bestand keine unmittelbare Verpflichtung zur Teilnahme an einer Taxi-Bobfahrt, aber eine gewisse Erwartungshaltung der Organisatoren, dass die Seminarteilnehmer mit dem Bob mitfahren. Naheliegenderweise sind für die Beurteilung, ob die im Rahmen der Dienstreise absolvierte Bobfahrt unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht, diejenigen Kriterien heranzuziehen, die bei der Qualifikation von betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltungen angewendet werden (siehe dazu Taxerer, Unfallversicherungsrechtliche Fragen der Dienstreise, ZAS 2005/4, 16 [18 f]). Der mögliche Umstand, dass der Kläger Erwartungen der Seminarorganisatoren erfüllen wollte, vermag für sich allein jedenfalls keinen Unfallversicherungsschutz zu begründen; maßgeblich sind die Verhältnisse auf der innerbetrieblichen Ebene.

4.1. Der Versicherungsschutz bei betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltungen wurzelt im betrieblichen Interesse an der Pflege der Verbundenheit zwischen dem Dienstgeber und der Dienstnehmerschaft des Unternehmens. Aus dem Gedanken der Pflege der Betriebsverbundenheit wurden drei Voraussetzungen für den Versicherungsschutz abgeleitet (Rudolf Müller in SV‑Komm [Stand 1. 3. 2014] § 175 ASVG Rz 62; Pirker, Der sozialversicherungsrechtliche Schutz bei betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltungen, in Wachter/Burger [Hrsg], Aktuelle Entwicklungen im Arbeits- und Sozialrecht 2009 [2009] 243 [248]; J. Rabl, Der Unfallversicherungsschutz bei betrieblichen Gemeinschafts-veranstaltungen, in Wachter/Burger [Hrsg], Aktuelle Entwicklungen im Arbeits‑ und Sozialrecht 2013 [2013] 349 [350]):

‑ Es muss sich um eine vom Dienstgeber organisierte und finanzierte Veranstaltung handeln,

‑ sie muss allen oder zumindest Gruppen von Betriebsangehörigen offen stehen und

‑ sie muss dem Zweck der Förderung der Verbundenheit mit dem Unternehmen bzw der Dienstnehmer untereinander dienen.

Diese Kriterien dienen der Abgrenzung versicherter betrieblicher Gemeinschaftsveranstaltungen von (unversicherter) bloß „subventionierter Freizeitgestaltung“ von Dienstnehmern (Krasney, Zum Unfallversicherungsschutz bei betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltungen, in FS Tomandl [1998] 475 [487 aE]).

4.2. Wesentlich für die betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung ist die Pflege der Betriebsverbundenheit zwischen Dienstgeber und Mitarbeitern. Erst eine Mitwirkung des Dienstgebers kann für die Dienstnehmer eine gewisse Zwangslage schaffen, an der betreffenden Veranstaltung teilzunehmen, die den Versicherungsschutz rechtfertigt (Tomandl in Tomandl, SV‑System [27. ErgLfg] 287 [2.3.2.3.1.3.D.]; vgl auch Krasney in SGB VII‑Komm [22. Lfg, November 2015] § 8 Rz 123 zu Incentive‑Reisen). In Zweifelsfällen ist daher entscheidend, ob und inwieweit sich der Dienstnehmer dem Dienstgeber gegenüber zur Teilnahme verpflichtet fühlen musste. Dabei kommt es nicht darauf an, ob ausdrücklich Druck ausgeübt wurde, sondern nur darauf, ob die Umstände, unter denen die Veranstaltung stattfindet oder stattfinden soll, objektiv, das heißt für jedermann begreiflich, geeignet sind, einen Mitarbeiter wegen seiner Eigenschaft als Dienstnehmer zur Teilnahme zu drängen (Rudolf Müller, UV‑Schutz für Reitunfall bei Betriebsseminar, Anmerkung zu 10 ObS 200/94, DRdA 1995/38, 390 [392]; ebenso 10 ObS 114/95, SSV‑NF 9/94 [Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds an einer Abschiedsfeier]).

4.3. Dem Berufungsgericht ist beizupflichten, dass die Taxi‑Bobfahrt, obwohl sie im Seminarprogramm aufschien, eine organisierte Freizeitaktivität darstellte, die nicht in einem Maße von der Autorität des Dienstgebers getragen wurde, dass sich der Dienstnehmer in allgemein begreiflicher Weise zur Teilnahme verpflichtet fühlen musste. Gerade die freien Plätze zeigen, dass offensichtlich das Verpflichtungsgefühl der übrigen Seminarteilnehmer nicht besonders ausgeprägt war. Das Verhalten des Klägers mag vor allem unter Höflichkeitsaspekten gegenüber dem Seminarorganisator verständlich sein; eine besondere Verpflichtung dem Arbeitgeber gegenüber ist daraus aber nicht abzuleiten.

5. Da die Entscheidung in Einklang mit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung steht, ist die außerordentliche Revision des Klägers mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen.

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