OGH 10ObS149/13d

OGH10ObS149/13d19.11.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Susanne Jonak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei T*****, vertreten durch Dr. Johannes Schuster Mag. Florian Plöckinger Rechtsanwälte GesbR in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Invaliditätspension, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. Juli 2013, GZ 9 Rs 59/13g‑31, womit das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 11. Jänner 2013, GZ 6 Cgs 94/11i‑27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit Bescheid vom 7. 2. 2011 lehnte die beklagte Partei den Antrag des am 19. 11. 1983 geborenen Klägers vom 2. 11. 2010 auf Gewährung der Invaliditätspension ab, weil bei ihm keine Invalidität vorliege.

Die dagegen erhobene Klage ist darauf gerichtet, die beklagte Partei zur Gewährung von Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 12. 2010 zu verpflichten. Dazu bringt der Kläger ‑ soweit im Revisionsverfahren noch von Bedeutung ‑ vor, er sei als gelernter Zimmerer invalid nach § 255 Abs 1 ASVG, weil seine Umschulungszeiten „nicht anzurechnen“ seien, und daher vom Überwiegen der Ausübung des Zimmermannberufs auszugehen sei (AS 117, ON 26).

Die beklagte Partei beantragte Klageabweisung. Der Kläger sei im Rahmen beruflicher Rehabilitation zum bautechnischen Zeichner umgeschult worden, welcher Beruf nach § 255 Abs 5 ASVG (unabhängig von tatsächlicher Berufsausübung) jedenfalls eine Verweisungstätigkeit darstelle (ON 2). Der Berufsschutz sei aber „mehr als fraglich“, weil der Kläger diesen Beruf nie ausgeübt habe (AS 63, ON 14). Aufgrund der Umschulungszeiten liege eine überwiegende Ausübung des Lehrberufs Zimmermann nicht mehr vor. Der Kläger sei daher nach 10 ObS 105/12g auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar (AS 115, ON 26).

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Zum beruflichen Werdegang des Klägers traf es folgende Feststellungen:

Er begann seine Ausbildung zum Zimmerer am 19. 7. 1999 und schloss seine dreijährige Lehrzeit am 18. 7. 2002 ab. Anschließend war er von 19. 7. 2002 bis 17. 12. 2002 und von 17. 3. 2003 bis 22. 12. 2003 bei seinem ehemaligen Lehrherrn als Zimmerer tätig. Während dieses Zeitraums legte er am 10. 10. 2003 die Lehrabschlussprüfung im genannten Lehrberuf ab. In den dazwischenliegenden Zeiträumen bzw nach dem 22. 12. 2003 bis zu einer Tumoroperation im Februar 2004 (Resektion eines rosettenbildenden glioneutralen Tumors des 4. Ventrikels) war der Kläger jeweils arbeitslos gemeldet. Er bezog vom 12. 2. bis 16. 2. 2004 und vom 26. 2. bis 19. 9. 2004 jeweils Krankengeld und war dazwischen wieder arbeitslos gemeldet. Unterbrochen von einem zweitägigen Arbeitsversuch war er bis einschließlich 18. 7. 2005 arbeitslos.

Am 13. 12. 2004 stellte der Kläger einen Antrag auf Maßnahmen der Rehabilitation/Übergangsgeld, wurde daraufhin im Zeitraum 19. 7. bis 22. 7. 2005 im BBRZ einer Berufsdiagnostik unterzogen und bezog für diesen Zeitraum von der beklagten Partei Übergangsgeld.

Von 23. 7. 2005 bis 23. 7. 2006 war der Kläger wieder arbeitslos und bezog Arbeitslosenunterstützung, Notstandshilfe und Krankengeld. Nur von 6. 3. bis 14. 4. 2006 war er abermals als Zimmerer bei seinem Lehrbetrieb beschäftigt. Während dieses Zeitraums (und zwar am 27. und 28. 3. 2006) legte er die Lehrabschlussprüfung im Lehrberuf Forstfacharbeiter ab.

Mit Schreiben vom 26. 9. 2006 informierte die beklagte Partei den Kläger über die Gewährung von Übergangsgeld für den Zeitraum 19. 7. bis 22. 7. 2005 und ab 24. 7. 2006.

Aus nicht feststellbaren Gründen wurde die ursprünglich eingeleitete Rehabilitationsmaßnahme zunächst mit 13. 10. 2006 beendet und erst am 26. 2. 2007 wieder aufgenommen. Der Kläger bezog in weiterer Folge (bis 20. 9. 2009) von der beklagten Partei Übergangsgeld, wobei die Schulungsmaßnahme in der Erlernung des Berufs eines bautechnischen Zeichners lag und durch die beklagte Partei sowie das AMS kofinanziert wurde.

Am 20. 6. 2008 legte der Kläger die Lehrabschlussprüfung im Lehrberuf bautechnischer Zeichner ab. Die Schulungsmaßnahme selbst dauerte aber bis zum 20. 2. 2009. Der Kläger übte niemals die Tätigkeit als bautechnischer Zeichner auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aus. Er war vielmehr im dazwischenliegenden Zeitraum bzw ab 21. 2. 2009 bis zur Antragstellung (2. 11. 2010) arbeitslos gemeldet und bezog Arbeitslosenunterstützung, Notstandshilfe bzw Krankengeld. Lediglich im Zeitraum 27. bis 30. 11. 2009 war der Kläger als geringfügig Beschäftigter nach dem ASVG in der Unfallversicherung bei einer Zimmerei beschäftigt. Für diesen Zeitraum war er nicht in der Pflichtversicherung pflichtversichert und es wurden keine Pensionsbeiträge bezahlt.

Seit Antragstellung (2. 11. 2010) bezieht der Kläger Pensionsvorschuss.

Aufgrund des näher festgestellten medizinischen Leistungskalküls ist der Kläger weder in der Lage den erlernten Beruf eines Zimmerers noch die erlernten weiteren Berufe des Forstfacharbeiters oder des bautechnischen Zeichners auszuüben, weil es in jedem dieser Berufe überschritten wird. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sind dem Kläger jedoch mit seinen körperlichen Einschränkungen mehrere Tätigkeiten, nämlich als Produktionsmitarbeiter in der Lebensmittelproduktion, Einordenarbeiten von größeren Werkstücken, als Botengeher etc zumutbar, die es in ausreichend großer Anzahl gibt. Dabei fallen keine das Leistungskalkül leicht und mittelschwer überschreitenden körperlichen Arbeiten und kein mehr als halbzeitig besonderer Zeit- und Leistungsdruck an.

Rechtlich gelangte das Erstgericht zu dem Ergebnis, dem Kläger fehle der Berufsschutz iSd § 255 Abs 1 und 2 ASVG (idF vor Inkrafttreten des BudgetbegleitG 2011, BGBl I 2010/111), weil er im Beobachtungszeitraum nicht überwiegend einer qualifizierten Beschäftigung nachgegangen sei. Nach den Grundsätzen ständiger Rechtsprechung könne er frühestens mit Ende der Lehre eine qualifizierte Tätigkeit im Bereich eines Zimmerers ausgeübt haben. Daher weise er im Zeitraum 19. 7. 2002 bis 22. 12. 2003 insgesamt 15 Beitragsmonate als qualifizierte Tätigkeit im Bereich Zimmerer auf. Unter Berücksichtigung des Zeitraums vom 6. 3. bis 14. 4. 2006, in dem der Kläger Arbeiten bei seinem ehemaligen Lehrherrn absolviert habe, ergebe sich lediglich ein weiterer Monat. Es lägen also insgesamt maximal 16 Beitragsmonate einer qualifizierten Tätigkeit im Bereich Zimmerer vor. Dem stünden insgesamt 26 Beitragsmonate gegenüber, in denen sich der Kläger einer Rehabilitationsmaßnahme unterzogen habe. Dabei handle es sich nach der Judikatur um Zeiten der nicht qualifizierten Ausübung einer Tätigkeit, sodass der Kläger auf Grundlage dieser Maßnahme nunmehr keinen Berufsschutz im Lehrberuf Zimmerer genieße. Da er nie in der Lage gewesen sei, ohne Entgegenkommen eines Arbeitgebers den Lehrberuf eines bautechnischen Zeichners auszuüben und auch keine Beitragsmonate als bautechnischer Zeichner erworben habe, sei zwar eine Verweisung auf diese Tätigkeit nicht zulässig; andererseits ergebe sich daraus aber auch die Verweisbarkeit des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Der Kläger sei nicht invalid iSd §§ 254 ff ASVG, weil er ohne Überschreitung des medizinischen Leistungskalküls in der Lage sei, die festgestellten Tätigkeiten zu verrichten. Im (erstgerichtlichen) Verfahren sei zwar eine (nochmalige) Umschulbarkeit des Klägers auf eine ihm medizinisch zumutbare Verweisungstätigkeit „ausgetestet“ worden, insoweit treffe jedoch weder den Kläger noch die beklagte Partei eine durchsetzbare Umschulungsverpflichtung.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichts und führte rechtlich aus, dass die Zeiten der beruflichen Rehabilitation des Klägers Zeiten der Pflichtversicherung gemäß § 245 ASVG „Beitragszeiten“ seien, nicht jedoch Zeiten einer qualifizierten Beschäftigung iSd § 255 Abs 1 und 2 ASVG und auch keine „neutralen Zeiten“ wie jene einer im Lehrverhältnis stehenden Person (Lehrling) nach § 4 Abs 1 Z 2 ASVG. Das Erstgericht verweise zutreffend auf die Rechtsprechung zu Schulungsmaßnahmen nach dem AMFG, die Beitragsmonate der Pflichtversicherung nach dem ASVG, nicht jedoch Zeiten einer qualifizierten Beschäftigung begründeten (10 ObS 105/12g). Nichts anderes könne für Schulungen im Rahmen der vom Pensionsversicherungsträger gewährten Rehabilitationsmaßnahmen gelten. Auch die Zeiten der Pflichtversicherung nach § 8 Abs 1 Z 2 lit f ASVG (für Personen, die Übergangsgeld beziehen) seien keine Beitragsmonate iSd § 255 Abs 2 ASVG, obwohl sie Beitragszeiten gemäß § 255 Abs 1 Z 1 ASVG darstellten (RIS‑Justiz RS0125347). Jene 26 Monate, in denen sich der Kläger einer Ausbildung im Zuge einer Rehabilitationsmaßnahme unterzogen habe, stellten daher zu berücksichtigende (nicht neutrale) Beitragszeiten, nicht jedoch Zeiten qualifizierter Beschäftigung iSd § 255 Abs 1 und 2 ASVG dar. Da der Kläger in nicht mehr als der Hälfte der 42 Beitragsmonate eine qualifizierte Tätigkeit ausgeübt habe, genieße er keinen Berufsschutz. Im Hinblick darauf, dass sein Verweisungsfeld nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen sei und die Möglichkeit der Verrichtung einer einzigen Verweisungstätigkeit bereits der Gewährung der Invaliditätspension entgegenstehe, sei es unerheblich, ob es bei einer Tätigkeit eines Botengehers auch zu Kundenkontakt kommen könne und diese Tätigkeit dem Kläger allenfalls unzumutbar sei. Es sei gerichtsbekannt, dass Hilfstätigkeiten im Bereich Lebensmittelproduktion und die Tätigkeiten von Hilfsarbeitern in allgemeiner Produktion (Einordenarbeiten von größeren Werkstücken etc) nicht mit Kundenkontakt verbunden seien, wobei der Kollegenkontakt in diesen Verweisungsberufen nicht mit jenem eines technischen Zeichners vergleichbar sei.

Das Berufungsgericht sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage, ob auch Lehrzeiten, die im Zuge einer Rehabilitationsmaßnahme abgelegt wurden, zu neutralisieren seien, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers, der (erkennbar) unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht, mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist im Sinn der beschlossenen Aufhebung auch berechtigt.

Der Revisionswerber weist zutreffend darauf hin, dass nach dem hier maßgebenden Stichtag (1. 12. 2010) die Rechtslage vor Inkrafttreten des BudgetbegleitG 2011, BGBl I 2010/111, anzuwenden ist und allein strittig ist, wie jene 26 Beitragsmonate, in denen er beruflich rehabilitiert wurde und von der beklagten Partei „Rehabilitationsgeld“ erhielt, zu qualifizieren sind. Er wendet sich gegen die Gleichstellung dieser (mit Lehrabschlussprüfung erfolgreich beendeten) Rehabilitationsmaßnahme mit Schulungsmaß-nahmen im Rahmen des AMFG, weil diese beiden „Maßnahmen“ schon hinsichtlich der Dauer und der Qualität der Ausbildung (idR kurze, maximal einjährige Umschulungen nach dem AMFG - zumindest zweijährige berufliche Rehabilitationen der Sozialversicherungsträger) unterschiedlich seien. Der Hauptunterschied liege aber darin, dass berufliche Rehabilitationen durch Sozialversicherungsträger nur anstelle einer Pensionsleistung gewährt würden und die Erfüllung aller anderen Gewährungsvoraussetzungen für die Pensionsleistung voraussetzten, während Leistungen nach dem AMFG bzw AlVG erforderten, dass der Betroffene arbeitsfähig und arbeitswillig sei. Daher sei die vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung (10 ObS 105/12g) hier nicht einschlägig, weil die vom dortigen Kläger absolvierten Kurse der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt gedient und nicht mit einer Lehrabschlussprüfung geendet hätten. Der Revisionswerber habe hingegen den Lehrberuf eines bautechnischen Zeichners im Rahmen der Rehabilitationsmaßnahme der PVA erlernt. (Schon) infolge „konträrer“ Leistungsvoraussetzungen und Ziele der Kurs- bzw Schulungsmaßnahmen im Rahmen des AMFG seien diese mit Rehabilitationsmaßnahmen im Sinn des ASVG nicht gleichzusetzen. Außerdem werde durch eine erfolgreiche berufliche Rehabilitation die Verweisbarkeit des Versicherten gemäß § 255 Abs 5 ASVG auf jene Tätigkeiten ausgedehnt, für die er durch die Leistungen der beruflichen Rehabilitation mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sei. Die Invalidität sei daher nicht mehr gegeben, wenn der Versicherte die Tätigkeit, auf die er rehabilitiert worden sei, ausüben könne. „Im Umkehrschluss daraus“ habe der Versicherte, wenn er erfolgreich rehabilitiert worden sei, auch dann als invalid zu gelten, wenn seine Arbeitsfähigkeit in den Berufen, zu denen ihn die Rehabilitation befähigt habe, im erforderlichen Ausmaß herabgesunken sei (vgl 10 ObS 49/00d und § 255 Abs 5 ASVG). Durch die Beurteilung der Vorinstanzen, dass jene 26 Versicherungsmonate, in denen der Revisionswerber von der beklagten Partei gemäß §§ 300 ff ASVG rehabilitiert worden sei, weder neutralisiert, noch als Zeiten einer qualifizierten Beschäftigung gesehen werden könnten, sondern als solche unqualifizierter Beschäftigung, würde der Sinn der beruflichen Rehabilitation „ausgehebelt“: Einerseits würde das Verweisungsfeld des beruflich erfolgreich rehabilitierten Pensionswerbers, obwohl er im neu erlernten Beruf niemals tätig gewesen sei, erweitert; andererseits verlöre er seinen Berufsschutz, weil die Zeiten einer beruflichen Rehabilitation als unqualifizierte Zeiten einer Beschäftigung gesehen würden, sodass er die (Berufsschutz‑)Voraussetzungen (also nach alter Rechtslage ein Überwiegen der Beitragsmonate ‑ nach neuer Rechtslage mehr als 90 Beitragsmonate) durch die Inanspruchnahme einer beruflichen Rehabilitation „verwirkt“ hätte. Eine sachgerechte Auslegung müsse daher zum Ergebnis kommen, dass nach erfolgreicher Rehabilitation (zwar) die Verweisbarkeit auf den entsprechenden Beruf ausgedehnt werde; dass aber die Zeiten der Rehabilitation bei der beklagten Partei, in denen der Versicherte Übergangsgeld erhalte, so zu behandeln seien wie Lehrzeiten grundsätzlich, dass sie also bei der Prüfung der Frage des Vorliegens des Berufsschutzes gemäß § 255 Abs 1 iVm Abs 2 ASVG zu neutralisieren seien.

Die Revisionsbeantwortung hält dem entgegen, dass gemäß § 225 Abs 1 Z 1 lit a ASVG Zeiten eines Lehr- oder Ausbildungsverhältnisses Beitragszeiten seien. Abgehend von dieser allgemeinen Norm habe der Oberste Gerichtshof (zwar) in der Entscheidung 10 ObS 51/90 festgehalten, dass die Invalidität eines Versicherten, der nach Bestehen der Lehrabschlussprüfung im erlernten Beruf tätig gewesen sei, auch dann nach § 255 Abs 1 ASVG zu beurteilen sei, wenn die während des Lehrverhältnisses erworbenen Beitragsmonate überwiegen. Diese aus dem Argument der Gleichbehandlung zur schulmäßigen Ausbildung entstandene und in weiteren Entscheidungen bekräftigte Judikatur habe aber klargestellt, dass eine Neutralisierung (ein außer Betracht lassen) nur für Lehrzeiten am Beginn des Berufslebens (vor Eintritt in das Berufsleben) zu erfolgen habe, nicht hingegen für Lehrzeiten, die im späteren Berufsleben erworben würden. Außerdem seien nach ständiger Rechtsprechung auch Schulungsmaßnahmen nach dem AMFG zwar Beitragsmonate der Pflichtversicherung, nicht jedoch Zeiten einer qualifizierten Beschäftigung. Nichts anderes könne für berufliche Rehabilitationsmaßnahmen gelten, die seitens des Pensionsversicherungsträgers gewährt werden, weil beide Regelungsbereiche (sowohl AMFG- als auch „PV‑Schulungen“) der Regelung des § 225 Abs 1 Z 1 ASVG iVm § 255 Abs 2 ASVG entsprächen, wonach Beitragszeiten zu berücksichtigen und nicht zu neutralisieren seien.

Dazu wurde erwogen:

1. Invalidität iSd § 255 Abs 1 ASVG liegt dann vor, wenn ein Versicherter überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen tätig war und seine Arbeitsfähigkeit infolge seines körperlichen oder geistigen Zustands auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in jedem dieser Berufe herabgesunken ist. Als überwiegend iSd Abs 1 gelten solche erlernten (angelernten) Berufstätigkeiten, wenn sie in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate nach dem ASVG während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag ausgeübt wurden (§ 255 Abs 2 Satz 2 ASVG in der hier noch anzuwendenden Fassung vor dem Inkrafttreten des BudgetbegleitG 2011, BGBl I 2010/111).

1.1. Der Versicherte genießt somit nach § 255 Abs 1 ASVG nur dann Berufsschutz, wenn er in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag in einem erlernten Beruf tätig war. Wer einen Beruf erlernt, diesen aber im Beobachtungszeitraum nicht oder nicht überwiegend ausgeübt hat, genießt keinen Berufsschutz. Der Gesetzgeber billigt die privilegierende Wirkung des Berufsschutzes somit nur dann zu, wenn der Versicherte die erworbenen qualifizierten Kenntnisse und Fähigkeiten auch in der Praxis anwendet (10 ObS 105/12g; 10 ObS 162/09k, SSV‑NF 23/77 mwN).

2. Demgemäß ist ein Beschäftigter während der Lehr‑ bzw Anlernzeit nicht im erlernten (angelernten) Beruf tätig (RIS‑Justiz RS0084628) und übt keine (qualifizierte) Berufstätigkeit iSd § 255 Abs 2 Satz 2 ASVG (aF) aus (vgl auch RIS‑Justiz RS0052716 [T1]). Die Lehrzeit ist bei Prüfung der Frage, ob in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate nach dem ASVG eine erlernte Berufstätigkeit ausgeübt wurde, außer Betracht zu lassen (10 ObS 105/12g; 10 ObS 14/05i; 10 ObS 200/01m, SSV‑NF 15/90 mwN), weil Zeiten der Lehrausbildung bei der Prüfung des Berufsschutzes wegen des Ausbildungszwecks wie Zeiten der schulmäßigen Berufsausbildung zu behandeln sind. Nach ständiger Rechtsprechung folgt aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung schulmäßiger Berufsausbildungen, dass Beitragszeiten, in denen eine Ausbildung erfolgte, grundsätzlich als „berufsschutzunschädlich“, also als „neutrale Zeiten“ zu qualifizieren sind (vgl 10 ObS 59/07k, SSV-NF 21/37 mwN).

2.1. Hier hat der Kläger nur eine der von ihm erlernten Berufstätigkeiten nach Abschluss der Lehrzeit auch tatsächlich verrichtet; und zwar ‑ wie bereits die Vorinstanzen zutreffend (und vom Kläger unbekämpft) aufzeigten ‑ die insgesamt 16‑monatige qualifizierte Tätigkeit als gelernter Zimmerer. Dass seine dreijährige Lehrzeit in diesem Beruf bei der Prüfung der Frage, ob er (gemäß § 255 Abs 2 Satz 2 ASVG aF) in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate eine erlernte Berufstätigkeit ausgeübt hat, nach ständiger Rechtsprechung außer Betracht zu bleiben hat, ist unstrittig.

3. Der (ebenfalls) ständigen Rechtsprechung, die Schulungszeiten nach dem AMFG (zwar) als Beitragsmonate der Pflichtversicherung nach dem ASVG, jedoch nicht als Zeiten einer qualifizierten Beschäftigung iSd § 255 Abs 1 und 2 ASVG qualifiziert (RIS‑Justiz RS0051139 [T1]; 10 ObS 105/12g mwN), kommt hingegen ‑ entgegen der Ansicht der Vorinstanzen ‑ keine entscheidende Bedeutung zu; der Oberste Gerichtshof hat in dieser Entscheidung zur „Umschulung nach dem AMFG“ nämlich bereits ausführlich begründet, weshalb ein Kläger mit solchen Schulungszeiten Beitragsmonate der Pflichtversicherung nach dem ASVG, keinesfalls aber Zeiten einer qualifizierten Beschäftigung iSd § 255 Abs 1 und 2 ASVG erwirbt (10 ObS 105/12g, ARD 6314/7/2013).

4. Es trifft zwar zu, dass im Zusammenhang mit der Prüfung der Verweisbarkeit eines Versicherten nach § 255 Abs 1 und 2 ASVG unterschieden werden muss, ob ein Berufsschutz im Sinn eines gelernten oder angelernten Berufs erst zu erwerben ist oder ob ein bereits erworbener Berufsschutz durch später ausgeübte Teiltätigkeiten weiterhin erhalten bleibt (RIS‑Justiz RS0116791; 10 ObS 85/09m, SSV‑NF 23/57 mwN uva). Entscheidend ist jedoch, ob ein Kernbereich der Ausbildung auch bei Ausübung der Teiltätigkeit verwertet werden muss (10 ObS 85/09m, SSV‑NF 23/57 mwN). Den vom dortigen Kläger im Rahmen der AMFG‑Kurse erbrachten Maler‑ und Anstreichertätigkeiten fehlte die erforderliche Eigenschaft einer qualifizierten Berufsausübung im erlernten Beruf, weshalb ‑ nach der Rechtsprechung ‑ schon von vornherein die Möglichkeit einer Anrechnung der „AMFG‑Zeiten“ als berufsschutzerhaltend ausschied.

5. Der Revision ist daher zuzugestehen, dass der Kläger im Fall 10 ObS 105/12g „praxisorientierte Kursmaßnahmen“ (in Form eines „Learning by Doing“, das natürlich nicht mit einer Lehrabschlussprüfung endete) absolviert hat, während der Revisionswerber (infolge beruflicher Rehabilitation durch die PVA) einen weiteren Lehrberuf erlernt hat. Schon deshalb können die Kurs‑ bzw Schulungsmaßnahmen im Rahmen des AMFG nicht mit Rehabilitationsmaßnahmen im Sinn des ASVG gleichgesetzt werden.

5.1. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber für die (hier noch nicht anwendbare) Rechtslage ab 1. 1. 2014 eine ausdrückliche Regelung geschaffen hat, die festlegt, dass Zeiten des Bezugs von Rehabilitationsgeld als neutrale Zeiten gelten und daher „berufsschutzunschädlich“ sind:

5.2. Der am 1. 1. 2014 in Kraft tretende (§ 669 Abs 1 Z 2 ASVG), durch das SRÄG 2012 ergänzte § 234 Abs 1 Z 5 ASVG idF BGBl I 2013/3 bestimmt, dass auch „Zeiten, während derer der Versicherte Rehabilitationsgeld auf Grund gesetzlicher Versicherung bezog“, wie Zeiten des Bezuges von Kranken- oder Wochengeld als „neutrale Zeiten“ anzusehen sind. Nach den Materialien zur diesbezüglichen Ergänzung der Z 5 des § 234 Abs 1 ASVG (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 24) wird durch diese Klassifikation (als neutrale Zeiten) sichergestellt, „dass diese Zeiten nicht auf die Beobachtungszeiträume für die Erlangung bzw die Erhaltung des Berufs- oder Tätigkeitsschutzes angerechnet werden“.

5.3. Diese Wertung des Gesetzgebers hat auch im vorliegenden Fall Berücksichtigung zu finden. Da dem Kläger gemäß § 306 ASVG Übergangsgeld für die Dauer der Ausbildung im Rahmen beruflicher Maßnahmen der Rehabilitation gewährt wurde, liegt insoweit ein durchaus vergleichbarer Sachverhalt vor. Nach Auffassung des erkennenden Senats ist eine solche Auslegung der Bestimmung des § 255 Abs 1 und 2 ASVG idF vor dem BudgetbegleitG 2011 insbesondere dann geboten, wenn es sich dabei um Zeiten einer Lehrausbildung handelt und die Rehabilitionsmaßnahme ‑ wie hier ‑ mit Lehrabschluss im neuen Verweisungsberuf erfolgreich absolviert wurde. Auch die ‑ allein strittigen ‑ 26 Beitragsmonate des Klägers, die er während der diesbezüglichen Ausbildung im Rahmen beruflicher Rehabilitation erworben hat, müssen also „außer Betracht“ bleiben. Da sie zu neutralisieren sind, ist der Berufsschutz des Klägers zu bejahen, weil er, wenn (auch) diese Zeiten ausgeblendet werden, im maßgebenden Beobachtungszeitraum überwiegend in seinem erlernten Beruf als Zimmerer tätig war.

5.4. Gemäß § 256 Abs 1 ASVG sind Pensionen aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit grundsätzlich befristet für die Dauer von längstens 24 Monaten ab dem Stichtag zuzuerkennen. Besteht nach Ablauf der Frist die Invalidität bzw Berufsunfähigkeit weiter, so ist die Pension auf Antrag für jeweils längstens 24 weitere Monate zuzuerkennen, sofern die Weitergewährung der Pension spätestens innerhalb von drei Monaten nach deren Anfall beantragt wurde. Ohne zeitliche Befristung wäre die Pension nur dann zuzuerkennen, wenn aufgrund des körperlichen oder geistigen Zustands dauernde Invalidität anzunehmen ist (§ 256 Abs 2 ASVG). Da diese Voraussetzung nicht festgestellt ist, könnte die Pension nur für die Zeit befristet zugesprochen werden, für die unter Bedachtnahme auf allfällige, für die Einleitung von weiteren Maßnahmen der Rehabilitation durch den Pensionsversicherungsträger voraussichtlich erforderliche Zeit eine Gewährung der Invaliditätspension angemessen erscheint (vgl 10 ObS 18/12p mwN). Im Gutachten betreffend die berufliche Rehabilitation wird dazu nämlich „aus berufskundlicher Sicht“ festgehalten, dass für den Kläger, der bereits den Lehrabschluss Forstfacharbeiter aufweise, eine Umschulung zum Forstwart „empfehlenswert“ sei, weil das medizinische Leistungskalkül in dieser Berufsausübung grundsätzlich „nicht überschritten werden dürfte“ (ON 24).

5.5. Da die Vorinstanzen das Klagebegehren als nicht berechtigt beurteilten, haben sie zu den Fragen, für welchen Zeitraum die Pension befristet zuerkannt werden kann und zur Höhe einer vorläufigen Zahlung naturgemäß keine Beweise aufgenommen und auch keine Feststellungen getroffen. Erforderlich sind aber entsprechende Feststellungen insbesondere zur Möglichkeit und Dauer einer weiteren beruflichen Rehabilitation (zB zum Forstwart) und dazu, ob dem Kläger eine solche Rehabilitationsmaßnahme überhaupt angeboten wurde. Diese Fragen wird das Erstgericht im fortzusetzenden Verfahren zu erörtern haben und es werden dazu entsprechende Feststellungen zu treffen sein. In diesem Sinn erweist sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig, weshalb die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben sind. Da es offenbar einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, ist die Sozialrechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen.

5.6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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