European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:010OBS00145.22D.1213.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Sozialrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Beim Kläger wurde im Juli 2021 ein Prostatakarzinom diagnostiziert und ihm als jeweils zumutbare Behandlungsmöglichkeit entweder die radikale Prostatektomie (Prostataentfernung) oder die Radiotherapie der Prostata vorgeschlagen. Am 15. September 2021 erfolgte im Rahmen eines ambulanten Eingriffs eine irreversible Elektroporation („IRE“; „Nano‑Knife“), worüber dem Kläger ein Betrag von 14.780 EUR in Rechnung gestellt wurde, den er zur Gänze zahlte.
[2] Mit Bescheid vom 7. Dezember 2021 wies die beklagte Österreichische Gesundheitskasse den Antrag des Klägers auf Kostenerstattung für die in Anspruch genommene irreversible Elektroporation von 14.780 EUR ab.
[3] Das Erstgericht gab der dagegen erhobenen Klage im Umfang von 61,65 EUR statt und wies das Mehrbegehren ab. Für eine von der Wissenschaft (noch) nicht anerkannte Behandlungsmethode – eine sogenannte Außenseitermethode – könne ein Kostenersatz nur dann gewährt werden, wenn diese Behandlung einer zweckmäßigen Krankenbehandlung entspreche und das Maß des Notwendigen nicht überschreite, was voraussetze, dass eine zumutbare erfolgversprechende Behandlung nach wissenschaftlich anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst nicht zur Verfügung gestanden oder eine solche erfolglos geblieben sei, während von der Außenseitermethode nach den Ergebnissen einer für die Bildung eines Erfahrungssatzes ausreichenden Zahl von Fällen ein Erfolg erwartet werden habe können, sie sich also als erfolgversprechend darstelle oder sie konkret beim Versicherten erfolgreich gewesen sei. Beides sei nicht der Fall. Die Beklagte sei jedoch zum Ersatz des Ambulanzkostenzuschusses verpflichtet.
[4] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Der geltend gemachte sekundäre Feststellungsmangel zum Behandlungserfolg der Behandlungsmethode liege aufgrund der diesbezüglich getroffenen Negativfeststellung nicht vor. Der Nachweis, dass die beanspruchte Methode bei ihm erfolgreich gewesen sei, sei dem Kläger somit nicht gelungen. Die rechtlichen Ausführungen des Klägers, es sei bei ihm von einem Behandlungserfolg der Außenseitermethode auszugehen, gingen nicht vom festgestellten Sachverhalt aus.
Rechtliche Beurteilung
[5] In der außerordentlichen Revision macht der Kläger keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO geltend.
[6] 1. Nach ständiger Rechtsprechung besteht bei der Krankenbehandlung iSd § 133 Abs 2 ASVG grundsätzlich ein Vorrang der wissenschaftlich anerkannten schulmedizinischen Behandlungsmethoden. Ist eine Krankheit durch schulmedizinische Maßnahmen gut zu behandeln, gibt es keinen Anlass für die Finanzierung von „Außenseitermethoden“ im Sinn einer komplementär-medizinischen bzw alternativen Behandlung (10 ObS 149/19p SSV‑NF 33/78; 10 ObS 26/14t SSV‑NF 28/23).
[7] 2. Zwar ist bei einer von der Wissenschaft noch nicht anerkannten alternativen Behandlungsmethode („Außenseitermethode“) ein Kostenersatz nicht ausgeschlossen. Er ist jedoch auf Ausnahmefälle eingeschränkt und wird nur dann gewährt, wenn die komplementärmedizinische Heilmethode einer zweckmäßigen Krankenbehandlung entspricht und das Maß des Notwendigen nicht überschreitet (RS0083806; RS0083801).
[8] 2.1. Dies setzt voraus, dass eine zumutbare erfolgversprechende Behandlung nach wissenschaftlich anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst nicht zur Verfügung stand oder eine solche versucht wurde und erfolglos blieb, während die „Außenseitermethode“ beim Versicherten erfolgreich war oder sie sich ex ante gesehen (zumindest) als erfolgversprechend darstellte (RS0083792 [T2]).
[9] 2.2. Wenn jedoch schulmedizinische Behandlungsmethoden zu unerwünschten (erheblichen) Nebenwirkungen führen und durch alternative Heilmethoden der gleiche Behandlungserfolg (ohne solche Nebenwirkungen) erzielt werden kann, kommt auch eine Kostenübernahme für alternative Heilmethoden durch den gesetzlichen Krankenversicherungsträger in Betracht (RS0102470 [T4, T7]). Auch dann ist jedoch erforderlich, dass mit der in Frage stehenden Behandlungsmethode typischerweise – also in einer für die Bildung eines Erfahrungssatzes ausreichenden Zahl von Fällen wirksam – ein Erfolg erzielt werden kann, oder wenn auch ohne diese Voraussetzungen bewiesen wird, dass die Behandlungsmethode bei dem Versicherten erfolgreich war (RS0083792).
[10] 3.1. Mit diesen Grundsätzen höchstgerichtlicher Rechtsprechung, insbesondere der Entscheidung 10 ObS 55/19i (SSV‑NF 33/31), der auch die gegenständliche Behandlungsmethode zugrunde lag, stehen die Entscheidungen der Vorinstanzen im Einklang.
[11] 3.2. Soweit der Kläger in der Revision unter Hinweis auf einzelne Passagen des Sachverständigengutachtens meint, dass sich die gegenständliche Behandlung als erfolgversprechend dargestellt hätte und sie bei ihm erfolgreich gewesen sei, geht er nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Danach gibt es für diese experimentelle Methode aufgrund des kurzen Anwendungszeitraums noch keine Langzeitdaten und kann darüber hinaus derzeit nicht beurteilt werden, ob sie konkret beim Kläger einen Behandlungserfolg aufweist. Wenn die Vorinstanzen ausgehend von diesen Feststellungen, an die der Oberste Gerichtshof gebunden ist, zur Beurteilung gelangten, dass sich die Behandlungsmethode, für die der Kläger Kostenersatz begehrt, nicht als erfolgversprechend dargestellt habe, und dem Kläger auch der Nachweis nicht gelungen sei, dass sie konkret erfolgreich gewesen sei, ist darin eine Überschreitung des ihnen zukommenden Beurteilungsspielraums nicht zu erkennen.
[12] 4. Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision somit zurückzuweisen.
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