Spruch:
Der Oberste Gerichtshof stellt beim Verfassungsgerichtshof
1. gemäß Art 89 Abs 2 Satz 2 B-VG (Art 140 Abs 1 B-VG) den
Antrag,
§ 4 Abs 3 und Abs 4 des Allgemeinen Pensionsgesetzes (APG) in der Fassung BGBl I 2006/130 als verfassungswidrig aufzuheben;
2. gemäß Art 89 Abs 2 Satz 1 B-VG (Art 139 Abs 1 B-VG) den
Antrag,
§ 1 Abs 1 Z 4, § 3 und die Anlage zur Verordnung der Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz über besonders belastende Berufstätigkeiten (Schwerarbeitsverordnung), BGBl II 2006/104, als gesetzwidrig aufzuheben.
3. Mit der Fortführung des Revisionsverfahrens wird gemäß § 62 Abs 3 und § 57 Abs 3 VfGG bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs inne gehalten.
Text
Begründung
Der am 6. 11. 1949 geborene Kläger war von 1979 bis 1997 als Koch und Gastwirt im „H*****wirt“ und in der „R*****“ in S***** selbständig tätig. Von 1997 bis 2008 war er Betreiber (Kantinenpächter) der „P*****-Kantine“ in S*****. Dort war er Hauptverantwortlicher aller Bereiche und Tätigkeiten. Er war Küchenchef und hat unter anderem Menüpläne erstellt und Preiskalkulationen durchgeführt. Der übliche Arbeitsbeginn des Klägers war um 5:00 Uhr früh und das Arbeitsende lag zwischen 14:30 Uhr und 15:00 Uhr, wobei die Küche Montag bis Freitag von 07:00 bis 16:00 Uhr geöffnet war. Häufig gab es kurzfristig angesetzte oder abendliche Veranstaltungen. Oft war sein Arbeitsbeginn schon um 3:00 Uhr früh und er musste an 12 bis 14 Tagen pro Monat nachts arbeiten. Täglich wurden 500 Mittagessen und 200 Liter Suppe zubereitet. An Hauptspeisen gab es täglich drei Menüs, an deren Zubereitung er mitgearbeitet hat.
Der Küche war noch ein Café für 200 bis 250 Personen angeschlossen. Es waren noch zwei Mitarbeiter vollzeit- (Köche für Beilagen und Salate, nämlich ein Jungkoch, ein Patissier) sowie zwei Mitarbeiter (eine Halbtags-Küchenhilfe und Halbtags-Salaterin) teilzeitbeschäftigt. Die Küche in der P*****-Kantine ist 150 m² groß und mit Steinboden, Dunstabzügen und Klimaanlage ausgestattet. Die Raumtemperatur in der Küche beträgt 19 Grad und jene an den Kochgeräten 30 Grad. Es sind 5 Kühlräume vorhanden, in denen die Temperatur von minus 6 Grad bis minus 15 Grad beträgt. Es kommt wohl zu öfteren, aber keinen ständigen Aufenthalten in den Kühlhäusern.
Der typische Koch weist einen Energieverbrauch von 5.517,60 kJ auf, während sich beim Kläger ein Energieverbrauch von 5.832,00 kJ ergibt. Eine „Einarmarbeit in gebücktem Stehen schwer“ liegt bei der Arbeit des Klägers nicht vor.
Mit Bescheid vom 21. 10. 2008 hat es die beklagte Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft abgelehnt, die Zeiten vom 1. 12. 1989 bis 31. 7. 2008 als Schwerarbeitszeiten festzustellen.
Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab. Nach § 117a GSVG habe der Versicherungsträger unter bestimmten Voraussetzungen über Antrag des Versicherten die Schwerarbeitszeiten iSd § 298 Abs 13a GSVG und des § 4 Abs 4 APG festzustellen. § 4 Abs 4 APG enthalte eine Ermächtigung zur Erlassung einer Verordnung, in der festzulegen sei, unter welchen psychisch oder physisch besonders belastenden Arbeitsbedingungen in einem Kalendermonat „Schwerarbeit“ vorliege. § 1 Abs 1 der Schwerarbeitsverordnung (BGBl II 2006/104) zähle Tätigkeiten auf, die unter körperlich oder psychisch besonders belastenden Bedingungen erbracht würden, darunter (in § 1 Abs 1 Z 4) schwere körperliche Arbeiten, die dann vorlägen, wenn bei einer achtstündigen Arbeitszeit von Männern mindestens 8.374 Arbeitskilo-Joule (2.000 Arbeitskilokalorien) und von Frauen mindestens 5.862 Arbeitskilo-Joule (1.400 Arbeitskilokalorien) verbraucht würden.
Ausgehend vom Inhalt der Anlage zur Schwerarbeitsverordnung, in der die Grundsätze für die Feststellung des Vorliegens einer schweren körperlichen Arbeit iSd § 1 Abs 1 Z 4 festgelegt würden, habe der Kläger keine „Schwerarbeit“ geleistet. Eine Tätigkeit als Koch sei für Männer - gemessen nach dem Kalorienverbrauch - grundsätzlich keine Schwerarbeit. Für Frauen reiche der Kalorienverbrauch aus, um in die Berufsliste der Schwerarbeitsberufe für Frauen aufgenommen zu werden, nicht aber für Männer. Eine geschlechtsspezifische Ungleichbehandlung könne darin nicht erblickt werden, da an objektive Kriterien wie den unterschiedlichen Kalorienbedarf bzw -verbrauch bei weiblicher Konstitution angeknüpft werde. Der beim Kläger ermittelte Kalorienverbrauch sei weder abstrakt noch konkret ausreichend. Die Belastung des Klägers liege - gemessen an seinen eigenen Angaben - zwar um etwa 10 % über der eines normalen Kochs, aber immer noch deutlich unter dem Mindestwert für Schwerarbeit. Dazu komme, dass ein Alleinkoch in der Regel körperlich stärker belastet sei als ein Küchenchef, da dieser Hilfskräfte zur Verfügung habe. Bei der konkreten Tätigkeit des Klägers handle es sich zwar um eine körperlich und psychisch fordernde Arbeit, sie stelle aber insgesamt keine Schwerarbeit im Sinne der Schwerarbeitsverordnung dar.
Das Berufungsgericht gab der aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge. Aufgrund der von der Verordnung festgelegten objektiven Unterscheidungsmerkmale liege eine ausreichend sachliche Begründung für Differenzierungen vor. Die Methode für die Feststellung körperlicher Schwerarbeit orientiere sich an den zuletzt 1982 herausgebenen „Tafeln für den Energieumsatz bei körperlicher Tätigkeit“ nach Spitzer/Hettinger/Kaminsky, dem Standardwerk im deutschsprachigen Raum. Die durchschnittlichen beruflichen Belastungsgrenzen seien aufgrund zahlreicher Untersuchungen und Erfahrungen durch das Max-Planck-Institut für Arbeitsphysiologie ermittelt und festgelegt worden, sodass die von der Schwerarbeitsverordnung gewählte Methode wissenschaftlich abgesichert sei. Zweifellos bereite eine Einschätzung des vergangenen individuellen Kalorienverbrauchs große beweismäßige Schwierigkeiten. Die Anlage zur Schwerarbeitsverordnung beruhe auf der auf Normpersonen bezogenen Gruppenbewertungstabelle von Spitzer/Hettinger/Kaminsky. Unter Einbeziehung der Angaben von Dienstnehmern und Dienstgebern und der Erfahrung von Arbeitsmedizinern und Berufskundlern sei die Schwerarbeitsverordnung aber durchaus auch praktisch vollziehbar. Da die bei Männern und Frauen unterschiedlich angenommenen Normbelastungsgrenzen wiederum auf objektiven Kriterien beruhten, nämlich auf den in langjährigen und zahlreichen internationalen Studien ermittelten unterschiedlichen Durchschnittsgewichten von Männern mit 75 kg einerseits und Frauen mit 65 kg andererseits, könne auch darin keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung gesehen werden. Zusammengefasst erweise sich daher die Schwerarbeitsverordnung BGBl II 2006/104 als gesetzes- und verfassungskonform.
Die Revision sei zulässig, weil zur Frage der Gesetzes- und Verfassungskonformität der Schwerarbeitsverordnung bislang keine höchstgerichtliche Rechtsprechung ergangen sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klagsstattgebenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Verordnungsermächtigung des § 4 Abs 4 APG und gegen die Gesetzmäßigkeit der entscheidungswesentlichen Verordnungsbestimmungen bestehen.
In seinem Rechtsmittel macht der Kläger im Wesentlichen geltend, dass die Gruppenbewertungstabelle von Spitzer/Hettinger/Kaminsky nicht ausdrücklich in der Anlage zur Schwerarbeitsverordnung erwähnt sei. Angesichts ihres Alters sei ihre Heranziehung auch gewagt. Schon die allgemeine Lebenserfahrung sage einem, dass der Kalorienverbrauch eines Menschen je nach Körpergröße, Gewicht etc unterschiedlich hoch sei. Zudem werde in der Schwerarbeitsverordnung in unsachlicher Weise differenziert, indem Tätigkeiten als Schwerarbeit einbezogen würden, die bei Anlegung eines objektiven Maßstabs nicht als solche zu qualifizieren seien, andererseits aber belastende Tätigkeiten ausgenommen seien (zB die Tätigkeit eines Fluglotsen untertags). Die gesamte Schwerarbeitsverordnung sei methodisch unschlüssig und somit unsachlich, dies insbesondere auch deshalb, weil es unmöglich sei, den Nachweis von Schwerarbeit für jeden Tag zu erbringen. Auch gebe es keine wissenschaftlich fundierten Grundlagen für die Abgrenzung, wann Schwerarbeit vorliege und wann nicht. Im Hinblick auf den Gleichheitssatz sei schließlich auch die Differenzierung zwischen Männern und Frauen unzulässig. Insgesamt hätten die Vorinstanzen jedenfalls zum Ergebnis kommen müssen, dass es sich bei der vom Kläger ausgeübten Tätigkeit um eine schwere körperliche Arbeit im Sinne der SchwerarbeitsVO gehandelt habe. Da die SchwerarbeitsVO nicht verfassungskonform sei, werde ein Verordnungsprüfungsantrag angeregt.
Aus Anlass der Revision hat der Senat Folgendes erwogen:
1. Die maßgebliche Rechtslage stellt sich folgendermaßen dar:
1.1. Die Bestimmung des § 117a Abs 2 GSVG eröffnet den Versicherten das Recht, die Feststellung der Schwerarbeitszeiten beim Sozialversicherungsträger zu beantragen. Danach hat der Versicherungsträger die Schwerarbeitszeiten iSd § 298 Abs 13a GSVG und des § 4 Abs 4 APG festzustellen, wenn die versicherte Person bereits 444 Versicherungsmonate erworben hat und dies frühestens 3 Jahre vor Vollendung des Anfallalters nach § 298 Abs 12 oder frühestens 3 Jahre vor Vollendung des frühestmöglichen Anfallalters nach § 4 Abs 3 APG beantragt.
1.2. Im Rahmen der Pensionsreform 2003 und der Pensionsharmonisierung wurden zwei Arten von Schwerarbeitspensionen geschaffen, eine Schwerarbeitspension gemäß § 607 Abs 14 ASVG (§ 298 Abs 13a GSVG bzw § 287 Abs 13a BSVG) und eine Schwerarbeitspension gemäß § 4 Abs 3 APG. Diese beiden Schwerarbeitspensionen sind bezogen auf ihre zeitliche Wirkung, auf die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen und auch bezogen auf die Pensionshöhe unterschiedlich geregelt. Die Schwerarbeitspension nach dem ASVG, GSVG bzw BSVG stellt eine Sonderform der Pension für Langzeitversicherte („Hacklerregelung“) dar und gilt nur befristet, während die Schwerarbeitspension nach dem APG eine eigenständige Pensionsform und im Dauerrecht verankert ist. Ziel dieser Regelungen ist es, Versicherte, die lange Versicherungszeiten in der gesetzlichen Pensionsversicherung erworben und in den letzten Jahren vor ihrer Pensionierung schwer gearbeitet haben, einen früheren Pensionsantritt als einen nach dem Regelpensionsalter zu ermöglichen. Während die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen die versicherungsrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen regeln, bleibt die Definition des Begriffs „Schwerarbeit“ der Schwerarbeitsverordnung überlassen. Ergänzt wird dies durch eine Anlage, die die Methode zur Feststellung schwerer körperlicher Arbeit erklärt.
Männliche Versicherte, die - wie der Kläger - bis zum 31. 12. 1953 geboren sind, können eine Schwerarbeitspension nach den Bestimmungen des APG in Anspruch nehmen, weil gemäß § 1 Abs 3 APG die Schwerarbeiterregelung des § 4 Abs 3 APG auch für Personen gilt, die vor dem 1. Jänner 1955 geboren sind. Für männliche Versicherte, die ab dem 1. 1. 1954 geboren sind, kommen (auch) die Bestimmungen des § 607 Abs 14 ASVG idF des SRÄG 2008, BGBl I 2008/129, zur Anwendung.
1.3. Die für den Kläger maßgebende Bestimmung des § 4 Abs 3 APG lautet in der Fassung des SVÄG 2006, BGBl I 2006/130:
„(3) Abweichend von Abs. 1 kann bei Vorliegen von Schwerarbeitszeiten die Alterspension bereits nach Vollendung des 60. Lebensjahres beansprucht werden (Schwerarbeitspension), wenn die versicherte Person
1. mindestens 540 Versicherungsmonate nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz erworben hat, von denen mindestens 120 Schwerarbeitsmonate (Abs. 4) sind, die innerhalb der letzten 240 Kalendermonate vor dem Stichtag (§ 223 Abs. 2 ASVG) liegen, und
2. am Stichtag (§ 223 Abs. 2 ASVG) weder einer Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung auf Grund einer Erwerbstätigkeit unterliegt noch ein Erwerbseinkommen bezieht, welches das nach § 5 Abs. 2 ASVG jeweils in Betracht kommende Monatseinkommen übersteigt.“
§ 4 Abs 4 APG erteilt folgende Verordnungsermächtigung:
„(4) Der Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz hat mit Verordnung festzulegen, unter welchen psychisch oder physisch besonders belastenden Arbeitsbedingungen Schwerarbeit in einem Kalendermonat im Sinne dieses Bundesgesetzes vorliegt. Er hat dabei auf einen gemeinsamen Vorschlag der gesetzlichen beruflichen Interessenvertretungen der nach dem ASVG, GSVG, FSVG und BSVG pensionsversicherten Erwerbstätigen Bedacht zu nehmen. Die Verordnung hat auch Bestimmungen über die Meldung der Schwerarbeitszeiten zu enthalten. Sie bedarf der Zustimmung der Bundesregierung.“
Diese Verordnungsermächtigung entspricht in etwa jener nach § 607 Abs 14 ASVG, die mit der im Rahmen des Budgetbegleitgesetzes 2003 beschlossenen Pensionsreform 2003 (BGBl I 2003/71) geschaffen wurde. Die Verordnungsermächtigung in § 607 Abs 14 ASVG hat folgenden Inhalt:
„Der Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz hat unter Berücksichtigung von berufskundlichen und arbeitsmedizinischen Gutachten sowie nach Anhörung der gesetzlichen beruflichen Interessenvertretungen und unter Bedachtnahme auf die Liste der Berufskrankheiten (Anlage 1) bis längstens 31. Dezember 2006 mit Verordnung festzustellen, welche Tätigkeiten als besonders belastend im Sinne des ersten Satzes gelten.“
§ 298 Abs 13a Satz 1 GSVG wiederum verweist auf den Inhalt des § 607 Abs 14 ASVG:
„(13a) Abs. 12 ist auch auf männliche Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1953 und vor dem 1. Jänner 1959 und auf weibliche Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1958 und vor dem 1. Jänner 1964 geboren sind, anzuwenden, wenn die persönliche Arbeitsleistung des (der) Versicherten zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war und der (die) Versicherte mindestens 120 Beitragsmonate innerhalb der letzten 240 Kalendermonate vor dem Stichtag (§ 113 Abs. 2) auf Grund von Tätigkeiten, die unter körperlich oder psychisch besonders belastenden Bedingungen erbracht wurden (§ 607 Abs. 14 ASVG), erworben hat.“
Mit der Verordnung der Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz über besonders belastende Berufstätigkeiten (Schwerarbeitsverordnung, BGBl II 2006/104) wurden vier Verordnungsermächtigungen wahrgenommen, nämlich diejenigen nach § 607 Abs 14 ASVG, nach § 298 Abs 13a GSVG, nach § 287 Abs 13a BSVG und nach § 4 Abs 4 APG.
1.4. Durch die Formulierung „körperlich oder psychisch besonders belastende Bedingungen“ in § 4 Abs 4 APG und § 607 Abs 14 ASVG soll die Absicht des Gesetzgebers zum Ausdruck gebracht werden, dass nur die Formen von besonders belastender Schwerarbeit und nicht jede Schwerarbeit schlechthin in diesem Bereich berücksichtigt werden (RV 635 BlgNR 22. GP 9; 10 ObS 128/09k; 10 ObS 103/10k).
1.5. Die Verordnung der Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz über besonders belastende Berufstätigkeiten (Schwerarbeitsverordnung), BGBl II 2006/104, lehnt sich an im Nachtschwerarbeitsgesetz (NSchG) bezeichneten Arbeiten an und nennt etwa Nachtarbeit im Schicht- und Wechseldienst, regelmäßige Tätigkeit unter Hitze oder Kälte, Tätigkeiten unter chemischen oder physikalischen Einflüssen sowie die Pflege von erkrankten oder behinderten Menschen mit besonderem Behandlungs- und/oder Pflegebedarf.
Darüber hinaus wird in § 1 Abs 1 Z 4 der Schwerarbeitsverordnung schwere körperliche Arbeit folgendermaßen beschrieben:
„Als Tätigkeiten, die unter körperlich oder psychisch besonders belastenden Bedingungen erbracht werden, gelten alle Tätigkeiten, die geleistet werden ...
4. als schwere körperliche Arbeit, die dann vorliegt, wenn bei einer achtstündigen Arbeitszeit von Männern mindestens 8 374 Arbeitskilojoule (2 000 Arbeitskilokalorien) und von Frauen mindestens 5 862 Arbeitskilojoule (1 400 Arbeitskilokalorien) verbraucht werden, ...“
§ 3 der Schwerarbeitsverordnung verweist hinsichtlich der Qualifikation von bestimmten Tätigkeiten als schwere körperliche Arbeit auf die Anlage zur Verordnung:
„Ob eine bestimmte Tätigkeit als schwere körperliche Arbeit im Sinne des § 1 Abs. 1 Z 4 gilt, ist nach den in der Anlage zu dieser Verordnung festgeschriebenen Grundsätzen festzustellen.“
Die Anlage zur Schwerarbeitsverordnung legt die Methode zur Feststellung des Vorliegens schwerer körperlicher Arbeit iSd § 1 Abs 1 Z 4 fest (Milisits, Neueste OGH- und EuGH-Judikatur Bereich „Sozialversicherung“ sowie Neuregelungen: „Hacklerregelung neu“ bzw Langzeitversichertenregelung und „Schwerarbeit“, ZAS 2009, 102 [103 f]). Im Gegensatz zu den anderen Ziffern des § 1 Abs 1 der Schwerarbeitsverordnung lehnt sich die Z 4 nicht an belastende Tätigkeiten, sondern an Berufsgruppen an, weil nur auf diese Weise der durchschnittliche Arbeitskilokalorienverbrauch auf der Grundlage von Messergebnissen konkretisiert werden kann (Milisits, ZAS 2009, 103 f). Neben der energetischen Belastung ist auch die Herz- und Kreislaufbelastung und die Belastung des passiven und aktiven Stütz- und Bewegungsapparats zu berücksichtigen.
Die Anlage hat folgenden Inhalt:
Grundsätze für die Feststellung des Vorliegens einer schweren körperlichen Arbeit im Sinne des § 1 Abs. 1 Z 4
1. Begriffsbestimmung und Kriterien
Schwere körperliche Arbeit setzt eine in Bezug auf die Intensität oder Dauer der Belastung über das normale Kräftepotential hinausgehende Verausgabung von Arbeitskraft voraus, bei der die gesamte Körpermuskulatur beansprucht wird.
Kriterien für die Einstufung von beruflichen Tätigkeiten als schwere körperliche Arbeit sind neben der energetischen Belastung sowie der Herz- und Kreislaufbelastung auch die Belastung des passiven und aktiven Stütz- und Bewegungsapparates, also der Knochen und Gelenke sowie der Sehnen und Muskeln.
2. Bewertung von Tätigkeiten als Schwerarbeit nach der energetischen Belastung
2.1. Arbeitsenergieumsatz-Grenzen von 8 374 Kilojoule (2 000 Kilokalorien) pro Tag bei Männern und 5 862 Kilojoule (1 400 Kilokalorien) pro Tag bei Frauen
Der Arbeitsenergieumsatz ergibt sich aus dem Gesamtenergieumsatz pro Arbeitstag abzüglich des Grundenergieumsatzes (differiert vor allem in Abhängigkeit vom Körpergewicht), dem Freizeitenergieumsatz (der je nach Freizeit-Aktivität unterschiedlich ist) und einem kleinen Anteil für Energieverluste.
Für die Festlegung der Schwerarbeits-Grenze ist die Lage der „Energetischen Dauerleistungsgrenze“, die mit dem Tages-Arbeitsenergieumsatz gleichzusetzen ist, von Bedeutung. Sie liegt für Männer bei 8 374 Kilojoule (2 000 Kilokalorien) pro Tag, für Frauen bei 5 862 Kilojoule (1 400 Kilokalorien) pro Tag (gerundete Durchschnittswerte).
2.2. Einstufung von beruflichen Tätigkeiten als schwere körperliche Arbeit
Die Einstufung von beruflichen Tätigkeiten als „energetische Schwerarbeit“ erfolgt nach folgenden Grundsätzen:
Die Arbeitsenergieumsatz-Richtwerte werden nach arbeitsmedizinischen Standards ermittelt. Auf dieser Grundlage werden Tätigkeitsbeschreibungen mit ihren Jouleverbrauchswerten erstellt und hinsichtlich ihrer Dimensionen umgerechnet.
Schließlich wird geprüft, ob durch die mit einem bestimmten Beruf verbundenen Tätigkeiten (Tätigkeitsbilder) die vorgegebene Kilojoulegrenze (8 374 bei Männern bzw. 5 862 bei Frauen) pro Tag erreicht oder überschritten wird.“
1.6. Ein Schwerarbeitsmonat wird in § 4 der Schwerarbeitsverordnung als Kalendermonat definiert, in dem eine oder mehrere Tätigkeiten nach § 1 Abs 1 der Schwerarbeitsverordnung zumindest in jenem Ausmaß ausgeübt wurden, das einen Versicherungsmonat iSd § 231 Z 1 lit a ASVG begründet. Arbeitsunterbrechungen bleiben dabei außer Betracht, solange die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung weiter besteht.
2. Zur Feststellung körperlicher Schwerarbeit:
2.1. Die Methode für die Feststellung körperlicher Schwerarbeit orientiert sich an den auf objektiven Messergebnissen beruhenden „Tafeln für den Energieumsatz bei körperlicher Arbeit“ nach Spitzer/Hettinger/Kaminsky, die zuletzt 1982 veröffentlicht wurden, aber im deutschsprachigen Raum nach wie vor als Standardwerk gelten und für Fragen des Arbeitsenergieumsatzes als Basisliteratur herangezogen werden können (Panhölzl, Vollziehungsprobleme bei der Schwerarbeitspension, DRdA 2009, 98 [107]). Als zumutbare Grenzwerte der Belastung wurden aufgrund zahlreicher Untersuchungen und Erfahrungen durch das Max-Planck-Institut für Arbeitsphysiologie für einen Mann Werte zwischen 16,5 und 17,5 Kilojoule pro Minute festgelegt. Dieser Grenzbereich gilt bei einem 8-Stunden-Tag bei einer 40-Stunden-Woche. Der Gesamtenergieumsatz wird bei Spitzer/Hettinger/Kaminsky in Grundumsatz, Freizeitumsatz und Arbeitsumsatz eingeteilt. Der Grundumsatz, die für 24 Stunden zur Erhaltung des Lebens notwendige Mindestenergiemenge, liegt bei einem Mann (mit einem Durchschnittsgewicht 75 kg) bei rund 7.000 bis 7.500 Kilojoule pro Tag. Für Frauen liegt der durchschnittliche Grundumsatz bei 6.000 Kilojoule pro 24 Stunden (eingehend dazu und zu den „Arbeitsenergieumsatz-Richtwerten“ Panhölzl, DRdA 2009, 108 f).
Auf der Basis der Mittelwerte der von Spitzer/Hettinger/Kaminsky aufgestellten Gruppenbewertungstabelle wurden im Zusammenhang mit der Vorbereitung der Schwerarbeitsverordnung zu den einzelnen Berufsbildern strukturierte Interviews mit Berufsträgern geführt, um in den letzten Jahren stattgefundene Veränderungen in den Aufgabenstellungen herauszufinden und eine Grundlage für die - zur Erleichterung der Vollziehung vor allem bei den Pensionsversicherungsträgern erstellten - „Berufslisten“ zu schaffen, denen allerdings keine normative Wirkung, sondern Richtschnurfunktion zukommt (Panhölzl, DRdA 2009, 110; eingehend Milisits, Berücksichtigung von besonders belastenden Erwerbstätigkeiten in der Pensionsversicherung [Dissertation Wien 2010] 104 ff, mit Hinweis auf das von MMag. Dr. Peter Roman Zheden im Oktober 2005 im Auftrag des Bundesministeriums für Soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz erstattete Gutachten).
2.2. In der Literatur haben die auf die Schwerarbeit bezogenen Normen vor allem in Bezug auf die Definition von Schwerarbeit und ihre Nachweisbarkeit sowie die Vollziehbarkeit Kritik erfahren (zuletzt etwa in eher zurückhaltender Form von Pinggera, Schwerarbeitspension - Bilanz und Ausblick, DRdA 2010, 378; siehe aus früherer Zeit etwa Tomandl, Schwerarbeitspension, ZAS 2006, 1, Panhölzl, Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2006, DRdA 2006, 411, Pöltner, Die Feststellung von Zeiten der Schwerarbeit, DRdA 2007, 406, und Panhölzl, Vollziehungsprobleme bei der Schwerarbeitspension, DRdA 2009, 98).
3. Der Kläger begehrt die Feststellung von Schwerarbeitszeiten für den Zeitraum vom 1. 12. 1989 bis 31. 7. 2008. Ob die vom Kläger in dieser Zeit ausgeübten Tätigkeiten als Schwerarbeit zu qualifizieren sind, richtet sich auf der Grundlage der in § 4 Abs 4 APG enthaltenen Verordnungsermächtigung nach § 1 Abs 1 Z 4 der Schwerarbeitsverordnung mitsamt dem in § 3 enthaltenen Verweis auf die Grundsätze der Anlage zur Verordnung. Die Verordnung ist auch auf die nach dem GSVG versicherten Personen anzuwenden (s Aubauer/Neumann, taxlex 2006, 93).
Das Gericht hat die angeführten Normen im vorliegenden Fall anzuwenden; sie sind präjudiziell für die Entscheidung. Ob eine erfolgreiche Anfechtung der Normen beim Verfassungsgerichtshof für den Kläger ein günstigeres Prozessergebnis bewirken kann, ist für die Einleitung eines Normenprüfungsverfahrens ohne Belang (VfSlg 15.436/1999 ua).
4. Die Kritik des Klägers, an der er die Verfassungs- und Gesetzwidrigkeit der Schwerarbeitsverordnung festmacht, richtet sich weitgehend gegen die Definition und Nachweisbarkeit schwerer körperlicher Arbeit; kritisiert wird - unter Bezugnahme auf den Gleichheitssatz - auch die Differenzierung zwischen Männern und Frauen.
5. Ausgehend vom Gesetzeswortlaut soll - wie bereits erwähnt - (nur) besonders belastende Schwerarbeit in einem bestimmten zeitlichen Rahmen zu Schwerarbeitszeiten führen. Die Beantwortung der zweifellos sehr schwierigen Frage, was unter besonders belastender Schwerarbeit zu verstehen ist, wird vom Gesetzgeber der Schwerarbeitsverordnung übertragen. Der Verordnung wiederum ist das Bestreben zu entnehmen, grundsätzlich in einer Durchschnittsbetrachtung, allerdings in recht detaillierter, teils sogar komplexer Form den unbestimmten Gesetzesbegriff der Schwerarbeit objektiv und sachlich zu konturieren, wobei sich der Verordnungsgeber an einer schon seit längerer Zeit dem Normbestand angehörenden gesetzlichen Bestimmung, dem NSchG, orientiert hat.
6. Zur Verletzung des Legalitätsprinzips:
6.1. Das aus Art 18 Abs 1 und 2 B-VG abgeleitete Legalitätsprinzip bindet zunächst den Gesetzgeber: Das Gebot der hinreichenden Bestimmtheit gesetzlicher Regelungen verlangt, dass diese das Handeln der Verwaltungsbehörden (insbesondere auch die Erlassung von Verordnungen) ausreichend determinieren (Rill in Rill/Schäffer, Bundesverfassungsrecht [1. Lfg 2001] Art 18 B-VG Rz 7). Fehlt diese ausreichende Determinierung, liegt eine formalgesetzliche Delegation vor, die die Verfassungswidrigkeit sowohl der Verordnung als auch ihrer gesetzlichen Grundlage nach sich zieht.
6.2. Um eine Schwerarbeitspension beanspruchen zu können, müssen nach § 4 Abs 3 APG und § 298 Abs 13a GSVG (der wiederum auf § 607 Abs 14 ASVG verweist) mindestens 120 Schwerarbeitsmonate vorliegen. Schwerarbeit wird in Form allgemein gehaltener Formeln mit „psychisch oder physisch besonders belastenden [...] Arbeitsbedingungen“ (§ 4 Abs 4 APG) bzw mit „Tätigkeiten, die unter körperlich oder psychisch besonders belastenden Bedingungen erbracht wurden“, umschrieben (§ 607 Abs 14 ASVG, § 298 Abs 13a GSVG); die genauere Definition der Tätigkeiten, die als Schwerarbeit anzusehen sind, wird jeweils der Determinierung im Verordnungsweg überlassen.
Die auf diesen gesetzlichen Grundlagen erlassene Schwerarbeitsverordnung dient somit der Konkretisierung eines unbestimmten Gesetzesbegriffs. Unbestimmte Gesetzesbegriffe entsprechen dem Determinierungsgebot, wenn sie „auslegungsfähig“ sind, dh wenn unter Heranziehung aller Interpretationsmethoden beurteilt werden kann, wozu das Gesetz die Verwaltungsbehörde ermächtigt. Dem Verfassungsgerichtshof muss es möglich sein, die Übereinstimmung mit der gesetzlichen Grundlage zu überprüfen (VfSlg 11.859/1988; 13.785/1994 ua). Dafür wird auch die Entstehungsgeschichte, der Gegenstand und der Zweck einer Bestimmung herangezogen (VfSlg 11.499/1987, 15.447/1999).
Lehre und Rechtsprechung gehen von einem differenzierteren Legalitätsprinzip aus, demzufolge unterschiedliche Regelungsbereiche einen unterschiedlichen Grad an Vorherbestimmung verlangen (zB VfSlg 13.785/1994, wonach für Regelungen im Bereich des Wirtschaftsrechts keine so weitgehende gesetzliche Vorherbestimmung erforderlich ist wie etwa im Sozialversicherungsrecht). Doch ist dem Gesetzgeber selbst in „eingriffsnahen“ Bereichen die Verwendung unbestimmter Gesetzesbegriffe, mit denen der Gesetzgeber zwangsläufig Unschärfen in Kauf nimmt und von einer exakten Determinierung des Behördenhandelns Abstand nimmt, nicht verboten (vgl VfSlg 10.737/1985). Im Sozialversicherungsrecht erachtete der Verfassungsgerichtshof etwa die Verwendung des Begriffs „längere Zeit“ im Arbeitslosenversicherungsgesetz für zulässig (VfSlg 14.466/1996).
Tatsächlich spricht eine Reihe von in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs entwickelten Grundsätzen für die Verfassungskonformität der gesetzlichen Grundlagen für die Schwerarbeitsverordnung.
Die Verwendung unbestimmter Gesetzesbegriffe kann aufgrund des Regelungsgegenstands erforderlich sein (VfSlg 16.625/2002). Für die Erforderlichkeit im konkreten Fall spricht, dass der höhere Abstraktionsgrad des Gesetzes erst eine Anpassung an neuere Entwicklungen und Veränderungen von Berufsbildern ermöglicht. Überdies enthält § 607 Abs 14 ASVG, worauf § 298 Abs 13a GSVG verweist, gewisse Kriterien, die den Inhalt der Verordnung näher definieren und damit den Entscheidungsspielraum der Behörde einschränken, indem etwa eine Bedachtnahme auf die Liste der Berufskrankheiten in Anlage 1 zum ASVG (somit eine gesetzlich determinierte Grundlage) gefordert wird. Dieser Hinweis fehlt allerdings in § 4 Abs 4 APG.
Möglich ist auch eine Legitimation durch Verfahren (VfSlg 12.687/1991), dh durch ein gesetzliches Gebot zur Einhaltung bestimmter Verfahrensschritte bei der genaueren Determinierung des unbestimmten Begriffs im Verwaltungsweg. Dabei wird der Beurteilungsspielraum der Behörde dadurch eingeschränkt, dass diese etwa Fachgutachten und Stellungnahmen von Interessengruppen zu berücksichtigen hat. Auch hier finden sich differenziertere Vorgaben in § 607 Abs 14 ASVG: Diese Bestimmung schreibt sowohl die „Berücksichtigung von berufskundlichen und arbeitsmedizinischen Gutachten“ als auch eine „Anhörung der gesetzlichen beruflichen Interessenvertretungen“ vor, während § 4 Abs 4 APG lediglich die Bedachtnahme „auf einen gemeinsamen Vorschlag der gesetzlichen beruflichen Interessenvertretungen der nach dem ASVG, GSVG, FSVG und BSVG pensionsversicherten Erwerbstätigen“ verlangt.
Da es den Anforderungen des Art 18 B-VG genügt, wenn die Vorgaben des Gesetzgebers durch Interpretation ermittelbar sind, kann auch eine historische Auslegung zur Unterstützung herangezogen werden: So enthalten die Gesetzesmaterialien einen Hinweis auf die Erwartung, dass maximal 5 % der Erwerbstätigen unter die Schwerarbeitsregelung fallen werden. Mit der Wortfolge „besonders belastende Bedingungen“ wird danach die Absicht der Anwendung eines sehr strengen Maßstabs ausgedrückt (RV 653 BlgNR 22. GP 5, 9; siehe auch 10 ObS 128/09k und 10 ObS 103/10k). Nicht alle, sondern nur besonders belastende Formen der Schwerarbeit sollen berücksichtigt werden. Damit ist der eher restriktive Ansatz der Verordnung bereits gesetzlich vorgegeben.
Gegen die Verfassungskonformität der vom Gesetzgeber vorgenommenen formalgesetzlichen Delegation spricht allerdings die „Wesentlichkeitstheorie“, nach der der Gesetzgeber die im Hinblick auf das Regelungsziel wesentlichen Entscheidungen nicht dem Verordnungsgeber überlassen darf. Welche Elemente einer Regelung nun zu diesen grundlegenden politischen Weichenstellungen gehören, die der Gesetzgeber selbst vorgeben muss, kann nur aufgrund einer Einzelfallbetrachtung festgestellt werden. Der Verfassungsgerichtshof hat beispielsweise in den Erkenntnissen VfSlg 14.256/1995 (Aufhebung von Teilen des Regionalradiogesetzes und des Frequenznutzungsplans) und VfSlg 15.888/2000 (Berechnung der Systemnutzungstarife im Rahmen des Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetzes) einen Verstoß gegen das Legalitätsprinzip gesehen, weil der Gesetzgeber insbesondere mehrere Varianten für die Ausübung der Normsetzungsbefugnis offen gelassen hat; eine flexible Regelung sei nur im Rahmen einer vom Gesetzgeber zu treffenden Grundentscheidung zulässig (VfSlg 15.888/2000).
Die Abgrenzung, wer in concreto unter den Schwerarbeiterbegriff fällt, ist zweifellos einer der Kernpunkte der Schwerarbeitsregelung. Auch hier wären im Rahmen der gesetzlichen Vorgabe („besonders belastende Tätigkeiten“) unter Heranziehung aller Auslegungsmethoden mehrere Ergebnisse möglich; offenbar hat der Gesetzgeber aus Flexibilitätserwägungen auf eine detailliertere gesetzliche Vorgabe verzichtet. Problematisch in Bezug auf die Determinierung ist insbesondere das geringe Maß an gesetzlichen Vorgaben in § 4 Abs 4 APG.
6.3. Da Rechtsverordnungen Gesetze im materiellen Sinn darstellen, müssen auch sie dem Grundsatz der ausreichenden Determinierung entsprechen (VfSlg 15.420/1999 ua). Bei einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung, Kriterien durch Verordnung festzulegen, müssen diese Kriterien auch geeignet sein, das Verwaltungshandeln in ausreichendem Maße zu determinieren und für den Einzelnen vorhersehbar zu machen. Somit wäre eine Verfassungswidrigkeit der Schwerarbeitsverordnung auch dann gegeben, wenn diese dem zuständigen Versicherungsträger bei der Feststellung von Schwerarbeitszeiten (hier nach § 117a Abs 2 GSVG) einen zu großen Ermessensspielraum beließe.
Bei dem im vorliegenden Fall relevanten Tatbestand der „schweren körperlichen Arbeit“ in ihrem § 1 Abs 1 Z 4 gibt die Schwerarbeitsverordnung zwar selbst die entscheidenden Belastungsgrenzen in kJ/kcal vor, umschreibt jedoch das Verfahren zur Feststellung der energetischen Belastung in ihrer Anlage nur in groben Zügen: Danach werden Arbeitsenergieumsatz-Richtwerte für bestimmte berufliche Tätigkeiten „nach arbeitsmedizinischen Standards ermittelt. Auf dieser Grundlage werden Tätigkeitsbeschreibungen mit ihren Jouleverbrauchswerten erstellt und hinsichtlich ihrer Dimensionen umgerechnet. Schließlich wird geprüft, ob durch die mit einem bestimmten Beruf verbundenen Tätigkeiten (Tätigkeitsbilder) die vorgegebene Kilojoulegrenze (8 374 bei Männern bzw. 5 862 bei Frauen) pro Tag erreicht oder überschritten wird“, umgerechnet in Kilokalorien geht es um 2.000 kcal bei Männern und um 1.400 kcal bei Frauen.
In der Praxis orientiert sich die hier umschriebene Feststellung von Schwerarbeit an den Tafeln für den Energieumsatz bei körperlichen Tätigkeiten von Spitzer/Hettinger/Kaminsky, die zuletzt 1982 herausgegeben wurden. Diese gelten im deutschsprachigen Raum als Standardwerk für Fragen des Arbeitsenergieumsatzes. Wie der Kläger betont, sind diese nicht ausdrücklich in der Anlage angeführt.
Die Bedenken des Obersten Gerichtshofs gegen § 4 Abs 4 APG gehen daher zusammenfassend dahin, dass diese Bestimmung im Zusammenhang mit § 4 Abs 3 APG keine iSd Art 18 Abs 1 und 2 B-VG ausreichende Determinierung des Inhalts der danach zu erlassenden Schwerarbeitsverordnung darstellt. Sollte sich aber diese Verordnungsermächtigung des § 4 Abs 4 APG als eine verfassungswidrige formalgesetzliche Delegation herausstellen, so wären die vom Obersten Gerichtshof im gegenständlichen Fall anzuwendenden Bestimmungen der Schwerarbeitsverordnung von der Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz ohne ausreichende gesetzliche Ermächtigung erlassen worden und schon aus diesem Grund mit Gesetzwidrigkeit belastet.
6.4. Eine verfassungsrechtlich bedenkliche Unklarheit ergibt sich weiters aus der widersprüchlichen Definition der „schweren körperlichen Arbeit“ durch § 1 Abs 1 Z 4 der Verordnung einerseits und § 3 iVm der Anlage zur Verordnung andererseits: Während § 1 Abs 1 Z 4 der Verordnung ausschließlich auf den Kalorienverbrauch abstellt, geht die Anlage von einer komplexeren Definition aus, bei der die energetische Belastung nur eines von mehreren Kriterien ist. Somit ist unklar, welche Rolle den anderen in der Anlage angeführten Kriterien (Herz- und Kreislaufbelastung, Belastung des passiven und aktiven Stütz- und Bewegungsapparats, also der Knochen und Gelenke sowie der Sehnen und Muskeln) zukommt. Wenn daher Schwerarbeit aufgrund einer dieser Belastungen auch bei niedrigerem Kalorienverbrauch festgestellt werden kann, widerspricht dies der ihrem Wortlaut nach taxativen Aufzählung der Schwerarbeitstatbestände in § 1 der Verordnung. Außerdem bleibt unklar, inwieweit die Belastungsgrenzen (2.000 kcal bzw 1.400 kcal) beim Hinzukommen anderer Elemente unterschritten werden dürfen.
Derart undeutliche Elemente einer Norm, die nicht durch Auslegung bereinigt werden können, stellen nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip dar (vgl VfSlg 12.420/1990 [„Denksporterkenntnis“]).
7. Zur Verletzung des Gleichheitssatzes:
7.1. Eine Verordnung verletzt den Gleichheitsgrundsatz, wenn sie auf einem gleichheitswidrigen Gesetz beruht oder selbst eine Differenzierung vornimmt, die sachlich nicht gerechtfertigt ist (VfSlg 10.492/1985, 13.482/1993). Die Schwerarbeitsverordnung muss somit dem gleichen Sachlichkeitsstandard entsprechen wie ihre gesetzlichen Grundlagen. Der Rückgriff auf eine Durchschnittsbetrachtung ist dem Gesetz- und Verordnungsgeber grundsätzlich nicht verwehrt (VfSlg 16.744/2002). Auch Härtefälle können in Kauf genommen werden, wenn nur insgesamt eine sachliche Regelung vorliegt.
7.2. Auf der Grundlage der (auch vom Kläger und in der Literatur nicht substanziell bestrittenen) Prämisse, dass der „Grundumsatz“ bei einem Mann um ca 20 % höher liegt als bei einer Frau, beruht die in § 1 Abs 1 Z 4 der Schwerarbeitsverordnung enthaltene geschlechtsspezifische Differenzierung bei den „Arbeitsenergieumsatz-Richtwerten“ auf objektiven Kriterien im Sinne einer Durchschnittsbetrachtung, sodass dagegen im Licht des Gleichheitssatzes grundsätzlich keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen.
7.3. Bedenken bestehen unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes allerdings gegen die nach § 1 Abs 1 Z 4 der Schwerarbeitsverordnung alleinige Maßgeblichkeit der Energieumsatzmethode. So wird der berufsbedingte Kalorienverbrauch nicht nur durch die berufliche Tätigkeit bestimmt, sondern er ist auch von anderen Parametern, wie zB dem jeweiligen Körpergewicht, abhängig. Nicht alle Menschen sind gleich und sie verbrauchen bei der Arbeit auch nicht gleich viele Kalorien. Eine genaue Erfassung des individuellen Kalorienverbrauchs ist jedoch in der Praxis nicht möglich, weil dafür objektive, am konkreten Arbeitsplatz messbare Indikatoren fehlen. Darüber hinaus beeinflussen neben der Art der Arbeit auch verschiedene weitere Faktoren wie beispielsweise die Arbeitsgeschwindigkeit, Geschicklichkeit, Arbeitsbedingungen, Arbeitsabläufe, Unterstützung durch Arbeitsgeräte, Pausenregelungen usw den Energieumsatz. Auch diese weiteren Faktoren lassen sich nicht erfassen. Nicht erfasst werden weiters Belastungen durch statische Haltearbeit, Monotoniebelastung, Umwelteinflüsse wie Lärm, Staub, Gase, Dämpfe und Expositionen; auch psychische Belastungen und geistige Arbeit lassen sich mit dem Energieumsatz nicht beurteilen (Panhölzl, DRdA 2009, 107 f).
Besonders problematisch erscheint die in jedem Fall notwendige Beurteilung von Schwerarbeitszeiten in Bezug auf Sachverhalte, die sich vor dem Inkrafttreten der Schwerarbeitsverordnung mit 1. 1. 2007 verwirklicht haben, weil diese Schwerarbeitszeiten in der Vergangenheit nicht erfasst wurden. Die täglichen Arbeitsabläufe in der Vielschichtigkeit der Einflussfaktoren und der Unterschiedlichkeit der täglichen Anforderungen können nämlich für die Vergangenheit im Sinne eines „Arbeitstagebuches“ als Beschreibung der Arbeitsanforderungen jedes einzelnen Tages nicht einmal annähernd dargestellt werden. Es lässt sich daher auch der individuelle Kalorienverbrauch eines Versicherten in den letzten 20 Jahren vor dem Stichtag praktisch nicht mehr feststellen (Panhölzl, DRdA 2009, 108; Tomandl, ZAS 2006, 1), womit aber dessen Eignung als sachliches Kriterium für das Vorliegen von Schwerarbeit fraglich ist. Es wird sich daher bei der gebotenen Einzelfallbeurteilung für die Vergangenheit nur in Ausnahmefällen verlässlich feststellen lassen, ob jemand tatsächlich Schwerarbeit geleistet hat.
Um die Feststellung von Schwerarbeitszeiten überhaupt zu ermöglichen, geht der Verordnungsgeber in der Anlage zur Verordnung (vgl deren letzten Absatz) von einer Durchschnittsbetrachtung aus, die auf typische Tätigkeiten in bestimmten Berufsfeldern abstellt. Unterschiede, die sich beim Kalorienverbrauch von Mensch zu Mensch erfahrungsgemäß ergeben, bleiben dabei unberücksichtigt. Ein einzelfallbezogener Nachweis ist nur im Rahmen des individuellen arbeitsmedizinischen Gutachtens möglich, das etwa auch im vorliegenden Fall auf eine für das Berufsbild „Koch“ überdurchschnittliche Belastung von 5.832 kJ geschlossen hat. Im Durchschnittsfall macht aber der zwingende Vergangenheitsbezug über eine längere Periode einen individuellen Nachweis sehr schwer, sodass der Versicherte in der Regel auf die Beweisführung mittels Durchschnittsbetrachtung angewiesen ist, die wiederum weder auf die Unterschiede im Kalorienverbrauch zwischen den einzelnen Menschen noch auf die Arbeitsbedingungen im weitesten Sinn (Arbeitsgeschwindigkeit, Geschicklichkeit, Arbeitsabläufe, Gerätegestaltungen etc) Rücksicht nehmen kann.
7.4. Bedenken in Richtung einer unsachlichen Ungleichbehandlung bestehen weiters aus einem Vergleich mit den übrigen in § 1 der Verordnung angeführten Tatbeständen. In § 1 werden - nach der gesetzgeberischen Intention taxativ - nebeneinander stehende Einzeltatbestände aufgezählt, die sehr unterschiedliche Fälle von Belastungen umschreiben und nicht durch eine Generalklausel ergänzt werden. Es besteht daher kein Spielraum dafür, auch einen Sachverhalt, der verglichen mit den aufgezählten Tatbeständen als im Wesentlichen gleichwertig erscheint, als Schwerarbeit einzuordnen.
Auch eine Kumulation der Tatbestände ist nur beschränkt möglich: So führt etwa Arbeit mit hohem Kalorienverbrauch, die überdies teilweise nachts verrichtet wird, nicht zur Anerkennung eines Schwerarbeitsmonats, wenn die Mindesterfordernisse für die gesonderten Tatbestandsumschreibungen (§ 1 Abs 1 Z 1 bzw Z 4 der Verordnung) nicht erreicht werden (Milisits, Schwerarbeitsverordnung. Ein Leitfaden für die Praxis [2008] 22). Im Fall eines Kochs könnte etwa die Unterschreitung der 2.000-kcal-Grenze nicht mit der festgestellten Einwirkung von Hitze und Kälte kompensiert werden, welche erst bei höherer Intensität für sich den Tatbestand nach § 1 Abs 1 Z 2 der Schwerarbeitsverordnung erfüllen würde (vgl Milisits, ZAS 2009, 103). Nicht mit dem Gleichheitssatz vereinbar ist auch die Privilegierung der unregelmäßigen Nachtarbeit: Neben der Begünstigung durch das NSchG werden Personen, die unregelmäßige Nachtarbeit geleistet haben, ohne weitere Erfordernisse als Schwerarbeiter eingestuft (Milisits, Besonders belastende Erwerbstätigkeiten [Dissertation] 58).
8. Zusammenfassend bestehen somit folgende Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 4 Abs 3 und 4 APG und die Gesetzmäßigkeit der entscheidungswesentlichen Bestimmungen der Schwerarbeitsverordnung:
- Fehlen näherer Kriterien zur Determinierung des Verordnungsinhalts in der Rechtsgrundlage des § 4 Abs 4 APG (formalgesetzliche Delegation);
- Delegation einer wesentlichen rechtspolitischen Entscheidung an den Verordnungsgeber (Wesentlichkeitstheorie);
- Widersprüchlichkeit der Definition von „körperlicher Schwerarbeit“ in der Verordnung (Unklarheit der Regelung als Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip);
- Abstellen auf den in aller Regel nicht individuell feststellbaren Kalorienverbrauch in der Vergangenheit und die faktische Ermittlung nach fiktiven Durchschnittswerten (Unsachlichkeit);
- Auswahl und Abgrenzung der Tatbestände, die als Schwerarbeit angesehen werden (Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte).
Der Oberste Gerichtshof sieht sich daher veranlasst, aufgrund der dargelegten Bedenken entsprechende Prüfungsanträge an den Verfassungsgerichtshof zu stellen. Die Anfechtung umfasst neben § 4 Abs 4 APG auch den Abs 3 dieser Bestimmung, weil die beiden Absätze durch den in Abs 3 enthaltenen Verweis auf Abs 4 in einem untrennbaren Zusammenhang miteinander stehen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)