OGH 10ObS139/23y

OGH10ObS139/23y16.1.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Deimbacher (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Anton Starecek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei G*, vertreten durch Mag. Paul Wolf, Rechtsanwalt in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich‑Hillegeist‑Straße 1, wegen Pflegegeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 9. November 2023, GZ 6 Rs 45/23 v‑20, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:010OBS00139.23Y.0116.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger leidet an den Folgen eines frühkindlichen Autismus. Er benötigt Betreuung und Hilfe bei den meisten Lebensverrichtungen. Entsprechend zubereitete Mahlzeiten nimmt er selbständig ein, das heißt die Handführung vom Teller in den bzw des Glases zum Mund kann er alleine durchführen. Dies wurde ihm antrainiert. Er muss dabei jedoch regelmäßig observiert werden, weil er die Nahrungsmittel verschlingt und kaum kaut. Das Essen wird ihm in kleinen, mundgerechten Stücken auf den Teller gelegt und ihm ein Becher zum Trinken auf den Tisch gestellt.

[2] Die Vorinstanzen wiesen das auf Gewährung von Pflegegeld der Stufe 7 ab 1. Jänner 2023 gerichtete Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht ging davon aus, dass der Kläger unter anderem eine gewisse Fähigkeit zum selbständigen Essen und Trinken besitze.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die dagegen erhobene außerordentliche Revision des Klägers ist mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[4] 1.1. Voraussetzung für die Zuerkennung des Pflegegeldes der Stufe 7 ist, dass ein Pflegebedürftiger zu keinen willentlich gesteuerten Bewegungen in der Lage ist, die einem bestimmten beabsichtigten Zweck dienen und mit denen dieser Zweck auch erreicht werden kann (RS0106363 [T5, T7]).

[5] 1.2. Nicht notwendig ist, dass die zielgerichteten Bewegungen noch zur Vornahme der im Pflegegeldrecht maßgebenden Betreuungs- und Hilfsverrichtungen eingesetzt werden können (RS0106363 [T15]). Es muss sich aber im weitesten Sinn um Bewegungen handeln, die geeignet sind, die Pflege zu erleichtern oder den pflegerischen Aufwand – wenn auch geringfügig – zu mindern bzw die Betreuung des Betroffenen zu erleichtern (RS0106363 [T22]). Es genügt, wenn vom Pflegebedürftigen aktive Bewegungen ausgeführt werden können, durch die die Betreuung insgesamt etwas vereinfacht wird (RS0106363 [T24]).

[6] 1.3. Bereits ein einziger dem Pflegebedürftigen noch möglicher Bewegungsablauf dieser Qualität schließt die Zuerkennung von Pflegegeld der Stufe 7 aus (RS0106363 [T12]). Daher besteht etwa schon dann kein Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 7, wenn eine pflegebedürftige Person Essen zielgerichtet zum Mund führen oder einen Schnabelbecher zum Mund heben und daraus trinken kann (10 ObS 92/21h Rz 5; 10 ObS 108/11x).

[7] 2.1. Die Beurteilung der Vorinstanzen, beim Kläger liege die für ein Pflegegeld der Stufe 7 erforderliche praktische Bewegungsunfähigkeit oder ein gleichzuachtender Zustand iSd § 4 Abs 2 Stufe 7 BPGG nicht vor, verlässt den ihnen zukommenden Entscheidungsspielraum nicht.

[8] 2.2. Soweit die Revision davon ausgeht, der Kläger könne sein Verhalten (überhaupt) nicht kontrollieren und setze ständig unberechenbare Handlungen, weicht dies vom festgestellten Sachverhalt ab.

[9] 2.3. Es trifft zwar zu, dass der Kläger regelmäßig bei der Einnahme der Mahlzeiten observiert werden muss. Eine erforderliche permanente Anwesenheit einer Pflegeperson bei der Einnahme von Mahlzeiten erfüllt die Voraussetzung eines Pflegegeldes der Stufe 7 aber nicht, wenn – wie hier – entsprechend zubereitete Mahlzeiten selbständig eingenommen werden bzw ein Glas zum Mund geführt werden kann (vgl 10 ObS 92/21h Rz 7). Dabei genügt es, dass durch diese Handführung der pflegerische Aufwand bei der Einnahme von Mahlzeiten zumindest geringfügig gemindert bzw die diesbezügliche Betreuung entsprechend erleichtert wird. Dass der Kläger dabei – wie dies in der Revision behauptet wird – in der Mehrheit der Fälle einer Hilfestellung bedürfte, woraus die Revision eine nicht relevante Minderung des pflegerischen Aufwands ableitet, lässt sich dem festgestellten Sachverhalt nicht entnehmen. Die in der Revision ins Treffen geführten Entscheidungen 10 ObS 18/21a und 10 ObS 57/05p betrafen insofern andere Sachverhalte und sind somit nicht einschlägig.

[10] 2.3. Da die Revision keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung hinsichlich dieses dem Kläger noch möglichen Bewegungsablaufs aufzeigt, der zu einer relevanten Minderung des Pflegebedarfs führt, bedarf es keines Eingehens auf die in der Revision weiters thematisierten Bewegungsabläufe bzw Situationen (RS0106363 [T12]).

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