OGH 10ObS135/87

OGH10ObS135/8712.1.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Franz Trabauer und Peter Pulkrab als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Theresia R***, Niederrottnang 124, 4901 Ottnang, vertreten durch Dr. Johannes Grund und Dr. Wolfgang D. Polte, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei P*** DER A***, Roßauerlände 3, 1092 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Hilflosenzuschusses, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. August 1987, GZ 13 Rs 1092/87-28, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 21. Mai 1987, GZ 27 Cg 96/87-21, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 18. Dezember 1985 lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin vom 30. September 1985 auf Zuerkennung des Hilflosenzuschusses zur Witwenpension ab.

Das Erstgericht gab der dagegen erhobenen Klage statt. Es sprach aus, daß das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin den Hilflosenzuschuß im gesetzlichen Ausmaß ab 1. Oktober 1985 zu bezahlen dem Grunde nach zu Recht bestehe und trug der Klägerin bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung von S 2.500,-- monatlich ab 1. Oktober 1985 auf.

Es stellte fest, daß die am 29. Juli 1912 geborene Klägerin auf Grund ihres im einzelnen festgehaltenen Zustandes alleine essen und trinken und sich einfache Mahlzeiten selbst zubereiten kann. Sie kann das anfallende Geschirr abwaschen und einen wassergefüllten Kochtopf mit einer Hand tragen, sich ohne fremde Hilfe frisieren, Gesicht und Hände waschen und erreicht in sitzender Stellung auch die unteren Körperpartien und die Füße. Sie kann alleine die Toilette aufsuchen. Bei der Benützung einer Dusche oder Sitzbadewanne ist die Nähe einer Aufsichtsperson angeraten. Mit vermehrtem Zeitaufwand gelingt es ihr, sich allein an- und auszukleiden. Einen zu Boden gefallenen Gegenstand kann sie aufheben. Da sie in der Wohnung frei gehen und stehen kann, sind ihr leichte Aufräumearbeiten zumutbar. Es ist ihr möglich, den Feuerbrand in einem Holz- oder Kohleofen allein zu unterhalten und einen solchen Ofen auch allein zu entaschen. Sie kann sich die kleine Wäsche selbst waschen oder eine Waschmaschine bedienen. Zum Herbeischaffen des Brennmaterials, zum Tragen eines wassergefüllten Kübels und zum regelmäßigen Einkaufen benötigt sie jedoch fremde Hilfe.

Daraus leitete das Erstgericht rechtlich ab, die Klägerin sei hilflos im Sinn des § 105 a ASVG, weil ein für die Annahme von Hilflosigkeit relevanter Bedarf nach fremder Hilfe auch dann zu bejahen sei, wenn Hilfeleistungen zur Erledigung solcher Tätigkeit benötigt werden, die unmittelbare Voraussetzung für die Existenz sichernden Verrichtungen darstellten. Da die Klägerin zur Besorgung von Lebensmitteln, die Grundvoraussetzung für die Nahrungsaufnahme, nicht mehr in der Lage sei, sei sie auf die dauernde Hilfe Dritter angewiesen.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das Ersturteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens ab. Es billigte - entgegen den in der Berufungsbeantwortung der klagenden Partei erhobenen Bedenken gegen die Richtigkeit des den Feststellungen zugrunde gelegten Gutachtens Dris. S*** und der bemängelten Nichtberücksichtigung der nach ihrer Ansicht darüber hinausgehenden Einschränkung im neurologischen Gutachten - die Feststellungen des Erstgerichtes. Für die Gewährung eines Hilflosenzuschusses sei erforderlich, daß ein ständiger Bedarf nach Wartung und Hilfe gegeben sei. Werde zwar nicht täglich, sondern nur wiederholt in kürzeren Abständen, die aber einen gewissen Aufschub erlaubten, die Hilfe einer dritten Person bei der Verrichtung der lebensnotwendigen Tätigkeiten benötigt, so könne nicht von ständiger Wartung und Hilfe gesprochen werden. Daß die lebensnotwendigen Verrichtungen beschwerlicher seien als bei einem gesunden Menschen, begründe noch keine Hilflosigkeit. Ein Kostenzuspruch nach Billigkeit komme nicht in Betracht, weil die Klägerin über ein Pensionseinkommen von mehr als S 7.000,-- verfüge und überdies im Verfahren erster Instanz besondere tatsächld hi oder rechtliche Schwierigkeiten nicht aufgetreten seien.

Gegen dieses Berufungsurteil richtet sich die Revision der Klägerin aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es aufzuheben und das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen. Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revision kommt keine Berechtigung zu.

Unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens rügt die Klägerin, daß das Berufungsgericht keine eigenen Sachverhaltsfeststellungen getroffen, aber auch nicht ausgeführt habe, daß es jene des Erstgerichtes übernehme. Die im Gutachten Dris. G*** enthaltenen Einschränkungen seien weitergehend als jene im Gutachten Dris. S***. Es hätten daher die weitergehenden Einschränkungen festgestellt werden müssen.

Das Berufungsgericht hat sich auf Grund dieser schon in der Berufungsbeantwortung ausgeführten Rüge mit den beiden Sachverständigengutachten auseinandergesetzt und die Feststellungen des Erstgerichtes gebilligt. Es hat auch entgegen den Revisionsausführungen in seiner rechtlichen Beurteilung ausdrücklich auf die Feststellungen des Erstgerichtes Bezug genommen. Die Frage, ob die eingeholten Sachverständigengutachten die von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen rechtfertigen, gehört in das Gebiet der Beweiswürdigung und kann daher in der Revision ebensowenig bekämpft werden, wie ein schon vom Berufungsgericht verneinter Verfahrensmangel erster Instanz.

Auch der Rechtsrüge kommt keine Berechtigung zu.

Der erkennende Senat hat in seiner grundsätzlichen Entscheidung vom 22. Oktober 1987, 10 Ob S 46/87, zum Begriff der Hilflosigkeit im Sinne des § 105 a ASVG ausführlich Stellung genommen. Hilflosigkeit im Sinne des § 105 a ASVG liegt danach immer dann vor, wenn der Rentner oder Pensionist nicht in der Lage ist, auch nur einzelne dauernd wiederkehrende lebensnotwendige Verrichtungen selbst auszuführen. Dabei kommen jedoch jeweils nur jene Verrichtungen in Frage, die nicht allgemein von dritten Personen besorgt werden, sondern die auch nicht eingeschränkte Personen gewöhnlich selbst erledigen. Dazu zählen insbesondere die Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Körperreinigung und Körperpflege, der Versorgung mit Speisen, Getränken und Medikamenten (Besorgung, Zubereitung und Verabreichung), dem Harnlassen und dem Stuhlgang, dem An- und Auskleiden, der Reinigung von Geschirr, Leibund Bettwäsche, allenfalls auch der Kleidung, dem Aufräumen sowie der Belüftung und Beheizung des Aufenthaltsraumes, die Unterstützung beim Wechsel der Körperhaltung und bei der Fortbewegung sowie die Beaufsichtigung. Daß einige dieser Dienstleistungen sich unmittelbar auf den Körper und die Gesundheit des Rentners oder Pensionisten beziehen, andere nur mittelbar, ändert nichts daran, daß alle zum einheitlichen Begriff der Wartung und Hilfe des Behinderten gehören, der schon beim Ausfallen einer der notwendigen Leistungen in absehbarer Zeit sterben oder verkommen würde (ähnlich insbesondere Kuderna RdA 1968, 188 f und RdA 1969, 169 f).

Aus der Höhe und dem Zweck des Hilflosenzuschusses folgt allerdings, daß ein Bedürfnis nach ständiger Wartung und Hilfe nur dann angenommen werden kann, wenn die für die notwendigen Dienstleistungen nach dem Lebenskreis des Rentners oder Pensionisten üblicherweise aufzuwendenden und daher nicht bis ins einzelne, sondern nur überschlagsmäßig (vgl. § 273 ZPO) festzustellenden Kosten im Monatsdurchschnitt mindestens so hoch sind wie der begehrte Hilflosenzuschuß. Denn es kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, daß er einem Rentner oder Pensionsbezieher durch die Gewährung des Hilflosenzuschusses mehr geben will, als für diese notwendigen Dienstleistungen erforderlich ist. Der Hilflosenzuschuß soll ja nicht zu einer Erhöhung der Rente oder Pension führen, sondern nur den erwähnten Mehraufwand wenigstens teilweise abdecken. Bei der Frage, ob es sich um notwendige Dienstleistungen handelt, müssen die dem Hilfsbedürftigen tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel berücksichtigt werden. Da jedoch auch von einem Hilflosen erwartet werden muß, daß er einen Standard hält, der unter nichthilflosen Beziehern gleich hoher Einkommen im selben Lebenskreis üblich ist (vgl. Tomandl, Probleme des Hilflosenzuschusses ZAS 1979, 138), ist bei der Schätzung des notwendigen Dienstleistungsaufwandes mindestens dieser Standard zugrunde zu legen. Nur so können lebensfremde Ergebnisse vermieden werden, etwa die Zuerkennung eines Hilflosenzuschusses an den Bewohner einer Wohnung mit Zentralheizung mit der Begründung, er könne keinen Kohleofen mehr bedienen. Andererseits wird durch die Bezugnahme auf den Lebenskreis verhindert, daß Hilflosigkeit durch Nichtausnützen zur Verfügung stehender oder im Lebenskreis üblicher Hilfsmittel künstlich geschaffen wird.

Da der Hilflosenzuschuß nach § 105 a ASVG keine Abstufungen nach dem Grad der Hilflosigkeit kennt, werden die Kosten einer nicht ständigen Wartung und Hilfe ebensowenig abgegolten, wie die den Hilflosenzuschuß übersteigenden Kosten einer außergewöhnlichen Wartung und Hilfe. Andererseits gebührt der Hilflosenzuschuß, wenn die Hilflosigkeit das im § 105 a Abs. 1 ASVG umschriebene Ausmaß erreicht hat, auch dann, wenn die Kosten der ständigen Wartung und Hilfe im konkreten Fall nur deshalb geringer sind als der Hilflosenzuschuß, weil die Pflegeperson für die notwendigen Dienstleistungen nichts oder weniger als üblich verlangt, wie das zum Beispiel bei nahen Angehörigen häufig vorkommt. Der Umstand, daß Angehörige zur Betreuung vorhanden sind ist nämlich für die Gewährung des Hilflosenzuschusses ohne Bedeutung (Tomandl, Der sozialversicherungsrechtliche Schutz bei Hilflosigkeit aaO 131 mwN). Die Besorgung der Nahrungsmittel ist wegen der heute üblichen Ausstattung der Haushalte mit einem Kühlschrank nicht mehr täglich sondern nur mehr in größeren Abständen erforderlich. Brennmaterial wird, soweit dies überhaupt erforderlich sein sollte, üblicherweise ohne besondere Mehrkosten durch die Lieferanten zugestellt. Auch unter Berücksichtigung der erforderlichen Hilfe beim Baden oder Duschen - die tägliche Ganzkörperreinigung ohne diese Hilfsmittel ist der Klägerin nach den Feststellungen noch allein möglich - und bei den in größeren Abständen anfallenden schweren Hausarbeiten ist auszuschließen, daß die Klägerin für dies Hilfeleistungen im Monatsdurchschnitt auch nur annähernd S 2.840,-- (so hoch wäre der derzeitige monatliche Durchschnitt des Mindesthilflosenzuschusses) aufwenden müßte. Es gebührt daher kein Hilflosenzuschuß zur Witwenpension.

Eine Anfechtung der Kostenentscheidung des Berufungsgerichtes über die Verfahrenskosten erster Instanz ist gemäß § 528 Abs. 1 Z 2 ZPO ausgeschlossen. Auf die diesbezüglichen Ausführungen in der Revision ist daher nicht einzugehen.

Der Revision war somit insgesamt ein Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit.d ASGG.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte