OGH 10ObS131/21v

OGH10ObS131/21v19.10.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Martin Lotz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerald Fida (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. (FH) H*, vertreten durch Mag. Paulus Heinzl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich‑Hillegeist‑Straße 1, wegen Rehabilitationsgeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 29. Juni 2021, GZ 8 Rs 98/20 w‑75, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E133259

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Bei der 1977 geborenen Klägerin besteht seit 1. 12. 2018 vorübergehende Berufsunfähigkeit im Ausmaß von voraussichtlich mindestens sechs Monaten.

[2] Die Klägerin war nach Abschluss der Fachhochschule in Österreich (2001) unselbständig und selbständig erwerbstätig. Zuletzt war sie in Österreich von November 2014 bis Februar 2017 als kaufmännische Angestellte beschäftigt. Die Klägerin erwarb in Österreich insgesamt 191 Versicherungsmonate, davon 150 Beitragsmonate zur Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit, von denen 125 in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag lagen. Ihrer letzten Beschäftigung ging die Klägerin von 1. 8. 2017 bis 31. 7. 2018 in der Tschechischen Republik nach. Sie erwarb insgesamt in der Tschechischen Republik 116 Leistungsmonate.

[3] Nach dem 31. 7. 2017 erwarb die Klägerin keine Versicherungsmonate in Österreich. Sie nahm mit 1. 8. 2017 ihren Wohnsitz in der Tschechischen Republik. Im Zeitraum von 1. 11. 2018 bis 10. 1. 2019 war sie bei der (damaligen) Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter als Angehörige ihres Ehemanns krankenversichert. Seit 11. 1. 2019 bezieht die Klägerin in der Tschechischen Republik eine unbefristete Berufsunfähigkeitspension.

[4] Mit Bescheid vom 24. 4. 2019 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag der Klägerin auf Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension ab, weil dauerhafte Berufsunfähigkeit nicht vorliege. Ab 1. 12. 2018 liege vorübergehende Berufsunfähigkeit vor, als medizinische Maßnahme der Rehabilitation sei der weitere Krankheitsverlauf abzuwarten. Berufliche Maßnahmen der Rehabilitation seien nicht zweckmäßig und zumutbar. Es bestehe kein Anspruch auf Rehabilitationsgeld in der österreichischen Krankenversicherung.

[5] Das Erstgericht wies das Klagebegehren auf Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension ab 1. 12. 2018 ab. Die Klägerin habe ab 1. 12. 2018 für die weitere Dauer ihrer vorübergehenden Berufsunfähigkeit Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung. Eine Nahebeziehung zum österreichischen System der sozialen Sicherheit sei im Hinblick darauf gegeben, dass die Klägerin den größeren Teil ihrer Versicherungszeiten in Österreich zurückgelegt und nur drei Monate vor Antragstellung ihren Wohnsitz in die Tschechische Republik verlegt habe, nachdem sie nur 15 Monate vorher ihre Erwerbstätigkeit in Österreich beendet habe.

[6] Das Berufungsgericht gab der nur von der Beklagten erhobenen Berufung Folge und wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Es bestehe nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union C‑135/19 keine Verpflichtung mehr, Rehabilitationsgeld zu exportieren. Daran ändere die Mitversicherung der Klägerin in der Krankenversicherung im Zeitraum von 1. 11. 2018 bis 10. 1. 2019 nichts.

Rechtliche Beurteilung

[7] In ihrer außerordentlichen Revision zeigt die Klägerin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:

[8] 1. Das Berufungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass der EuGH in der schon zitierten Entscheidung C‑135/19 , Pensionsversicherungsanstalt, ECLI:EU:C:2020:177, das Rehabilitationsgeld eindeutig als Leistung bei Krankheit im Sinn des Art 3 Abs 1 lit a der Verordnung (EG) Nr 883/2004 qualifiziert hat. Ausgehend davon besteht in den Fällen, in denen Versicherte ihren Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegen, keine Verpflichtung mehr zum Export von Rehabilitationsgeld. Seit der klaren Einordnung des österreichischen Rehabilitationsgeldes als Leistung bei Krankheit im Sinn des Art 3 Abs 1 lit a VO (EG) 883/2004 ist die in der früheren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (10 ObS 133/15d SSV‑NF 30/79 ua) vertretene Ansicht, dem Rehabilitationsgeld komme aufgrund seiner Berührungspunkte mit Leistungen bei Invalidität ein Sondercharakter zu, nicht mehr aufrecht zu erhalten. Nach den unmissverständlichen Vorgaben des EuGH in der Entscheidung C‑135/19 ist es ausgeschlossen, die Zuständigkeitsregelung des Art 11 Abs 3 lit e VO (EG) 883/2004 unter dem Aspekt der unionsrechtlichen Freizügigkeit auszulegen und damit den Export des Rehabilitationsgeldes im Sinn der früheren, sich insbesondere an den Überlegungen des EuGH in seinem Urteil C‑388/09 , da Silva Martins, ECLI:EU:C:2011:439, orientierenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu rechtfertigen (10 ObS 46/21v; RS0132457).

[9] 2. Die von der Klägerin in der Revision thematisierte „Nahebeziehung“ zum österreichischen System der sozialen Sicherheit ist daher – ausgehend von der Einordnung des Rehabilitationsgeldes als Leistung bei Krankheit – in diesem Zusammenhang auch aus primärrechtlichen Gründen nach der Entscheidung des EuGH C‑135/19 kein für die Frage der Zuständigkeit entscheidendes Kriterium (vgl den zu 10 ObS 12/21v entschiedenen Sachverhalt, in dem die damalige Klägerin sowohl in Österreich als auch in Deutschland je 101 Versicherungsmonate erworben und von September 2009 bis Dezember 2014 in Österreich gearbeitet hatte [Stichtag war der 1. 11. 2016]). Die Klägerin unterlag nach Einstellung ihrer Erwerbstätigkeit und Verlegung ihres Wohnsitzes in einen anderen Mitgliedstaat ausschließlich den Sozialrechtsvorschriften ihres Wohnmitgliedstaats (Tschechische Republik) und gehörte nicht mehr dem System der sozialen Sicherheit des Herkunftsstaats (hier: Österreich) an (Art 11 Abs 3 lit e VO [EG] 883/2004; EuGH C‑135/19 , Rn 52). Die Versagung von Rehabilitationsgeld führt in einem solchen Fall nicht dazu, dass einer Person der Schutz auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit vorenthalten wird, weil keine österreichischen Rechtsvorschriften mehr für sie gelten (EuGH C‑135/19 , Rn 53).

[10] 3.1 Die Klägerin argumentiert, dass infolge ihrer freiwilligen Mitversicherung in der Krankenversicherung ihres Ehegatten als Angehörige gemäß Art 14 VO (EG) 883/2004 weiterhin die Zuständigkeit des österreichischen Systems der sozialen Sicherheit gegeben gewesen wäre. Das Berufungsgericht hätte dies zu Unrecht mit einer Scheinbegründung verneint, sodass sein Verfahren auch mangelhaft geblieben wäre.

[11] 3.2 Art 14 Abs 1 VO (EG) 883/2004 normiert eine Ausnahme von dem in Art 11 VO (EG) 883/2004 normierten Grundsatz, dass jeweils nur eine mitgliedstaatliche Rechtsordnung zur Anwendung komme, für den Fall der freiwilligen Versicherung und der freiwilligen Weiterversicherung. Diesbezüglich wird zur Anwendbarkeit einer bestimmten Rechtsordnung allein auf das nationale Recht verwiesen, Art 11 bis 13 VO [EG] 883/2004 bleiben insoweit unanwendbar (Steinmeyer in Fuchs, Europäisches Sozialrecht7 Art 14 VO (EG) 883/2004 Rn 3 mwH). Grundsätzlich ist danach eine freiwillige Versicherung (vgl zB § 16 ASVG) auch in einem Staat möglich, der nicht zuständig im Sinn des Teils II der VO [EG] 883/2004 ist (Pöltl in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht, Art 14 VO [EG 883/2004 Rz 2).

[12] 3.3 Im Fall der Klägerin lag jedoch weder eine freiwillige Versicherung (§ 16 ASVG) noch eine freiwillige Weiterversicherung vor: Die Klägerin war lediglich als Angehörige ihres Ehemanns in seiner gesetzlichen Krankenversicherung nach dem B‑KUVG anspruchsberechtigt („mitversichert“). Diese Anspruchsberechtigung ergibt sich aus § 55 Abs 1 B‑KUVG (worin diese Bestimmung von vergleichbaren anderen sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen, wie zB §§ 122 Abs 1, 123 Abs 1 ASVG, abweicht, vgl 10 ObS 303/89 SSV‑NF 4/96; 10 ObS 305/99x SSV‑NF 13/145; VfGH B 193/78 VfSlg 8684/1979; VwGH 99/08/0040 ua). Schon aus diesem Grund ist Art 14 VO (EG) 883/2004 nicht anwendbar; auch der behauptete Mangel des Berufungsverfahrens liegt nicht vor.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte