European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00131.16M.1111.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Die 1965 geborene Klägerin bezog von 1. 1. 2013 bis 28. 2. 2014 eine befristete Berufsunfähigkeitspension. Ab 1. 3. 2014 bis zu dessen Entziehung per 30. 4. 2015 bezog sie Rehabilitationsgeld.
Mit der gegen den Entziehungsbescheid vom 6. 3. 2015 gerichteten Klage begehrt sie die Weitergewährung des Rehabilitationsgeldes mit dem Vorbringen ihr Gesundheitszustand habe sich seit der Gewährung des Rehabilitationsgeldes (seit dem 1. 3. 2014) nicht leistungskalkülsrelevant gebessert.
Die beklagte Partei beantragte Klageabweisung und brachte im Wesentlichen vor, seit dem Zeitpunkt der Gewährung der befristeten Berufsunfähigkeitspension (1. 1. 2013) liege ein einziger Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit vor. Maßgeblicher Vergleichszeitpunkt sei daher der 1. 1. 2013. Seit diesem Zeitpunkt habe sich der Gesundheitszustand der Klägerin gebessert, weshalb das Rehabilitationsgeld zu entziehen sei.
Das Erstgericht gab der Klage statt und sprach aus, dass die Klägerin über den 30. 4. 2015 hinaus Anspruch auf Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation und auf Rehabilitationsgeld habe.
Es traf – unter anderem – folgende Feststellungen:
„Im Vergleich zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Rehabilitationsgeldes (dem 1. 3. 2014) liegt eine Verschlechterung des Gesundheitszustands der Klägerin vor. Gegenüber dem Zeitpunkt der Gewährung der befristeten Berufsunfähigkeitspension (dem 1. 1. 2013) ist eine Verbesserung des Gesundheitszustands eingetreten.“
Rechtlich gelangte das Erstgericht zum Ergebnis, maßgeblicher Vergleichszeitpunkt sei jener der Zuerkennung des Rehabilitationsgeldes. Da es gegenüber diesem Zeitpunkt zu keiner wesentlichen Veränderung der Verhältnisse gekommen sei, sei das Rehabilitationsgeld auch über den 30. 4. 2015 hinaus weiter zu gewähren.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision der beklagten Partei ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
1. Für diejenigen Versicherten, die – wie die Klägerin – am 1. 1. 2014 das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, wurde mit dem Sozialrechts-Änderungsgesetz 2012 (SRÄG 2012, BGBl I 2013/3) die befristete Invaliditätspension (Berufsunfähigkeitspension) abgeschafft, aber ein Rechtsanspruch auf medizinische Rehabilitation bei vorübergehender Invalidität/Berufsunfähigkeit sowie die neuen Leistungen des Rehabilitations‑ und des Umschulungsgeldes eingeführt (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 24).
2.1 Nach der Rechtslage seit dem SRÄG 2012 gebührt in Hinkunft bei vorübergehender Invalidität Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung, hingegen bei dauernder Invalidität (Berufsunfähigkeit) Invaliditätspension (Berufsunfähigkeitspension) aus der Pensionsversicherung.
2.2 Wenngleich das Rehabilitationsgeld die befristete Invalidiäts‑/Berufsunfähigkeitspension ersetzt (ErläutRV 321 BlgNR 25. GP 4), handelt es sich dabei um unterschiedliche Leistungen (10 ObS 116/16f). Zeiten des Bezugs von Rehabilitationsgeld sind Versicherungszeiten (§ 8 Abs 1 Z 2 lit c ASVG), Zeiten des Pensionsbezugs stellen hingegen neutrale Zeiten dar (§ 234 Abs 1 Z 2 lit a ASVG). Auch die Höhe der Leistungen ist different (§ 143a Abs 2 auf der einen bzw § 261 ASVG sowie §§ 6 und 15 APG auf der anderen Seite; Sonntag, Neues zur vorübergehenden Invalidität, ASoK 2015, 420 [423]).
3.1 Mit der Schaffung des Rehabilitationsgeldes ist der Gesetzgeber des SRÄG vom Konzept der grundsätzlichen Befristung von Leistungen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit wieder abgegangen, indem er das Rehabilitationsgeld als de facto unbefristete Dauerleistung ausgestaltet hat (ErläutRV 321 BlgNR 25. GP 4). Es ist durch Bescheid des Pensionsversicherungsträgers gemäß § 99 ASVG zu entziehen (§ 143a Abs 1 ASVG; ErläutRV 321 BlgNR 25. GP 5).
3.2 Der angefochtene Bescheid vom 6. 3. 2015 fällt bereits in den Geltungsbereich des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes 2015 (SVAG 2015, BGBl I 2015/2), mit dem auch die Entziehung des Rehabilitationsgeldes neu geregelt wurde. Wenngleich der Grundtatbestand des § 99 Abs 1 ASVG durch das SVAG 2015 unberührt blieb, wurde in § 99 Abs 1a ASVG der neue Rückforderungstatbestand der Verletzung von Mitwirkungspflichten geschaffen (10 ObS 4/16k). Bei den weiteren Entziehungstatbeständen– Besserung des Gesundheitszustands, Zumutbarkeit der beruflichen Rehabilitierbarkeit, Eintritt voraussichtlich dauernder Invalidität bzw Berufsunfähigkeit (näher dazu Sonntag in Sonntag, ASVG7 § 143a Rz 4 ff) – handelt es sich jeweils um Fälle des Wegfalls einer ursprünglich vorhandenen Leistungsvoraussetzung im Sinne des Grundtatbestands des § 99 Abs 1 ASVG (Atria in Sonntag, ASVG7 § 99 Rz 23).
3.3 In allen diesen Fällen kann daher (auch) das Rehabilitationsgeld nach § 99 Abs 1 ASVG nur entzogen werden, wenn eine wesentliche, entscheidende Änderung der Verhältnisse gegenüber dem Zeitpunkt der ursprünglichen Zuerkennung eingetreten ist (10 ObS 50/15y; RIS‑Justiz RS0106704; RS0083941). Zeitpunkt der ursprünglichen Leistungszuerkennung ist die Erlassung des Gewährungsbescheids. Es ist der Zustand im Bescheidzeitpunkt dem Zustand im Zeitpunkt der Entziehung gegenüberzustellen (RIS‑Justiz RS0083876; Schramm in SV‑Komm [127. Lfg] § 99 ASVG Rz 6 mzwN).
3.4 Mit dieser Rechtslage bzw Rechtsprechung steht die Ansicht der Vorinstanzen, als Vergleichszeitpunkt sei der Zeitpunkt der bescheidmäßigen Zuerkennung des Rehabilitationsgeldes heranzuziehen, in Einklang.
4.1 Mit ihrem auch in der Revision vertretenen Standpunkt, als Vergleichszeitpunkt wäre der Zeitpunkt der erstmaligen Gewährung der befristeten Berufsunfähigkeitspension heranzuziehen, gelingt es der Revisionswerberin nicht, eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen:
4.2 Im Fall der mehrfach aufeinanderfolgenden Weitergewährung einer einzigen (jeweils befristeten) Pensionsleistung (Invaliditäts‑ oder Berufsunfähigkeits-pension) und des lückenlosen Weiterbestehens der Invalidität oder Berufsunfähigkeit liegt nach ständiger Rechtsprechung ein einheitlicher Versicherungsfall vor, dessen Voraussetzungen durch den für die befristete Leistung maßgeblichen Stichtag bestimmt werden, ein neuer Stichtag wird nicht ausgelöst (RIS‑Justiz RS0085389 [T2, T4]). Wenn das Berufungsgericht die Ansicht vertrat, im Hinblick auf die Unterschiedlichkeit der befristeten Berufsunfähigkeitspension und des Rehabilitationsgeldes sei diese Rechtsprechung im vorliegenden Zusammenhang nicht anwendbar, ist dies durchaus zu billigen. Nach Auslaufen der befristet gewährten Berufsunfähigkeitspension ist es der Klägerin nicht mehr möglich, einen Weitergewährungsantrag zu stellen, vielmehr ist sie darauf verwiesen, einen „neuen“ Antrag zu stellen, der grundsätzlich zu einem neuen Stichtag führt (siehe auch Panhölzl in SV‑Komm [116. Lfg] § 223 ASVG Rz 31).
Die außerordentliche Revision war daher als unzulässig zurückzuweisen.
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