OGH 10ObS12/92

OGH10ObS12/9211.2.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier, Dr. Kellner sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Franz Köck (Arbeitgeber), Mag. Karl Dirschmied (Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Nedo ST*****, Jugoslawien, vertreten durch Dr. Ernestine Behal, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei PENSIONSVERSICHERUNGSANSTALT DER ARBEITER, 1090 Wien, Roßauer Lände 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 7. August 1991, GZ 32 Rs 25/91-65, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 23. September 1987, GZ 15 b Cgs 360/86-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 25. 5. 1931 geborene Kläger stellte am 23. 10. 1984 den Antrag auf Zuerkennung einer österreichischen Invaliditätspension. Mit Bescheid vom 2. 9. 1986 lehnte die beklagte Partei den Antrag auf Zuerkennung einer österreichischen Pension mangels Erfüllung der allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen der 1/3- oder 2/3-Deckung zum Stichtag ab. Gegen diesen Bescheid richtete sich die Klage. Durch Inkrafttreten der 40.ASVG-Novelle hat der Kläger zum Stichtag 1. 1. 1985 die allgemeine Voraussetzung der Wartezeit erfüllt, so daß zu prüfen war, ob er invalide im Sinne des § 255 ASVG ist.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren unter Zugrundelegung folgender wesentlicher Feststellungen ab:

Der Kläger war in Jugoslawien mit größeren Unterbrechungen als Landarbeiter tätig. Von 1970 bis Mitte 1971 arbeitete er in Frankreich als Hilfsarbeiter in einem Elektrobetrieb. Nach seiner Einreise in Österreich war er zwei Monate als Hilfsarbeiter in einem Kunststoffwerk und vom 10. 12. 1973 bis 11. 2. 1981 in einer Glaserzeugung als Hilfsarbeiter tätig. Der Kläger hat 169 anrechenbare Versicherungsmonate (davon 62 in Jugoslawien und 107 in Österreich) erworben.

Der Kläger kann noch leichte und mittelschwere Arbeiten in der normalen Arbeitszeit mit den üblichen Pausen verrichten. Arbeiten unter besonderem Zeitdruck sind nicht möglich. Der Kläger ist unterweisbar und kann eingeordnet werden, die Fingerfertigkeit ist erhalten. Tätigkeiten in staubigem Milieu scheiden aus. Es können nur Arbeiten geleistet werden, für die ein Gehör für die Umgangssprache von 5 m Hörbereich genügt und bei denen darauf Rücksicht genommen wird, daß praktisch kein Richtungshören besteht. Aus vorbeugenden Gründen sollen hochexponierte Stellen ausgeschlossen werden. Das Zurücklegen der Anmarschwege ist gewährleistet. Eine gegenseitige Potenzierung von Leidenszuständen liegt nicht vor.

Aufgrund seines Gesundheitszustandes ist der Kläger noch in der Lage, eine Reihe von Hilfsarbeitertätigkeiten zu verrichten, beispielsweise jene eines Abservierers in Selbstbedienungsrestaurants, Auspackers in großen Handelsbetrieben, Verpackers in der Industrie, einer Hilfskraft an Leergutkassen oder Zureicher an Werkzeugautomaten.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, da der Kläger während seiner Berufslaufbahn immer nur Hilfsarbeitertätigkeiten verrichtet habe, sei das Vorliegen der Invalidität nach § 255 Abs 3 ASVG zu prüfen. Da der Kläger nach seinem Leistungskalkül noch auf eine Reihe von Hilfsarbeitertätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden könne, sei er nicht invalide im Sinne dieser Gesetzesstelle. Mangels Vorliegens von 180 für die Bemessung der Leistung zu berücksichtigenden Versicherungsmonaten (der Kläger hat am 25. 5. 1986, also vor Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz, das 55. Lebensjahr vollendet) komme die Anwendung des § 255 Abs 4 ASVG nicht in Betracht.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge. Es verneinte das Vorliegen von Verfahrensmängeln, übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und führte rechtlich aus, eine Anleitung des Klägers zum Nachweis von französischen Versicherungszeiten sei rechtlich entbehrlich. Der Erwerb solcher Zeiten sei nach den Mitteilungen des jugoslawischen Versicherungsträgers aktenkundig, doch habe dieser die französischen Zeiten trotz Erwähnung unberücksichtigt gelassen. Sie seien daher für Österreich nicht maßgebend, weil der Kläger diese Zeiten nicht als Österreicher und damit nicht nach dem zwischenstaatlichen AbkSozSi Frankreich-Österreich erworben habe:

Nach Art 2 Abs 3 des AbkSozSi Jugoslawien-Österreich seien Rechtsvorschriften, die sich aus Übereinkommen mit dritten Staaten ergeben, bei der Anwendung des Abkommens nicht zu berücksichtigen. § 255 Abs 4 ASVG könne daher nicht angewendet werden.

Rechtliche Beurteilung

Der Revision ist nicht berechtigt.

Eine Nichtigkeit "in Analogie zu § 477 Abs 1 Z 4 und 5 ZPO" liegt nicht vor. Schon das Berufungsgericht hat darauf hingewiesen, daß der Kläger von den medizinischen Sachverständigen im Beisein eines Dolmetschers untersucht und dem Kläger die Gutachten ebenso zugesandt wurden wie die Ladung zur mündlichen Streitverhandlung, zu welcher der Kläger nicht erschienen ist. Das rechtliche Gehör wird aber nur dann verletzt, wenn einer Partei die Möglichkeit, am Verfahren teilzunehmen und Anträge zu stellen, gänzlich genommen wird.

Auch wenn man aufgrund der mit der Berufung vorgelegten Arbeitsbestätigung davon ausginge, daß der Kläger durch seine Tätigkeit als Hilfsarbeiter in Frankreich vom 19. 1. 1970 bis 14. 4. 1971 und vom 2. 8. 1971 bis 30. 6. 1972 französische Versicherungszeiten erworben hat, wäre das in § 255 Abs 4 ASVG unter anderem normierte Erfordernis des Erwerbes von 180 für die Bemessung der Leistung zu berücksichtigenden Versicherungsmonaten nicht erfüllt. Denn im Ausland erworbene Versicherungszeiten sind nur soweit zu berücksichtigen, als dies in zwischenstaatlichen oder multilateralen Abkommen vereinbart ist. Gemäß Art 2 Abs 3 des AbkSozSi Österreich-Jugoslawien sind Rechtsvorschriften, die sich aus Übereinkommen mit Drittstaaten ergeben, bei der Anwendung dieses Abkommens nicht zu berücksichtigen. Dies bedeutet, daß die Anwendung des Abkommens auf Versicherte, die nach einem von Österreich oder von Jugoslawien mit einem Drittstaat abgeschlossenen Abkommen über soziale Sicherheit den österreichischen bzw den jugoslawischen Staatsangehörigen gleichgestellt sind, ausgeschlossen ist. Das AbkSozSi Österreich-Frankreich ist nach Art 3 Abs 1 auf Erwerbstätige anzuwenden, für die die Rechtsvorschriften eines der Vertragsstaaten gelten oder galten und die Staatsangehörige eines der Vertragsstaaten sind. Dieses Abkommen enthält zwar im Gegensatz zu allen anderen von Österreich abgeschlossenen Abkommen keine Bestimmung, wonach die Abwendbarkeit der von den beiden Vertragsstaaten mit Drittstaaten abgeschlossene Abkommen generell ausgeschlossen wäre. Lediglich Z 1 lit a des Protokolles vom 28. 5. 1971 BGBl 1972/383 idF des Zusatzabkommens BGBl 1983/515 sieht vor, daß das Abkommen auf Staatsangehörige von Drittstaaten, die aufgrund eines anderen Abkommens den österreichischen oder französischen Staatsbürgern gleichgestellt sind, nicht anzuwenden ist. Das Fehlen einer solchen, die Anwendung des vorliegenden Abkommens in Verbindung mit anderen Abkommen generell ausschließenden Bestimmung führt aber zum gleichen Ergebnis, weil es für eine multilaterale Vorgangsweise an einer positiv-rechtlichen Regelung fehlt (Siedl-Cacek Zwischenstr.SV 11a Lfg 19 FN 1 zu Art 2 AbkSozSi Frankreich und 11b Lfg 17 FN 1 zu Z 1 des Protokolls). Allfällige, vom Kläger in Frankreich erworbene Versicherungszeiten können daher bei der Beurteilung der österreichischen Versicherungsleistung nicht berücksichtigt werden.

Soweit sich die Revision gegen die Feststellungen wendet und Verfahrensmängel erster Instanz rügt, die schon das Berufungsgericht verneint hat, ist eine Bekämpfung im Revisionsverfahren nicht mehr möglich.

Der Ausspruch über die Revisionskosten beruht auf

§ 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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