European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E120072
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin beantragte am 5. 2. 2016 Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens auch für den Zeitraum ab der am 19. 1. 2015 erfolgten Geburt ihres zweiten Kindes bis zum 1. 3. 2015. Die beklagte Partei hatte ihr Kinderbetreuungsgeld in Höhe von 40,81 EUR für den Zeitraum vom 2. 3. 2015 bis 18. 1. 2016 gewährt. Über den Zeitraum ab der Geburt bis 1. 3. 2015 wurde kein Bescheid erlassen.
Mit ihrer Säumnisklage begehrte die Klägerin 1. die Feststellung, dass die Nichtausstellung eines Bescheids rechtswidrig sei und 2. den Zuspruch von Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens in der Höhe von 40,81 EUR pro Tag auch für den Zeitraum vom 19. 1. 2015 bis 1. 3. 2015. Sie habe aufgrund der zeitlichen Lagerung der zweiten Geburt keinen Anspruch auf Wochengeld, weswegen ein Ruhen des Kinderbetreuungsgeldes aufgrund des Bezugs von Wochengeld nicht eintreten könne.
Die beklagte Partei bestritt, beantragte Klageabweisung und wendete – soweit für das Revisionsverfahren noch wesentlich – ein, der Klägerin komme im klagsgegenständlichen Zeitraum Anspruch auf Entgeltfortzahlung gemäß § 8 Abs 4 AngG (in der bis zum 31. 12. 2015 geltenden Fassung) zu. Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung sei als eine dem Wochengeld gleichartige Leistung iSd § 6 Abs 1 KBGG anzusehen, weshalb der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld in dieser Höhe ruhe.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren (insgesamt) ab.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts, ausgehend von einer zweckorientierten Auslegung des § 6 Abs 1 KBGG sei der Anspruch auf Entgeltfortzahlung gemäß § 8 Abs 4 AngG (aF) dem Wochengeld gleichzuhalten. Zwecks Vermeidung einer Mehrfachversorgung trete bis zur Höhe der Entgeltfortzahlung Ruhen des Anspruchs auf Kinderbetreuungsgeld ein.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der Rechtsfrage fehle, ob das Bestehen eines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung nach § 8 Abs 4 AngG (in der bis bis 31. 12. 2015 geltenden Fassung) das Ruhen des Anspruchs auf Kinderbetreuungsgeld nach § 6 Abs 1 KBGG zur Folge habe.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zur Klarstellung zulässig, jedoch nicht berechtigt.
1. Im Revisionsverfahren ist nicht mehr strittig, dass die Klägerin im klagsgegenständlichen Zeitraum Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 8 Abs 4 AngG (aF) hat. Sie vertritt aber den Standpunkt, es sei verfehlt, der Bestimmung des § 8 Abs 4 AngG, die systematisch den Bestimmungen über die Entgeltfortzahlung bei Dienstverhinderungen zuzurechnen sei, eine Funktionsgleichheit mit – systematisch der gesetzlichen Sozialversicherung zuzurechnenden – Bestimmungen über Leistungen beim Versicherungsfall der Mutterschaft zu unterlegen.
Dazu ist auszuführen:
1. Da der klagsgegenständliche Zeitraum vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 6 KBGG idF des BGBl I 2016/53 mit 1. 3. 2017 (§ 50 Abs 15 KBGG) liegt, ist § 6 KBGG noch in der davor geltenden Fassung BGBl I 2009/116 zur Anwendung zu bringen (RIS‑Justiz RS0008715 [T20]).
2. Gemäß § 6 Abs 1 KBGG idF BGBl I 2009/116 ruht der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld, sofern ein Anspruch auf Wochengeld gemäß § 162 des ASVG oder gleichartige Leistungen nach anderen österreichischen oder ausländischen Rechtsvorschriften oder ein Anspruch auf Wochengeld gemäß § 102a GSVG oder § 98 BSVG besteht, in der Höhe des Wochengeldes.
3. Der Zweck dieser Bestimmung liegt darin, zu verhindern, dass neben dem Kinderbetreuungsgeld noch weitere Mutterschaftsleistungen bezogen werden. Nach den Wertungen des Gesetzgebers sollen Mutterschaftsleistungen zwecks Vermeidung einer Mehrfachversorgung grundsätzlich nicht neben dem Kinderbetreuungsgeld gebühren. Dies entspricht ganz allgemein dem Ziel von Ruhensbestimmungen, Leistungen nicht zu gewähren, wenn ein Sicherungsbedürfnis vorübergehend weggefallen ist, wozu es insbesondere kommt, wenn eine andere funktionsgleiche Leistung bezogen wird. Ein Doppelbezug ist nur dann möglich, wenn die gleichzeitig gewährte Mutterschaftsleistung nicht die Höhe des Wochengeldes erreicht. In diesem Fall gebührt zusätzlich zur Mutterschaftsleistung der Differenzanspruch auf das höhere Kinderbetreuungsgeld (10 ObS 67/15y, SSV‑NF 29/49 mwN; Schober in Sonntag/Schober/Konezny, KBGG2 § 6 Rz 1 ff; Weißenböck in Holzmann-Windhofer/Weißenböck, KBGG, 95 f).
4. Es ist daher nicht am engen Wortsinn des § 6 Abs 1 KBGG zu haften, sondern eine am offenkundigen Zweck der Regelung orientierte Auslegung dahingehend geboten, dass nicht nur das Wochengeld, sondern jede gleichartige Leistung erfasst wird (10 ObS 72/11b, SSV‑NF 25/73). Deckt sich der Zweck einer anderen zustehenden in- oder ausländischen Leistung mit dem Zweck des Wochengeldes bzw der Betriebshilfe, dann führt auch der Anspruch auf diese Leistung zu einem Ruhen des Kinderbetreuungsgeldes.
5. Nach diesen Auslegungsgrundsätzen wurden von der bisherigen Rechtsprechung die Voraussetzungen für den Eintritt des Ruhenstatbestands nach § 6 Abs 1 Z 1 KBGG etwa durch den Bezug von Krankengeld nach der Satzung der Wohlfahrtskasse der Ärztekammer Oberösterreichs als erfüllt angesehen, das weiblichen Mitgliedern der Wohlfahrtskasse für Zeiten des Beschäftigungsverbots nach den §§ 3 und 5 MSchG gewährt wird (10 ObS 34/07h, SSV‑NF 21/18), ebenso durch den Bezug von Wochengeld, das nicht unmittelbar aufgrund der Satzung der Versorgungseinrichtung einer Kammer (Rechtsanwaltskammer), sondern aufgrund der auf dieser Grundlage errichteten vertraglichen Krankenversicherung gebührt (10 ObS 72/11b, SSV‑NF 25/73 = RIS‑Justiz RS0121927 [T1]; 10 ObS 67/15y, SSV‑NF 29/49 = RIS‑Justiz RS0121927 [T2]: keine Kürzung um die bezahlten Versicherungsprämien).
6.1 Nach § 8 Abs 4 erster Satz AngG in der bis zum 31. 12. 2015 geltenden Stammfassung behalten weibliche Angestellte den Anspruch auf das Entgelt während sechs Wochen nach ihrer Niederkunft; während dieser Zeit dürfen sie zur Arbeit nicht zugelassen werden.
6.2 Bei dem Anspruch nach § 8 Abs 4 AngG (aF) handelt es sich um einen arbeitsvertraglichen Entgeltfortzahlungsanspruch, der gegen den Arbeitgeber zusteht. Er wird durch die Regelungen des MSchG und des ASVG weitgehend verdrängt, besteht aber (doch) in jenen Fällen, in denen kein sozialversicherungsrechtlicher Anspruch auf Wochengeld gegeben ist (RIS-Justiz RS0027973). Mit anderen Worten resultiert dieser Anspruch aus dem Fehlen eines sozialversicherungsrechtlichen Anspruchs auf Wochengeld (9 ObA 23/16x).
6.3 Daraus ist abzuleiten, dass dem Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 8 Abs 4 AngG (aF) und dem Wochengeldanspruch die gleiche Zweckrichtung innewohnt, nämlich den durch die Mutterschaft erlittenen Entgeltverlust zu ersetzen und eine finanzielle Absicherung zu schaffen.
7.1 Dieser Zweck ist im Hinblick auf das Eintreten des Ruhens nach § 6 Abs 1 KBGG (aF) nicht davon abhängig zu machen, ob der Gesetzgeber die finanzielle Last hiefür dem Arbeitgeber oder der Versichertengemeinschaft der gesetzlichen Sozialversicherung auferlegt:
7.1.1 Der Wortlaut des § 6 Abs 1 KBGG (aF) schließt nicht aus, dass als dem Wochengeld „gleichartige Leistungen“ nicht nur Leistungen aus sozialversicherungsrechtlichen Regelungen anzusehen sind, die der Mutter gegenüber einem Versicherungsträger einen den Entgeltausfall infolge Mutterschaft ersetzenden Anspruch zuerkennen, sondern auch gesetzliche Reglungen, die den Dienstgeber (Arbeitgeber) verpflichten, nach der Entbindung das Entgelt weiterzuzahlen, um den infolge des mutterschaftsrechtlichen Beschäftigungsverbots eintretenden Einkommensausfall zu ersetzen (ohne dass der Arbeitgeber eine Arbeitsleistung erhält).
7.1.2 Dass diesem Verständnis systematische Gesichtspunkte entgegenstehen, weil es zu Widersprüchen innerhalb des KBGG oder der gesamten Rechtsordnung führen könnte, ist nicht ersichtlich. Derartige Widersprüche werden von der Revisionswerberin auch nicht aufgezeigt.
7.1.3 Die hier vorgenommene Auslegung findet Stütze in den Gesetzesmaterialien zu § 6 KBGG, in denen als Beispiel für eine dem Wochengeldanspruch gleichartige Leistung der Anspruch einer Beamtin auf Gehaltsfortzahlung während der Schutzfrist genannt wird (ErläutRV 620 BlgNR 21. GP 60), worauf in den Gesetzesmaterialien zum Bundesgesetz BGBl I 2007/76 bei § 8 Abs 1 Z 1 KBGG neuerlich Bezug genommen wird (ErläutRV 229 BlgNR 23. GP 6).
7.2 Später in Kraft getretene Vorschriften sind bei der Auslegung nicht mit zu beachten (16 Ok 52/05), außer es lassen sich aus der geänderten Bestimmung Rückschlüsse auf die bisherige Regelung ziehen (P. Bydlinski in KBB5 § 6 Rz 5). Das trifft auf die – zwecks Entlastung der Dienstgeber – vorgenommene Änderung des § 8 Abs 4 AngG mit Wirksamkeit zum 1. 1. 2016 durch das Arbeitsrechts-Änderungsgesetz 2015, BGBl I 2015/152 nicht zu, nach der der Entgeltfortzahlungsanspruch nicht für Zeiten gegeben ist, während derer ein Anspruch auf Wochengeld oder Krankengeld nach dem ASVG besteht, oder sich die Angestellte vor dem Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs 1 oder Abs 3 des MSchG (BGBl 1979/221) in einer Karenz nach dem MSchG oder einer mit dem Dienstgeber zur Kinderbetreuung vereinbarten Karenz befindet.
9. Die am Zweck der Regelung orientierte Auslegung des § 6 Abs 1 KBGG ergibt somit, dass auch die Entgeltfortzahlung nach § 8 Abs 4 AngG (aF) für weibliche Angestellte ohne Wochengeldanspruch während der ersten sechs Wochen nach der Entbindung als vergleichbare Leistung im Sinn des § 6 Abs 1 KBGG anzusehen ist (siehe auch Burger‑Ehrnhofer, Kinderbetreuungsgeldgesetz und Familienzeitbonusgesetz, § 6 Rz 12).
Dies führt zur Bestätigung der Urteile der Vorinstanzen.
10. Zur Kostenentscheidung:
Unterliegt der Versicherte im gerichtlichen Verfahren zur Gänze, hat er dem Grunde und der Höhe nach einen nach den in § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG genannten Maßstäben zu beurteilenden Kostenersatzanspruch. Nach dieser Bestimmung setzt ein Kostenersatzanspruch nach Billigkeit voraus, dass die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Versicherten einen Kostenersatz nahelegen und auch tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten des Verfahrens vorliegen. Es ist Sache des Versicherten, Umstände, die einen Kostenzuspruch nach Billigkeit rechtfertigen können, geltend zu machen, es sei denn, sie ergeben sich aus dem Akteninhalt (RIS-Justiz RS0085829 [T1]). Die Klägerin hat weder in der Revision vorgebracht, dass ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse einen Kostenersatzanspruch nahelegen, noch ergeben sich solche Anhaltspunkte aus der Aktenlage.
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