European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:010OBS00001.23D.0321.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Sozialrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Im Herbst 2021 waren bei der Bekämpfung des Waldbrandes in Reichenau an der Rax 7.700 Mitglieder der Feuerwehr im Einsatz, die vom Roten Kreuz, vom Bundesheer sowie von der Alpinpolizei und der Bergrettung unterstützt wurden. Unter den Einsatzkräften kam es zu Corona-Clustern, wobei auch der Kläger als Freiwilliger des Österreichischen Bergrettungsdiensts eine SARS‑CoV‑2‑Infektion erlitt. Der Österreichische Bergrettungsdienst ist eine Hilfs- und Rettungsorganisation mit der Aufgabe, insbesondere im unwegsamen, alpinen Gelände Verunglückten, Vermissten oder sonst in Not Geratenen zu helfen, sie zu versorgen, zu bergen und zu retten.
[2] Mit Bescheid vom 1. 3. 2022 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Erkrankung des Klägers (Infektionskrankheit COVID‑19) als Berufskrankheit oder Arbeitsunfall ab und sprach aus, dass kein Anspruch auf Leistungen aus der Unfallversicherung bestehe.
[3] Mit seiner gegen diesen Bescheid gerichteten Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass die während des Bergrettungseinsatzes erlittene Infektionskrankheit COVID-19 eine Berufskrankheit, in eventu ein Arbeitsunfall sei.
[4] Das Erstgericht wies das auf Feststellung des Vorliegens einer Berufskrankheit, hilfsweise eines Arbeitsunfalls gerichtete Klagebegehren ab.
[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise nicht Folge. Es bestätigte das angefochtene Urteil als Teilurteil im Umfang der Abweisung des auf Feststellung des Vorliegens einer Berufskrankheit gerichteten Klagebegehrens. Die Revision an den Obersten Gerichtshof ließ das Berufungsgericht nicht zu.
[6] Im Umfang des Eventualbegehrens auf Feststellung des Vorliegens eines Arbeitsunfalls gab es hingegen der Berufung Folge, hob das Urteil des Erstgerichts auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Im Umfang dieser Aufhebung sprach das Berufungsgericht aus, dass der Rekurs zulässig sei.
[7] Gegen das Teilurteil des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers, mit der er die Feststellung des Vorliegens einer Berufskrankheit anstrebt.
Rechtliche Beurteilung
[8] Die außerordentliche Revision des Klägers ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung unzulässig.
[9] 1. Nach § 177 Abs 1 ASVG undNummer 38 der Anlage 1 zum ASVG gelten Infektionskrankheiten als Berufskrankheiten, wenn sie durch Ausübung der die Versicherung begründenden Beschäftigung in Krankenhäusern, Heil- und Pflegeanstalten, Entbindungsheimen und sonstigen Anstalten, die Personen zur Kur und Pflege aufnehmen, in öffentlichen Apotheken, in Einrichtungen der Fürsorge, in Schulen, Kindergärten und Säuglingskrippen, im Gesundheitsdienst, in Laboratorien für wissenschaftliche und medizinische Untersuchungen und Versuche, in Justizanstalten und Hafträumen der Verwaltungsbehörden oder in Unternehmen, in denen eine „vergleichbare Gefährdung“ besteht, verursacht wurden.
[10] 2. Die gesetzlichen Vorgaben zeigen klar, dass der Gesetzgeber nicht auf eine Lückenlosigkeit des Systems abzielt, indem jede irgendwie mit der Berufstätigkeit in Zusammenhang stehende Infektionskrankheit als Berufskrankheit anzuerkennen ist (RIS‑Justiz RS0120384). Die Anerkennung als Berufskrankheit setzt vielmehr voraus, dass der Versicherte in einem in Anlage 1 zum ASVG angeführten Unternehmen tätig war. Der Oberste Gerichtshof hat bereits darauf hingewiesen, dass es verfassungsrechtlich unbedenklich ist, dass eine Krankheit für manche Berufsgruppen eine Berufskrankheit darstellt, für andere aber nicht (RS0054077).
[11] 3. Der Österreichische Bergrettungsdienst ist kein Unternehmen, das in Nummer 38 der Anlage 1 zum ASVG ausdrücklich angeführt wird. Eine Qualifikation der COVID‑19‑Infektion des Klägers als Berufskrankheit würde demnach voraussetzen, dass es sich beim Österreichischen Bergrettungsdienst um ein Unternehmen handelte, in dem eine „vergleichbare Gefährdung“ besteht. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers erfasst diese Generalklausel etwa den Bereich der Müllentsorgung oder Labore, in denen Blutderivate erzeugt werden (ErläutRV 1234 BlgNR 20. GP 35 f).
[12] 4. Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass die in Nummer 38 der Anlage 1 zum ASVG aufgezählten Unternehmen dadurch gekennzeichnet sind, dass die dort beschäftigten Personen nach durchschnittlicher Betrachtung und im Regelfall in einem ganz besonderen Ausmaß der Gefahr von Ansteckungen ausgesetzt sind, während das bloße Risiko, mit allenfalls Infizierten kurz in Kontakt zu kommen, dem alle Erwerbstätigen ausgesetzt sind, die in intensivem ständigen Kontakt mit Menschen stehen, nicht hinreicht, um Infektionskrankheiten als Berufskrankheit zu qualifizieren (10 ObS 74/16d SSV‑NF 30/47 mH auf 10 ObS 159/88 SSV‑NF 2/88 und 10 ObS 175/88). Im Übrigen hat der Oberste Gerichtshof erst kürzlich zu 10 ObS 149/22t die Voraussetzungen, unter denen eine „vergleichbare Gefährdung“ iSd Nummer 38 der Anlage 1 zum ASVG anzunehmen ist, ausführlich dargestellt. Maßgeblich für das Vorliegen eines Unternehmens, „in [dem] eine vergleichbare Gefährdung“ iSd Nummer 38 Anlage 1 zum ASVG besteht, ist danach die abstrakte – typischerweise – im Unternehmen bestehende Gefährdung, weil Nummer 38 Anlage 1 zum ASVG auf Unternehmen mit vergleichbarem Risiko, aber nicht auf Tätigkeiten abstellt, sodass es erforderlich ist, unabhängig von der konkreten Tätigkeit des Versicherten die Gefährdung im Unternehmen zu betrachten. Ausgehend davon wurde die Qualifikation der COVID-19‑Erkrankung eines Nachhilfelehrers – trotz des regelmäßigen Kontakts zu einer Vielzahl von Nachhilfeschülern – als Berufskrankheit abgelehnt.
[13] 5. Ausgehend von diesen Vorgaben ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanzen das Vorliegen einer Berufskrankheit im konkreten Fall verneint haben. Die Beschäftigten der Österreichischen Bergrettung haben im Regelfall überwiegend mit nicht infizierten Personen zu tun, sodass sich der Kontakt mit allenfalls Infizierten auf eine kurz eingegrenzte Zeit beschränkt. Einem solchen Risiko aber sind, wie schon das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, alle Erwerbstätigen ausgesetzt, die in Kontakt mit anderen Menschen stehen. Dass der Kläger während der Bekämpfung des Waldbrandes Kontakt zu zahlreichen Einsatzkräften hatte, ist nicht mit dem besonderen Infektionsrisiko in Schulen oder Haftanstalten vergleichbar, wo sich zahlreiche Personen für lange Zeit gemeinsam in einem geschlossenen Raum aufhalten.
[14] 6. Der Kläger zeigt mit seinen Ausführungen keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf. Die außerordentliche Revision ist daher zurückzuweisen.
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