European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00012.17P.0425.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 418,78 EUR (darin 69,80 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Die am ***** 1975 geborene Klägerin ist österreichische Staatsbürgerin, wohnt jedoch seit 2006 in Deutschland. Die Klägerin erwarb in Österreich in den Jahren 1990 bis 1993 überwiegend als Handelsarbeiterin 24 Beitragsmonate der Pflichtversicherung. Seit 1993 war die Klägerin nicht mehr erwerbstätig. Bis zum 31. 12. 2014 bezog die Klägerin von der Beklagten eine befristete Invaliditätspension.
In Deutschland hat die Klägerin nie gearbeitet. Sie bezog von 2008 bis 2012 deutsches Arbeitslosengeld (Hartz IV). Aufgrund dieses Arbeitslosengeldbezugs erhält sie in Deutschland seit 2013 eine Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von 14,30 EUR monatlich, welche bis Dezember 2016 bewilligt wurde.
Mit Bescheid vom 24. 3. 2015 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 9. 10. 2014 auf Weitergewährung der mit 31. 12. 2014 befristeten Berufsunfähigkeitspension ab, weil dauerhafte Berufsunfähigkeit nicht vorliege. Gleichzeitig sprach die Beklagte aus, dass ab 1. 1. 2015 weiterhin vorübergehende Invalidität vorliege und als Maßnahme der medizinischen Rehabilitation das Ergebnis weiterer Therapiemaßnahmen abzuwarten sei. Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation seien nicht zweckmäßig. In der Begründung wies die beklagte Partei darauf hin, dass für die Dauer der vorübergehenden Berufsunfähigkeit grundsätzlich Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung bestehe. Da die Klägerin aber nicht der österreichischen Krankenversicherung unterliege, solle sie sich hinsichtlich allfälliger Ansprüche an ihren zuständigen ausländischen Sozialversicherungsträger wenden.
Das Erstgericht wies das Begehren auf unbefristete Weitergewährung der Invaliditätspension über den 31. Dezember 2014 hinaus rechtskrätig ab und sprach aus, dass die Klägerin ab 1. 1. 2015 bis zur Wiedererlangung ihrer Arbeitsfähigkeit Anspruch auf Rehabilitationsgeld habe. Aufgrund des Sondercharakters des Rehabilitationsgeldes, das keine isolierte Leistung der Krankenversicherung sei, sondern vielmehr ausschließlich im Zusammenhang mit einem Antrag auf eine Pension wegen geminderter Erwerbsfähigkeit in Betracht komme, sei Österreich aufgrund des Primärrechts der Europäischen Union zu seiner Gewährung zuständig. Ein Arbeitnehmer, der von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch mache, solle dadurch nicht die Vergünstigung der sozialen Sicherheit verlieren, die ihm die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats sichern.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge und ließ die Revision zu.
Rechtliche Beurteilung
Die vom Kläger beantwortete Revision der beklagten Partei ist mangels einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
1. Im Revisionsverfahren strittig ist nur noch die Frage der Exportfähigkeit des Rehabilitationsgeldes ins EU‑Ausland für den hier relevanten Zeitraum ab 1. 1. 2015, in dem die Klägerin ihren Wohnsitz in Deutschland hatte.
Der Oberste Gerichtshof hat zu dieser Frage in der am 20. 12. 2016 zu AZ 10 ObS 133/15d (somit nach Einbringung der Revision) ergangenen Entscheidung ausführlich Stellung genommen.
Nach dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt hatte die dortige Klägerin in Österreich Versicherungszeiten erworben, dann von der beklagten Partei eine befristete Invaliditätspension bezogen, an die der Rehabilitationsgeldbezug unmittelbar anschließen sollte. Der Wohnsitz der Klägerin lag – jedenfalls bei Antragstellung auf Weitergewährung – im EU‑Ausland (in der Bundesrepublik Deutschland).
Der Oberste Gerichtshof kam zusammengefasst zu folgenden Ergebnissen:
1.1 Im Kontext der Sozialrechtskoordinierung stellt das Rehabilitationsgeld eine Geldleistung bei Krankheit im Sinne des Art 3 Abs 1 lit a der VO (EG) 883/2004 dar. Diese Einordnung als Geldleistung bei Krankheit hat Auswirkungen auf die unionsrechtliche Leistungszuständigkeit nach der VO 883/2004 .
1.2 Grundsatz der Koordinierungsregelungen der VO 883/2004 ist nach ihrem Art 11 Abs 1, dass Personen, für die die Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegen.
1.3 Welche Rechtsvorschriften anwendbar sind, bestimmt sich zunächst nach den Sonderkollisionsnormen der Titel III und V der VO 883/2004 , dann nach den Bestimmungen in Art 12–16 und schließlich nach Art 11 Abs 3 der VO 883/2004 .
2.1 Ist an sich der ausländische Wohnsitzmitgliedstaat für die Erbringung der Leistung bei Krankheit zuständig, ist allerdings der Sondercharakter des Rehabilitationsgeldes zu beachten, das nicht eindeutig den Leistungen bei Krankheit bzw den Leistungen bei Invalidität zugeordnet werden kann (vgl EuGH C‑388/09, da Silva Martins , Rn 48, zum deutschen Pflegegeld). Diese Charakterisierung kann zu einer Leistungspflicht (auch Exportpflicht) des nach den Bestimmungen der VO 883/2004 nicht leistungszuständigen Mitgliedstaats führen.
2.2 Die Annahme einer alleinigen Zuständigkeit des ausländischen Wohnsitzmitgliedstaats und der damit einhergehende Leistungsverlust trotz bereits im Inland erworbener Versicherungszeiten kann nämlich in bestimmten Fällen die primärrechtlich verbürgte unionsrechtliche Freizügigkeit beschränken. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um die Inanspruchnahme der Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß Art 45 ff AEUV oder der allgemeinen Freizügigkeit von Unionsbürgern gemäß Art 18 ff AEUV handelt (EuGH C‑503/09, Stewart , Rn 77 ff).
2.3 Der EuGH stellt darauf ab, ob die Leistung mit Sondercharakter eine begünstigende Gegenleistung für die in einem bestimmten Mitgliedstaat (hier: Österreich) in ein separates Versicherungssystem eingezahlten Versicherungs-beiträge darstellt. Der Sondercharakter führt (nur) dann zur Leistungszuständigkeit dieses Mitgliedstaats, wenn die betroffene Person diese Vergünstigung deshalb verliert, weil sie von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, indem sie ihren Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt. Eine Beschränkung der Freizügigkeit wird insbesondere dann vorliegen, wenn der aktuelle Wohnsitzmitgliedstaat keine dem Rehabilitationsgeld entsprechende Leistung kennt.
3. In diesem Sinn ist im Einzelfall zu prüfen, ob ein primärrechtlich fundierter Exportanspruch gegeben ist.
3.1 Das Rehabilitationsgeld ist eine Vergünstigung, die eine Gegenleistung für die vom Versicherten in Österreich entrichteten Pensionsversicherungsbeiträge darstellt. Aufgrund des Sondercharakters des Rehabilitationsgeldes ist – worauf das Erstgericht zutreffend hingewiesen hat – im Zuständigkeitswechsel und Leistungsverlust allein durch die Wohnsitzverlegung eine Beschränkung der primärrechtlichen Freizügigkeit zu sehen. Der Leistungsverlust wäre auf die Inanspruchnahme der Freizügigkeit zurückzuführen. Der Wohnsitzmitgliedstaat Deutschland kennt keine dem Rehabilitationsgeld entsprechende Geldleistung. Die Nahebeziehung zum österreichischen System der sozialen Sicherheit ist durch die erworbenen Versicherungszeiten sowie durch den Bezug einer befristeten Berufsunfähigkeitspension dokumentiert.
3.2 Um die Vereinbarkeit mit dem Primärrecht herzustellen, ist der Umstand, dass der Versicherte durch Beiträge Versicherungszeiten in Österreich erworben hat, deretwegen überhaupt erst Anspruch auf Rehabilitationsgeld besteht, in die Beurteilung der Leistungszuständigkeit einzubeziehen. Da das Rehabilitationsgeld als Leistung zwischen Krankheit und Invalidität einzuordnen ist und die Anknüpfung an erworbene Versicherungszeiten den Bestimmungen über Leistungen bei Invalidität entspricht, sind diese Bestimmungen bei der Prüfung der Zuständigkeit für die einzelnen Versicherungszeiten zu beachten.
3.3 Um den Leistungsverlust zu verhindern und die Vereinbarkeit mit dem Primärrecht herzustellen, haben dem Versicherten die Regeln der Art 45 ff iVm Art 50 ff VO 883/2004 zugute zu kommen. Erfüllt er die übrigen Anspruchsvoraussetzungen für das Rehabilitationsgeld nach nationalem Recht, ist dieses nach Art 21 Abs 1 der VO 883/2004 in die Bundesrepublik Deutschland zu exportieren.
4. Diese Aussagen treffen auch auf den vorliegenden Fall zu.
Im Vergleich zur Entscheidung 10 ObS 133/15d ist der vorliegende Fall dadurch gekennzeichnet, dass der Rehabilitationsgeldbezug zeitlich zumindest bis Dezember 2016 mit dem Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente in Deutschland zusammenfällt.
4.1 Dies ändert jedoch nichts an der Zuständigkeit Österreichs:
Im Hinblick auf die Stellung der Klägerin als Rentnerin ergibt sich die Zuständigkeit für Geldleistungen bei Krankheit nicht nach Art 11 der VO 883/2004 , sondern nach den Sonderkollisionsnormen des Titels III Kapitel I der VO 883/2004 . Nach Art 29 VO 883/2004 werden Geldleistungen einer Person, die eine Rente oder Renten nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten erhält, vom zuständigen Träger des Mitgliedstaats gewährt, in dem der zuständige Träger seinen Sitz hat, der die Kosten für die dem Rentner in dessen Wohnsitzmitgliedstaat gewährten Sachleistungen zu tragen hat. Für Sachleistungen aus Krankheit und Mutter‑/Vaterschaft ist gemäß Art 23 der Wohnsitzstaat für einen Rentner zuständig, der (Teil‑)Renten aus mehreren Staaten, inklusive des Wohnsitzstaats bezieht.
Demnach wäre für die Klägerin die Zuständigkeit ihres im EU‑Ausland gelegenen Wohnsitzstaats (der Bundesrepublik Deutschland) für Geldleistungen bei Krankheit gegeben, sodass grundsätzlich kein Anspruch auf Rehabilitationsgeld gegeben wäre. Im Hinblick auf den Sondercharakter des Rehabilitationsgeldes kann aber auf die in der Entscheidung 10 ObS 133/15d enthaltenen Aussagen verwiesen werden. Um den Leistungsverlust zu verhindern und die Vereinbarkeit mit dem Primärrecht herzustellen, ist unter Anwendung der Art 45 ff iVm Kapitel 5 der VO 883/2004 an die in Österreich erworbenen Versicherungszeiten anzuknüpfen (ebenso 10 ObS 75/16a, RIS‑Justiz RS0131207 [T2]).
5. Da die Klägerin die Anspruchsvoraussetzungen für das Rehabilitationsgeld nach nationalem Recht erfüllt, ist dieses nach Art 21 Abs 1 VO 883/2004 in die Bundesrepublik Deutschland zu exportieren.
6. Eine zur Zeit der Einbringung des Rechtsmittels tatsächlich erhebliche Rechtsfrage fällt weg, wenn sie durch eine andere Entscheidung des Obersten Gerichtshofs – hier durch die Entscheidung 10 ObS 133/15d –mittlerweile geklärt wurde (RIS‑Justiz RS0112921 [T5]).
Die Revision war daher zurückzuweisen.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Dass der Kläger in der Revisionsbeantwortung nicht auf die Entscheidung 10 ObS 133/15d hingewiesen hat, schadet nicht, weil diese Entscheidung erst nach Erstattung der Revisionsbeantwortung veröffentlicht wurde (RIS‑Justiz RS0123861).
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