Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei zu Handen des Klagevertreters die mit EUR 333,12 (davon EUR 55,52 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die beklagte Partei lehnte mit Bescheid vom 18. 1. 2005 den Antrag des Klägers auf Gewährung der Invaliditätspension mit der Begründung ab, dass ein bereits vor Eintritt in das Berufsleben eingetretener im Wesentlichen unverändert gebliebener Zustand nicht zum Eintritt des Versicherungsfalls der Invalidität führen könne.
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger fristgerecht Klage mit dem Begehren auf Gewährung der abgelehnten Leistung im gesetzlichen Ausmaß. Da er bereits seit seiner Geburt an einem Hydrocephalus (Wasserkopf) leide und deshalb bereits vor der erstmaligen Aufnahme einer die Pflichtversicherung begründenden Beschäftigung nicht im Stande gewesen sei, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen, er jedoch mehr als 120 Beitragsmonate in der Pflichtversicherung erworben habe und aufgrund einer massiven Verschlechterung seines Gesundheitszustandes in den letzten Jahren nicht mehr im Stande sei, die bisherige Tätigkeit weiter zu verrichten, habe er gemäß § 255 Abs 7 ASVG Anspruch auf Invaliditätspension.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, § 255 Abs 7 ASVG erfordere neben einer schon vor dem Eintritt in das Berufsleben bestehenden Erwerbsunfähigkeit und 120 erworbenen Beitragsmonaten der Pflichtversicherung auch ein weiteres Herabsinken des Gesundheitszustandes, welches beim Kläger nicht vorliege. Überdies sei der Kläger laufend pflichtversichert.
Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger ab 1. 10. 2004 eine Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren. Dabei ging es von dem unstrittigen Sachverhalt aus, dass der am 23. 2. 1957 geborene Kläger seit seiner Geburt an einem Wasserkopf leidet. Sein Leiden bestand bereits vor dem Eintritt in das Berufsleben. Mit Bescheid vom 1. 7. 1980 wurde ihm eine Waisenpension zuerkannt. Der Kläger hat stets als Stallarbeiter gearbeitet, war laufend pflichtversichert und hat 330 Beitragsmonate erworben. Er war zu keinem Zeitpunkt am allgemeinen Arbeitsmarkt arbeitsfähig.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, dass nach § 255 Abs 7 ASVG ein Versicherter auch als invalid gelte, wenn er bereits vor der erstmaligen Aufnahme einer die Pflichtversicherung begründenden Beschäftigung infolge einer Krankheit, anderer Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte außer Stande gewesen sei, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen, dennoch aber mindestens 120 Beitragsmonate der Pflichtversicherung nach dem ASVG oder einem anderen Bundesgesetz erworben habe. Dass § 255 Abs 7 ASVG als zusätzliche Voraussetzung eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes eines bereits als arbeitsunfähig qualifizierten Versicherten erfordere, sei im Gesetz nicht begründet. Da der Kläger alle Voraussetzungen des § 255 Abs 7 ASVG erfülle, habe er einen originären Anspruch auf Invaliditätspension.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei keine Folge und bestätigte das Ersturteil mit der Maßgabe, dass der Anspruch des Klägers auf Invaliditätspension dem Grunde nach ab 1. 10. 2004 zu Recht bestehe, die Leistung aber erst anfalle, wenn der Kläger seine die Pflichtversicherung begründende Tätigkeit als Stallarbeiter aufgebe. Weiters trug das Berufungsgericht der beklagten Partei auf, dem Kläger ab Aufgabe seiner Tätigkeit als Stallarbeiter bis zu Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung von EUR 200 monatlich zu erbringen. Das Berufungsgericht pflichtete der Rechtsansicht des Erstgerichtes bei, dass für einen Pensionsanspruch nach § 255 Abs 7 ASVG neben der bereits bei der erstmaligen Aufnahme einer die Pflichtversicherung begründenden Beschäftigung bestehenden Unfähigkeit, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen, und dem Erfordernis, dennoch mindestens 120 Beitragsmonate in der Pflichtversicherung erworben zu haben, keine zusätzlichen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sein müssten. Das von der Berufungswerberin aus den Gesetzesmaterialien herausgelesene zusätzliche Erfordernis, dass der Versicherte durch eine weitere Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zum Ausscheiden aus der Tätigkeit gezwungen sein müsse, habe im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden. Da der Kläger seine bisherige Tätigkeit als Stallarbeiter noch nicht aufgegeben habe, falle die Pensionsleistung jedoch gemäß § 86 Abs 3 Z 2 dritter Satz ASVG bis zur Aufgabe dieser Tätigkeit vorerst nicht an.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur Frage, ob der Anspruch auf Invaliditätspension nach § 255 Abs 7 ASVG auch eine wesentliche Verschlechterung der Arbeitsfähigkeit, die zur Aufgabe der bis dahin ausgeübten Beschäftigung zwinge, voraussetze, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehle.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, dem Rechtsmittel keine Folge zu geben.
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revisionswerberin macht geltend, die Bestimmung des § 255 Abs 7 ASVG beziehe sich auf Versicherte, deren Arbeitsfähigkeit bereits bei Beginn einer Erwerbstätigkeit unter der Hälfte eines körperlich und geistig gesunden Versicherten gelegen sei. Durch die Gesetzesänderung sei behinderten Menschen, die bei Eintritt in die Erwerbstätigkeit - rechtlich - aufgrund ihrer starken gesundheitlichen Einschränkungen bereits „arbeitsunfähig" gewesen seien, dennoch über lange Zeit einer Erwerbstätigkeit nachgegangen seien, die Möglichkeit eingeräumt worden, eine Versicherungsleistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit in Anspruch zu nehmen. Durch die Verweisung des § 255 Abs 7 ASVG auf die Absätze 1 bis 4 dieser Bestimmung werde aber zum Ausdruck gebracht, dass - ebenso wie in diesen Absätzen - eine weitere Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Versicherten gegeben sein müsse. Eine andere Gesetzesauslegung hätte zur Folge, dass § 255 Abs 7 ASVG die Wirkung einer bloßen Wartezeitbestimmung zukäme. Einem Versicherten, der bereits bei erstmaligem Eintritt in das Erwerbsleben arbeitsunfähig sei, stünde es somit frei, bei Erfüllung der Mindestvoraussetzung von 120 Beitragsmonaten die Invaliditätspension in Anspruch zu nehmen. Der Umstand, ob die bisher ausgeübte Tätigkeit weiter ausgeübt werden könne bzw eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes iSd § 255 Abs 1 bis 4 ASVG eingetreten sei, bliebe unbeachtet. Es sei daher im vorliegenden Fall zu klären, ob und inwieweit sich der Gesundheitszustand des Klägers seit Beginn der Aufnahme der Beschäftigung weiter verschlechtert habe.
Der erkennende Senat hat dazu Folgendes erwogen:
Sowohl bei der Invaliditätspension aus der Pensionsversicherung der Arbeiter (§ 254 ASVG) als auch bei der Berufsunfähigkeitspension aus der Pensionsversicherung der Angestellten (§ 271 ASVG) handelt es sich um Leistungen aus Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit (§ 222 Abs 1 Z 2 lit a und b ASVG). Gemeinsam ist beiden Pensionsleistungen der beabsichtigte Schutz vor den Auswirkungen einer körperlich oder geistig bedingten Herabsetzung der Arbeitsfähigkeit. Verschieden ist jeweils die Vergleichsgröße, an der das Ausmaß der Herabsetzung der Arbeitsfähigkeit gemessen wird. Während § 255 Abs 1 und § 273 Abs 1 ASVG darauf abstellen, dass die Arbeitsfähigkeit auf weniger als die Hälfte derjenigen eines gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist, stellt § 255 Abs 3 ASVG auf die Fähigkeit ab, durch eine auf dem Arbeitsmarkt noch bewertete und zumutbare Tätigkeit wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erzielen, das ein gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt. Während es somit bei überwiegend als Hilfsarbeiter gewesenen Arbeitern auf die Erzielbarkeit der sogenannten „Lohnhälfte" ankommt, ist bei überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen tätig gewesenen Arbeitern oder bei Angestellten entscheidend, ob ihre Arbeitsfähigkeit mindestens noch die Hälfte derjenigen eines gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten erreicht. Es besteht daher ein Anspruch auf Invaliditätspension bzw Berufsunfähigkeitspension, wenn die (individuelle) Arbeitsfähigkeit eines in der Pensionsversicherung der Arbeiter oder der Angestellten Versicherten auf weniger als die Hälfte der einer körperlich und gesunden Vergleichsperson herabgesunken ist. Diese voll arbeitsfähige (typisierte) Vergleichsperson ist bei Facharbeitern und Angestellten ein Versicherter von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten (§ 255 Abs 1 und § 273 Abs 1 ASVG), bei Hilfsarbeitern ein Versicherter, der eine auf dem Arbeitsmarkt noch bewertete und dem Pensionswerber zumutbare Tätigkeit ausübt (SSV-NF 9/46). Unter „Arbeitsfähigkeit" iSd §§ 255, 273 ASVG ist daher grundsätzlich die Fähigkeit des Versicherten zu verstehen, sich durch Ausnützen seiner Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt einen Erwerb zu verschaffen. Damit ein Pensionsanspruch begründet ist, muss die Resterwerbsfähigkeit des Versicherten geringer als die Hälfte der Vollerwerbsfähigkeit einer gesunden Vergleichsperson sein. Maßstab für die Ermittlung der Resterwerbsfähigkeit ist regelmäßig der Arbeitsverdienst, den der Versicherte mit seinem körperlichen und geistigen Zustand noch zu erzielen in der Lage ist (SSV-NF 9/46).
Im Hinblick auf diese dargestellte Rechtslage hat der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit nach ständiger Rechtsprechung zur Voraussetzung, dass eine zuvor bestandene Arbeitsfähigkeit, die zumindest die Hälfte der eines körperlich und geistigen gesunden Versicherten erreicht haben muss, durch nachfolgende Entwicklungen beeinträchtigt wurde. Ein bereits vor Beginn der Erwerbstätigkeit eingetretener und damit in das Versicherungsverhältnis mitgebrachter, im Wesentlichen unveränderter körperlicher oder geistiger Zustand kann bei Leistungen aus den Versicherungsfällen geminderter Arbeitsfähigkeit nicht zum Eintritt des Versicherungsfalles führen. Die Bestimmungen der §§ 255 Abs 1 und 3 sowie 273 ASVG stellen somit immer darauf ab, ob der Versicherte zu einem bestimmten Zeitpunkt arbeitsfähig war, bevor diese Fähigkeit durch nachfolgende Entwicklungen ganz oder teilweise verloren gegangen ist (SSV-NF 1/33, 2/60, 4/160, 5/14, 5/100, 15/62, 16/1 ua; RIS-Justiz RS0084829, RS0085107). Auch die Versicherungsfälle der Erwerbsunfähigkeit in § 124 Abs 1 BSVG und § 133 Abs 1 GSVG haben zur Voraussetzung, dass zuvor Erwerbsfähigkeit bestand und diese durch eine nachfolgende Entwicklung beeinträchtigt wurde (SSV-NF 2/87, 13/30 ua).
Nach der mit 1. 1. 2004 in Kraft getretenen Bestimmung des § 255 Abs 7 ASVG idF 2. SVÄG 2003, BGBl I 2003/145, gilt der Versicherte auch dann als invalid iSd Abs 1 bis 4, wenn er bereits vor der erstmaligen Aufnahme einer die Pflichtversicherung begründenden Beschäftigung infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte außer Stande war, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen, dennoch aber mindestens 120 Beitragsmonate der Pflichtversicherung nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz erworben hat. In den Gesetzesmaterialien (abgedruckt in Teschner/Widlar, MGA, ASVG 87. Erg-Lfg § 255 Anm 15) wird einleitend auf die bereits oben dargestellte Gesetzeslage verwiesen, wonach der Eintritt des Versicherungsfalles der Invalidität/Berufsunfähigkeit eine Änderung, nämlich eine Verschlechterung der physischen und psychischen Leistungsfähigkeit des Versicherten im Laufe seines Erwerbslebens, also seit dem Zeitpunkt des erstmaligen Eintritts in die Pflichtversicherung, voraussetze und die Arbeitsfähigkeit des Versicherten auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig Gesunden von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken sein müsse. Es wird unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die bereits erwähnte ständige Rechtsprechung, wonach ein bereits vor dem Beginn der Erwerbstätigkeit eingetretener und damit in das Versicherungsverhältnis eingebrachter, im Wesentlichen unveränderter körperlicher oder geistiger Zustand den Versicherungsfall der geminderten Erwerbsfähigkeit nicht bedingen könne, weiters ausgeführt, dass diese Rechtslage nach Ansicht der Volksanwaltschaft nicht verständlich erscheine, wenn eine Person viele Jahre hindurch trotz gerichtlich festgestellter Arbeitsunfähigkeit aktiv dem Arbeitsmarkt und damit der Versicherungsgemeinschaft angehöre und Versicherungszeiten erworben habe. Durch die Gesetzesänderung solle - einer Anregung der Volksanwaltschaft folgend - nunmehr auch Menschen, die bei Eintritt in die Erwerbstätigkeit aufgrund ihrer starken gesundheitlichen Einschränkungen „arbeitsunfähig" gewesen seien, dennoch über lange Zeit einer Erwerbstätigkeit nachgegangen seien und im Fall einer weiteren Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes zum Ausscheiden aus ihrer Tätigkeit gezwungen seien, ermöglicht werden, einen Anspruch auf Leistungen aus einem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit zu erwerben. Voraussetzung hiefür solle sein, dass diese Personen zehn Beitragsjahre der Pflichtversicherung erworben habe. Diese Maßnahme solle auch einen Anreiz für Behinderte darstellen, sich in den regulären Arbeitsmarkt aktiv zu integrieren und auf diese Weise einen Anspruch auf eine Pension aus einem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit zu erwerben. Nach § 273 Abs 2 ASVG gilt die Regelung des § 255 Abs 7 ASVG entsprechend auch für den Begriff der Berufsunfähigkeit iSd § 273 Abs 1 ASVG. Entsprechende Regelungen finden sich weiters in § 133 Abs 6 GSVG und § 124 Abs 4 BSVG für den Begriff der Erwerbsunfähigkeit im Sinne dieser Gesetze.
Der Gesetzgeber hat durch die Regelung des § 255 Abs 7 ASVG einen Anspruch auf Invaliditätspension auch bei originärer Invalidität geschaffen. Er ist damit für den Anwendungsbereich dieser Bestimmung ganz bewusst von der im § 255 Abs 1 und 3 ASVG normierten Voraussetzung abgegangen, wonach eine bei Beginn der Erwerbstätigkeit bestandene Arbeitsfähigkeit, die zumindest die Hälfte der einer körperlich und geistig gesunden Vergleichsperson erreicht haben muss, durch nachfolgende Entwicklungen auf weniger als die Hälfte derjenigen einer körperlich und geistig gesunden Vergleichsperson herabgesunken sein muss. Der Gesetzgeber wollte damit auch Menschen, deren Arbeitsfähigkeit bereits bei Eintritt in die Erwerbstätigkeit aufgrund ihrer starken gesundheitlichen Einschränkungen auf weniger als die Hälfte derjenigen einer körperlich und gesunden Vergleichsperson beschränkt war und die somit im Sinne der pensionsrechtlichen Bestimmungen (§§ 255, 273 ASVG) „arbeitsunfähig" waren, den Erwerb eines Anspruchs aus einem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit unter der Voraussetzung, dass sie dennoch über lange Zeit einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sind, ermöglichen. Damit sollte für behinderte Menschen ein Anreiz geschaffen werden, sich in den regulären Arbeitsmarkt aktiv zu integrieren und auf diese Weise einen Anspruch auf eine Pension aus einem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit zu erwerben. Der Gesetzgeber verlangt für die Anwendung der Bestimmung des § 255 Abs 7 ASVG nicht, dass bei dem Versicherten bei Eintritt in die Erwerbstätigkeit eine bestimmte „Restarbeitsfähigkeit" vorhanden gewesen sein muss, sodass auch Versicherte, die aufgrund ihrer starken gesundheitlichen Einschränkungen praktisch vollständig „arbeitsunfähig" waren, jedoch aus besonderem Entgegenkommen eines Dienstgebers über lange Zeit einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sind, in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fallen.
Voraussetzung für einen Anspruch auf Invaliditätspension nach § 255 Abs 7 ASVG ist lediglich, dass der Versicherte bereits vor der erstmaligen Aufnahme einer die Pflichtversicherung begründenden Beschäftigung außer Stande war, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen, dennoch aber mindestens 120 Beitragsmonate der Pflichtversicherung nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz erworben hat. Zutreffend hat bereits das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass das von der Revisionswerberin verlangte zusätzliche Erfordernis, der Versicherte müsse durch eine weitere Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zum Ausscheiden aus seiner bisherigen Tätigkeit gezwungen gewesen sein, im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden hat. Es trifft zwar zu, dass in den bereits zitierten Gesetzesmaterialien auf den Fall Bezug genommen wird, dass der Versicherte durch eine weitere Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zum Ausscheiden aus seiner Tätigkeit gezwungen wird. Mit Recht hat das Berufungsgericht aber darauf hingewiesen, dass es sich dabei um einen möglichen - in der Praxis vielleicht am häufigsten auftretenden - Grund für die Beendigung der Tätigkeit des Versicherten handelt und ein weiterer möglicher Grund für das Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis auch darin bestehen kann, dass der Arbeitgeber des Versicherten, der diesen trotz der nicht vorhandenen Arbeitsfähigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt aus Entgegenkommen beschäftigt hat, sein Unternehmen aufgibt und der Versicherte wegen seiner immer schon bestehenden Arbeitsunfähigkeit für eine andere Tätigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt von Vornherein nicht in Betracht kommt. Im Übrigen ist bei der Auslegung des § 255 Abs 7 ASVG zu berücksichtigen, dass die Gesetzesmaterialien weder das Gesetz selbst sind, noch eine authentische Interpretation des Gesetzes darstellen. Ein Rechtssatz, der nur in den Gesetzesmaterialien steht und im Gesetz keinen Niederschlag gefunden hat, kann daher auch nicht im Wege der Auslegung Geltung erlangen (Posch in Schwimann, ABGB³ § 6 Rz 17 mwN).
Soweit die Revisionswerberin meint, die Notwendigkeit einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Versicherten im Anwendungsbereich des § 255 Abs 7 ASVG werde auch durch die in dieser Gesetzesstelle enthaltene Verweisung auf die Absätze 1 bis 4 zum Ausdruck gebracht, ist ihr entgegenzuhalten, dass, wie bereits dargelegt, das insbesondere den Absätzen 1 bis 3 des § 255 ASVG zugrundeliegende „Herabsinken" der Arbeitsfähigkeit ein Herabsinken der Arbeitsfähigkeit auf weniger als die Hälfte derjenigen einer körperlich und gesunden Vergleichsperson zum Inhalt hat und ein solcher Maßstab im Anwendungsbereich des § 255 Abs 7 ASVG aus den bereits dargelegten Gründen nicht in Betracht kommt. Da sich der Anwendungsbereich des § 255 Abs 7 ASVG nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers auf Menschen erstreckt, die bei Eintritt in die Erwerbstätigkeit bereits „arbeitsunfähig" waren, wäre auch nicht nachvollziehbar, welche Kriterien für die Beurteilung einer weiteren Verminderung der „Arbeitsfähigkeit" durch eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Versicherten heranzuziehen wären. Auch der Frage, ob der Versicherte noch in der Lage ist, die von ihm zuletzt ausgeübte Tätigkeit weiterhin zu verrichten, kommt im Anwendungsbereich des § 255 Abs 7 ASVG keine maßgebende Bedeutung zu. Dem Umstand, dass ein Versicherter über die Arbeitskraft verfügt, die ihn befähigt, die bisher ausgeübte Tätigkeit ohne Beeinträchtigung seines Gesundheitszustandes weiterhin auszuüben, kommt nämlich nur insoweit Bedeutung zu, als dadurch zum Ausdruck gebracht wird, dass seine Arbeitsfähigkeit nicht unter die Hälfte derjenigen eines zum Vergleich heranzuziehenden „gesunden" Versicherten gesunken sein kann, weil auch dieser nur über eine solche Arbeitskraft verfügen muss (SSV-NF 1/37). Die Bestimmung des § 255 Abs 7 ASVG setzt jedoch, wie bereits mehrfach erwähnt, voraus, dass der Versicherte bereits vor der erstmaligen Aufnahme einer die Pflichtversicherung begründenden Beschäftigung infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte außer Stande war, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen. Eine Verweisung des Versicherten auf andere Tätigkeiten unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes kommt daher in diesem Fall von Vornherein nicht in Betracht.
Aufgrund der dargestellten Erwägungen teilt der erkennende Senat die Rechtsansicht der Vorinstanzen, wonach ein Anspruch auf Invaliditätspension gemäß § 255 Abs 7 ASVG eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Versicherten seit Eintritt in das Erwerbsleben nicht zur Voraussetzung hat. Es liegt somit auch nicht der in diesem Zusammenhang von der Revisionswerberin geltend gemachte Feststellungsmangel vor.
Die Revision musste daher erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)