OGH 10ObS108/11x

OGH10ObS108/11x8.11.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Andrea Eisler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J*****, vertreten durch den Sachwalter Dr. Franz R*****, dieser vertreten durch Mag. Peter Edelsbrunner, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, 1030 Wien, Barichgasse 38, wegen Pflegegeld, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 31. August 2011, GZ 7 Rs 58/11w-21, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Nach § 4 Abs 2 BPGG sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Pflegegelds der Stufe 7 gegeben, wenn keine zielgerichteten Bewegungen der vier Extremitäten mit funktioneller Umsetzung möglich sind oder ein gleichzuachtender Zustand vorliegt. Der Gesetzgeber hat durch die Formulierung dieser Erfordernisse in § 4 Abs 2 BPGG zu erkennen gegeben, dass er die darin beschriebene umfassende Bewegungseinschränkung (bzw einen gleichzuachtenden Zustand) als höchsten Grad der Pflegebedürftigkeit ansieht. Schon ein (einziger) dem Pflegebedürftigen noch möglicher Bewegungsablauf dieser Qualität schließt daher die Zuerkennung von Pflegegeld der Stufe 7 aus (10 ObS 231/00v; RIS-Justiz RS0106363 [T12]). Kann ein Pflegebedürftiger beispielsweise Essen zum Mund führen oder einen Schnabelbecher zum Mund heben und daraus trinken, kann er Bewegungen, die zu einem bestimmten beabsichtigten Zweck dienen, willentlich steuern; damit sind aber zielgerichtete Bewegungen mit funktioneller Umsetzung noch möglich. Es muss sich im weitesten Sinn jeweils um Bewegungen handeln, die geeignet sind, die Pflege zu erleichtern oder den pflegerischen Aufwand - wenn auch geringfügig - zu mindern bzw die Lebensführung des Betroffenen zu erleichtern (RIS-Justiz RS0106363 [T20, T23]).

Nach den Feststellungen gab der Kläger der Sachverständigen spontan die Hand. Er kann vorgeschnittenes Brot selbstständig zum Mund führen; er greift mit beiden Händen nach einem Handtuch, das auf seinem oberen Brustkorbbereich liegt und wischt sich (nach dem Rasieren) Seifenreste aus dem Gesicht. Das Berufungsgericht ging deshalb im Sinne der zitierten Rechtsprechung (trotz der Gehunfähigkeit und des Unvermögens des Klägers zum selbstständigen Lagewechsel) vertretbar davon aus, dass zielgerichtete Bewegungen der oberen Extremitäten mit funktioneller Umsetzung noch möglich seien. Dass der Kläger - wie sich aus dem Gutachten der Sachverständigen ergibt - infolge seiner weit fortgeschrittenen Demenz vom Alzheimertyp während der Essenseinnahme auf das (Weiter-)Essen vergisst, ist kein Kriterium für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 4 Abs 2 BPGG, sondern nach § 4 Abs 1 der Einstufungsverordnung (EinstV) zu beurteilen: Danach sind die Anleitung und die Beaufsichtigung von Menschen mit geistiger oder psychischer Behinderung bei der Durchführung der in den §§ 1 und 2 angeführten Verrichtungen der Betreuung und Hilfe selbst gleichzusetzen. Der bestehende Pflegeaufwand - etwa für das Einnehmen von Mahlzeiten (§ 1 Abs 4 EinstV) - ist anzuerkennen, weil der Kläger, wenngleich nicht wegen körperlicher Bewegungsunfähigkeit, so doch wegen seiner geistigen oder psychischen Einschränkungen besondere Betreuung braucht.

Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Kläger die Voraussetzungen für ein Pflegegeld in Höhe der Stufe 7 nicht erfüllt, entspricht daher der Rechtsprechung des erkennenden Senats zu vergleichbaren Fällen (10 ObS 377/97g; 10 ObS 33/98w, SSV-NF 12/18 - zur notwendigen Anleitung zu den Verrichtungen des täglichen Lebens infolge Antriebslosigkeit; zur Rechtslage nach Inkrafttreten der BPGG-Nov 1998: 10 ObS 5/07v, SSV-NF 21/16; 10 ObS 114/07y). Der in der Revision gerügte Feststellungsmangel, der im Fehlen einer Feststellung zum Vergessen auf das (Weiter-)Essen liegen soll, ist nicht gegeben.

Da der Revisionswerber insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen konnte, ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

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