OGH 10Ob96/11g

OGH10Ob96/11g6.12.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj S***** W*****, geboren am ***** 1998, über den Revisionsrekurs des Vaters G***** W*****, vertreten durch Dr. Werner Stolarz, Mag. Rainer Ebert Rechtsanwälte KG in Hollabrunn, gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom 21. Juli 2011, GZ 23 R 99/11p-63, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Laa an der Thaya vom 19. Mai 2011, GZ 2 Pu 39/10d-57, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Der Vater war - ausgehend von einem Jahresnettoeinkommen von 40.000 EUR im Jahr 2006 - aufgrund des vor dem Bezirksgericht Laa an der Thaya am 6. 7. 2007 geschlossenen Scheidungsfolgenvergleichs verpflichtet, zum Unterhalt des Kindes einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 600 EUR zu leisten.

Über Antrag des Kindes erhöhte das Erstgericht mit Beschluss vom 8. 10. 2010 die Unterhaltsverpflichtung des Vaters unter anderem ab 1. 1. 2010 auf 750 EUR. Der dagegen erhobene Rekurs des Vaters blieb erfolglos.

Noch vor Fassung dieses Beschlusses hatte der Vater am 1. 9. 2010 beim Erstgericht beantragt, seine Unterhaltsverpflichtung ab 1. 9. 2010 auf 440 EUR monatlich herabzusetzen. Sein Einkommen betrage mit September 2010 betriebsbedingt nur noch 2.500 EUR monatlich. Unter Berücksichtigung der Familienbeihilfe errechne sich ein Unterhaltsbeitrag ab 1. 9. 2010 von 440 EUR monatlich. Er sei nicht mehr in der Lage, Überstunden wie in den Jahren zuvor zu leisten.

Das Kind sprach sich gegen den Unterhaltsherabsetzungsantrag aus. Der Vater versuche, sich seiner bestehenden Unterhaltsverpflichtung zu entziehen. Eine Änderung seiner Lehrverpflichtung als Berufsschullehrer sei ohnedies nicht eingetreten, sodass er auf sein bisheriges Einkommen anzuspannen sei.

Das Erstgericht wies den Herabsetzungsantrag des Vaters ab. Es ging von folgenden Feststellungen aus:

Der mit 750 EUR vorgenommenen Bemessung des Unterhaltsbeitrags lag ein Einkommen des Vaters von 4.530 EUR monatlich zugrunde. Vom 1. 9. 2010 bis 28. 2. 2011 erzielte er ein durchschnittliches monatliches Einkommen von 3.324,87 EUR. Im vorangehenden Schuljahr hatte er jedoch von September 2009 bis Februar 2010 ein durchschnittliches monatliches Einkommen von 4.824,88 EUR erhalten. Weitere Sorgepflichten treffen ihn nicht. Die Einkommensreduktion ist darauf zurückzuführen, dass Dauermehrdienstleistungen (BS-Unterrichts-MLE), die im Unterrichtsjahr 2010/2011 mit einer Vergütung gemäß § 61 Abs 2 GehG 1956 abzugelten waren, über seinen Antrag einem Zeitkonto gutgeschrieben werden.

Rechtlich führte es aus, dass bei der Unterhaltsbemessung nach dem Anspannungsgrundsatz von einem fiktiven, vom Unterhaltspflichtigen erzielbaren Einkommen ausgegangen werden könne, wenn dieser es unterlasse, einen seiner Ausbildung sowie seinen körperlichen und geistigen Fähigkeiten entsprechenden Erwerb nachzugehen und dadurch der Unterhalt des Kindes nachteilig beeinträchtigt würde. Die Möglichkeit von Überstundenleistungen sei zwar grundsätzlich bei der Beurteilung der Erwerbschance nicht zu berücksichtigen, außer sie würde unterlassen, um die Unterhaltspflicht zu verringern. Es müsse dem Unterhaltspflichtigen, solange er den angemessenen Unterhalt seines Kindes erheblich über dem Durchschnittsbedarf decke, unbenommen bleiben, zur Befriedigung seines persönlichen Erholungs- bzw Freizeitbedürfnisses Zeitausgleich anstelle eines Überstundenentgelts zu wählen. Der Vater habe beantragt, ihm die Mehrleistungen nicht zu vergüten, sondern einem Zeitkonto gutzuschreiben. Die Reduzierung des Einkommens sei von ihm bewusst herbeigeführt worden, weshalb der Anspannungsgrundsatz anzuwenden sei. Der Vater könne nämlich den Zeitausgleich erst frühestens in sechs Jahren (ab seinem 50. Lebensjahr) konsumieren. Die Gutschrift auf dem Zeitkonto diene damit nicht der aktuellen Befriedigung des Erholungsbedürfnisses. Deshalb sei davon auszugehen, dass die Auszahlung der Überstunden unterlassen werde, um den Unterhaltsbeitrag zu verringern. Eine Einschränkung der Möglichkeit zur Leistung von Überstunden habe der Dienstgeber nicht mitgeteilt. Daher könne davon ausgegangen werden, dass es dem Vater weiterhin möglich wäre, ein Einkommen von durchschnittlich 4.530 EUR im Monat zu erzielen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge. Es verneinte einen vom Vater behaupteten Verfahrensmangel. Es sei davon auszugehen, dass der Vater die von ihm bisher erbrachten und der letzten Unterhaltsbemessung zugrundegelegten Dauermehrdienstleistungen (BS-Unterrichts-MLE) im Unterrichtsjahr 2010/2011 weiterhin erbringe, ihm jedoch - über seinen Antrag - die ihm dafür gemäß § 61 Abs 2 GehG 1956 zustehende Vergütung nicht ausbezahlt werde, sondern diese Mehrdienstleistungen gemäß § 61 Abs 13 GehG 1956 im Umfang der entsprechenden „Wochen-Werteinheiten“ einem Zeitkonto gutgeschrieben werden. Ohne seinen Antrag würde er somit weiterhin ein Einkommen in der bisherigen Höhe erzielen. Die festgestellte Verminderung des monatlichen Einkommens des Vaters von 4.894,88 EUR netto auf 3.324,87 EUR netto beruhe damit lediglich auf einer Entscheidung des Unterhaltspflichtigen und nicht auf einer Entscheidung des Dienstgebers. Deshalb könne von der im Antrag behaupteten „betriebsbedingten Verminderung“ des Einkommens nicht ausgegangen werden. Der Vater erbringe damit weiterhin Arbeitsleistungen in dem von ihm bisher ausgeübten Umfang, wobei er freiwillig auf eine unmittelbare Auszahlung der Dauermehrdienstleistungen dergestalt verzichte, dass eine Gutschrift auf einem Konto erfolge. Gemäß § 61 Abs 16 GehG 1956 sei der Verbrauch der derart gutgeschriebenen Wochen-Werteinheiten unter den dort genannten Voraussetzungen zulässig. Unter anderem müsse der Berechtigte zum Zeitpunkt des Beginns des Verbrauchs bereits das 50. Lebensjahr vollendet haben, weshalb der Vater diese Zeitgutschrift frühestens in sechs Jahren konsumieren könne. Der Verbrauch bedürfe eines Antrags des Berechtigten und könne vom Dienstgeber nur bewilligt werden, wenn keine wichtigen dienstliche Interessen entgegenstünden (§ 61 Abs 16 Z 3 GehG 1956). Der Verbrauch habe in Form einer Freistellung von der regelmäßigen Lehrverpflichtung für das ganze Schuljahr im Ausmaß von 50 % bis 100 % der regelmäßigen Lehrverpflichtung zu erfolgen, wobei im Schuljahr, in dem der Lehrer in den Ruhestand versetzt werde oder übertrete, der Verbrauch für einen Teil des Schuljahres zulässig sei (§ 61 Abs 16 Z 4 GehG 1956). Dies bedeute, dass der Vater hier einen Antrag auf Verbrauch der gutgeschriebenen Wochen-Werteinheiten zwischen seinem 50. Lebensjahr und dem Schuljahr, in dem er in den Ruhestand versetzt werde, stellen könne. Damit liege wirtschaftlich gesehen die Verlagerung eines Einkommensbestandteils, auf den der Unterhaltspflichtige gegenüber dem Dienstgeber bereits jetzt Anspruch hätte - sofern er nicht den Antrag nach § 61 Abs 13 GehG 1956 gestellt hätte - in einen mit der Arbeitsleistung nicht mehr im unmittelbaren Zusammenhang stehenden Zeitraum vor. Deshalb sei die vom Vater - erst in mehreren Jahren wirksam werdende - gewählte Form der Zeitgutschrift nicht dem herkömmlichen „Zeitausgleich“ vergleichbar. Bedeute die hier vom Vater angestrebte zeitliche Einkommensverlagerung doch, dass er Einkommensbestandteile, die im Fall der Ausbezahlung unterhaltswirksam wären, erst willkürlich zu einem Zeitpunkt konsumieren könne, in dem seine Unterhaltsverpflichtung gegenüber seinem Sohn möglicherweise bereits erloschen sei. Eine derartige Einkommensverlagerung könne - auch unter Betrachtung des Maßstabs seines treusorgenden Unterhaltspflichtigen - nicht zulasten des Unterhaltsberechtigten gehen. Deshalb sei das Einkommen zugrunde zu legen, dass der vom Vater tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung entspreche. Für die Unterhaltsbemessung sei daher weiterhin das bisher erzielte Einkommen heranzuziehen.

Das Rekursgericht sprach aus, der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil Rechtsprechung zur Frage, inwieweit eine Einkommensverlagerung durch Gutschrift von tatsächlich erbrachten Mehrdienstleistungen auf ein Zeitkonto gemäß § 61 Abs 13 GehG 1956 Einfluss auf die Unterhaltsbemessungsgrundlage habe, fehle.

Der Revisionsrekurs des Vaters ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig. Er ist aber nicht berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof billigt die Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz im Ergebnis und in der methodischen Ableitung, sodass es genügt, auf die Richtigkeit deren Begründung hinzuweisen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Rechtliche Beurteilung

Den Revisionsrekursausführungen ist noch zu erwidern:

Zunächst ist festzuhalten, dass der nach der Prozentwertmethode bemessene Unterhalt für das im 14. Lebensjahr stehende Kind auf der Grundlage des festgestellten, tatsächlich vom Vater bezogenen Geldeinkommens von monatlich rund 3.320 EUR - ohne Berücksichtigung der Familientransferleistungen - bereits 664 EUR, rund das 1,9fache des vom Erstgericht festgestellten Regelbedarfs, betragen würde.

Aus der Rechtsprechung, wonach es dem Unterhaltspflichtigen im Grundsätzlichen jedenfalls solange unbenommen bleiben muss, als der angemessene Unterhalt seines Kindes durch die zuerkannte Leistung erheblich über dem Durchschnittsbedarf gedeckt wird, zur Befriedigung seines persönlichen Erholungs- bzw Freizeitbedürfnisses Zeitausgleich anstelle eines Überstundenentgelts zu wählen (1 Ob 21/98i; 1 Ob 78/00b; vgl 3 Ob 118/01a), kann der Rechtsmittelwerber für sich nichts ableiten. Wenngleich das Unterhaltsrecht dem Unterhaltspflichtigen nicht einen angemessenen Gestaltungsspielraum bei der Befriedigung seiner eigenen Lebensinteressen verwehrt, auch wenn eine derartige Selbstverwirklichung einer sonst bis zur Luxusgrenze möglichen Unterhaltsmaximierung entgegensteht (1 Ob 21/98i), lässt sich für den Rechtsmittelwerber daraus nichts gewinnen. Im zu entscheidenden Fall dient - wie das Rekursgericht zutreffend ausführte - die Vorgangsweise des Vaters nach § 61 Abs 13 und Abs 14 GehG 1956 nicht seinem aktuellen persönlichen Erholungs- bzw Freizeitbedürfnis. Hinzu kommt, dass nicht durch Freistellung verbrauchte Wochen-Werteinheiten nach Maßgabe des § 61 Abs 18 GehG 1956 zu vergüten sind. Auch insofern kann der Unterhaltspflichtige sein Einkommen zeitlich verlagern. Das Erstgericht hat weiter ausgeführt, dass im Anlassfall der angemessene Bedarf des Kindes durch einen geringeren Beitrag als den festgesetzten nicht gedeckt wäre. Gegen diese Beurteilung wurde im Rekurs und wird im Revisionsrekurs nichts ins Treffen geführt.

Im Übrigen hat der Oberste Gerichtshof die Auffassung gebilligt, dass ein Vater, der als Lehrer die gesetzliche Möglichkeit einer Teilzeitbeschäftigung in Anspruch nimmt, auf das fiktive Einkommen bei Vollbeschäftigung angespannt werden kann (2 Ob 63/02g).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte