European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0100OB00009.21B.0427.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Begründung:
[1] Das Erstgericht verpflichtete den Vater mit Beschluss vom 10. 11. 2009 (ON 11), ab 1. 10. 2009 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 200 EUR an die Tochter zu leisten.
[2] Mit Beschluss des Erstgerichts vom 1. 4. 2020 (ON 25) wurden dem Kind Unterhaltsvorschüsse in Titelhöhe von 1. 3. 2020 bis 31. 8. 2020 gemäß § 7 1. COVID‑19 ‑ JuBG gewährt.
[3] Mit Beschluss vom 16. 6. 2020 (ON 28) verpflichtete das Erstgericht den Vater, ab 1. 3. 2020 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 300 EUR an die Tochter zu leisten. Mit Beschluss vom 20. 7. 2020 (ON 29) erhöhte es die für den Zeitraum von 1. 3. 2020 bis 31. 8. 2020 gewährten Unterhaltsvorschüsse gemäß § 19 Abs 2 UVG ab 1. 3. 2020 auf 300 EUR monatlich.
[4] Am 19. 11. 2020 (ON 30) beantragte das Kind die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß § 7 1. COVID‑19‑JuBG in Titelhöhe. Der Unterhaltsschuldner habe nach Eintritt der Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhalt nicht zur Gänze geleistet.
[5] Das Erstgericht bewilligte antragsgemäß Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG nach § 7 1. COVID‑19‑JuBG für den Zeitraum von 1. 11. 2020 bis 28. 4. 2021.
[6] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Bundes nicht Folge und ließ den Revisionsrekurs zu. Seiner ausführlichen rechtlichen Beurteilung nach ermöglicht § 7 des 1. COVID‑19‑JuBG in Verbindung mit der in § 1 der 2. COVID‑19 Ziviljustiz‑VO angeordneten Fristverlängerung eine wiederholte Gewährung von Titelvorschüssen unter den erleichterten Voraussetzungen des 1. COVID‑19‑JuBG, wenn ein neuer Antrag nach diesem Gesetz gestellt wird. Der Revisionsrekurs sei mangels Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs insbesondere zur Auslegung der Bestimmung des § 7 des 1. COVID‑19‑JuBG und des § 1 2. COVID‑19 Ziviljustiz‑VO zulässig.
Rechtliche Beurteilung
[7] Gegen diese Entscheidung richtet sich der vom Kind beantwortete Revisionsrekurs des Bundes. Der Revisionsrekurs ist zulässig, er ist aber nicht berechtigt.
[8] Der Bund macht zusammengefasst geltend, dass § 7 1. COVID‑19‑JuBG nach seinem Wortlaut nur die einmalige Gewährung von Unterhaltsvorschüssen für längstens sechs Monate unter den dort normierten erleichterten Bedingungen erlaubt. Die wiederholte Gewährung von Unterhaltsvorschüssen wäre auch mit dem Zweck dieser Bestimmung nicht vereinbar, nur befristet die Folgen der „Corona‑Krise“ für Kind und Unterhaltsschuldner unbürokratisch zu mildern. Sechs Monate seien ausreichend, um sich auf die durch die Krise geänderten Verhältnisse einzustellen. Bei § 7 1. COVID‑19‑JuBG handle es sich um eine Ausnahmevorschrift, die nicht ausdehnend auszulegen sei.
[9] Dem ist der Oberste Gerichtshof in der erst nach der Entscheidung des Rekursgerichts beschlossenen Entscheidung vom 30. 3. 2021, 10 Ob 5/21i , entgegengetreten. Die Argumente dieser Entscheidung lassen sich – angewendet auf den vorliegenden Fall – wie folgt zusammenfassen:
[10] 1.1 Anders als nach § 3 UVG verlangt § 7 1. COVID‑19‑JuBG in der hier noch anzuweisenden Fassung BGBl I 2020/58 nicht die Einbringung eines entsprechenden Exekutionsantrags zur Bescheinigung der Voraussetzungen für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen. Dafür sind solche Vorschüsse abweichend von § 8 UVG längstens für ein halbes Jahr zu gewähren.
[11] 1.2 § 7 1. COVID‑19‑JuBG gilt für alle vom zeitlichen Geltungsbereich umfassten Anträge auf Gewährung von Titelvorschüssen nach § 3 UVG (10 Ob 43/20a). Die Wortfolge „bis zum Ablauf des 31. Oktober 2020“ in § 7 1. COVID‑19‑JuBG idF BGBl I 2020/58 bezieht sich auf den Zeitpunkt der Antragstellung und nicht auf den maximal sechsmonatigen Gewährungszeitraum. Sie erfasst bis zum 31. 10. 2020 gestellte, auf diese Gesetzesbestimmung gestützte Anträge auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen. Mit der 2. COVID‑19 Ziviljustiz‑VO (BGBl II 2020/459) wurde der Zeitraum für die Antragstellung bis 31. 12. 2020 verlängert.
[12] 2. Seinen (zweiten) Antrag auf Gewährung von Titelvorschüssen nach § 7 1. COVID‑19‑JuBG stellte das Kind am 19. 11. 2020. Sein Antrag fällt daher auch im konkreten Fall in den zeitlichen Anwendungsbereich von § 7 1. COVID‑19‑JuBG idF BGBl I 2020/58 und BGBl II 2020/459.
[13] 3.1 Die ursprünglich kurze Befristung – von Inkrafttreten am 22. 3. 2020 bis zum 30. 4. 2020) in § 7 1. COVID‑19‑JuBG idF BGBl I 2020/16 wurde in der Folge mehrfach verlängert: zuerst bis 30. 6. 2020 (BGBl I 2020/30), dann bis 31. 10. 2020 (BGBl I 2020/58), schließlich bis 31. 12. 2020 (2. COVID‑19 ZivVO, BGBl II 2020/459), weiters bis 31. 3. 2021 (BGBl I 2020/156) und zuletzt bis 30. 6. 2021 (BGBl II 2020/130).
[14] 3.2 § 7 1. COVID‑19‑JuBG enthält nach seinem Wortlaut (in allen Fassungen) keine über die angeführten Bedingungen hinausgehende Beschränkung, insbesondere kein ausdrückliches Verbot einer neuen Antragstellung nach Ablauf des sechsmonatigen Gewährungszeitraums.
[15] Die Gesetzesmaterialien zu § 7 1. COVID‑19‑JuBG (BGBl I 2020/16) verweisen im Wesentlichen darauf, dass es kontraproduktiv wäre, in Krisenzeiten die Voraussetzung der Exekutionsführung für das Kind aufrecht zu erhalten. Die Folgen der „Corona‑Krise“ sollten rasch und unbürokratisch gemildert werden, um die Liquidität sowohl des Kindes als auch des Unterhaltsschuldners aufrecht zu erhalten (IA 397/A 27. GP 36). Diese Zielsetzung spricht dagegen, diese Möglichkeit auf eine Antragstellung zu beschränken. Anlässlich der Verlängerung der Frist bis 31. 10. 2020 (BGBl I 2020/58) hielt der Gesetzgeber fest, dass aufgrund des Andauerns der Krise die Vereinfachung des § 7 1. COVID‑19‑JuBG weiterhin zum Tragen kommen solle (IA 619/A 27. GP 3).
[16] 3.3 Nach dem Schrifttum sind COVID‑19‑Vorschüsse grundsätzlich vergleichbar mit Titelvorschüssen nach § 4 Z 1 UVG, bei denen eine Exekutionsführung wegen Aussichtslosigkeit unterbleiben kann. Damit handelt es sich um eine Variante von Titelvorschüssen ( Neuhauser , Weitergewährung von COVID‑19‑Vorschüssen!? iFamZ 2020, 138 [139]; vgl auch Garber/Neumayr in Resch , Corona‑HB 1.04 Kap 13 Rz 90, 93). Das Kind soll vorübergehend nicht zur Exekutionsführung gezwungen werden ( Kronthaler , Wie wirkt sich § 7 des 1. COVID‑19‑JuBG auf die Weitergewährung von Unterhaltsvorschüssen aus? iFamZ 2020, 142). Eine völlige Gleichstellung mit Titelvorschüssen nach §§ 3, 4 Z 1 UVG hat der Gesetzgeber durch den wesentlich kürzeren Gewährungszeitraum von nur sechs Monaten anstelle von fünf Jahren effektiv ausgeschlossen. Er wollte eine befristete Maßnahme für die Dauer der „Coronakrise“ und kein Dauerrecht schaffen (IA 397/A 27. GP 37). Eine „Weitergewährung“ von COVID‑19‑Vorschüssen auf fünf Jahre im Sinn des § 18 UVG, die diesen Intentionen widersprechen würde ( Kronthaler , iFamZ 2020, 143; Garber/Neumayr , Corona‑HB 1.04 Rz 97/1; aA Neuhauser , iFamZ 2020, 140), wurde im vorliegenden Fall nicht beantragt. Die Einschränkung des Gewährungszeitraums für jeden Antrag innerhalb des zeitlichen Anwendungsbereichs auf maximal ein halbes Jahr stellt ausreichend sicher, dass es sich um keine Dauerlösung handelt.
[17] 4. Ergebnis: Ein neuer Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 7 1. COVID‑19‑JuBG ist nach Ablauf der Periode, für die bereits Vorschüsse nach diesem Gesetz gewährt wurden, zulässig.
[18] Der Revisionsrekurs des Bundes ist aus diesen Gründen nicht berechtigt.
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