OGH 10Ob71/15m

OGH10Ob71/15m15.12.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Mag. Korn als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj M***** K*****, geboren am *****, vertreten durch das Land Salzburg als Kinder‑ und Jugendhilfeträger (Bezirkshauptmannschaft Hallein, 5400 Hallein, Dr. Adolf‑Schärf Platz 2), wegen Weitergewährung von Unterhaltsvorschüssen, infolge Revisionsrekurses des H***** W*****, vertreten durch Mag. Dr. Karl Heinz Pühl, Rechtsanwalt in Hallein, gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 26. Mai 2015, GZ 21 R 112/15i‑27, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Hallein vom 9. Jänner 2015, GZ 30 Pu 58/10z‑18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0100OB00071.15M.1215.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

 

Begründung:

Am 17. 2. 2010 beantragte der Minderjährige, vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger (nunmehr Kinder- und Jugendhilfeträger), die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß § 4 Z 2 UVG. Als Vater bzw Unterhaltsschuldner bezeichnete der Minderjährige H***** W*****, geboren am *****. Dieser sei seit seinem unangekündigten Auszug unbekannten Aufenthalts, weshalb eine Unterhaltsfestsetzung nicht möglich sei. Eine Unterhaltsvereinbarung sei bislang nicht getroffen worden. Unter einem legte der Antragsteller die Kopie des vom Standesamt der Stadtgemeinde H***** beurkundeten Vaterschaftsanerkenntnisses vom 23. 4. 2009 vor, in dem H***** W*****, geboren am *****, als Anerkennender aufscheint und das die Unterschrift „H***** W*****“ trägt. Weiters legte der Minderjährige eine Kopie einer auf H***** W*****, geboren am *****, lautenden Geburtsurkunde vor.

Nach ergebnisloser Durchführung einer Melderegisterabfrage und einer Sozialversicherungsabfrage gewährte das Erstgericht dem Minderjährigen mit Beschluss vom 23. 2. 2010 Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 2 UVG für den Zeitraum 1. 2. 2010 bis 31. 1. 2015 mit der Begründung, dass ein Unterhaltstitel wegen der Unbekanntheit des Aufenthalts des H***** W***** nicht geschaffen werden könne.

Am 9. 1. 2015 beantragte der Minderjährige die Weitergewährung der Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 2 UVG. Er brachte vor, H***** W***** sei weiterhin unbekannten Aufenthalts. Als dessen letzte bekannte Adresse gab der Minderjährige aber nun (erstmals) die Adresse B*****, an.

Das Erstgericht gab dem Antrag Folge. Es bezeichnete im Kopf seiner Entscheidung H***** W*****, geboren am *****, als Unterhaltsschuldner und sprach aus, dass

1. dem Kind vom 1. 2. 2015 bis 31. 1. 2020 Unterhaltsvorschüsse nach § 4 Z 2 UVG weiter gewährt werden;

2. der Präsident des Oberlandesgerichts Linz um die Auszahlung der Unterhaltsvorschüsse ersucht wird;

3. der Unterhaltsschuldner bei sonstiger Exekution zur Rückzahlung der Unterhaltsvorschüsse verpflichtet ist und

4. dem Unterhaltsschuldner aufgetragen wird, die Pauschalgebühr in Höhe von 200 EUR innerhalb von 14 Tagen zu bezahlen.

Rechtlich ging das Erstgericht im Wesentlichen davon aus, es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Voraussetzungen der Vorschussgewährung nicht mehr gegeben seien. Die Rückzahlungspflicht stütze sich auf § 28 UVG, die Gebührenpflicht auf § 24 UVG.

Dieser Beschluss wurde H***** W***** am 21. 1. 2015 an der Adresse B*****, als Unterhaltsschuldner zugestellt. Am 28. 1. 2015 erhob dieser gegen den Beschluss „soweit er sich gegen H***** W***** richtet“ Rekurs. Sein Name sei zwar H***** W*****, er sei auch am ***** geboren und an der Adresse B*****, wohnhaft. Dennoch sei er mit Sicherheit nicht der Vater des Minderjährigen und habe nie Kontakt zu dessen Mutter gehabt. Der tatsächliche Vater des Kindes, dessen Namen ihm unbekannt sei, habe unter Missbrauch eines dem Rekurswerber im Jahr 2007 abhanden gekommenen Personalausweises eine falsche Identität ‑ nämlich die Identität des Rekurswerbers ‑ vorgetäuscht und unter Verwendung dieser falschen Identität sowie einer gefälschten Geburtsurkunde ein Vaterschaftsanerkenntnis abgegeben. Er habe beim zuständigen Gericht in Österreich bereits die Rechtsunwirksamerklärung dieses „Vaterschaftsanerkenntnis-ses“ beantragt.

Daraufhin ordnete das Erstgericht mit Beschluss vom 28. 1. 2015 die gänzliche Innehaltung der Unterhaltsvorschüsse an.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des H***** W***** nicht Folge. Rechtlich ging es zusammengefasst davon aus, die Rechtsmittellegitimation des Rekurswerbers sei im Hinblick auf allfällige Rückersatzansprüche und die Verpflichtung zur Bezahlung der Pauschalgebühr zu bejahen. Da ihm der Antrag auf Weitergewährung der Unterhaltsvorschüsse vor Ergehen der erstinstanzlichen Entscheidung nicht zur Stellungnahme übermittelt worden sei, stehe seinem Rekursvorbringen auch das Neuerungsverbot nicht entgegen (§ 49 AußStrG). Dennoch sei aber die Echtheit bzw behauptete Unechtheit des Vaterschaftsanerkenntnisses im Unterhaltsvorschussverfahren nicht ‑ schon gar nicht im Zuge des Verfahrens über einen Antrag auf Weitergewährung von Unterhaltsvorschüssen ‑ überprüfbar (§ 15 Abs 2 UVG). Bis zur Beseitigung des Vaterschaftsanerkenntnisses seien im Unterhaltsvorschussverfahren selbst massive Zweifel an der tatsächlichen Vaterschaft ohne Bedeutung, da eine selbständige Beurteilung der Vaterschaft als Vorfrage im Unterhaltsvorschussverfahren ausgeschlossen sei. Da weiterhin von der Gültigkeit des Vaterschaftsanerkenntnisses auszugehen sei, lägen ‑ sowohl abgestellt auf den Zeitpunkt der Erstentscheidung als auch den Zeitpunkt der Rekursentscheidung ‑ keine Umstände iSd § 18 UVG vor, die einer Weitergewährung der Unterhaltsvorschüsse entgegenstehen. Der Revisionsrekurs sei zuzulassen, da Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dazu fehle, wie sich das Opfer eines Identitätsmissbrauchs im Unterhaltsvorschussverfahren zur Wehr setzen könne.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der ordentliche Revisionsrekurs des H***** W***** mit dem Begehren auf ersatzlose Behebung der Entscheidungen der Vorinstanzen, eventualiter auf Aufhebung und Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht.

Der Minderjährige, vertreten durch den Kinder‑ und Jugendhilfeträger, beantragte in seiner Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen bzw ihm keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist im Sinne des Eventualantrags auf Aufhebung auch berechtigt.

Der Revisionsrekurswerber macht in seinem Rechtsmittel zusammengefasst geltend, auch die Mutter des Kindes habe bestätigt, dass er ihr nicht bekannt sei und er als Vater nicht in Betracht komme. Das Bezirksgericht Hallein habe daher mit Beschluss vom 15. 6. 2015, GZ 37 Fam 5/15d‑2 (somit nach Ergehen der Rekursentscheidung) das in seinem Namen abgegebene Vaterschaftsanerkenntnis für unwirksam erklärt. Der Beschluss sei jedoch noch nicht in Rechtskraft erwachsen, weil der Kinder- und Jugendhilfeträger namens des Kindes dagegen Rekurs erhoben habe. Dieses Vorbringen verstoße nicht gegen das Neuerungsverbot, weil er es nicht früher geltend machen konnte und es zur Unterstützung der Rekurs- bzw Revisionsrekursgründe vorgebracht werde.

Dazu ist Folgendes auszuführen:

1.1 Wie bereits das Rekursgericht ausgeführt hat, ist die Rechtsmittellegitimation des H***** W***** gegen den Weitergewährungsbeschluss im Hinblick auf allfällige Rückersatzansprüche des Bundes (§§ 22, 28, 29 UVG) sowie die Verpflichtung zur Zahlung der Unterhaltsbeträge an den Kinder‑ und Jugendhilfeträger (§ 26 Abs 2 UVG) und zur Zahlung der Pauschalgebühr (§ 24 UVG) zu bejahen (Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 15 UVG Rz 9). Der als Unterhaltspflichtiger in Anspruch genommene H***** W***** ist daher berechtigt, im eigenen Namen dagegen Rechtsmittel zu ergreifen (Rechberger in Rechberger, AußStrG2 § 2 Rz 9; Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 15 UVG Rz 9).

1.2 Da H***** W***** dem erstinstanzlichen Verfahren nicht beigezogen worden war, war ihm ein Tatsachenvorbringen im Verfahren erster Instanz nicht möglich. Sein Vorbringen, nicht der leibliche Vater zu sein und das Vaterschaftsanerkenntnis nicht abgegeben zu haben bzw Opfer eines Identitätsmissbrauchs geworden zu sein, verstieß daher nicht gegen das Neuerungsverbot des § 49 AußStrG, sondern war vom Rekursgericht aufzugreifen (RIS‑Justiz RS0110773).

2.1 § 15 Abs 2 UVG schränkt aber die Rekursgründe gegenüber der allgemeinen Anordnung der §§ 47 ff AußStrG insofern ein, als zur Straffung und Beschleunigung des Vorschussgewährungsverfahrens Unterhaltsherabsetzungs- und Enthebungsgründe, die durch Antrag vor dem Pflegschaftsgericht geltend gemacht werden können, grundsätzlich nicht als Rekursgründe im Vorschussverfahren tauglich sind. Verallgemeinert gilt dies von der Geltendmachung jeder Fehlerhaftigkeit des Unterhaltstitels über Tatbestände nach den §§ 35, 36 EO und das Hinzutreten einer weiteren Unterhaltspflicht bis hin zur Bestreitung der Abstammung. Somit ist etwa der Einwand des unterhaltsverpflichteten Vaters, dass er in Wahrheit nicht der Vater des Kindes sei, für das Vorschussverfahren so lange bedeutungslos, als die Grundlage dafür, dass er als Vater gilt, nicht durch gerichtliche Entscheidung beseitigt ist. Bei Anwendung österreichischen materiellen Abstammungsrechts kommt (nur) der Feststellung der Abstammung allgemein verbindliche Wirkung (Statuswirkung) zu. Daher kann das Vorliegen einer gesetzlichen Unterhaltspflicht auch nicht als Vorfrage im Vorschussbewilligungsverfahren geklärt werden (Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 3 UVG Rz 5; Storman in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 140 Rz 1 mwN ua; RIS‑Justiz RS0128912).

2.2 Vom Einwand, nicht der leibliche Vater zu sein, ist aber die von H***** W***** darüber hinaus geltend gemachte Unwirksamkeit des Vaterschaftsanerkenntnisses infolge des Identitätsmissbrauchs zu unterscheiden:

2.2.1 Nach § 145 Abs 1 ABGB wird die Vaterschaft durch persönliche Erklärung in inländischer öffentlicher oder öffentlich beglaubigter Urkunde anerkannt. Das inhaltliche Mindesterfordernis eines rechtswirksamen Anerkenntnisses besteht in der ausdrücklichen, persönlichen Erklärung der Anerkennung der Vaterschaft eines bestimmten Mannes zu einem bestimmten Kind (Hopf in KBB4 § 145 Rz 4). Die Vaterschaft muss somit „durch persönliche Erklärung“ des Mannes anerkannt werden. Dies ist als höchstpersönlich zu verstehen. Unzulässig ist damit sowohl jede gewillkürte als auch jede gesetzliche Vertretung (Stefula in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang 3 § 163c Rz 13 mwN). Ein von einem Bevollmächtigten abgegebenes Anerkenntnis ist daher ohne Feststellungswirkung (4 Ob 501/96, SZ 69/2). Wird gegen die Höchstpersönlichkeit der Erklärung verstoßen, liegt ein wirkungsloses Nichtanerkenntnis vor (Stefula aaO § 163c Rz 13 mwN; Hopf in KBB § 145 Rz 4; Bernat in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 145 Rz 9 ua). Gerade dies macht H***** W***** mit seinem Vorbringen geltend, ein namentlich Unbekannter habe ohne sein Wissen unter missbräuchlicher Verwendung seines Personalausweises bzw seiner Identität in seinem Namen die Vaterschaft zum Minderjährigen anerkannt.

2.2.2 Auch wenn daher eine selbständige Beurteilung der Vaterschaft oder der Nichtvaterschaft als Vorfrage im Vorschussverfahren ausgeschlossen ist, kann die Frage, ob ein Anerkenntnis oder ein wirkungsloses „Nichtanerkenntnis“ vorliegt, von jeder Behörde ‑ somit auch vom Gericht im Unterhaltsvorschussverfahren ‑ als Vorfrage geprüft werden (Stefula in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang 3 § 163c ABGB Rz 12 mwN ua).

2.2.3 Der Berücksichtigung des Vorbringens eines „Nichtanerkenntnisses“ als Rekursgrund steht auch § 15 Abs 2 UVG nicht entgegen. Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass Unterhaltsherabsetzungs- oder Enthebungsgründe, die vor dem Pflegschaftsgericht geltend gemacht werden können, nicht als Rekursgründe im Unterhaltsvorschussverfahren tauglich sind, besteht nämlich für den Fall, dass solche Umstände Tatbestandsmerkmale des § 4 Z 2, 3 oder 4 oder des § 7 Abs 1 UVG sind (§ 15 Abs 2 UVG). Diese Gründe müssen eine Qualität dergestalt erreichen, dass die Vorschussvoraussetzungen iSd §§ 2‑4 UVG fehlen (Neumayr in Schwimann/Kodek,ABGB4 § 15 UVG Rz 32 mwN). Dies ist hier nach dem Vorbringen des Rechtsmittelwerbers der Fall:

Nach dem Gesamtgefüge des UVG muss nämlich jedenfalls ein Unterhaltsschuldner vorhanden sein, dessen (gesetzliche) Unterhaltspflicht durch den Staat unter bestimmten, im Gesetz genau determinierten Voraussetzungen bevorschusst werden kann. Ist die Person des Vaters als Unterhaltsschuldner entsprechend dem Vorbringen des Rechtsmittelwerbers hingegen gänzlich unbekannt, scheidet eine Bevorschussung nach § 4 Z 2 UVG aus, weil es sich bei Unterhaltsvorschüssen nicht um Leistungen handelt, die Unterhaltszahlungen ersetzen, sondern nur bevorschussen sollen (10 Ob 55/15h; RIS‑Justiz RS0122151; RS0122152).

2.2.4 Mit seinen Ausführungen, infolge des Identitätsmissbrauchs durch einen Unbekannten liege ein wirkungsloses „Nichtanerkenntnis“ seiner Vaterschaft zum Minderjährigen vor, erstattet der Rechtsmittelwerber somit ein ausreichendes Vorbringen, das zu einer Änderung der Gewährungsgrundlagen im Sinne eines Fehlens bzw eines Wegfalls der Vorschussvoraussetzungen nach § 4 Z 2 UVG führen kann und daher nicht unter die Rekursbeschränkung des § 15 Abs 2 UVG fällt.

3. Die Zulässigkeit des Rekurs- bzw Revisionsrekursvorbringens macht die Aufhebung der Entscheidung der Vorinstanzen unumgänglich. Das Erstgericht wird sich vor der neuerlichen Entscheidung auf Grundlage der ‑ nach der Aktenlage ‑ mittlerweile rechtskräftigen Entscheidung des Bezirksgerichts Hallein vom 15. 6. 2015, GZ 37 Fam 5/15d‑2, mit der Frage auseinanderzusetzen haben, ob der als Unterhaltsschuldner in Anspruch Genommene der leibliche Vater ist, der die Vaterschaft anerkannt hat. Sollte dies verneint werden, würde dies bedeuten, dass im Zeitpunkt der ursprünglichen Gewährung der Vater des Minderjährigen unbekannt war.

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