OGH 10Ob62/09d

OGH10Ob62/09d17.8.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Klaus W*****, Student, *****, vertreten durch Dr. Peter Krassnig, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei Dr. G*****, emeritierter Rechtsanwalt, *****, vertreten durch Dr. Günther Fornara, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen 13.764,45 EUR sA und Feststellung (10.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Teil- und Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 7. Juli 2009, GZ 5 R 66/09d-21, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 25. Februar 2009, GZ 20 Cg 143/08v-13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 995,40 EUR (darin 165,90 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung

Der am 23. 8. 1977 geborene Kläger war am 29. 6. 1986 von einem Hund ins Gesicht gebissen worden und hatte daraufhin - vertreten durch seinen Vater - am 30. 6. 1989 (Datum des Einlangens bei Gericht) eine Klage eingebracht, und zwar gegen den Hundehalter als Erstbeklagten mit der Behauptung mangelhafter Verwahrung des Hundes und gegen dessen Haftpflichtversicherung als zweitbeklagter Partei mit der Behauptung eines von dieser abgegebenen Anerkenntnisses. Der nunmehrige Beklagte war im damaligen Verfahren als Rechtsanwalt der Rechtsvertreter des Klägers. Dem Verjährungseinwand der damals beklagten Parteien wurden Anerkenntnis der Haftpflichtversicherung und Ausreichen der Postaufgabe am 29. 6. 1989 für die Wahrung der Verjährungsfrist gegenüber dem Erstbeklagten entgegengehalten.

Nachdem das seinerzeitige Erstgericht die Klage gegen beide Beklagte abgewiesen hatte (gegen den Hundehalter wegen Verjährung, gegen den Haftpflichtversicherer mangels direkter Haftung gegenüber dem Kläger), erklärten die Parteien am 26. 9. 1990 im Rahmen einer Berufungsverhandlung vor dem Oberlandesgericht Graz, „das Berufungsverfahren 'ruhen' zu lassen und außergerichtliche Schadensregulierungsverhandlungen zwischen dem Kläger und der zweitbeklagten Partei durchzuführen“.

Zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung gingen sowohl der Vater des Klägers als auch der nunmehrige Beklagte davon aus, dass die Deckungssumme für die unfallkausalen Folgen beim Kläger ausreichen würde.

Mit Schreiben vom 26. 11. 1990 anerkannte der Haftpflichtversicherer des Hundehalters die Schadenersatzansprüche des Klägers dem Grunde nach. Dieses Anerkenntnis leitete der (nunmehrige) Beklagte dem Vater des Klägers mit Schreiben vom 10. 12. 1990 weiter und teilte weiters mit, dass die Versicherung primär, also direkt und dem Grunde nach jedenfalls hafte und das Verfahren endgültig ruhen bleiben könne, weil die persönliche Haftung des Hundehalters nicht mehr benötigt werde.

Mit Schreiben vom 3. 5. 2007 teilte der Haftpflichtversicherer dem Kläger mit, dass die Gesamtversicherungssumme verbraucht sei und er sich mit weiteren Forderungen an den Verursacher wenden müsse. Nach Ausschöpfung der Deckungssumme fielen aufgrund weiterer Operationen beim Kläger weitere Folgekosten aus dem Hundebiss an.

Mit der am 15. 9. 2008 eingebrachten Schadenersatzklage begehrt der Kläger den Ersatz dieser weiteren Kosten in Höhe von 13.764,45 EUR sA und die Feststellung der Haftung des Beklagten für künftige Schäden, dies (unter anderem) mit der Begründung, der nunmehrige Beklagte habe die seinerzeitige Klage zu spät eingebracht, sodass das Klagebegehren gegen den Hundehalter wegen Verjährung abgewiesen worden sei. Eine rechtzeitig eingebrachte Klage hätte Erfolg gehabt und die Möglichkeit der Durchsetzung der nicht gedeckten Ansprüche gegen den Hundehalter eröffnet.

Das Erstgericht wies die Klage mit der Begründung ab, dass bereits zum Zeitpunkt der Ruhensvereinbarung im seinerzeitigen Verfahren der Vater (und gesetzliche Vertreter) des Klägers so weit informiert gewesen sei, dass eine Feststellungsklage gegen den (nunmehrigen) Beklagten erhoben werden hätte können. Zum Zeitpunkt der Klagsführung sei der behauptete Anspruch daher schon verjährt gewesen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers mit Teil- und Zwischenurteil Folge. Ohne umfassend auf die vom Kläger erhobenen Mängel- und Beweisrügen einzugehen, änderte es das Ersturteil dahin ab, dass es das Begehren des Klägers auf Zahlung von 13.764,45 EUR sA als dem Grunde nach berechtigt erkannte und feststellte, dass der Beklagte dem Kläger für alle aus dem Hundebiss vom 29. 6. 1986 entstehenden Folgeschäden und Nachteile hafte.

Da beide nunmehrigen Streitteile zum Zeitpunkt des seinerzeitigen Berufungsverfahrens davon ausgegangen seien, dass die Deckungssumme zur Deckung der unfallkausalen Folgen beim Kläger ausreichen würde, sei der Schaden erst mit dem Schreiben des Haftpflichtversicherers vom 3. 5. 2007 eingetreten, sodass entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichts der Klagsanspruch bei Klagseinbringung am 15. 9. 2008 nicht verjährt gewesen sei. Das Verschulden des Beklagten liege darin, die seinerzeitige Klage gegenüber dem Hundehalter zu spät eingebracht zu haben, sodass diese nicht zum Erfolg geführt habe.

Der Wert des Entscheidungsgegenstands, über den das Berufungsgericht entschieden habe, sei mit insgesamt mehr als 30.000 EUR anzusetzen. Für die Zulässigerklärung der Revision fehle es an den in § 502 Abs 1 ZPO genannten Voraussetzungen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die (als solche anzusehende) außerordentliche Revision des Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Wiederherstellung des klagsabweisenden Ersturteils. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Das Vorbringen des Beklagten in der außerordentlichen Revision lässt sich dahin zusammenfassen, dass eine Verjährung des nunmehr geltend gemachten Schadens bereits zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses und des Ruhens des Berufungsverfahrens zu laufen begonnen habe. Als Mangel des Berufungsverfahrens wird unter anderem gerügt, dass das Berufungsgericht ohne Beweisaufnahme ein Verschulden des Beklagten angenommen habe, dass er seinerzeit die Klage zu spät eingebracht hätte und deshalb das Klagebegehren zu Recht abgewiesen worden wäre, obwohl über die seinerzeitige Berufung gar nie entschieden worden sei.

Rechtliche Beurteilung

Damit werden aber keine erheblichen Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO aufgeworfen.

1. Anders als der Beklagte meint, hätte die seinerzeitige, erst am 30. 6. 1989 eingebrachte Klage gegen den Hundehalter nicht zum Erfolg führen können. Dem Verjährungseinwand des Hundehalters wurde vom nunmehrigen Beklagten als damaligem Klagevertreter lediglich entgegnet, dass „die Nichteinrechnung der Tage des Postenlaufes … auch für die Rechtzeitigkeit der Klage zur Unterbrechung der Verjährung“ gelte, sodass die Klage rechtzeitig zur Post gegeben worden und Verjährung noch nicht eingetreten sei. Diese Rechtsauffassung war auch schon am 7. 8. 1989 angesichts der damaligen Judikatur unvertretbar, dass das Einlangen der Klage bei Gericht maßgeblich ist (RIS-Justiz RS0034675) und dass der Tag, zu dem die Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB in Gang gesetzt wird, in der Regel mit dem Unfallstag zusammenfällt, falls nicht im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände Abweichendes zu gelten hat (RIS-Justiz RS0034374 [T7]). Die in Bezug auf die Verjährungsfrage erst in die Berufung aufgenommenen Argumente, dass die Person des Schädigers erst lange nach dem 29. 6. 1986 bekannt geworden sei und dass auch der Erstbeklagte ein Anerkenntnis abgegeben habe, unterlagen dem Neuerungsverbot. Bei hypothetischer Annahme einer Fortsetzung des Verfahrens wäre die Klagsabweisung gegen den Erstbeklagten zu bestätigen gewesen.

2. Der Beginn der Verjährungsfrist hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS-Justiz RS0034524 [T10]). Im konkreten Fall wurde frühestens mit dem Zugang des Ablehnungsschreibens der gegnerischen Haftpflichtversicherung vom 3. 5. 2007 klar, dass das beschriebene Fehlverhalten des Beklagten angesichts der weiter notwendigen Heilbehandlungen einen Schaden herbeigeführt haben kann; erst mit dem Zugang dieses Schreibens konnte die Verjährungsfrist für einen Schadenersatzanspruch gegenüber dem Beklagten (frühestens) zu laufen beginnen (RIS-Justiz RS0034908).

3. Auch in Bezug auf die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wird keine erhebliche Rechtsfrage geltend gemacht.

3.1. Nach der Ansicht des Beklagten verstößt die vom Berufungsgericht in seiner Entscheidung vertretene Ansicht gegen das Verbot von „Überraschungsentscheidungen“. Da er jedoch in der Revision nicht darlegt, welches zusätzliche Vorbringen er erstattet hätte, wäre ihm bekannt gewesen, dass das Gericht nicht nur über die Frage der Kenntnis des Klägers (bzw seines gesetzlichen Vertreters) von der eingeschränkten Deckung durch die Versicherung verhandeln und entscheiden werde, ist das Rechtsmittel insoweit nicht gesetzmäßig ausgeführt (RIS-Justiz RS0120056 [T2 und T8]; RS0037095 [T4 und T6]). Im Übrigen konnte der Beklagte betreffend die Frage des Fehlers und seiner Vorwerfbarkeit - trotz der eingeschränkten Thematisierung im Prozessprogramm - auch nicht überrascht werden, weil dieses Thema bereits in der Klage ausdrücklich releviert worden war (vgl RIS-Justiz RS0122365 [T1]). Schließlich hat auch der Beklagte selbst zur Frage des behaupteten Pflichtverstoßes Vorbringen erstattet, mit dem sich das Erstgericht in seinem Beweisverfahren beschäftigt hat.

3.2. Hinsichtlich des behaupteten Verfahrensmangels aufgrund einer „Verletzung“ des Prozessprogramms ist darauf hinzuweisen, dass das Prozessprogramm nicht bindend ist (G. Kodek in Fasching/Konecny 2 § 258 ZPO Rz 25). Eine Unterlassung der Erörterung bzw Protokollierung des Prozessprogramms ist nach der Rechtsprechung in der Regel nicht geeignet, die gründliche Beurteilung der Streitsache zu hindern (RIS-Justiz RS0043027; G. Kodek in Fasching/Konecny 2 § 258 ZPO Rz 26).

4. Die außerordentliche Revision des Beklagten ist daher mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50 und 41 ZPO. Der Kläger hat in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der außerordentlichen Revision des Beklagten hingewiesen. Der Einheitssatz beträgt nur 50 % (§ 23 Abs 3 RATG; § 23 Abs 9 RATG ist nicht anwendbar).

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