OGH 10Ob60/14t

OGH10Ob60/14t25.11.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm sowie die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj N*****, geboren am *****, vertreten durch das Land Wien als Kinder und Jugendhilfeträger, (Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 11, Amt für Jugend und Familie, Bezirke *****), wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs des Minderjährigen, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 15. Juli 2014, GZ 44 R 319/14h-98, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Josefstadt vom 24. April 2014, GZ 23 Pu 130/11t‑87, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0100OB00060.14T.1125.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

Mit Beschluss des Erstgerichts vom 15. 7. 2013 wurden dem Minderjährigen Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 2 UVG in der jeweiligen Richtsatzhöhe nach § 6 Abs 2 UVG gewährt. Am 27. 3. 2014 teilte der Kinder- und Jugendhilfeträger mit, dass sich der Minderjährige seit 24. 3. 2014 im Rahmen der Gefährdungsabklärung in einem Krisenzentrum der Stadt Wien befindet.

Das Erstgericht verfügte die Einstellung der Unterhaltsvorschüsse mit Ablauf des Monats April 2014.

Das Rekursgericht gab dem gegen diese Entscheidung gerichteten Rekurs des Bundes Folge und änderte den Beschluss des Erstgerichts dahin ab, dass die Unterhaltsvorschüsse bereits mit Ablauf des Monats März eingestellt wurden. Rechtlich ging das Rekursgericht davon aus, dass nach der bisherigen Rechtsprechung eine bloße Unterbringung in einem Krisenzentrum ohne Übernahme in die volle Erziehung keinen Grund für die Einstellung von Vorschüssen darstelle. Mit dem am 16. 12. 2013 in Kraft getretenen Wiener Kinder- und Jugendhilfegesetz 2013 sei jedoch eine Änderung der Rechtslage eingetreten. Eine analoge Anwendung des § 2 Abs 2 Z 2 UVG auch auf den Fall der Unterbringung in einem Krisenzentrum zur Gefährdungsabklärung sei deshalb geboten. Die nunmehr ‑ erstmals gesetzlich geregelte ‑ Unterbringung in einem Krisenzentrum zwecks Gefährdungsabklärung sei zwar weiterhin nicht der vollen Erziehung gleichzuhalten. Ebenso wie bei der vollen Erziehung habe das Land Wien aber nunmehr primär die Kosten der Unterbringung in dem Krisenzentrum zu tragen und könne entweder gemäß § 26 WKJHG Kostenersatzansprüche gegen die Eltern geltend machen oder gemäß § 27 WKJHG die Unterhaltsansprüche des Kindes gegen seine Eltern durch entsprechende Anzeige der Legalzession gegenüber den Eltern auf sich übertragen. Mache der Kinder- und Jugendhilfeträger von der Möglichkeit der Legalzession Gebrauch, verliere das Kind seine Unterhaltsansprüche, wodurch notwendigerweise auch sein Anspruch auf Unterhaltsvorschuss wegfallen müsse. Mache der Kinder- und Jugendhilfeträger von der Legalzession der Unterhaltsansprüche keinen Gebrauch, so ergebe sich aber dennoch für den Unterhaltsvorschussanspruch keine andere rechtliche Beurteilung, weil nach § 36 WKJHG dem Kinder‑ und Jugendhilfeträger Kostenersatzansprüche gegen die Eltern des Kindes für die ‑ in erheblicher Höhe auflaufenden ‑ Kosten der Krisenunterbringung zustehen. Dadurch werde die Leistungsfähigkeit der Eltern ausgeschöpft, sodass für einen daneben stehenden Unterhaltsanspruch des Kindes kein Raum bestehe. Überdies könne von den Eltern der Unterhaltsanspruch bzw Kostenersatzanspruch naturgemäß insgesamt nur einmal verlangt werden. Außerdem wäre ein Interessenswiderspruch gegeben, weil der Kinder- und Jugendhilfeträger für denselben Zeitraum einerseits eigene Ansprüche verfolgen darf und andererseits nach § 27 UVG hereingebrachte Unterhaltsbeträge an den Bund zu Handen des Präsidenten des Oberlandesgerichts abzuführen hätte. Die Unterhaltsvorschüsse seien bereits mit Ablauf des Monats März einzustellen.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil noch keine Rechtsprechung zu der Frage bestehe, welche Auswirkungen das Wiener Kinder‑ und Jugendhilfegesetz 2013 auf die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen während einer Krisenunterbringung habe.

Der Revisionsrekurs des Minderjährigen ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig. Er ist aber im Ergebnis nicht berechtigt.

Der Bund hat keine Revisionsrekursbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurswerber macht zusammengefasst geltend, auch nach Inkrafttreten des WKJHG stelle die Unterbringung in einem Krisenzentrum keine volle Erziehung dar. Es sei daher an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten, nach der nicht schon die Aufnahme in das Krisenzentrum, sondern erst die Übernahme in die volle Erziehung zum Wegfall der Voraussetzungen für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen führe. Werde ein Kind zur Gefährdungsabklärung aus der Familie genommen und zur Gefährdungsabklärung in ein Krisenzentrum gebracht, liefen die allgemeinen Lebenshaltungskosten (für Wohnen, Energie, Kindergarten - oder Schule) für die Familie zunächst weiter. Der Minderjährige sei erst mit 7. 5. 2014 in volle Erziehung der Stadt Wien übernommen worden.

Dazu ist auszuführen:

1. Gemäß § 2 Abs 2 Z 2 UVG idF des KindRÄG 1989 BGBl 1989/162 besteht kein Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse, wenn das Kind aufgrund einer Maßnahme der Sozialhilfe oder der vollen Erziehung nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht in einer Pflegefamilie, in einem Heim oder in einer sonstigen Einrichtung untergebracht ist.

1.1. § 2 Abs 2 Z 2 UVG soll ‑ so die Materialien im Justizausschussbericht (II-AB 199 BlgNR 14. GP , 5) ‑ sicherstellen, dass die Kosten der Unterbringung eines Kindes in einem Heim oder bei Pflegeeltern nicht vom Träger der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe, den diese Kosten nach der geltenden Rechtslage treffen, auf den Bund überwälzt werden (RIS-Justiz RS0111606). Dies findet seine Begründung darin, dass der Unterhalt des Kindes durch öffentlich-rechtliche Leistungen der Sozialhilfe oder Jugendwohlfahrtspflege, die vom Unterhaltspflichtigen zu ersetzen sind, abgedeckt ist (ErläutRV 172 BlgNR 17. GP , 24), also das Kind aus öffentlichen Mitteln „voll versorgt wird“. Die Bestimmung soll hindern, dass ein Kostenaufwand, den die Länder zu tragen haben, „faktisch auf den Bund überwälzt werde“. Zu prüfen ist, ob die Länder ungeachtet etwaiger Ersatzrechte gegen das Kind oder Dritte zunächst verpflichtet sind, die Kosten zu bezahlen (10 Ob 54/12g mwN).

1.2. Voraussetzung für die Möglichkeit der Versagung von Unterhaltsvorschüssen ist somit, dass eine Fremdunterbringung vorliegt und diese Unterbringung aufgrund einer Maßnahme der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe erfolgt. Erforderlich ist eine entsprechende Maßnahme mit Kostenfolge für den Jugendwohlfahrts- oder Sozialhilfeträger (RIS-Justiz RS0112860).

1.3. Der Unterhaltsvorschuss wird nach dem Gesetzeswortlaut durch eine im Rahmen der vollen Erziehung erfolgende Unterbringung ausgeschlossen, nicht aber schon bei jeder Art von Fremdunterbringung. Die Voraussetzungen für die Vorschussgewährung liegen vor, wenn Sozialhilfeleistungen erbracht werden oder (bloße) Hilfen zur Erziehung gewährt werden, die noch nicht den Grad der vollen Erziehung erreichen (RIS-Justiz RS0076026; Neumayr in Schwimann/Kodek 4 § 2 UVG Rz 24 mwN). So genügt es nach der Rechtsprechung nicht, wenn bloß die Obsorge über ein Pflegekind auf Pflegeeltern übertragen und eine Pflegebewilligung erteilt wird und die Kosten aus Mitteln der Sozialhilfe getragen werden, wenn nicht auch die Pflege und Erziehung eines Kindes in einer Pflegefamilie ausdrücklich als Maßnahme der vollen Erziehung statuiert und erfasst wird (RIS-Justiz RS0112860). Vorschüsse sind dann nicht zu gewähren, wenn ‑ verkürzt gesagt ‑ der Unterhalt des Kindes durch öffentlich-rechtliche Leistungen der Sozialhilfe oder Jugendwohlfahrtspflege, die vom Unterhaltspflichtigen zu ersetzen sind, abgedeckt wird (ErläutRV 172 BlgNR 17. GP 24).

1.4. Zu den Auswirkungen der Unterbringung in einem Krisenzentrum bei Gefahr im Verzug (ohne dass eine volle Erziehung vorliegt) auf den Unterhaltsvorschussanspruch besteht die Rechtsprechung, nach der nicht schon die Aufnahme ins Krisenzentrum zum Wegfall der Voraussetzungen für den Bezug von Unterhaltsvorschüssen führt, sondern erst die Übernahme in die volle Erziehung (7 Ob 58/04m = RIS-Justiz RS0112994 [T1]). Dieser Entscheidung lag zugrunde, dass es an einer behördlichen Anordnung fehlte, weil die allein obsorgeberechtigte Mutter ihre ausdrückliche Zustimmung zur Unterbringung der Kinder im Krisenzentrum erteilt hatte. Zum Unterschied dazu erfolgte bei dem der Entscheidung 6 Ob 82/00b zugrunde liegenden Sachverhalt die Unterbringung im Krisenzentrum aufgrund einer Maßnahme des Jugendwohlfahrtsträgers im Rahmen seiner „Interimskompetenz“ nach § 215 Abs 1 ABGB (nunmehr § 211 Abs 1 ABGB), somit aufgrund eines behördlichen Zuweisungsaktes und stellte eine Maßnahme der vollen Erziehung dar.

2. Mit 16. 12. 2013 ist das Wiener Kinder‑ und Jugendhilfegesetz 2013 (WKJH 2013), LGBl Nr 51/2013 in Kraft getreten (§ 57 Abs 1 WKJHG). Dieses ist das Ausführungsgesetz für Wien zwecks Umsetzung der grundsatzgesetzlichen Vorschriften des Bundes-, Kinder- und Jugendhilfegesetzes 2013 (B-KJHG 2013, BGBl I Nr 69/2013; Erläut zum WKJHG 2013), Vorblatt.

2.1. Wie sich aus den Regelungen des WKJHG 2013 eindeutig ergibt, ist es nicht zu einer - der bisherigen Rechtsprechung Rechnung tragenden - klareren Trennung zwischen der Unterbringung in einem Krisenzentrum zur Gefährdungsabklärung und der vollen Erziehung gekommen:

2.2. Der 3. Abschnitt des WKJHG 2013 (§§ 28 bis 37) trägt den Titel „Erziehungshilfen“ und regelt neben anderen Arten der Hilfe auch die volle Erziehung. Gemäß § 30 Abs 1 WKJHG ist Kindern und Jugendlichen volle Erziehung zu gewähren, wenn das Kindeswohl gefährdet und zu erwarten ist, dass die Gefährdung nur durch Betreuung außerhalb der Familie oder des sonstigen bisherigen Wohnungsumfeldes abgewendet werden kann, sofern der Kinder- und Jugendhilfeträger mit der Pflege und Erziehung zur Gänze betraut ist. Die volle Erziehung umfasst die Pflege und Erziehung der Minderjährigen in einer Pflegefamilie, bei Personen gemäß § 44 Abs 6 WKJHG, in einer sozialpädagogischen Einrichtung oder durch nicht ortsfeste Formen der Sozialpädagogik (Abs 2). Unbeschadet der Pflicht zum Tragen und Ersetzen der Kosten von Maßnahmen der öffentlichen Kinder‑ und Jugendhilfe hat für diese zunächst das Land Wien aufzukommen (§ 35 WKJHG). Volle Erziehung im Sinne dieses Landesgesetzes liegt also vor, sofern der Kinder‑ und Jugendhilfeträger (zumindest) mit der Pflege und Erziehung betraut wurde.

2.3. Demgegenüber regelt der 2. Abschnitt des WKJHG (§§ 24 bis 27) erstmals die „Gefährdungsabklärung und Hilfeplanung“. Ergibt sich aufgrund von Mitteilungen über den Verdacht der Gefährdung des Kindeswohls, aufgrund einer berufsrechtlichen Verpflichtung sowie aufgrund glaubhafter Mitteilungen Dritter der konkrete Verdacht der Gefährdung von Kindern und Jugendlichen, so ist die Gefährdungsabklärung umgehend einzuleiten, um das Gefährdungsrisiko einzuschätzen (§ 24 Abs 1 WKJHG). Als Grundlage für die Gewährung von Erziehungshilfen ist ein Hilfeplan zu erstellen (§ 25 Abs 1 WKJHG). § 27 WKJHG befasst sich mit Krisenzentren und definiert diese als sozialpädagogische Einrichtungen, die zur Betreuung von Minderjährigen während der Gefährdungsabklärung bestimmt sind und nur mit Bewilligung (Bescheid) des Magistrats betrieben werden dürfen. Gemäß § 27 letzter Satz WKJHG gelten die §§ 35, 36, 37, 46, 47, 48 und die §§ 42 und 43 Bundes-, Kinder- und Jugendhilfegesetz 2013 sinngemäß.

3. Die zeitlich nicht begrenzte Unterbringung in einer Betreuungseinrichtung (dem Krisenzentrum) kann aufgrund der sogenannten „Interimskompetenz“ des Jugendwohlfahrtsträgers iSd § 211 Abs 1 ABGB (zuvor § 215 Abs 1 ABGB) bei Gefahr im Verzug zur Wahrung des Wohles eines Minderjährigen erfolgen ( Hopf in KBB 4 § 211 ABGB Rz 1 f; Beck in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 107a Rz 1 ff). Aus Gründen des Kindeswohls ist die Unterbringung möglichst kurz zu halten, wenngleich eine gründliche Gefährdungsabklärung und eine umfassende Hilfeplanung zu erfolgen hat ( Neuhauser, Die Auswirkungen des Wiener und Kinder- und Jugendhilfegesetzes 2013 auf die Bevorschussungsfähigkeit von Unterhaltsforderungen iFamZ 2013, 276 [279]).

4. Im vorliegenden Fall erfolgte die Unterbringung des Minderjährigen im Krisenzentrum im März und April 2014 eindeutig zur Gefährdungsabklärung und nicht aufgrund einer Maßnahme der vollen Erziehung; zu letzterer kam es nach dem Revisionsrekursvorbringen erst ab dem 7. Mai 2014. Es ist nicht strittig, dass nach der Rechtslage des WKJHG 2013 die Krisenunterbringung weiterhin keine „Maßnahme der vollen Erziehung nach dem öffentlichem Jugendwohlfahrtsrecht“ iSd § 2 Abs 2 Z 2 UVG ist.

5. Zu beurteilen ist aber, ob die Krisenunterbringung aufgrund der Rechtslage nach dem Inkrafttreten des WKJHG 2013 eine Maßnahme darstellt, die der vollen Erziehung gleichzuhalten ist, sodass eine analoge Anwendung des § 2 Abs 2 Z 2 UVG geboten wäre.

5.1 Nach der Rechtsprechung ist eine Analogie zu § 2 Abs 2 Z 2 UVG immer dann zu erwägen, wenn das Kind in gleicher Weise wie bei den in § 2 Abs 2 Z 2 UVG angeführten Fällen aufgrund einer Maßnahme (im weitesten Sinn) aus öffentlichen Mitteln versorgt wird und eine Gebietskörperschaft eine primäre ‑ nicht subsidiäre ‑ gesetzliche Verpflichtung zur Tragung der Kosten trifft. Maßgeblich ist also die Vollversorgung des Kindes und die Pflicht zur Kostentragung ( Neumayr aaO § 2 UVG Rz 29 f). Es soll eine Doppelalimentation durch parallele Gewährung von Leistungen der Sozialhilfe und von Unterhaltsvorschüssen vermieden werden. Wird etwa das Kleinkind während der Strafhaft der Mutter gemäß § 74 Abs 3 StVG in der Strafanstalt versorgt, ist eine Analogie zu § 2 Abs 2 Z 2 UVG anzunehmen (RIS-Justiz RS0076029). Die Strafanstalt hat voll für den Unterhalt des Kindes zu sorgen, wobei die Kosten vorläufig vom Bund zu tragen sind, auf den insoweit Alimentationsansprüche gegen einen Dritten kraft Gesetzes übergehen ( Neumayr in Schwimann/Kodek 4 , § 2 UVG Rz 29). Andererseits wurde eine Analogie bei Verhängung der Untersuchungshaft über das unterhaltsberechtigte Kind mit der Begründung abgelehnt, dass in der Untersuchungshaft nicht in gleicher Weise wie bei einer Maßnahme der Sozialhilfe oder der Jugendwohlfahrt für die Bedürfnisse des Kindes gesorgt sei (RIS‑Justiz RS0076033). In der Strafanstalt würden nur die notwendigsten Lebensbedürfnisse eines Untersuchungshäftlings abgedeckt (3 Ob 536/91).

5.2. Zum Unterschied davon erfolgt bei der Krisenunterbringung von Kindern in Wohngemeinschaften eine Vollversorgung im Sinne einer Abdeckung aller Bedürfnisse (die monatliche Kosten von derzeit mindestens 2.400 EUR verursacht ‑  Neuhauser in iFamZ 2013, Die Auswirkungen des Wiener Kinder- und Jugendhilfegesetzes 2013 auf die Bevorschussungsfähigkeit von Unterhaltsforderungen, 276 [279]).

5.3. Auch die weitere Voraussetzung der primären Kostentragungspflicht ist erfüllt. Gemäß § 27 letzter Satz WKJHG gelten ‑ siehe oben ‑ die §§ 35, 36, 37, 46, 47, 48 (des Wiener Kinder‑ und Jugendhilfegesetzes) und die §§ 42 und 43 Bundes-, Kinder- und Jugendhilfegesetz 2013 sinngemäß; damit wird auch die Geltung der für die volle Erziehung geltenden Kostentragungs- und Kostenersatzregelungen für die Unterbringung in einem Kriseninterventionszentrum zur Gefährdungsabklärung angeordnet: Nach § 27 iVm den §§ 35, 36, und 37 hat demnach zunächst das Land Wien ‑ unbeschadet der Bestimmungen über den Kostenersatz - für die Kosten der Krisenunterbringung aufzukommen. Nach § 36 Abs 1 WKJHG sind die Kosten der Unterbringung im Krisenzentrum von den Eltern des Kindes im Rahmen der gesetzlichen Unterhaltspflicht zu ersetzen, soweit sie nach ihren Lebensverhältnissen dazu im Stande sind. § 37 WKJHG ordnet an, dass Forderungen von Kindern auf wiederkehrende Leistungen, die der Deckung des Unterhaltsbedarfs dienen, bei Unterbringung durch den Kinder- und Jugendhilfeträger bis zur Höhe der Ersatzforderung unmittelbar kraft Gesetzes auf die Stadt Wien übergehen. § 27 WKJHG führt iVm §§ 35 bis 37 WKJHG zwar zum Schluss, dass die Krisenunterbringung zwar keine volle Erziehung ist, jedoch für sie ‑ was die Kostentragung und den Kostenersatz betrifft ‑ die Regeln der vollen Erziehung gelten ( Neuhauser , Die Auswirkungen des Wiener Kinder- und Jugendhilfegesetzes 2013 auf die Bevorschussungsfähigkeit von Unterhaltsforderungen, iFamZ 2013, 276 [279]).

5.4. Demnach sind bei der Unterbringung des Minderjährigen im Krisenzentrum zur Gefährdungsabklärung die für eine sinngemäße Anwendung des § 2 Abs 2 Z 2 UVG nach der Rechtsprechung maßgeblichen Kriterien erfüllt, nämlich die aufgrund einer Maßnahme des Kinder- und Jugendhilfeträgers erfolgte Vollversorgung aus öffentlichen Mitteln und die gesetzlich festgelegte Verpflichtung zur primären Kostentragung durch den Kinder- und Jugendhilfeträger. Besteht ‑ ungeachtet etwaiger Ersatzrechte gegen die Eltern oder gegen Dritte ‑ eine Verpflichtung des Landes Wien, diese Kosten zu tragen, ist auch keine Gefahr gegeben, dass diese Kosten auf den Bund überwälzt werden könnten (siehe oben Pkt 1.1.). Um eine Doppelalimentation durch parallele Gewährung einer Vollversorgung aufgrund der Unterbringung durch den Kinder- und Jugendhilfeträger in einem Krisenzentrum und von Unterhaltsvorschüssen zu vermeiden, scheint eine sinngemäße Anwendung des § 2 Abs 2 Z 2 UVG auf die dort nicht ausdrücklich geregelte Unterbringung zur Gefährdungsabklärung geboten (s unten).

6.1. Zu diesem Ergebnis gelangt auch Neuhauser in iFamZ 2013, Die Auswirkungen des Wiener Kinder- und Jugendhilfegesetzes 2013 auf die Bevorschussungsfähigkeit von Unterhaltsforderungen, 276 [279]. Zu seiner ‑ vom Rekursgericht übernommenen ‑ Begründung, infolge der Legalzession nach § 37 WKJHG entfalle der Unterhaltsanspruch des Kindes und infolgedessen auch der Unterhaltsvorschussanspruch, ist aber klarzustellen, dass, soweit die Unterhaltsforderung durch Legalzession auf dritte Personen (zB auf das Land wegen Maßnahmen der Jugendwohlfahrt) oder den Sozialhilfeträger übergeht, diese Person im maßgeblichen Zeitraum an die Stelle des Kindes tritt ( Neumayr in Schwimann/Kodek 4 § 27 UVG, Rz 1). Da die Rechte des Übernehmers mit den Rechten des Überträgers in Rücksicht auf die überlassene Forderung eben dieselben sind (§ 1394 ABGB), kann nicht von einem Entfall des Unterhaltsanspruchs gesprochen werden. Auch kommt es zu keinem Erlöschen des Unterhaltsanspruchs (allein) aus dem Grund, dass die Höhe der Kostenersatzansprüche nach § 36 WKJHG beträchtlich ist.

6.2. Maßgeblich für die analoge Anwendung des § 2 Abs 2 Z 2 UVG ist vielmehr, dass der nach den §§ 24 bis 27 WKJHG 2013 zur Gefährdungsabklärung im Krisenzentrum untergebrachte Minderjährige ‑ wie bereits dargelegt ‑ aus öffentlichen Mitteln umfassend versorgt ist und eine primäre Kostentragungspflicht gegeben ist (§§ 27 iVm 35 WKJHG). Es ist daher von einer planwidrigen Unvollständigkeit des UVG auszugehen, die durch Analogie zu § 2 Abs 2 Z 2 UVG zu schließen ist.

7. Gemäß § 20 Abs 2 UVG ist die Einstellung rückwirkend mit Ablauf des Monats anzuordnen, in dem der Einstellungsgrund eingetreten ist; das ist der März 2014.

Der Revisionsrekurs bleibt daher erfolglos.

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