Spruch:
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der Beschluß des Rekursgerichtes wird in seinem Punkt I., somit der Beschluß des Erstgerichtes in seinem Punkt 2. dahin abgeändert, daß diese Punkte zu lauten haben:
"Der Verlassenschaftsakt wird dem Herrn Gerichtskommissär Dr.Werner H*****, öffentlicher Notar, ***** zur Errichtung des Hauptinventars samt Inventur und Schätzung aller erblasserischen Fahrnisse und zur Inventur aller unbeweglichen Sachen zugemittelt. Die Privatgutachten betreffend die beiden PKW und den VW-Kombi laut Sachverständigengutachten des Herrn Leo S********** vom 23.12.1994 sind nicht dem Hauptinventar zugrunde zu legen. Diese Fahrzeuge sind von einem vom Gerichtskommissär neu zu bestellenden Sachverständigen zu schätzen. Der Wert der unbeweglichen Sachen ist für das Inventar nicht nach dem Liegenschaftsbewertungsgesetz zu ermitteln. Diese Sachen sind mit ihrem Einheitswert anzugeben."
Text
Begründung
In der Verlassenschaftssache nach dem am 4.12.1994 verstorbenen Dr.Walter Harald L***** wurden die auf Grund des Gesetzes abgegebenen bedingten Erbserklärungen der Witwe, Brigitta L*****, zu 1/3 und der Söhne, Raimund, Harald und mj Walter (geb 25.4.1980) L*****, zu je 2/9 angenommen.
Zum unbeweglichen Nachlaß gehören 73/4942 Anteile an der EZ ***** KG J***** verbunden mit Wohnungseigentum an der Wohnung 43 in der S*****gasse ***** (Einheitswert 212.250 S), 126/3884 Anteile an der EZ ***** KG St.L***** verbunden mit Wohnungseigentum an der Wohnung 10 am W***** Gürtel ***** (Einheitswert 291.481 S; letzte Wohnanschrift des Erblassers und Wohnanschrift der Erben) und 1/2 Anteil an der EZ ***** KG L***** (Einfamilienhaus in F*****, Einheitswert 243.000 S).
Die Erben beantragten, von einer Schätzung dieser Liegenschaftsanteile Abstand zu nehmen und diese mit den Einheitswerten in das Inventar einzustellen (ON 17, 18 und 21). Ob eine Schätzung aus besonderen Gründen erforderlich sei, insbesondere zum Schutz des pflegebefohlenen Miterben, sei derzeit noch nicht mit Sicherheit zu sagen, zumal dieser Miterbe eine der beiden Eigentumswohnungen zur Gänze erhalten solle. Die Notwendigkeit einer Schätzung könne erst nach Errichtung des Inventars und nach Vorlage eines Erbteilungsübereinkommens beurteilt werden.
Das Erstgericht trug dem Gerichtskommissär die Errichtung des Hauptinventars samt Inventur und Schätzung ua aller unbeweglichen Sachen, insbesondere der bereits genannten Liegenschaftsanteile iS ua des § 102 AußStrG auf (ON 25 Punkt 2.). Aus dem § 92 Abs 1 und 2 AußStrG ergebe sich eindeutig, daß auch eine Schätzung der unbeweglichen Vermögensteile notwendig sei. Zum Nachlaß gehörten zwei Eigentumswohnungen, von denen eine dem mj.Erben zufallen solle. Die Meinung der Erben, ein Wertausgleich (richtiger wohl Wertvergleich) könne (auch) durch Gegenüberstellung der Einheitswerte erreicht werden, so daß eine teure Liegenschaftsschätzung vermieden werden könne, finde im Gesetz keine Deckung. Es sei amtsbekannt, daß "gleichwertige" Einheitswerte nicht automatisch "gleichwerte" Verkehrswerte darstellen müßten. Deshalb sei der besondere vermögensrechtliche Schutz von mj.Erben nur durch eine Schätzung der Liegenschaften möglich.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Erben gegen Punkt 2. des erstgerichtlichen Beschlusses nicht Folge; es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteigt und daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Besondere Gründe, bei denen die Schätzung nach § 102 Abs 2 AußStrG erforderlich sei, lägen nur dann nicht vor, wenn alle Erben nach Maßgabe ihrer Erbquoten als Miteigentümer auf der (den) Nachlaßliegenschaft(en) grundbücherlich eingetragen werden. Im vorliegenden Fall sei jedoch ein Erbübereinkommen vorgesehen, durch das dem mj.Erben eine Eigentumswohnung ins Alleineigentum übertragen werden soll. Da aus den Einheitswerten der Liegenschaften keine Rückschlüsse auf ihren tatsächlichen Wert gezogen werden könnten, lasse sich ohne Schätzung aller in den Nachlaß fallenden Liegenschaftsanteile nicht verläßlich beurteilen, ob der Minderjährige nicht in dem ihm nach dem Gesetz zustehenden Erbrecht verkürzt wird. Es stehe daher schon jetzt fest, daß die Schätzung zur Wahrung des Kindeswohles erforderlich sei.
Die Witwe und die volljährigen Söhne des Erblassers bekämpfen den Beschluß des Rekursgerichtes insoweit mit außerordentlichem Revisionsrekurs, als er die Anordnung der Schätzung aller unbeweglichen Sachen des Erblassers betrifft. Sie beantragen, den angefochtenen Beschluß dahin abzuändern, daß von der Schätzung abgesehen und der Gerichtskommissär angewiesen wird, das unbewegliche Nachlaßvermögen mit den steuerlichen Einheitswerten in das Inventar einzusetzen; allenfalls wird die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses beantragt.
Rechtliche Beurteilung
Der außerordentliche Revisionsrekurs ist nach § 14 Abs 1 AußStrG zulässig. Die Entscheidung hängt von der Lösung einer Rechtsfrage ab, der zur Wahrung der Rechtssicherheit erhebliche Bedeutung zukommt, weil das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abweicht.
Der Revisionsrekurs ist auch berechtigt.
Nach § 102 Abs 2 AußStrG in der Fassung Liegenschaftsbewertungsgesetz - LBG BGBl 1992/150 ist der Wert unbeweglicher Sachen nach dem LBG zu ermitteln, wenn dies von einer Partei beantragt wird oder aus besonderen Gründen, insbesondere zum Schutz Pflegebefohlener, erforderlich ist. Im übrigen sind unbewegliche Sachen mit ihrem Einheitswert anzugeben (Abs 3 leg cit).
§ 102 Abs 2 AußStrG aF hatte folgenden Wortlaut: "In Beziehung auf die Rechte der Parteien ist eine gerichtliche Schätzung zum Zwecke der Abhandlung nur dann aufzunehmen, wenn sie von einem der Erben angesucht, oder von dem Gerichte wegen Berechnung des Pflichtteiles oder aus anderen besonderen Gründen ausdrücklich angeordnet wird. Außer diesem Falle kann der Wert der Güter in dem Inventar nach der letzten früher vorgenommenen Schätzung oder nach dem Kontrakte bei der letzten Besitzveränderung oder endlich nach den Steuerregistern angeschlagen werden."
§ 102 Abs 2 AußStrG idF LBG nennt jene Fälle, in denen unbewegliche Sachen mit ihrem nach dem LBG ermittelten Wert in das Inventar aufzunehmen sind. Die aufgezählten Fallgruppen stimmen im wesentlichen mit den im ersten Satz des § 102 Abs 2 AußStrG aF überein. Allerdings wurde das Recht zur Stellung eines Antrages auf Wertermittlung nach dem LBG auf alle Parteien ausgedehnt. Überdies wurde hinsichtlich der amtswegigen Anordnung der Wertermittlung nach dem LBG der Schutz Pflegebefohlener sprachlich in den Vordergrund gestellt (RV zum LBG 333 BlgNR 18.GP 17).
Da die beiden Fassungen des § 102 Abs 2 AußStrG im wesentlichen übereinstimmen, kann die zur aF dieser Gesetzesstelle ergangene neuere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes auch zur Auslegung der nunmehrigen Fassung herangezogen werden.
Danach ist die von der älteren Rechtsprechung (EvBl 1961/126 = RZ
1961, 143 = NZ 1961, 138; 23.3.1976, 4 Ob 501/76) vertretene Ansicht
als überholt anzusehen, die Tatsache, daß der Einheitswert nicht dem wirklichen Wert der Liegenschaft entspricht, rechtfertige die Anordnung der gerichtlichen Schätzung. Nach neuerer Rechtsprechung (EvBl 1979/214; 8.10.1991 WoBl 1993, 36; 15.7.1993, 8 Ob 510/93) ist die - amtswegige - Anordnung einer solchen Schätzung wegen des damit verbundenen Kostenaufwandes nur dann berechtigt, wenn die Interessen von Pflichtteilsberechtigten oder anderen Dritten (zB Nacherben) zu wahren sind. In der E EvBl 1979/214 wird bereits zutreffend ausgeführt, daß das Wohl minderjähriger Erben auch im Verlassenschaftsverfahren zu berücksichtigen und seine Mißachtung durch Anordnung einer gerichtlichen Schätzung unbeweglicher Güter unter enormem Kostenaufwand offenbar gesetzwidrig ist. Dies gilt auch für § 102 Abs 2 AußStrG idF LBG, in dem der Schutz Pflegebefohlener ausdrücklich als wichtigster besonderer Grund für die amtswegige Ermittlung des Wertes unbeweglicher Sachen nach dem LBG genannt ist.
Die Revisionsrekurswerber führen zuterffend aus, daß im derzeitigen Stand des Verlassenschaftsverfahrens ein solcher besonderer Grund nicht vorliegt. Ob eine solche Schätzung im Zuge einer allfälligen Erbteilung erforderlich sein wird, ist derzeit noch nicht zu entscheiden.
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