OGH 10Ob507/87

OGH10Ob507/8730.11.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier, Dr. Angst, Dr. Bauer und Dr. Kellner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ljubica S***, Arbeiterin, 1120 Wien, Schallergasse 27/17, vertreten durch Dr. Werner Mayerhofer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Martin S***, Schlosser, 1100 Wien, Eisenmengergasse 15/12, vertreten durch Dr. Johann Fontanesi, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revision beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 23. Juni 1987, GZ. 12 R 119/87-45, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 20. Dezember 1986, GZ. 38 Cg 239/84-37, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Beiden Revisionen wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Revisionsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am 13.Dezember 1973 vor dem Standesamt Wien-Favoriten die für beide Teile erste Ehe geschlossen. Beide Parteien sind österreichische Staatsbürger, ihr letzter gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt war in Wien 10., Eisenmengergasse 15/12. Der Ehe entstammen die am 2.Februar 1975 geborene Daniela und die am 1. März 1979 geborene Alexandra.

Die Parteien heirateten nach einjähriger Bekanntschaft. Die Ehe verlief etwa 10 Jahre lang leidlich, weil die Klägerin zum Verhalten des Beklagten keine Ansicht äußerte. Dieser beschäftigte sich vorwiegend mit sich selbst, sprach mit seiner Frau, die wegen der Kinder nur im Haushalt tätig war, wenig, an einzelnen Tagen und manchmal sogar tagelang gar nichts und wandte sich nach seiner Heimkehr von der Arbeit dem Lesen oder Fernsehen zu. Seine Hobbies beschränkten sich auf das Revolverschießen auf einem Schießstand etwa dreimal jährlich und ebensoviele Kinobesuche. Dieses Verhalten des Beklagten führte zu einer Entfremdung. Das Monatseinkommen des Beklagten im Jahr 1984 betrug ohne Familienbeihilfe aber einschließlich geleisteter Überstunden ca. 13.400 S netto 14 x jährlich. Die Überstundenleistungen gestaltet der Beklagte eher willkürlich. Wenn er sich ausschlafen wollte, bei der Heimkehr das Essen nicht fertig oder schlechtes Wetter war, unterließ er sie. Bis 1983 erhielt die Klägerin ein wöchentliches Wirtschaftsgeld von S 1.000 gelegentlich auch weniger. Die Kinder erzog der Beklagte so, daß sie nach seiner Heimkehr keinen Lärm mehr machen durften. Ab Anfang 1984 kam die Klägerin mit dem Wirtschaftsgeld nicht mehr aus. Aus ihren Vorhalten entwickelten sich Streitigkeiten, in deren Verlauf der Beklagte seine Frau mit Ausdrücken wie "du blöder Tschusch" beschimpfte und sie im Lauf des Jahres 1984 auch vier- bis fünfmal am Hals ergriff, schüttelte und würgte. Er begann auch, die Klägerin häufiger in gehässigem Ton auch vor Bekannten und Verwandten als Tschuschenweib zu beschimpfen und gab ihr, wenn sie nicht gesund war, nicht das Gefühl, für sie da zu sein und sich um sie zu kümmern. Es kam einige Male vor, daß er mit den Kindern ausging, seine Frau aber nicht mitgehen ließ. Im Sommer 1984 sperrte er die Klägerin für mehrere Stunden aus der Wohnung, weil er das Wohnungsschloß reparieren wollte und meinte, sie könne ja zu ihrer Nachbarin gehen.

Im Jahr 1983 zog Elisabeth W*** in die Nachbarwohnung der Streitteile ein. Zwischen den Frauen entwickelte sich eine enge Freundschaft, die Frauen besuchten einander täglich - der Beklagte sonderte sich dabei ab - gingen im Jahr 1984 fast jedes Wochenende bis in die späte Nacht tanzen oder in Cafehäuser, während der Beklagte, der deswegen eifersüchtig war, zu Hause die Kinder betreute. Die Klägerin verbrachte auch einige Wochenenden mit Elisabeth W*** in Jugoslawien. Über ihre Begleitung und ihren Verbleib bei diesen Ausflügen und nächtlichen Cafehausbesuchen machte sie dem Beklagten gegenüber unrichtige Angaben. Sie zog es auch einmal vor, mit Freundinnen auszugehen, anstatt ihre Tochter von einer Schulveranstaltung abzuholen. Der Beklagte versäumte deshalb seine Nachtschicht.

Seit Einbringung der Scheidungsklage wünschte die Klägerin keine Intimitäten mehr, der Beklagte zwang sie Ende 1984 mehrfach durch körperliche Gewalt und Drohungen zum Beischlaf. Die Klägerin fürchtete sich seither vor dem Beklagten.

Der Beklagte wollte am 16.Dezember 1984 mit der Klägerin den Hochzeitstag und ihren Geburtstag feiern und bestellte dazu einen Tisch in einem Restaurant. Er ersuchte die Klägerin, ohne ihr den Grund dafür zu nennen, noch am selben Tage von einem Ausflug nach Hause zu kommen, die Klägerin blieb aber über das ganze Wochenende von zu Hause fort. Sylvester feierte sie - der Beklagte wollte trotz Aufforderung nicht mitkommen - bei einem Cousin und dessen Frau. Als die Klägerin bis zum nächsten Mittag noch nicht zu Hause war, rief der Beklagte bei dem Cousin an und erkundigte sich, wohin er die Sachen der Klägerin bringen solle. Als die Klägerin am Abend des 1. Jänner 1985 nach Hause kam, verlangte der Beklagte von ihr die Wohnungsschlüssel, ohrfeigte sie, zwang sie mit Gewalt zum Beischlaf und verhinderte ihr Weggehen durch Versperren der Wohnung. Die Klägerin verließ am nächsten Tag die Wohnung unter Mitnahme ihrer wichtigsten Kleidungsstücke endgültig und zog zu ihrem Cousin. Bei einem weiteren Versuch, persönliche Sachen und Papiere aus der Ehewohnung zu holen, wurde sie vom Beklagten geohrfeigt. Die Klägerin begann in der Folge in einem Gasthaus zu arbeiten. Mit einstweiliger Verfügung vom 27.September 1984 wurde der Beklagte zur Unterhaltsleistung für seine Frau und die beiden Kinder verpflichtet. Obwohl die Kinder nach dem Auszug der Klägerin in seinem Haushalt verblieben und von ihm verpflegt wurden, lief die bewilligte Lohnpfändung in vollem Umfange weiter. Am 30.Mai 1985 war der Beklagte in so schlechter seelischer und finanzieller Verfassung - er konnte die fällige Rate für die Tagesschule seiner älteren Tochter nicht aufbringen - daß er sich zum Arbeitsplatz seiner Frau begab und sie aufforderte, die sofortige Einstellung der Lohnexekution zu erwirken. Als die Klägerin erklärte, sie könne den Arbeitsplatz nicht verlassen, setzte der Beklagte ihr einen Revolver an die Brust, der Wirt konnte ihm jedoch in den Arm fallen und ihm den Revolver wegschlagen. Wegen dieses Vorfalles sowie wegen leichter Körperverletzung der Klägerin - diese hatte nach den oben geschilderten Vorfällen polizeiliche Anzeige erstattet - wurde der Beklagte rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten, bedingt auf drei Jahre verurteilt.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß der Beklagte schwere Eheverfehlungen gesetzt habe, die zu einer so tiefgreifenden und unheilbaren Zerrüttung geführt hätten, daß die Klägerin die Ehe nicht mehr fortsetzen könne und wolle. Gegenüber den groben Verfehlungen des Beklagten könnten die Ausgänge und Ausflüge der Klägerin mit ihrer Freundin Elisabeth W*** nicht als Eheverfehlungen gewertet werden. Diese seien nur menschliche Flucht- und Abreaktionshandlungen der durch ihren Mann gekränkten, zurückgesetzten und körperlich unterlegenen Klägerin gewesen. Die Ehe sei daher aus dem Alleinverschulden des Klägers an der Zerrüttung zu scheiden.

Das Berufungsgericht gab der nur hinsichtlich des Ausspruches des Alleinverschuldens erhobenen Berufung des Beklagten teilweise Folge und änderte das Ersturteil insoweit ab, als es aussprach, daß das Verschulden beide Teile treffe, wobei jenes des Beklagten überwiege. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes. Die Nichtbeachtung des Ehepartners, die Beschimpfungen, Mißhandlungen und Drohungen mit Mißhandlung durch den Beklagten stellten schwere Eheverfehlungen dar. Der Beklagte habe auch durch sein lieb- und interesseloses Verhalten den Anlaß zu einer Entfremdung und zunehmenden Zerrüttung der Ehe und auch zu dem immer stärker werdenden Wunsch der Klägerin nach Zerstreuung gegeben. Die regelmäßigen nächtlichen Besuche von Cafehäusern und Tanzveranstaltungen und Ausflüge über ganze Wochenenden gingen aber über eine angemessene und entschuldbare Reaktion auf das Verhalten des Beklagten hinaus und seien als selbständige ehezerstörende Verhaltensweisen der Klägerin zu werten. Da die Schuld des Beklagten erheblich schwerer wiege und der Unterschied der beiderseitigen Eheverfehlungen offenkundig hervortrete, sei dem Beklagten das überwiegende Verschulden anzulasten.

Gegen dieses Urteil wenden sich die Revisionen beider Streitteile. Beide machen die Revisionsgründe der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und begehren, das Berufungsurteil aufzuheben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Klägerin beantragte in eventu, den Verschuldensausspruch dahin abzuändern, daß das Alleinverschulden den Beklagten treffe, dieser wiederum, es möge das überwiegende Verschulden der Klägerin ausgesprochen werden. Beiden Revisionen kommt keine Berechtigung zu.

Der Beklagte bemängelt, das Berufungsgericht habe in der mündlichen Berufungsverhandlung keine neuerliche Vernehmung der Parteien durchgeführt, trotz "verbaler Begründung" liege daher keine ausreichende Grundlage für die Billigung der Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht vor.

Rechtliche Beurteilung

Die Frage, ob das Berufungsgericht eine Beweiswiederholung für notwendig hält, gehört der Beweiswürdigung an (EFSlg. 39.254 uva). Hält das Berufungsgericht eine Beweiswiederholung nicht für erforderlich und billigt es die Beweiswürdigung des Erstgerichtes, so bildet dies keinen Revisionsgrund.

Der Revision der Klägerin ist dagegen nicht zu entnehmen, worin die gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens gelegen sein soll. Auch die Rechtsrügen beider Revisionen sind nicht berechtigt. Richtig ist, daß bloße Reaktionen auf das ehewidrige Verhalten des Partners allein noch keine Annahme eines Mitverschuldens rechtfertigen und daß es wesentlich darauf ankommt, wessen Verfehlungen die erste Ursache für die weiteren waren und inwieweit sie allenfalls andere bedingt und schließlich zum Scheitern der Ehe geführt haben. Dabei ist nicht nur die Schwere der Verfehlungen zu berücksichtigen, sondern auch, in welchem Umfang diese zur Zerrüttung beigetragen haben (EFSlg. 48.822, 48.823 uva). Sicher war das Gesamtverhalten des Beklagten gegenüber seiner Ehefrau, insbesondere seine Interesselosigkeit, Abkapselung und verletzenden Beschimpfungen vor dritten Personen erste Ursache für die Entfremdung. Es darf aber nicht übersehen werden, daß die Klägerin, die zumindest das wenig gesellige Verhalten des Beklagten durch viele Jahre hindurch widerspruchslos geduldet hatte, bei ihren Bestrebungen, dieses durch eigene Zerstreuung auszugleichen, über das Ziel geschossen ist und gerade dadurch extrem negative Verhaltensweisen des Beklagten veranlaßte. Nach den vorliegenden Feststellungen kann jedenfalls nicht davon ausgegangen werden, daß die Ehe schon im ersten Halbjahr 1984 unheilbar zerrüttet gewesen wäre. Gerade der Aufbau der intensiven Freundschaft der Klägerin mit Elisabeth W*** in diesem Zeitraum, die häufigen nächtlichen Besuche von Tanzlokalen und Cafehäusern, die Unternehmungen an Wochenenden, die alle nicht erst nach Einleitung des Scheidungsverfahrens erfolgten, und auch das Ausbleiben der Klägerin über Nacht haben ganz wesentlich zur weiteren Entfremdung der Ehegatten und damit zum Scheitern der Ehe beigetragen. Diese "Befreiungsversuche" gingen, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, jedenfalls über eine bloß entschuldbare beaktion der Klägerin auf das Verhalten des Beklagten hinaus, der der Klägerin zu Recht mangelnde Rücksichtnahme auf die Familie, insbesondere auf die Kinder anläßlich solcher Unternehmungen zur Last legte und der überdies wegen der nächtlichen Ausgänge eifersüchtig war. Das ehewidrige Verhalten der Klägerin hat dazu beigetragen, daß die Zerrüttung der Ehe wesentlich vertieft wurde. Der zunächst schuldtragende Beklagte durfte bei verständiger Würdigung des Verhaltens der Klägerin dieses noch als ehezerrüttend empfinden. Daß er dies getan hat, zeigt sich auch darin, daß er die schwersten, in keiner Weise entschuldbaren Eheverfehlungen - von bloßen Reaktionshandlungen auf das Verhalten der Klägerin kann hier keine Rede mehr sein - auch erst in einem nachfolgenden Zeitraum Ende 1984 Anfang 1985 setzte. Zu Recht hat das Berufungsgericht daher auch der Klägerin ein Verschulden am Scheitern der Ehe angelastet, das aber gegenüber dem erheblich schwerer wiegenden Verschulden des Beklagten weit in den Hintergrund tritt. Gegen die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes bestehen daher keine Bedenken.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 43 Abs.1 und 50 ZPOn

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