OGH 10Ob49/08s

OGH10Ob49/08s22.4.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** AG, *****, vertreten durch Mag. Wolfgang Weilguni, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Fetih E*****, Pensionist, *****, vertreten durch Dr. Benedikt Wallner, Rechtsanwalt in Wien, wegen 18.000 EUR sA, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. Jänner 2008, GZ 13 R 242/07i-39, mit dem die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 20. August 2007, GZ 1 Cg 21/07a-24, als verspätet zurückgewiesen wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs der beklagten Partei wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens über die Berufung unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen. Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Verhandlung in erster Instanz vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien wurde am 3. 7. 2007 geschlossen; dieser Verhandlungstermin fand - nach der Rückübersiedlung des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien - bereits im Justizpalast (Schmerlingplatz 11) statt. Das Urteil vom 20. 8. 2007 wurde dem Beklagtenvertreter am 3. 9. 2007 zugestellt.

Der Beklagtenvertreter gab am Montag, 1. 10. 2007, dem letzten Tag der vierwöchigen Berufungsfrist, eine an das „Landesgericht für ZRS Wien, Schwarzenbergplatz 11, 1040 Wien" adressierte Berufung zur Post, die am Freitag, 5. 10. 2007, beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien einlangte. Auf dem Briefkuvert ist handschriftlich vermerkt: „NS: Schmerlingplatz 10-11, 1016 Wien". Mit dem angefochtenen Beschluss vom 25. 1. 2008 (ON 39) wies das Berufungsgericht die Berufung als verspätet zurück: Die Nichteinrechnung des Postlaufs gemäß § 89 Abs 1 GOG setze voraus, dass die Berufung auch an das richtige Gericht adressiert sei. Sei die Adresse falsch, sei § 89 GOG nicht anzuwenden, weshalb die Tage des Postlaufs in die Frist einzurechnen seien. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit sei dann der Tag des Einlangens beim zuständigen Gericht. Daraus ergebe sich, dass die erst nach Ablauf der Berufungsfrist beim Erstgericht eingelangte Berufung verspätet sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der beklagten Partei mit dem Antrag auf Abänderung dahingehend, dass die Berufung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund für rechtzeitig erklärt werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist jedenfalls zulässig (§ 519 Abs 1 Z 1 ZPO); er ist auch berechtigt.

Ausgehend vom Zustelldatum (3. 9. 2007) und dem Datum der Postaufgabe (1. 10. 2007) ist das Rechtsmittel dann rechtzeitig, wenn die Tage des Postlaufs nicht in die Frist eingerechnet werden (§ 89 Abs 1 GOG).

Die Berufung ist jedenfalls an das richtige Gericht (Landesgericht für ZRS Wien) adressiert; die angegebene Adresse war aber nicht mehr richtig. Dieser Umstand führte zu einem rein postalischen Umweg (aufgrund eines Nachsendeauftrags), ohne dass eine Zustellung an einem anderen Ort versucht worden wäre. In dieser dadurch gekennzeichneten Sondersituation, dass das angerufene Gericht an der angegebenen Adresse nicht mehr besteht und die Postsendung von der Post an die richtige Adresse umgeleitet wird, bleibt die Berufungsfrist mit rechtzeitiger Postaufgabe gewahrt. So hat der Oberste Gerichtshof das Datum der Postaufgabe (§ 89 Abs 1 GOG) insbesondere auch dann als maßgeblich angesehen, wenn das Adressatgericht zum Zeitpunkt der Postaufgabe gar nicht mehr existierte, etwa beim Übergang der Zuständigkeit vom Schiedsgericht der Sozialversicherung auf ein Landesgericht als Arbeits- und Sozialgericht (10 ObS 15/87; RIS-Justiz RS0041829), vom Arbeitsgericht Wien auf das Arbeits- und Sozialgericht Wien (9 ObA

45/87 = SZ 60/192) und von einem aufgelösten Bezirksgericht auf ein

anderes (6 Ob 298/02w und 3 Ob 13/03p = SZ 2003/42). In all diesen Fällen war in den zu beurteilenden Rechtsmitteln nicht nur die Adresse, sondern auch die Bezeichnung des Adressatgerichts unrichtig angegeben. Die Maßgeblichkeit der Postaufgabe muss erst recht in einem Fall wie dem vorliegenden gelten, in dem lediglich die Adresse unrichtig angegeben ist und es dadurch zu postalischen Verzögerungen, nicht aber zu einer Zustellung an einem falschen Ort (bei einem „falschen Gericht") kommt. Soweit in der Entscheidung 10 Ob 20/06y (RIS-Justiz RS0041753 [T1]) von einer „unrichtigen Adressierung" die Rede ist, ging es nicht um die Ortsangabe, sondern um die Bezeichnung des Gerichts (ebenso im Fall 2 Ob 252/81).

Da die Rechtsmittelfrist gewahrt ist, hat das Berufungsgericht das gesetzliche Verfahren über die Berufung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund durchzuführen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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