OGH 10Ob43/22d

OGH10Ob43/22d13.12.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober, Dr. Thunhart und Dr. Annerl als weitere Richter in der Familienrechtssacheder Antragstellerin J*, vertreten durch Dr. Roland Gabl Rechtsanwalts KG in Linz, gegen den Antragsgegner G*, vertreten durch Dr. Manfred Harrer, Rechtsanwalt in Linz, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 27. Oktober 2021, GZ 45 R 268/21a‑47, mit dem der Rekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 6. Mai 2021, GZ 26 Fam 16/20h‑42, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0100OB00043.22D.1213.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Unterhaltsrecht inkl. UVG

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Rekursgerichts wird aufgehoben. Dem Rekursgericht wird die neuerliche Entscheidung über den Rekurs des Antragsgegners unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die von der Antragstellerin am 9. 9. 2022 eingebrachte Revisionsrekursbeantwortung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Kosten des Rekursverfahrens.

 

Begründung:

[1] Der Antragsgegner ist der Vater der Antragstellerin. Er war ihr aufgrund des Beschlusses des Bezirksgerichts Urfahr-Umgebung vom 12. 10. 2011 zu einem monatlichen Geldunterhalt von 200 EUR verpflichtet, den er bis 31. Juli 2018 und von Mai 2019 bis September 2019 auch geleistet hat. Die Antragstellerin hat am 17. 9. 2019 das Diplomstudium Lehramt Spanisch/Geschichte abgeschlossen. Von 1. 10. 2019 bis 31. 5. 2020 hat sie an einem bilateralen Fremdsprachenassistenz-Programm des Bildungsministeriums an einer Schule in Italien teilgenommen und ein Stipendium von 850 EUR monatlich erhalten.

[2] Den Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens bildet die Frage, ob der Antragsgegner im nunmehrigen Verfahren erster Instanz seine Unterhaltsenthebung ab 1. 10. 2019 beantragt hat.

[3] Das Erstgericht erhöhte den vom Antragsgegner zu leistenden monatlichen Geldunterhalt im Zeitraum von 1. 4. 2017 bis 30. 9.2019 um im Einzelnen bestimmte monatliche Beträge (Punkt 1.), wies ein Unterhaltsmehrbegehren für den Zeitraum 1. 1. 2019 bis 30. 9. 2019 (Punkt 2.) sowie ein Zinsenmehrbegehren (Punkt 3.) ab und wies außerdem den Antrag auf Unterhaltserhöhung in der Zeit von 1. 10. 2019 bis 31. 3. 2020 zur Gänze ab (Punkt 4.).

[4] Die Teilnahme der Antragstellerin an einem Fremdsprachenassistenz-Progamm sei zwar unterhaltsrechtlich als Beschäftigung zu werten. Aufgrund des daraus erzielten Einkommens von lediglich 850 EUR im Monat liege für die Zeit der Teilnahme noch keine Selbsterhaltungsfähigkeit vor. Es könne nämlich davon ausgegangen werden, dass die Teilnahme an derartigen Programmen die Chancen am Arbeitsmarkt erhöhen. Das erzielte Einkommen sei allerdings als Eigeneinkommen unterhaltsmindernd zu berücksichtigen.

[5] In seinem Rekurs bekämpfte der Antragsgegner (erkennbar) die Nichtenthebung von seiner Unterhaltsverpflichtung in monatlicher Höhe von 200 EUR in den acht Monaten von 1. 10. 2019 bis 31. 5. 2020 (insgesamt 1600 EUR) infolge Selbsterhaltungsfähigkeit der Antragstellerin. Die Teilnahme an dem Fremdsprachenassistenz-Progamm habe keine Erhöhung von Chancen am Arbeitsmarkt bewirkt, verglichen mit einem sofortigen Arbeitsantritt als Lehrerin im Schuljahr 2019/2020.

[6] Das Rekursgericht wies den Rekurs mangels Beschwer zurück. Der Antragsgegner begehre in seinem Rekurs erstmals die Enthebung von seiner bestehenden Unterhaltsverpflichtung ab 1. 10. 2019, wofür das Rechtsmittelgericht funktionell unzuständig sei. Da der Antragsgegner im Verfahren erster Instanz keinen Unterhaltsenthebungsantrag gestellt habe, sei der Verfahrensgegenstand vom Erstgericht umfassend behandelt worden.

[7] Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht nachträglich am 30. 8. 2022 (siehe dazu 10 Ob 42/21f) mit der Begründung zu, dass unter Berücksichtigung des Vorbringens des Antragsgegners in seinem Revisionsrekurs eine Klarstellung in Ansehung der mit den Rechtsmittelausführungen in Zweifel gezogenen, stets zu wahrenden Rechtssicherheit angezeigt erscheine.

[8] Mit seinem am 13. 12. 2021 eingebrachten Revisionsrekurs will der Antragsgegner die Aufhebung des Zurückweisungsbeschlusses des Rekursgerichts erreichen.

[9] Die Antragstellerin stellt in der am 20. 12. 2021 eingebrachten Revisionsrekursbeantwortung den Antrag, die „Revision“ zurückzuweisen, in eventu der „Revision“ nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig und auch berechtigt.

[11] 1. Im erstinstanzlichen Verfahren hat die Antragstellerin am 5. 3. 2020 den Antrag gestellt, den Unterhalt ab 1. 4. 2017 (neu) festzusetzen, wobei das konkrete Begehren hinsichtlich der Unterhaltshöhe vorbehalten wurde (ON 1). In seiner Stellungnahme vom 10. 6. 2020 (ON 13) ersuchte der damals unvertretene Antragsgegner

„um Prüfung, ob meine Tochter selbsterhaltungsfähig ist, bzw. schon längere Zeit zumindest war, und ihr daher kein Unterhalt mehr zusteht. Weiters ersuche ich um Prüfung, ob meine Tochter nicht aufgrund ihres Aufenthaltes in ..., Italien, ein Einkommen bezogen hat bzw. ihr Studium ordnungsgemäß betrieben hat. Soweit mir bekannt ist meine Tochter bereits seit längerem selbsterhaltungsfähig. …“.

[12] Am 2. 7. 2020 bezifferte die Antragstellerin ihr Begehren der Höhe nach (ON 16). Am 29. 7. 2020 brachte der nun anwaltlich vertretene Antragsgegner eine Äußerung ein, in der er auf die Stellungnahme vom 10. 6. 2020 verwies und ergänzte, dass die Antragstellerin seit Längerem selbsterhaltungsfähig sei. Außerdem stehe ihr kein Unterhalt zu, weil sie das Studium nicht ordnungsgemäß betrieben habe. Er sei seiner Unterhaltspflicht ordnungsgemäß nachgekommen. Abschließend stellte er den Antrag, „das geltend gemachte Unterhaltsbegehren abzuweisen, in eventu den zustehenden Unterhaltsbetrag im gesetzlichen Ausmaß festzusetzen“ (ON 21).

[13] In einer weiteren Stellungnahme vom 27. 1. 2021 (ON 33) wiederholte der Antragsgegner, dass die Antragstellerin ab Abschluss des Diplomstudiums jedenfalls keinen Anspruch auf Unterhalt mehr habe. In der anschließenden Zeit sei sie bereits als Fremdsprachenassistentin im Ausland tätig geworden und somit erwerbstätig gewesen. Hätte sie eine zumutbare Beschäftigung im Inland aufgenommen, hätte sie ein höheres Einkommen als 850 EUR monatlich erzielen können. Aufgrund der überlangen Studiendauer hätte ein weiterer Unterhaltsanspruch ohnehin nicht bestanden. Da kein Unterhaltsanspruch mehr bestehe, sei der Antrag abzuweisen.

[14] 2. Erkennbar ging der Antragsgegner davon aus, dass über den Unterhaltsanspruch der Antragstellerin „neu“ und insgesamt entschieden werde, also ohne Rücksicht auf den bestehenden Unterhaltstitel. Auch wenn die Wortwahl nicht exakt ist, ist ersichtlich, dass er ab 1. 10. 2019 (Abschluss des Diplomstudiums) keinen Geldunterhalt mehr leisten, also inhaltlich von seiner Unterhaltspflicht enthoben werden wollte.

[15] 3. Das Erstgericht ist insoweit dem Standpunkt des Antragsgegners nicht gefolgt und hat lediglich den Antrag auf Unterhaltserhöhung in der Zeit von 1. 10. 2019 bis 31. 3. 2020 abgewiesen, ohne über die (inhaltlich) begehrte Unterhaltsenthebung zu entscheiden.

[16] 4. Ausgehend davon, dass der Antragsgegner im Verfahren erster Instanz bereits die Enthebung von seiner Unterhaltspflicht ab 1. 10. 2019 begehrt hat, ist die Annahme des Rekursgerichts, dem Rekurs fehle die Beschwer unzutreffend.

[17] Da der vom Rekursgericht herangezogene Zurückweisungsgrund nicht gegeben ist, hat das Rekursgericht den Rekurs des Antragsgegners in der Sache zu behandeln.

[18] 5. Auch nach dem Außerstreitgesetz steht jeder Partei nur eine einzige Rechtsmittelschrift oder Rechtsmittelgegenschrift zu (RS0007007 [T22]; vgl RS0041666). Da die Antragstellerin bereits am 20. 12. 2021 eine Beantwortung des außerordentlichen Revisionsrekurses des Antragsgegners einbrachte, ist ihre am 9. 9. 2022 neuerlich eingebrachte Rechtsmittelbeantwortung zurückzuweisen.

[19] Der Kostenvorbehalt beruht auf der sinngemäßen Anwendung des § 52 Abs 1 ZPO.

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