OGH 10Ob43/20a

OGH10Ob43/20a24.11.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj M* K*, geboren am *, vertreten durch das Land Kärnten als Kinder‑ und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Villach, Soziales und Jugendwohlfahrt, 9500 Villach, Hans-Gasser-Platz 9), wegen Unterhaltsvorschuss, infolge des Revisionsrekurses des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 12. August 2020, GZ 2 R 141/20t-29, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Villach vom 15. Juni 2020, GZ 47 Pu 111/18i‑22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E130353

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Das 2006 geborene Kind wohnte bis 2018 im gemeinsamen Haushalt beider Elternteile. Seit der Auflösung des gemeinsamen Haushalts lebt es bei der Mutter (ON 1).

[2] Mit Beschluss des Bezirksgerichts Villach vom 3. 10. 2019, GZ 47 Pu 111/18i‑20, wurde der Vater (erstmals) verpflichtet, neben einem Unterhaltsrückstand einen laufenden Unterhaltsbeitrag von 450 EUR monatlich ab 1. 11. 2019 zu zahlen. Wie sich aus der Aktenlage ergibt, bezieht der Vater seit 2014 eine Erwerbsunfähigkeitspension (ON 4), daneben hat er Einkünfte als Kommanditist (ON 6).

[3] Am 8. 6. 2020 beantragte das Kind die Gewährung von Titelvorschüssen gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG. Ein Exekutionsantrag war diesem Antrag nicht beigeschlossen.

[4] Mit Beschluss vom 15. 6. 2020 (ON 22) gewährte das Erstgericht dem Kind Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG für den Zeitraum von 1. 6. 2020 bis 30. 11. 2020 in Höhe von monatlich 450 EUR. Es stellte fest, dass der Unterhaltsschuldner nach Vollstreckbarkeit des Unterhaltsfestsetzungsbeschlusses den laufenden Unterhaltsbetrag nicht zur Gänze geleistet hat. Rechtlich führte das Erstgericht aus, dass ab Inkrafttreten des § 7 1. COVID-19-JustizbegleitG (1. COVID-19-JuBG) Unterhaltsvorschüsse gemäß den §§ 3, 4 Z 1 UVG auch dann zu gewähren seien, wenn das Kind keinen entsprechenden Exekutionsantrag bei Gericht eingebracht habe.

[5] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, nicht Folge. Unter Bedachtnahme auf den klaren Wortlaut des § 7 1. COVID-19-JuBG bedürfe es für die Bewilligung von Titelvorschüssen außer dem Vorliegen eines rechtskräftigen Unterhaltstitels und der Säumigkeit des Unterhaltschuldners keiner weiteren Voraussetzung. Ob der Unterhaltsschuldner noch berufstätig sei oder eine Pension beziehe, sei unerheblich.

[6] Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs mit der Begründung zu, dass höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Anwendbarkeit von § 7 1. COVID-19-JuBG fehle. Insbesondere bestehe noch keine Rechtsprechung zur Frage, ob die Geltung dieser Regelung allenfalls teleologisch (auf Kinder noch erwerbstätiger Eltern) zu reduzieren sei.

[7] Gegen die Rekursentscheidung erhob der Bund vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz Revisionsrekurs.

[8] Der Revisionsrekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch des Rekursgerichts – nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[9] Der Bund macht geltend, die Bewilligung des Unterhaltsvorschusses sei verfehlt, weil für den eine Erwerbsunfähigkeitspension beziehenden Unterhaltsschuldner die Einleitung von Exekutionsschritten nicht die Gefahr eines Arbeitsplatzverlustes zur Folge gehabt hätte.

[10] Im Hinblick darauf, dass auch bei Fehlen einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung keine erhebliche Rechtsfrage vorliegt, wenn das Gesetz selbst eine klare, das heißt eindeutige Regelung trifft (RIS‑Justiz RS0042656), wird mit diesen Ausführungen keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG aufgezeigt:

[11] 1.1 Gemäß § 3 UVG sind Unterhaltsvorschüsse zu gewähren, wenn ein im Inland vollstreckbarer Exekutionstitel besteht (Z 1), der Unterhaltsschuldner den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet und das Kind glaubhaft macht, einen Exekutionsantrag nach § 294a EO oder, sofern der Unterhaltsschuldner offenbar keine Gehaltsforderungen oder keine andere in fortlaufenden Bezügen bestehende Forderung hat, einen Exekutionsantrag auf bewegliche körperliche Sachen eingebracht zu haben (Z 2).

[12] 1.2 Gemäß § 7 1. COVID-19-Justiz- Begleitgesetz (1. COVID-19-JuBG, BGBl I 2020/16), sind Titelvorschüsse nach § 3 UVG auch dann zu gewähren, wenn das Kind keinen entsprechenden Exekutionsantrag bei Gericht eingebracht hat. Abweichend von § 8 UVG sind solche Vorschüsse längstens für ein halbes Jahr zu gewähren.

[13] 1.3 Der hier zu behandelnde Antrag fällt in den zeitlichen Anwendungsbereich des § 7 1. COVID‑19‑JuBG.

[14] 1.4 Nach dem Gesetzeswortlaut gilt diese Regelung für alle vom zeitlichen Geltungsbereich umfassten Anträge auf Gewährung von Titelvorschüssen nach § 3 UVG in pauschaler Weise, ohne dass nach bestimmten Gruppen von Unterhaltsberechtigten und Unterhaltsverpflichteten differenziert wird oder eine Einschränkung auf bestimmte Fallkonstellationen vorgesehen ist.

[15] 2. Für eine etwaige anderslautende Absicht des Gesetzgebers ergeben sich auch aus den Gesetzesmaterialien zu § 7 1. COVID-19-JuBG keine Anhaltspunkte. Dort wird ausgeführt, es wäre kontraproduktiv, in Krisenzeiten die Voraussetzung der Exekutionsführung für das Kind aufrecht zu erhalten. Die Folgen der Corona-Krise würden eventuell dazu führen, dass vermehrt an sich zahlungswillige und zahlungsfähige Unterhaltspflichtige mangels aktuell verfügbarer liquider Mittel die laufende Unterhaltspflicht nicht erfüllen können. Eine Exekutionsführung könnte dazu führen, dass der Arbeitsplatz des Unterhaltspflichtigen gefährdet werde. Auch selbständig Erwerbstätige, denen die Aufträge wegbrechen, seien in einer gleichartigen Situation. Ähnlich wie für die Wirtschaft solle daher auch für Kinder staatliche Hilfe unbürokratisch und rasch erfolgen. Dadurch solle auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass durch die Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 möglicherweise Verzögerungen im Exekutionsverfahren auftreten (IA 397/A 27. GP  37).

[16] 2.1 Das Rekursgericht hat die Rechtsansicht vertreten, im Hinblick auf die Eindeutigkeit des Wortlauts und auch die Gesetzesmaterialien sei § 7 1. COVID-19-JuBG nicht teleologisch dahin zu reduzieren, dass seine Geltung auf die Bewilligung von Unterhaltsvorschüssen für Kinder noch berufstätiger Eltern zu beschränken wäre.

[17] 2.2 Ein – dem Willen des Gesetzgebers nicht entsprechender – zu weiter Gesetzeswortlaut des § 7 1. COVID-19-JuBG ist nicht zu sehen.

[18] Wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt, liegt der vorrangige Schutzzweck dieser Regelung darin, den Titelvorschüsse beantragenden Kindern rasche und unbürokratische Hilfe bei der Durchsetzung ihres Anspruchs zu gewähren. Zugleich weist der Gesetzgeber auf die schwierige Lage der – im Regelfall noch im Erwerbsleben stehenden – Unterhaltspflichtigen hin, die in Krisenzeiten typischerweise der Gefahr des Verlustes ihres Arbeitsplatzes oder einer Einkommensreduktion ausgesetzt sind. Um allen Kindern in der durch COVID-19 ausgelösten Krisensituation in gleicher Weise rasch und unbürokratisch Hilfe zu gewähren, wurde eine (nach Personengruppen) nicht weiter differenzierende, pauschale Regelung getroffen, die zugleich auch von der Anordnung einer Prüfung absieht, ob sich im Einzelfall die Gefahr einer Einkommensreduktion (durch Kurzarbeit, Arbeitsplatzverlust oder durch Wegbrechen von Aufträgen) tatsächlich verwirklicht hat.

[19] 2.3 Ausgehend von dieser gesetzgeberischen Absicht unterscheidet sich daher die Gruppe jener Kinder, deren Eltern – wie der Vater des Antragstellers – eine Erwerbsunfähigkeitspension erhalten, keinesfalls so weit von der Gruppe von Kindern mit noch berufstätigen Eltern, dass ihre Gleichbehandlung durch § 7 1. COVID-19-JuBG sachlich ungerechtfertigt und willkürlich wäre. Nur im Fall einer unsachlichen Differenzierung wäre aber die Annahme einer (verdeckten) Lücke, die im Fehlen einer nach dem Gesetzeszweck notwendigen Ausnahme bestünde, gerechtfertigt und eine teleologische Reduktion nötig.

[20] 3. Auch mit dem weiteren Revisionsrekursvorbringen, § 7 1.COVID-19-JuBG sistiere nicht die Anwendung von § 7 Abs 1 Z 1 UVG, sodass eine konkrete Begründung fehle, weshalb trotz pandemiebedingter Einkommenseinbußen Unterhaltsvorschüsse in voller Höhe zuzusprechen seien, wird keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufgezeigt:

[21] 3.1 Nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG hat das Gericht die Vorschüsse ganz oder teilweise zu versagen, soweit sich aus der Aktenlage ergibt, dass die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht nicht (mehr) besteht oder der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend zu hoch festgesetzt ist. Eine (ausnahmsweise) Versagung von Titelvorschüssen nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG setzt starke Anhaltspunkte aufgrund der Aktenlage voraus, die gegen den aufrechten materiellen Bestand des zu bevorschussenden Unterhaltsanspruchs im titelmäßigen Ausmaß sprechen (Neumayr in Schwimann/Kodek 5 § 7 UVG Rz 1).

[22] 3.2 Derartige Anhaltspunkte liegen im hier zu beurteilenden Fall nicht vor. Dass der Vater eine Einkommenseinbuße erlitten hat, steht nicht fest. Eine Prüfung, ob sich im Einzelfall die Gefahr eines teilweisen oder gänzlichen Einkommensverlustes konkret verwirklicht hat (und der Unterhaltsanspruch des Kindes allenfalls nicht mehr in voller Höhe besteht), wird in § 7 1. COVID-19-JuBG nicht angeordnet.

[23] 4. Aufgrund der klaren gesetzlichen Regelung des § 7 1. COVID-19-JuBG ist der Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen.

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