Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Der am 29. 11. 1996 geborene Philipp Christoph H***** ist der Sohn von Beate H***** und Rainer B*****. Alle drei Familienmitglieder sind deutsche Staatsbürger. Die Mutter und das Kind leben in Österreich, der Vater in Deutschland. Die Mutter ist als Grenzgängerin in Deutschland unselbständig erwerbstätig und dort sozialversichert.
Der Vater ist aufgrund des Beschlusses des Bezirksgerichts Feldkirch vom 27. 8. 2007 zu einem monatlichen Unterhalt von 315 EUR verpflichtet. Eine Exekutionsführung gegen den Vater ist aussichtslos.
Das Erstgericht gewährte dem Kind monatliche Titelvorschüsse von 315 EUR für die Zeit vom 1. 7. 2009 bis 30. 6. 2012. Die Mutter sei Arbeitnehmerin in Deutschland und somit im EWR-Raum tätig. Der Vorschussanspruch könne auch von der Mutter abgeleitet werden (unter Hinweis auf 10 Ob 87/08d).
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters Folge und änderte den Beschluss des Erstgerichts dahin ab, dass es den Vorschussantrag abwies. Der Anspruch auf Familienleistungen sei nach der Verordnung (EWG) 1408/71 zu beurteilen. Da deren maßgeblicher Anknüpfungspunkt der Beschäftigungsstaat sei, bestehe kein Anspruch auf österreichischen Unterhaltsvorschuss (sondern auf die vergleichbare deutsche Leistung). Auch ein Vorrang des Wohnortstaats sei im Hinblick auf die Beschäftigung der Mutter in Deutschland nicht gegeben.
Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil es zu der hier vorliegenden Konstellation an höchstgerichtlicher Rechtsprechung fehle.
Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Kindes (ON U45) aus dem Revisionsrekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Wiederherstellung des antragsstattgebenden Beschlusses des Erstgerichts. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die übrigen Verfahrensparteien haben sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig; er ist jedoch nicht berechtigt.
Im Revisionsrekurs macht das Kind geltend, dass alle in Österreich aufhältigen EWR-Bürger unter denselben Voraussetzungen wie inländische Kinder Ansprüche auf Unterhaltsvorschüsse nach dem UVG hätten. Dabei reiche für den Anspruch des Kindes, wenn es zumindest einen Elternteil habe, der tätiger oder arbeitsloser Arbeitnehmer sei und sich als solcher innerhalb des EWR-Raums bewege. Die obsorgeberechtigte Mutter sei in Deutschland, also im EWR-Raum tätig und damit sozialversichert. Der Anspruch könne daher auch von ihr abgeleitet werden (10 Ob 87/08d).
Diese Ansicht widerspricht der einheitlichen jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, insbesondere auch der zitierten Entscheidung 10 Ob 87/08d.
1.1. Für die Anspruchsberechtigung nach der Wanderarbeitnehmer-VO 1408/71 (im Folgenden: „VO") ist neben der Familienangehörigen-Eigenschaft in erster Linie entscheidend, ob ein Elternteil des anspruchsberechtigten Kindes in eine - in Bezug auf Familienleistungen - von der VO erfasste Gruppe (tätige oder arbeitslose Arbeitnehmer, Selbständige) fällt.
1.2. Der weiters als Grundvoraussetzung für die Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu fordernde gemeinschaftliche, grenzüberschreitende Bezug setzt voraus, dass Personen, Sachverhalte oder Begehren eine rechtliche Beziehung zu einem anderen Mitgliedstaat aufweisen. Diese Umstände können in der Staatsangehörigkeit, dem Wohn- oder Beschäftigungsort, dem Ort eines die Leistungspflicht auslösenden Ereignisses, vormaliger Arbeitstätigkeit unter dem Recht eines anderen Mitgliedstaats oder ähnlichen Merkmalen gesehen werden. Dieser notwendige grenzüberschreitende Bezug kann daher nicht nur dadurch zustande kommen, dass der Unterhaltsschuldner von der Freizügigkeit als tätiger oder arbeitsloser Arbeitnehmer oder Selbständiger Gebrauch macht oder Grenzgänger ist, sondern auch dadurch, dass dies der Elternteil tut, bei dem sich das Kind aufhält.
Im vorliegenden Fall besteht der grenzüberschreitende Gesichtspunkt darin, dass die Mutter, bei der sich der Antragsteller aufhält, eine deutsche Staatsangehörige mit gewöhnlichem Aufenthalt in Österreich ist.
1.3. Schließlich ist zu prüfen, ob für die vom Antragsteller begehrte Familienleistung nach den Koordinierungsregeln der VO 1408/71 die österreichische Leistungszuständigkeit besteht.
1.3.1. Abgesehen von hier nicht relevanten Ausnahmen unterliegen Personen, für die die VO gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats (Art 13 Abs 1 der VO); dieser ist nach Titel II der VO zu bestimmen. Eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats abhängig beschäftigt ist, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Staats (Beschäftigungslandprinzip, Art 13 Abs 2 lit a der VO).
1.3.2. Grundsätzlich ist das Recht des Mitgliedstaats anwendbar, in dem der Arbeitnehmer oder Selbständige beschäftigt ist, der die Anwendung der VO begründet. Eine Einschränkung der Anknüpfung ausschließlich an die Stellung des Geldunterhaltsschuldners ist den Koordinierungsregelungen der VO nicht zu entnehmen. Familienleistungen werden daher in der Regel nach den Vorschriften des Mitgliedstaats gewährt, in dem derjenige Arbeitnehmer bzw Selbständige beschäftigt ist, durch den der Anspruch auf Familienleistungen vermittelt wird.
1.3.3. Daraus ist zu folgern, dass auch dann, wenn der geldunterhaltspflichtige Elternteil den Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse nach dem Recht seines Bechäftigungsstaats vermittelt, nicht ausgeschlossen ist, dass auch ein Anspruch auf Vorschüsse in einem anderen Mitgliedstaat durch den betreuenden Elternteil vermittelt wird. Für den Fall, dass Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnsitzstaats von einer Berufstätigkeit abhängen und im Hinblick auf die Beschäftigung der Elternteile für ein und dasselbe Kind in mehreren Mitgliedstaaten Anspruch auf Familienleistungen bestehen kann, ist in Art 10 Abs 1 lit b sublit i der VO 574/72 eine Priorität der Familienleistungen des Wohnsitzstaats der Familienangehörigen normiert (Wohnortstaatsprinzip; Igl in Fuchs, Europäisches Sozialrecht4 Art 73 Rz 2). Im anderen, nachrangig zuständigen Staat gebühren Ausgleichszahlungen, wenn die Familienleistungen des vorrangig zuständigen Staats niedriger sind.
2. Für den vorliegenden Fall ist daraus abzuleiten, dass als leistungspflichtiger Staat sowohl nach dem Vater (sollte dieser als tätiger oder arbeitsloser Arbeitnehmer oder als Selbständiger zu qualifizieren sein) als auch nach der Mutter im Hinblick auf den Beschäftigungsort allein Deutschland in Betracht kommt; nur dort können die Elternteile aufgrund ihrer Beschäftigung in das System der sozialen Sicherheit integriert sein. Eine generelle Leistungszuständigkeit des Wohnsitzstaats des Kindes für Familienleistungen ist der Verordnung 1408/71 nicht zu entnehmen, auch nicht im Fall von Grenzgängern (auch für diese gilt bei Familienleistungen das Beschäftigungslandprinzip).
Der Revisionsrekurs des Kindes ist daher nicht berechtigt.
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