European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0100OB00026.22D.0913.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Mit dem in Rechtskraft erwachsenen Bescheid des Landeshauptmanns von Wien vom 18. 6. 2007 wurde zum Zweck der Errichtung der S2‑Wiener Nordrand Schnellstraße‑Umfahrung * zu Gunsten der Antragsgegnerin die Enteignung der im Eigentum des DDr. F*, dessen eingeantwortete Erben die Antragsteller sind, stehenden Teilstücke von 673 m² des Grundstücks 300 und von 944 m² des Grundstücks 268 (EZ * und EZ * KG *) nach Maßgabe des Grundeinlöseplans verfügt. Die Entschädigungssumme wurde in diesem Bescheid mit 32.856 EUR festgesetzt. Die Enteignung wurde am 20. 8. 2007 vollzogen, die Entschädigungssumme am 27. 8. 2007 gezahlt.
[2] Bei den von der Enteignung betroffenen Liegenschaften handelt es sich um unverbaute Grundflächen am Nordostrand von Wien, die zum Enteignungsstichtag landwirtschaftlich genutzt wurden. Beide Grundstücke lagen in einem großen freien, bisher noch nicht aufgeschlossenen, ebenen, landwirtschaftlich genutzten Gebiet. Vom Grundstück 300 verblieb eine einheitliche Restfläche von 15.955 m². Durch die Durchschneidung des Grundstücks 268 entstanden zwei unterschiedlich große Trennstücke mit einer Restfläche von insgesamt 21.453 m².
[3] Die Flächenwidmung für die beiden Grundstücke wies zum Stichtag die Widmung Grünland, Landwirtschaft und seit 31. 8. 2006 auch eine Bausperre auf. Zum Zeitpunkt des Erstgutachtens (April 2011) waren keine anderweitigen Entwicklungsszenarien als die Grünlandnutzung vorgesehen. Es war daher davon auszugehen, dass der Bereich der B * an der A*straße bis auf weiteres als landwirtschaftlich genutztes Gebiet betrachtet werden kann. Ein Planverfahren war nicht in Vorbereitung. Mittelfristig mit 20 Jahren ist von einer baulichen Nutzbarkeit als Gewerbebaugebiet auszugehen.
[4] Das Erstgericht setzte im zweiten Rechtsgang – zum ersten Rechtsgang siehe die Vorentscheidung in diesem Verfahren 10 Ob 109/15z – die Enteignungsentschädigung mit 46.652 EUR fest. Es erkannte die Antragsgegnerin schuldig, den Antragstellern weitere 13.796 EUR zu zahlen, wertgesichert nach dem VPI 2005 mit dem Basismonat August 2007. Die Enteignungsentschädigung setzt sich zusammen aus dem Verkehrswert der einzulösenden Flächen, dem kapitalisierten Ertragsentgang wegen erschwerter Bewirtschaftung der Grundstücke und pauschalierten Wiederbeschaffungskosten.
[5] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragsteller nicht Folge. Maßgeblich für die Ermittlung des Verkehrswerts der enteigneten Grundstücke sei der (im August 2007 gelegene) Tag der Rechtskraft des Enteignungsbescheids. Die Frage, ob eine Liegenschaft als landwirtschaftlich genutztes Grünland, als Bauerwartungsland oder als Bauland anzusehen und dementsprechend zu bewerten sei, sei eine Rechtsfrage. Für die Wertung als Bauerwartungsland müsse die bevorstehende Parzellierung und Aufschließung nicht nur rechtlich und tatsächlich möglich, sondern darüber hinaus auch aufgrund besonderer Umstände „in naher Zukunft“ wahrscheinlich sein. Entscheidend sei, ob sich das Entwicklungspotenzial der Liegenschaft zum maßgeblichen Zeitpunkt der Enteignung bereits auf den Marktpreis auswirke. Die Erwartung einer Umwidmung in Bauland müsse auf dem Grundstücksmarkt tatsächlich bereits preisbestimmend sein. Fehlten tatsächlich gezahlte Vergleichspreise, müsse feststehen, dass ausschließlich wegen der Erwartung der Einbeziehung in das verbaute Gebiet kein oder nur ein geringer Grundstücksverkehr in der näheren Umgebung der enteigneten Grundstücksflächen stattgefunden habe. Hier fehlten die Voraussetzungen für eine Verkehrswertermittlung als Bauerwartungsland: Im Zeitraum zwischen 2001 und 2010 lägen durchaus repräsentative Liegenschaftstransaktionen von landwirtschaftlich genutzten Flächen in der Umgebung der enteigneten Grundstücke vor, um deren Verkehrswert zu ermitteln. Bei den berücksichtigten Liegenschaftstransaktionen sei keine einheitliche Tendenz erkennbar gewesen, der Sachverständige habe eines der beiden Grundstücke auch in einem späteren Enteignungsverfahren als landwirtschaftlich genutzte Fläche bewertet. Die Bewertung einer enteigneten Liegenschaft sei in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht immer auf einen bestimmten Stichtag (Rechtskraft des Enteignungsbescheids) zu beziehen; der Entschädigungsbetrag sei sodann zu valorisieren. Dass in späteren Verfahren zu anderen Stichtagen andere Verkehrswerte ermittelt werden, sei kein Argument gegen die Richtigkeit einer früheren Verkehrswertermittlung. Die von den Antragstellern angesprochenen Bedenken hinsichtlich des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit wären viel eher gerechtfertigt, wenn man zum selben Stichtag zu beurteilende Enteignungsentschädigungen lediglich aufgrund unterschiedlicher Verfahrensdauer in unterschiedlicher Höhe festsetzte.
Rechtliche Beurteilung
[6] In ihrem gegen diesen Beschluss gerichteten außerordentlichen Revisionsrekurs zeigen die Antragsteller keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG auf:
[7] 1. Die Revisionsrekurswerber argumentieren zentral damit, dass gemäß § 18 BStG keine Stichtagsbewertung vorzunehmen sei, sondern alle durch die Enteignung eintretenden vermögensrechtlichen Nachteile zu ersetzen seien. Dazu sei auf alle für die „Schadensbemessung“ relevanten Fakten Bedacht zu nehmen, die „vor Verhandlungsschluss“ bekannt seien und die Entscheidungsgrundlagen verbessern. Nach § 18 BStG sei keine Liegenschafts‑, sondern eine Schadensbewertung vorzunehmen.
[8] 2. Dem ist entgegenzuhalten, dass nach der vom Berufungsgericht beachteten Rechtsprechung bei der Festsetzung der Enteignungsentschädigung auf den Zeitpunkt der Aufhebung des Rechts abzustellen ist (RIS‑Justiz RS0085888). Nach nunmehr einhelliger Rechtsprechung ist der maßgebende Zeitpunkt für die Festsetzung der Entschädigung grundsätzlich die Rechtskraft des Enteignungsbescheids (RS0085888 [T10; T12; T13; T15]). Für die Festsetzung der Entschädigungssumme ist darauf abzustellen, welche konkrete wirtschaftliche Verwendungsmöglichkeit des Grundstücks im Enteignungszeitpunkt gegeben war (2 Ob 282/05t; RS0053403). Dass auf diese Grundsätze auch im vorliegenden Fall des Anwendungsbereichs des § 18 BStG idF vor der BStG‑Novelle BGBl I 2010/24 abzustellen ist, wurde in der bereits zitierten Vorentscheidung in diesem Verfahren ausgeführt.
[9] 3. Ebenfalls bereits in der Vorentscheidung in diesem Verfahren wurde ausgeführt, dass die dem Enteigneten gebührende Entschädigung alle durch die Enteignung verursachten vermögensrechtlichen Nachteile erfassen muss, wobei auch im Anwendungsbereich des § 18 BStG der Verkehrswert der entzogenen Liegenschaft den wichtigsten Faktor für dessen Bemessung darstellt (mH auf 1 Ob 138/13w [Pkt I.1]; 6 Ob 161/10k mwN). Auch eine nachträgliche Entwicklung der tatsächlichen Verhältnisse, die im Zeitpunkt der Enteignung als wahrscheinlich vorausgesehen werden konnte, kann die Höhe des Verkehrswerts beeinflussen (mH auf 1 Ob 138/13w und RS0053483). An den dafür nach der Rechtsprechung erforderlichen Voraussetzungen, die das Berufungsgericht dargelegt hat, fehlt es jedoch nach den den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen im vorliegenden Verfahren (vgl auch 1 Ob 101/21s). Die – insbesondere durch die Durchschneidung des Grundstücks 268 – durch die Enteignung erlittene Bewirtschaftungserschwernis wurde von den Vorinstanzen ohnehin abgegolten. Entgegen den Ausführungen der Revisionsrekurswerber steht auch fest, dass eine landwirtschaftliche Nutzung der verbleibenden Grundstücksteile weiterhin möglich ist.
[10] 4. Besteht für die Wertermittlung durch einen Sachverständigen keine gesetzlich vorgeschriebene Methode, so unterliegt das von den Tatsacheninstanzen gebilligte Ergebnis eines Gutachtens keiner Nachprüfung durch den Obersten Gerichtshof, weil es um eine Tatfrage geht (6 Ob 161/10k; RS0118604). Das Ergebnis der Anwendung einer an sich geeigneten Methode ist vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbar. Soweit die Revisionsrekurswerber auch im Revisionsrekurs jene Mängel des Verfahrens erster Instanz geltend machen, die bereits das Rekursgericht verneint hat, ist darauf nicht einzugehen (RS0050037).
[11] 5. Die Revisionsrekurswerber behaupten eine Gleichheitswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung, weil diese der Entscheidung 2 Ob 282/05t widerspreche, wonach der Enteignete auch am „allgemeinen Planungsgewinn“ teilhaben müsse. Der Sachverhalt der Entscheidung 2 Ob 282/05t ist jedoch mit dem des vorliegenden Falls nicht vergleichbar, weil das Enteignungsprojekt im damaligen Fall – anders als im vorliegenden Fall – mit einer Änderung des Flächenwidmungsplans verbunden war, die ein über das von der Enteignung betroffene Grundstück weit hinausreichendes Gebiet betraf und in diesem eine Aufwertung der Grundstücke (einen „allgemeinen Planungsgewinn“) zur Folge hatte.
[12] Mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung ist der Revisionsrekurs daher zurückzuweisen.
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