European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E121682
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Begründung:
Der 2014 geborene Minderjährige wohnt mit seiner Mutter in Österreich, der Vater lebt in Rumänien und verdient dort durchschnittlich 980 Lei monatlich zuzüglich 25 % Nachtzulage, das sind umgerechnet – ohne Berücksichtigung der Kaufkraftdifferenz zwischen Österreich und Rumänien (2,03:1) – etwa 270 EUR (das Rekursgericht geht in seiner rechtlichen Beurteilung – entgegen dem erstinstanzlichen Vorbringen des Vaters – von einem umgerechneten Betrag von 205 EUR aus). Den Vater trifft eine weitere gesetzliche Sorgepflicht für eine 2005 geborene, in Rumänien lebende Tochter, für die er gemäß einem Unterhaltsfestsetzungsbeschluss eines rumänischen Gerichts 181 Lei monatlich (umgerechnet etwa 40 EUR) an Unterhalt zu leisten hat.
Das Erstgericht setzte mit Beschlüssen jeweils vom 15. 12. 2015 den Unterhalt seines Sohnes ab 1. 2. 2015 entsprechend dem (eingeschränkten) Antrag des Kinder- und Jugendhilfeträgers mit 45 EUR monatlich fest und gewährte in dieser Höhe Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG für den Zeitraum von 1. 3. 2015 bis 29. 2. 2020.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge. Rechtlich ging es davon aus, dass das im Hinblick auf die unterschiedliche Kaufkraft in Österreich und Rumänien bereinigte Unterhaltsexistenzminimum für Österreich im Jahr 2015 etwa 376 EUR betragen habe. Wenngleich das vom Vater erzielte Monatseinkommen unter diesem Betrag liege, sei im Hinblick auf die Unterhaltspflicht von 40 EUR monatlich gegenüber der in Rumänien wohnhaften Tochter und das deutlich höhere Preisniveau in Österreich ein monatlicher Unterhaltsbeitrag von 45 EUR für seinen Sohn angemessen.
Über Zulassungsvorstellung ließ das Rekursgericht den Revisionsrekurs nachträglich zu der Frage zu, ob ein Abgehen vom kaufkraftbereinigten Unterhaltsexistenzminimum zur Vermeidung einer Ungleichbehandlung des in Österreich lebenden Kindes gerechtfertigt sei.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs des Vaters ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch des Rekursgerichts (§ 71 Abs 1 AußStrG) – nicht zulässig.
1. Der gegen den Vater gerichtete Unterhaltsanspruch ist nach österreichischem Recht als dem Recht des gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Kindes zu beurteilen (Art 3 Abs 1 des HUP 2007). Nach dem anzuwendenden Recht ist auch die Frage zu beurteilen, wie ein konkurrierender Unterhaltsanspruch zu berücksichtigen ist.
2.1 Nach § 231 Abs 1 ABGB haben die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes nach ihre Kräften anteilig beizutragen. Unterhaltsansprüche von Kindern aus zwei oder mehreren Partnerschaften sind als einander grundsätzlich gleichrangig anzusehen (RIS-Justiz RS0047387).
2.2 Der Unterhaltsbedarf des Sohnes richtet sich – entsprechend seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort – nach den Lebenshaltungskosten eines Kindes in Österreich.
3. Dass sich die Lebenshaltungskosten des Kindes nach dessen Aufenthaltsort bestimmen, schließt nicht aus, bei der Bemessung des Unterhaltsanspruchs eines in Österreich wohnenden Kindes auch das Lohnniveau und die Lebenshaltungskosten des Unterhaltspflichtigen an dessen gewöhnlichem Aufenthaltsort zu berücksichtigen (vgl 2 Ob 200/08p = RIS-Justiz RS0106532 [T5]). Die Bildung eines den beiderseitigen Verhältnissen adäquaten „Mischunterhalts“ wird dann erforderlich, wenn die nach der österreichischen Rechtsprechung angewendete „Prozentmethode“ aufgrund der besonderen Verhältnisse im Einzelfall unbillig wäre (8 Ob 30/16v). Dabei ist zu berücksichtigen, dass dem Unterhaltspflichtigen nach Abzug aller von ihm zu leistenden Unterhaltsbeträge noch so viel von seinem Einkommen verbleiben muss, dass seine wirtschaftliche Existenz nicht gefährdet wird (vgl RIS-Justiz RS0008667), wenngleich er grundsätzlich alle Kräfte anzuspannen hat, um seiner Verpflichtung nachkommen zu können. Im Falle der Notwendigkeit hat er sich hiezu auch strengen finanziellen Einschränkungen zu unterziehen (RIS‑Justiz RS0047686 [T2]).
4.1 Eine genaue Berechnung der Belastungsgrenze ist nicht möglich; es ist im Einzelfall eine nach den gegebenen Umständen für den Unterhaltsschuldner und den Unterhaltsberechtigten noch am ehesten tragbare Regelung zu treffen (RIS-Justiz RS0008667 [T2], RS0013458, RS0047455 [T4]). Ein pflichtbewusster Unterhaltsschuldner wird seine Kinder im Normalfall an seinen – wenngleich auch niedrigen – Einkommensverhältnissen teilhaben lassen (RIS‑Justiz RS0008667 [T3]).
4.2 Lebt der Unterhaltsschuldner in Österreich, können die Bestimmungen der österreichischen Exekutionsordnung als Orientierungshilfe bei der Ermittlung der Belastungsgrenze im Rahmen der Unterhaltsbemessung dienen (RIS‑Justiz RS0047455). Lebt der Unterhaltspflichtige im Ausland, ist die Belastungsgrenze nicht nach österreichischen Verhältnissen, sondern anhand der Lebenshaltungskosten in seinem Wohnsitzstaat festzusetzen (Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht8 [2016]86).
4.3 Die Frage, ob der zugesprochene Unterhalt in Relation zum Lebensstandard im Heimatland des Unterhaltspflichtigen angemessen ist, ist stets eine solche des Einzelfalls (vgl 1 Ob 112/04h zum umgekehrten Fall, wenn das unterhaltsberechtigte Kind im Ausland lebt).
5. Berücksichtigt man die am – weitaus höheren – österreichischen Preisniveau zu messenden Unterhaltsbedürfnisse des Kindes sowie den Umstand, dass sich nach Art 529 des rumänischen Zivilgesetzbuches (Codul civil) die Höhe des Kindesunterhalts für ein Kind auf ein Viertel des monatlichen Nettoeinkommens des unterhaltspflichtigen Elternteils, bei zwei Kindern auf ein Drittel und ab drei Kindern auf die Hälfte des monatlichen Nettoeinkommens beläuft, so liegt in der durch die Vorinstanzen vorgenommenen Bemessung des Unterhalts mit 45 EUR monatlich jedenfalls keine Ermessensüberschreitung, und zwar auch nicht im Hinblick darauf, dass der Betrag des „kaufkraftbereinigten“ Unterhaltsexistenzminimums von 376 EUR, wie vom Rekursgericht berechnet, unterschritten wird. Nur dann, wenn dem Rekursgericht bei Anwendung des richterlichen Ermessens eine eklatante Überschreitung des Ermessensspielraums unterlaufen wäre, wäre ein Einschreiten des Obersten Gerichtshofs erforderlich. Dies ist hier nicht der Fall.
Da keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG zu lösen ist, ist der Revisionrekurs als unzulässig zurückzuweisen.
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