European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:E114388
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
Nach der Scheidung der Eltern des 2002 geborenen J* und der 2006 geborenen R* war mit Beschluss des Erstgerichts vom 8. 6. 2011 der Mutter die alleinige Obsorge übertragen worden.
Infolge eines Antrags des Vaters sprach das Erstgericht mit Beschluss vom 2. 7. 2015 aus, dass die Obsorge über die Minderjährigen künftig der Mutter und dem Vater gemeinsam zustehe und die überwiegende Betreuung bei der Mutter zu erfolgen habe.
Das Rekursgericht gab dem gegen diese Entscheidung gerichteten Rekurs der Mutter nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig ist.
Rechtliche Beurteilung
In ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs zeigt die Mutter keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG auf:
1. Die Frage, ob die Obsorge beider Eltern dem Kindeswohl entspricht und ob mit einer sinnvollen Ausübung der beiderseitigen Obsorge zu rechnen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und eröffnet dem Familiengericht auf Basis der gesetzlichen Kriterien des § 138 ABGB einen Ermessensspielraum. In einem solchen Fall kann eine erhebliche Rechtsfrage nur bei eklatanter Überschreitung des Ermessensspielraums durch das Rechtsmittelgericht vorliegen (RIS‑Justiz RS0044088; vgl auch RS0128812 [T5]).
2. Im Gegensatz zur Rechtslage vor dem KindNamRÄG 2013 soll nunmehr die Obsorge beider Elternteile eher die Regel sein (RIS‑Justiz RS0128811). Der Zugang beider Eltern zur Obsorge soll demnach nicht durch einen Elternteil nur aus eigenen Interessen verhindert werden können.
3. Für die Anordnung der beiderseitigen Obsorge ‑ auch gegen den Willen eines Elternteils ‑ ist entscheidend, ob die Alleinobsorge eines Elternteils oder die Obsorge beider Eltern dem Wohl des Kindes besser entspricht (RIS‑Justiz RS0128812) und welche Anliegen und Vorstellungen das urteilsfähige Kind selbst dazu äußert. Auch nach der neuen Rechtslage stellt der Wille des Kindes ein in dieser Hinsicht relevantes Kriterium dar (RIS‑Justiz RS0048820).
4. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass eine sinnvolle Ausübung der Obsorge beider Eltern ein gewisses Mindestmaß an Kooperations‑ und Kommunikationsfähigkeit voraussetzt. Um Entscheidungen im Sinn des Kindeswohls treffen zu können, ist es erforderlich, in entsprechend sachlicher Form Informationen auszutauschen und einen Entschluss zu fassen. Zumindest in absehbarer Zeit ist die (Wieder‑)Herstellung einer entsprechenden Gesprächsbasis zu verlangen (vgl RIS‑Justiz RS0128812). Ob und unter welchen Voraussetzungen damit zu rechnen ist, hängt wiederum von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab.
5. Nach den im vorliegenden Fall getroffenen Feststellungen sind beide Elternteile im Umgang mit den Kinder sehr liebevoll, bemüht und wertschätzend. Die Kinder haben eine gute, vertrauensvolle, emotionale Beziehung sowohl zur Mutter als auch zum Vater. Es besteht der dringende Wunsch beider Kinder nach einer einvernehmlichen Lösung hinsichtlich der „gemeinsamen“ Obsorge (und auch des Kontaktrechts). Zwischen den Eltern besteht ein gewisses Mindestmaß an Kommunikationsfähigkeit. Mittels E‑Mail können sie auf einer sachlichen Ebene miteinander kommunizieren, weshalb die Mutter diese Art der Kommunikation als positiv empfindet. Es wird zwecks Austausch über die Kinder ein umfangreicher E‑Mail‑Verkehr gepflegt. Daneben findet auch eine Kommunikation per SMS statt. Es besteht eine gewisse Kooperationsbereitschaft.
Die Rechtsansicht des Rekursgerichts, die zwischen den Eltern geführte Kommunikation stelle ‑ ungeachtet der weiterhin gegebenen Konflikte ‑ eine ausreichende Basis dar, um den Anforderungen einer gemeinsamen Obsorge gerecht zu werden, weicht von den wiedergegebenen Grundsätzen der Rechtsprechung nicht ab. Dass in anderen Einzelfällen die per SMS und per E‑Mail geführte Kommunikation nicht als ausreichende Gesprächsbasis erachtet worden ist, indiziert keinen Ermessensmissbrauch, weil es in erster Linie auf die jeweilige Bereitschaft zum Informationsaustausch ankommt und nicht auf die Art der Nachrichtenübermittlung (per E‑Mail bzw SMS). Wenn das Rekursgericht insbesondere im Hinblick auf die vom Erstgericht angeordnete Maßnahme des verpflichtenden Besuchs einer gemeinsamen Elternberatung (§ 107 Abs 3 AußStrG) von einer günstigen Prognose für eine verantwortungsvolle Kommunikation und Kooperation ausgegangen ist, bedarf auch dies keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof.
Der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter war daher zurückzuweisen.
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