European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E118442
Spruch:
Dem Revisionsrekurswird nicht Folge gegeben.
Begründung:
Das Erstgericht gewährte dem Kind für die Zeit vom 1. 9. 2016 bis 31. 8. 2021 monatliche Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 4 UVG in Höhe von 202 EUR. Als Begründung wurde ausgeführt, der Unterhaltsschuldner sei mit (nicht rechtskräftigem) Beschluss des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 13. 9. 2016 zu 1 Fam 8/16t‑24 als Vater des Kindes festgestellt worden. Bereits zuvor, nämlich am 3. 3. 2016, habe das Kind, vertreten durch den Kinder- und Jugendhilfeträger, gegen den Vater einen (unpräzisierten) Antrag auf Unterhalt ab Geburt gestellt. Da die Abstammung des Kindes in erster Instanz festgestellt und ein Antrag auf Unterhaltsfestsetzung bereits eingebracht worden sei, seien dem Kind Unterhaltsvorschüsse zu gewähren (§ 4 Z 4 UVG).
Das Rekursgericht bestätigte den Beschluss des Erstgerichts. Die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß § 4 Z 4 UVG sei möglich, selbst wenn mit dem Abstammungsbegehren kein ziffernmäßig bestimmtes Begehren, sondern ein unbestimmtes Unterhaltsfestsetzungsbegehren verbunden sei. Nach der Intention des Gesetzgebers sei die notwendige Existenzsicherung möglichst rasch zu verschaffen. Es werde sogar in Kauf genommen, dass dann, wenn das Abstammungsbegehren (erst) in höherer Instanz rechtskräftig abgewiesen werde, die bereits ausgezahlten Unterhaltsvorschüsse uneinbringlich bleiben. Diese Überlegung sei auch auf unbestimmte Unterhaltsbegehren übertragbar. Die in § 9 AußStrG vorgesehene Möglichkeit, den Unterhaltsfestsetzungsantrag erst nach Vorliegen entsprechender Einkommensnachweise des Unterhaltspflichtigen zu präzisieren, spreche ebenfalls dafür, dass ein ziffernmäßig bestimmter Antrag nicht erforderlich sei. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Möglichkeit der Unterhaltsvorschussgewährung gemäß § 4 Z 4 UVG im Fall eines unpräzisiert gebliebenen Unterhaltsfestsetzungsantrags nach nicht rechtskräftiger erstinstanzlicher Feststellung des Unterhaltsschuldners als Vater fehle.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig. Er ist aber nicht berechtigt.
1.1 Nach § 4 Z 4 UVG sind Vorschüsse zu gewähren, wenn die Abstammung eines Kindes in erster Instanz festgestellt und ein Antrag auf Unterhaltsfestsetzung bereits eingebracht worden oder für den Fall der Feststellung der Abstammung des Kindes ein gerichtlicher Unterhaltsvergleich abgeschlossen worden ist.
1.2 Diese mit dem Außerstreitbegleitgesetz BGBl I 2003/112 eingeführte Regelung wird damit begründet, dass während des Laufes des Abstammungsverfahrens keine Entscheidung im Unterhaltsverfahren ergehe, sodass letztlich keine andere Möglichkeit verbleibe, als dem Kind Unterhaltsvorschüsse in fester Höhe nach § 6 Abs 2 UVG zu gewähren (ErläutRV 225 BlgNR 22. GP 33).
Derartige Vorschüsse sind jedoch höchstens in der im Unterhaltsantrag oder einem für den Fall der Feststellung der Abstammung geschlossenen gerichtlichen Vergleich festgelegten Höhe zu erbringen (§ 5 Abs 4 UVG). Sie werden somit doppelt begrenzt, einerseits durch die Höhe der aufgrund des Alters des Kindes jeweils in Betracht kommenden Richtsatzbeträge nach § 6 Abs 2 UVG und andererseits durch die im Unterhaltsantrag festgelegte Höhe (Neumayr in Schwimann/Kodek ABGB4 § 4 UVG Rz 93).
2. Die Voraussetzung der Stellung eines Unterhaltsfestsetzungsantrags bzw die betragsmäßige Begrenzung der in Betracht kommenden Richtsatzbeträge entspricht dem allgemeinen Grundsatz, dass die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nur ein letztes Mittel zur Sicherung des Unterhalts minderjähriger Kinder sein soll. Der Unterhaltsberechtigte muss deshalb zuerst die nach geltendem Recht bestehenden Möglichkeiten zur Durchsetzung seines Unterhaltsanspruchs ausschöpfen (ErläutRV 5 BlgNR 14. GP 10). Dieser Grundsatz gilt auch für sogenannte „Richtsatzvorschüsse“ (1 Ob 531/95).
3.1.1 Dass ein ziffernmäßig bestimmter Unterhaltsfestsetzungsantrag erforderlich ist, um die Voraussetzung für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 4 Z 4 UVG zu erfüllen, lässt sich weder aus dem Wortlaut des § 4 Z 4 UVG noch aus dem oben dargelegten Grundsatz ableiten.
3.1.2 Eine Verpflichtung, einen Unterhaltsfestsetzungsantrag von allem Anfang an ziffernmäßig zu präzisieren, ergibt sich auch nicht aus den Regeln für das außerstreitige Verfahren. Nach § 9 Abs 1 AußStrG muss ein im außerstreitigen Verfahren gestellter Antrag kein bestimmtes Begehren enthalten, jedoch hinreichend erkennen lassen, welche Entscheidung oder sonstige gerichtliche Tätigkeit der Antragsteller anstrebt und aus welchem Sachverhalt er diese ableitet. Wird ausschließlich eine Geldleistung begehrt, wird ihre Höhe aber nicht bestimmt angegeben, so hat das Gericht die Partei unter Setzung einer angemessenen Frist zur ziffernmäßig bestimmten Angabe des Begehrens aufzufordern, sobald die Verfahrensergebnisse eine derartige Angabe zulassen. Damit wird insbesondere für das Unterhaltsrecht dem Umstand Rechnung getragen, dass dem Unterhaltsberechtigten im Antragszeitpunkt oft die Kenntnis von den tatsächlichen, die Unterhaltshöhe maßgeblich beeinflussenden Umständen auf der Gegenseite fehlen. Es soll vermieden werden, dass „ins Blaue hinein“ ein bestimmtes Begehren erhoben wird, das nach den Verfahrensergebnissen noch „nach oben“ oder „nach unten“ korrigiert werden muss. Nach dem Vorliegen einer Gehaltsauskunft ist der Antragsteller im Unterhaltsverfahren aber verpflichtet, sein Begehren ziffernmäßig zu konkretisieren (ErläutRV 224 BlgNR 22. GP 28 f). Nur wenn eine vom Gericht zur ziffernmäßigen Angabe gesetzte Frist fruchtlos verstreichen sollte, wäre ein ziffernmäßig nicht bestimmter Antrag nach § 9 Abs 2 AußStrG zurückzuweisen.
3.2 Ausschließlich unter dieser Voraussetzung wäre auch im Unterhaltsvorschussverfahren davon auszugehen, dass das Kind bzw sein Vertreter die nach dem Außerstreitverfahren zur Durchsetzung seines Unterhaltsanspruchs bestehenden Möglichkeiten nicht ausgeschöpft und nicht alles für eine Unterhaltsfestsetzung Erforderliche und Zumutbare unternommen hat (RIS-Justiz RS0076105 [T6]). Eine über § 9 Abs 2 AußStrG hinausgehende Verpflichtung zur ziffernmäßigen Präzisierung bereits bei Stellung des Unterhaltsantrags ist als Anspruchsvoraussetzung für eine Vorschussgewährung nach § 4 Z 4 UVG somit nicht anzunehmen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass das Kind während des Vaterschaftsfeststellungsverfahrens auch dann schutzwürdig ist, wenn es seinen Unterhaltsanspruch noch nicht beziffern kann. Es soll nicht verhalten sein, ein unbegründetes und überhöhtes Unterhaltsbegehren lediglich zu dem Zweck zu stellen, sich den Anspruch auf Unterhaltsvorschuss nach § 4 Z 4 UVG zu bewahren. Ob der Vorschussanspruch wieder verloren gehen kann, wenn eine Bezifferung trotz Aufforderung unterbleibt, ist hier nicht zu entscheiden.
4. Demnach kann – im Rahmen des § 9AußStrG – auch ein mit dem Abstammungsverfahren verbundenes – wie im vorliegenden Fall zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz (RIS-Justiz RS0076442) – ziffernmäßig (noch) unbestimmtes Unterhaltsbegehren die Vorschussvoraussetzungen nach § 4 Z 4 UVG erfüllen (so auch LGZ Wien 9. 1. 2012, 43 R 675/11z, EFSlg 135.333).
Dem Revisionsrekurs war daher nicht Folge zu geben.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)