Spruch:
Art. 8 EMRK, Art. 13 EMRK, Art. 14 EMRK - Anspruch auf Karenzurlaubsgeld und Diskriminierungsverbot.
Unzulässigkeit der Beschwerde unter Art. 8 EMRK (mehrheitlich).
Zulässigkeit der Beschwerde unter Art. 8 EMRK iVm. Art. 14 EMRK (mehrheitlich).
Unzulässigkeit der Beschwerde unter Art. 13 EMRK (mehrheitlich).
Text
Begründung
Sachverhalt:
Der Bf. war im relevanten Zeitraum halbtägig beschäftigter Werkstudent, seine Ehefrau arbeitete in einem Bundesministerium. Am 27.2.1989 wurde ein gemeinsames Baby geboren; der Bf. - und nicht seine Gattin - ging in Karenz. Am 25.5.1989 stellte er beim Arbeitsamt einen Antrag auf Gewährung von Karenzurlaubsgeld. Der Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, das Karenzurlaubsgeld könne nur an Mütter ausbezahlt werden (Art. 126 (1) (b) ALVG 1977). Das dagegen erhobene Rechtsmittel war erfolglos, die am 12.12.1991 an den VfGH erhobene Beschwerde wurde abgelehnt. Ein neues Gesetz (Eltern-Karenzurlaubsgesetz) vom 29.12.1989 enthält nun auch für Väter die Möglichkeit, Karenzurlaubsgeld zu beantragen. Voraussetzung ist, dass das Kind nach dem 31.12.1989 geboren wurde. Im ggst. Fall wurde das Kind am 27.2.1989 geboren, somit fand die neue gesetzliche Regelung keine Anwendung.
Rechtliche Beurteilung
Rechtsausführungen:
Der Bf. behauptet, die Verweigerung des Karenzurlaubsgeldes sei eine Verletzung seines Rechts auf Achtung des Familienlebens (Art. 8 EMRK) sowie des Diskriminierungsverbotes (Art. 8 EMRK iVm. Art. 14 EMRK).
Zur Verletzung von Art. 8 EMRK (Recht auf Privat- und Familienleben):
Die Kms. weist daraufhin, dass die Verweigerung des Karenzurlaubsgeldes keinen Eingriff in das von Art. 8 EMRK geschützte Recht darstellt. Art. 8 EMRK reicht nämlich nicht so weit, dass er dem Staat eine allgemeine Zahlungspflicht an einzelne Personen auferlegt, um es so einem Elternteil zu ermöglichen, sich ausschließlich der Kindeserziehung zu widmen (vgl. EKMR, Bsw. 11776/85, Entsch. v. 4.3.1986, DR 46, 251). Dieser Beschwerdepunkt wird wegen offensichtlicher Unbegründetheit iSv. Art. 27 (2) EMRK zurückgewiesen (mehrheitlich).
Zur Verletzung von Art. 8 EMRK iVm. Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot):
Die Kms. betont unter Hinweis auf ihre st. Rspr. die große Bedeutung von Art. 14 EMRK, der als Ergänzung für die übrigen Konventionsvorschriften zu verstehen ist: Art. 14 schützt den Einzelnen vor sachlich nicht gerechtfertigter Ungleichbehandlung bei der Ausübung seiner in der Konvention enthaltenen Rechte und Freiheiten. Daher verletzt eine Maßnahme, die zwar den Anforderungen einer Konventionsnorm entspricht, aber diskriminierend und daher mit Art. 14 EMRK unvereinbar ist, im Ergebnis beide Konventionsbestimmungen. Somit ist Art. 14 EMRK als Bestandteil einer jeden Konventionsbestimmung zu betrachten (vgl. Urteil Marckx/B, A/31 § 32).
Im ggst. Fall wurde zwar eine Verletzung von Art. 8 EMRK verneint, doch ist zu prüfen, ob die entscheidenden Sachverhaltselemente gänzlich aus dem Anwendungsbereich von Art. 8 EMRK (und somit von Art. 14 EMRK) herausfallen: Das Karenzurlaubsgeld hat jedenfalls den Zweck, das Familienleben zu fördern. Diskriminierung stellt auf eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung ab, auch wenn eine günstigere Behandlung von der Konvention nicht ausdrücklich verlangt wird. Der ggst. Sachverhalt fällt daher in den Anwendungsbereich von Art. 8 EMRK (vgl. Urteil Abdulazis ua./GB, A/94 §§ 71, 82). Da er wichtige Rechts- und Sachfragen aufwirft, wird der Beschwerdepunkt für zulässig erklärt (mehrheitlich).
Zur Verletzung von Art. 13 EMRK (Recht auf eine wirksame Bsw. vor einer nationalen Instanz):
Der Bf. behauptet, ihm sei keine Möglichkeit eingeräumt worden, ein wirksames Rechtsmittel zu erheben. Die Kms. betont, dass der Begriff Rechtsmittel zu erheben, so zu verstehen ist, dass dem Bf. die Möglichkeit eingeräumt werden muss, seinen Fall vor eine innerstaatliche Instanz zu bringen, die eine inhaltliche Würdigung vornehmen kann (vgl. EKMR, Bsw. 9276/81, Entsch. v. 17.11.1983, DR 35, 13). Der Bf. hatte die Möglichkeit der Beschwerde an den VfGH und VwGH, er entschied sich für erstere. Dass der VfGH die Argumente des Bf. für unzutreffend erachtete, bedeutet nicht, dass keine ordnungsgemäße Prüfung seines Vorbringens stattgefunden hätte. Dieser Beschwerdepunkt wird als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen (mehrheitlich).
Hinweis:
Das vorliegende Dokument über die Zulässigkeitsentscheidung der EKMR vom 5.7.1995, Bsw. 20458/92 entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 1995,145) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.
Die Zulässigkeitsentscheidung im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):
www.menschenrechte.ac.at/orig/95_4/A.P . v A_ZE.pdf
Das Original der Zulässigkeitsentscheidung ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc ) abrufbar.
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