AlVG §38
B-VG Art.133 Abs4
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2017:W209.2140125.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Reinhard SEITZ als Vorsitzenden und die fachkundigen Laienrichter Mag. Gabriele STRAßEGGER und Robert LADINIG als Beisitzer über die Beschwerde des XXXX , XXXX , gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Wien Prandaugasse vom 02.06.2016 betreffend Zuerkennung von Arbeitslosengeld in der Höhe von € 16,12 täglich ab 05.04.2016 nach Beschwerdevorentscheidung vom 16.09.2016, GZ: 2016-0566-9-001795, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird Folge gegeben und dem Beschwerdeführer ab 05.04.2016 Notstandshilfe in Höhe von € 26,17 täglich zuerkannt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Bescheid des Arbeitsmarktservice Wien Prandaugasse (im Folgenden die belangte Behörde) vom 02.06.2016 wurde dem Beschwerdeführer aufgrund seines Antrages vom 05.04.2016 Arbeitslosengeld in der Höhe von € 16,12 täglich zuerkannt.
2. Am 19.07.2016 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betreffend die Versäumung der Beschwerdefrist. Gleichzeitig erhob er gegen den Bescheid vom 02.06.2016 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, die er im Wesentlichen damit begründete, dass er einen Anspruch auf Fortbezug seiner Notstandshilfe in Höhe von € 26,17 täglich habe, weil er seit dem letzten Bezug keine neue Anwartschaft auf Arbeitslosengeld erworben habe. Er sei in den letzten zwölf Monaten vor Geltendmachung des Anspruches lediglich 26 Wochen im Inland arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Das Gesetz sehe jedoch vor, dass bei jeder weiteren Inanspruchnahme eine arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigung im Ausmaß von 28 Wochen vorliegen müsse. Die sogenannte Jugendanwartschaft gemäß § 14 Abs. 1 letzter Satz AlVG von insgesamt 26 Wochen arbeitslosenversicherungspflichtiger Beschäftigung komme nicht noch einmal zur Anwendung.
3. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 16.09.2016, GZ: 2016-0566-9-001795, wurde dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattgegeben und die Beschwerde mit der Begründung abgewiesen, dass entgegen der Rechtsansicht des Beschwerdeführers eine nochmalige Erfüllung der Jugendanwaltschaft sehr wohl möglich und zulässig sei und der Beschwerdeführer, der im Antragszeitpunkt das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt habe, somit eine neue Anwartschaft auf Arbeitslosengeld erworben habe.
4. Aufgrund des rechtzeitigen Vorlageantrages des Beschwerdeführers legte die belangte Behörde die Beschwerde samt den Bezug habenden Verwaltungsakten am 18.11.2016 einlangend dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
5. Mit Stellungnahme vom 04.07.2017 bestätigte die belangte Behörde über Ersuchen des Bundesverwaltungsgerichtes die Angaben des Beschwerdeführers, dass der Tagsatz eines allfälligen Notstandshilfefortbezuges € 26,17 betrage.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der am 17.09.1991 geborene Beschwerdeführer stellte mit Wirkung vom 05.04.2016 einen Antrag auf Arbeitslosengeld, nachdem er bereits 2013 Arbeitslosengeld bezogen hatte.
In weiterer Folge bezog er Notstandshilfe.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer unter Zugrundelegung der Bemessungsgrundlage des Jahres 2013 Arbeitslosengeld in Höhe von € 16,12 zuerkannt.
Im Rahmen seiner Beschwerde gegen diesen Bescheid begehrte er die Zuerkennung (den Fortbezug) der Notstandshilfe.
In den letzten zwölf Monaten vor Geltendmachung des Anspruches war er 183 Tage (= 26,14 Wochen) arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt.
Der Tagsatz des Notstandshilfefortbezuges beträgt € 26,17.
2. Beweiswürdigung:
Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich unstrittig aus den vorgelegten Verwaltungsakten und der Stellungnahme der belangten Behörde vom 04.07.2017.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I. Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
§ 56 Abs. 2 AlVG normiert, dass über Beschwerden gegen Bescheide der Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservices das Bundesverwaltungsgericht durch einen Senat zu entscheiden hat, dem zwei fachkundige Laienrichter, je einer aus dem Kreis der Arbeitgeber und einer aus dem Kreis der Arbeitnehmer angehören. Gegenständlich liegt daher Senatszuständigkeit mit Laienrichterbeteiligung vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu A)
Die im gegenständlichen Fall anzuwendenden maßgebende Rechtsvorschrift lautet:
§ 14 AlVG idF BGBl. I Nr. 94/2014:
"Anwartschaft
§ 14. (1) Bei der erstmaligen Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld ist die Anwartschaft erfüllt, wenn der Arbeitslose in den letzten 24 Monaten vor Geltendmachung des Anspruches (Rahmenfrist) insgesamt 52 Wochen im Inland arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war. Handelt es sich jedoch um einen Arbeitslosen, der das Arbeitslosengeld vor Vollendung des 25. Lebensjahres beantragt, ist die Anwartschaft auf Arbeitslosengeld auch dann erfüllt, wenn der Arbeitslose in den letzten zwölf Monaten vor Geltendmachung des Anspruches (Rahmenfrist) insgesamt 26 Wochen im Inland arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war.
(2) Bei jeder weiteren Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes ist die Anwartschaft erfüllt, wenn der Arbeitslose in den letzten 12 Monaten vor Geltendmachung des Anspruches (Rahmenfrist) insgesamt 28 Wochen im Inland arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war. Die Anwartschaft ist im Falle einer weiteren Inanspruchnahme auch dann erfüllt, wenn der Arbeitslose die Anwartschaft gemäß § 14 Abs. 1 erster Satz erfüllt.
(3) bis (8) "
Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:
Die belangte Behörde stützt ihre Entscheidung darauf, dass der Beschwerdeführer, der im Antragszeitpunkt das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, in den letzten 12 Monaten vor der Geltendmachung des Anspruches 26 Wochen arbeitslosenversicherungspflichtig im Inland beschäftigt war und daher die Voraussetzungen für die weitere Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld erfüllt, weswegen ein Fortbezug der Notstandshilfe ausscheide.
Dem ist jedoch Folgendes entgegenzuhalten:
Für Jugendliche enthält § 14 Abs. 1 zweiter Satz AlVG begünstigte Anwartschaftsvoraussetzungen. Bei Arbeitslosen, die das Arbeitslosengeld vor Vollendung des 25. Lebensjahres beantragen, ist die Anwartschaft erfüllt, wenn der Arbeitslose innerhalb einer Rahmenfrist von 12 Monaten vor Geltendmachung des Anspruches insgesamt 26 Wochen arbeitslosenversicherungspflichtiger Beschäftigungszeit im Inland aufweist.
Durch diese Sonderregelung sollen Jugendliche, die infolge ihrer kurzen Erwerbstätigkeit nach Ende ihrer Schulausbildung oder des Studiums die "große" Anwartschaft (gemäß § 14 Abs. 1 erster Satz AlVG) nicht erfüllen, in die Lage versetzt werden, Arbeitslosengeld beziehen zu können (vgl. RV 986 BlgNR 17. GP Art. I Z 5).
Gemäß § 14 Abs. 2 AlVG ist bei jeder weiteren Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes die Anwartschaft erfüllt, wenn der Arbeitslose in den letzten zwölf Monaten vor Geltendmachung des Anspruches (Rahmenfrist) insgesamt 28 Wochen im Inland arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war. Die Anwartschaft ist im Falle einer weiteren Inanspruchnahme auch dann erfüllt, wenn der Arbeitslose die Anwartschaft gemäß § 14 Abs. 1 erster Satz erfüllt.
§ 14 Abs. 2 letzter Satz AlVG verweist alternativ zur Erfüllung der "kleinen" Anwartschaft ausdrücklich nur auf die Erfüllung der "großen" Anwartschaft gemäß § 14 Abs. 1 erster Satz AlVG. Hätte der Gesetzgeber (der Novelle BGBl. Nr. 364/1989) gewollt, dass auch die Erfüllung der Jugendanwartschaft § 14 Abs. 1 zweiter Satz AlVG für die weitere Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes ausreicht, hätte es dieser Einschränkung nicht bedurft.
Damit erschließt sich sowohl aus dem Zweck als auch aus dem klaren Wortlaut der Regelung, dass bei jeder weiteren Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes – unabhängig vom Alter der arbeitslosen Person – insgesamt eine arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigung im Inland von 28 Wochen erforderlich ist.
Dem stehen auch die o. zit. Materialien nicht entgegen, in denen – entgegen dem klaren Gesetzeswortlaut – ohne Einschränkung lediglich von der "Erfüllung der Voraussetzungen für die erstmalige Inanspruchnahme" als alternative Voraussetzung für die weitere Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes die Rede ist, zumal einer am eindeutigen Gesetzeswortlaut orientierten Interpretation gegenüber damit allenfalls im Widerspruch stehenden Materialien der Vorzug zu geben ist (vgl. VwGH 05.11.1999, 99/19/0171).
Somit scheidet die nochmalige Anwendung der Jugendanwartschaft gemäß § 14 Abs. 1 zweiter Satz AlVG im vorliegenden Fall aus, weswegen der Beschwerdeführer, der sonst alle Voraussetzungen für den Leistungsbezug erfüllt, ab 05.04.2016 Anspruch auf Fortbezug der Notstandshilfe in Höhe von € 26,17 täglich hat.
Entfall der mündlichen Verhandlung
Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGG konnte die Verhandlung entfallen, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der mittels Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben war.
Zu B) Zulässigkeit der Revision
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil – soweit ersichtlich – eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der nochmaligen Anwendung der Jugendanwartschaft gemäß § 14 Abs. 1 zweiter Satz AlVG fehlt.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
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