BVwG I409 2122788-1

BVwGI409 2122788-13.7.2017

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2017:I409.2122788.1.00

 

Spruch:

I409 2122788-1/37E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Florian Schiffkorn als Einzelrichter über die Beschwerde der AXXXX HXXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit Algerien, vertreten durch die "Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH" und durch die "Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH" in 1170 Wien, Wattgasse 48/3. Stock, gegen die Spruchpunkte II bis IV des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15. Februar 2016, Zl. 831007608-1689394/BMI-BFA_STM_RD, nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am 12. Mai und am 9. Juni 2016 sowie am 31. Jänner und am 24. Februar 2017, zu Recht erkannt:

 

A)

 

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der erste Spruchteil des Spruchpunktes III wie folgt lautet:

 

"Eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz‘ gemäß § 57 Asylgesetz 2005 wird nicht erteilt."

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang

 

Die Beschwerdeführerin reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 15. Juli 2013 einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Bei ihrer Erstbefragung durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am gleichen Tag gab die Beschwerdeführerin unter der Rubrik "Fluchtgrund" Folgendes an:

 

"Ich habe meine Heimat mit meinem Ehemann verlassen, da er von bewaffneten Männern mit dem Tode bedroht wird. Ich habe keine eigenen Fluchtgründe."

 

Bei ihrer Einvernahme vor der belangten Behörde am 6. Mai 2014 erklärte die Beschwerdeführerin zu ihren Fluchtmotiven befragt Folgendes:

 

"Meine Probleme haben an jenem Tag begonnen, als ich geheiratet habe. Wir haben Schüsse außerhalb des Hauses gehört. Terroristen waren gekommen, um meinen Mann zu töten. Aus diesem Grund haben uns dann seine Geschwister an einen anderen Ort gebracht. Wir sind dann nicht sehr lange geblieben, nur einen Monat. Dass sind wir in die Türkei weitergereist. Ich möchte auch noch sagen: ich war 38 Jahre bei meinen Eltern eingesperrt. Sie haben mir nicht einmal erlaubt, die Fenster zu öffnen. Deswegen möchte ich auch nicht mehr nach Hause zurückkehren. Ich fürchte mich auch vor der Regierung. Weil wir geflohen sind."

 

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 15. Februar 2016 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß "§ 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF" (Spruchpunkt I) und hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß "§ 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG" (Spruchpunkt II) als unbegründet ab. Zugleich wurde der Beschwerdeführerin ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß "§§ 57 und 55 AsylG" nicht erteilt. Gemäß "§ 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF" wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß "§ 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (FPG) idgF" erlassen. Weiters wurde gemäß "§ 52 Absatz 9 FPG" festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß "§ 46 FPG" nach Algerien zulässig ist (Spruchpunkt III) und dass die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV).

 

Gegen die Spruchpunkte II bis IV dieses Bescheides erhob die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 3. März 2016 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht; Spruchpunkt I erwuchs demnach unangefochten in Rechtskraft.

 

I. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

Zu A) Entscheidung über die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid

 

A) 1. Feststellungen

 

A) 1.1. Zu den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin:

 

Spätestens am 15. Juli 2013 reiste die Beschwerdeführerin nach Österreich ein; sie ist volljährig, verheiratet, Staatsangehörige von Algerien und sie bekennt sich zum moslemischen Glauben.

 

Sie ist grundsätzlich physisch gesund und leidet an einer psychischen Erkrankung, die jedoch in Algerien behandelbar ist. Aktuell kommt es vor, dass die Beschwerdeführerin von ihrem Ehemann geschlagen wird. Es ist aber wahrscheinlich, dass eine Rückkehr ihres Ehemannes nach Algerien zu einer Verbesserung seines psychischen Gesundheitszustandes führt, was wiederum zur Folge hätte, dass sich auch die psychische bzw. psychosoziale Situation der Beschwerdeführerin günstig verändert, dh dass es auch zu weniger oder keinen körperlichen Übergriffen mehr auf sie kommt. Sollte sich der Gesundheitszustand ihres Ehemannes wieder Erwarten nicht verbessern und es zu weiteren Übergriffen kommen, besteht für die Beschwerdeführerin in Algerien die Möglichkeit, sich scheiden zu lassen und zu ihrer Familie zurückzukehren.

 

In Österreich halten sich ihr Ehemann, ihre drei Stiefsöhne, ihre Schwiegertochter und deren drei Kinder auf. Mit Erkenntnissen vom heutige Tage wurden die gegen sie erlassenen Rückkehrentscheidungen bestätigt.

 

Ihr Stiefsohn A. verfügt über eine Lebensgefährtin und ein gemeinsames Kind, wobei beide österreichische Staatsangehörige sind.

 

Mit 18. November 2015 wurde die Beschwerdeführerin aus disziplinären Gründen von der Grundversorgung abgemeldet.

 

Es wird nicht festgestellt, dass die Beschwerdeführerin in Algerien aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt werden würde. Sie wird im Fall ihrer Rückkehr nach Algerien also mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgung und auch keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.

 

A) 1.2. Zu den Feststellungen zur Lage in Algerien:

 

Zur aktuellen Lage in Algerien werden folgende Feststellungen getroffen, soweit sie für den vorliegenden Beschwerdefall von Relevanz sind:

 

"Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformationen

 

KI vom 16.5.2017, Parlamentswahlen in Algerien (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage)

 

Bei der Parlamentswahl in Algerien am 4.5.2017 hat die Regierungskoalition ihre absolute Mehrheit verteidigt. Gemäß algerischem Innenministerium bleibt die seit der Unabhängigkeit im Jahr 1962 regierende Nationale Befreiungsfront (FLN) von Präsident Abdelaziz Bouteflika mit 164 Sitzen stärkste Partei. Zweitstärkste Fraktion wurde mit 97 Sitzen ihr Juniorpartner, die Sammlungsbewegung für Demokratie (RND) (DS 5.5.2017, vgl. BBC 5.5.2017). Zwei islamistische Listen lagen deutlich dahinter (DS 5.5.2017, vgl. JA 5.5.2017). Von den Parteien der Demokratiebewegung erlangte keine die erforderlichen 21 Sitze für die Bildung einer Fraktion (DS 5.5.2017). Die Wahlbeteiligung betrug 38% (DS 5.5.2017, vgl. BBC 5.5.2017) und war damit noch niedriger als im Jahr 2012 mit rund 43%. Bei der Wahl waren am 4.5.2017 23 Millionen Stimmberechtigte dazu aufgerufen, die 462 Abgeordneten der Nationalversammlung des nordafrikanischen Landes zu bestimmen (DS 5.5.2017; vgl. JA 5.5.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

Politische Lage

 

Nach der Verfassung von 1996 ist Algerien eine demokratische Volksrepublik. Eine Verfassungsreform trat am 8.3.2016 in Kraft. Sie sieht u.a. die Stärkung von Grundrechten und Gewaltenteilung vor. Der Einsatz von präsidentiellen Verordnungen wird eingeschränkt. Die Amtszeit des Staatspräsidenten wird auf zwei Mandate begrenzt. Die Berbersprache Tamazight wird zur Amtssprache (AA 6 .2016).

 

Der Präsident wird für fünf Jahre direkt gewählt (AA 6 .2016). Die Legislative besteht aus der Nationalversammlung und dem Nationalrat (Senat) (ÖB 3.2015; vgl. AA 6 .2016). Der Präsident ernennt ein Drittel der Abgeordneten des Senats. Damit ist die Unabhängigkeit der Legislative zugunsten des Präsidenten eingeschränkt (BS 2016). Der gesundheitlich angeschlagene Präsident Abdelaziz Bouteflika wurde am 17.4.2014 zum vierten Mal nacheinander zum Präsidenten gewählt (ÖB 3.2015; vgl. AA 6 .2016). Premierminister Abdelmalek Sellal vertritt den Präsidenten weitgehend in der Öffentlichkeit. Die Verfassung sieht keine Delegation von Präsidentenbefugnissen an den Premierminister vor. Die Regierungsgeschäfte werden seit Jahresbeginn 2015 offiziell von zwei Staatsministern in der Präsidentschaft geführt (ÖB 3.2015). Aus den letzten Parlamentswahlen im Mai 2012 gingen die beiden größten Regierungsparteien – die ehemalige Einheitspartei Nationale Befreiungsfront (FLN) und die Nationale Demokratische Sammlungsbewegung (RND) – als stärkste Parteien hervor (AA 6 .2016). Islamistische Parteien überzeugten im Gegensatz zu anderen Ländern der Region nicht (BS 2016).

 

Die zentrale Verwaltung und lokale gewählte Körperschaften sind seit langem für ihre Ineffizienz, Korruption und Patronage bekannt. Staatliche Institutionen folgen demokratischen Prinzipien; Qualität und Effizienz der Institutionen sind jedoch fraglich. Der Präsident dominiert weiterhin das politische Leben. Parteien-, Wahl-, Vereinsgesetz wurden im Jahr 2012 reformiert. Partizipation auf kommunaler und provinzieller Ebene konnte durch gewählte lokale Körperschaften verbessert werden. Dennoch scheint das obskure Machtgefüge aus Armee und Sicherheitskräften weiterhin alle wichtigen Entscheidungen fernab jeglicher demokratischen Kontrolle zu treffen. Der Status des Parlaments verbesserte sich dennoch nach den relativ freien und fairen Parlamentswahlen im Jahr 2012 (BS 2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

Sicherheitslage

 

In den letzten Jahren ist es wiederholt zu Terroranschlägen islamistischer Gruppen und zu Entführungen mit kriminellem oder terroristischem Hintergrund gekommen (BMEIA 15.2.2017; vgl. AA 15.2.2017, FD 15.2.2017). Landesweit kann es zu Behinderungen durch Demonstrationen und Streiks kommen (BMEIA 15.2.2017). Da jedoch Algerien in den 1990er Jahren ein Jahrzehnt des Terrorismus erlebt hat, bevorzugt die große Mehrheit der Algerier Frieden und lehnt Instabilität ab. Der vom Präsidenten durch die Versöhnungscharta 2006 vermittelte Frieden trug zur in der Bevölkerung weithin anerkannten Legitimität des Staates bei (BS 2016).

 

Algerien ist eine Basis für den heute in Nordafrika und im Sahel operierenden djihadistischen Terrorismus. Die Angaben über die Zahlen der gegenwärtig in Algerien aktiven Terroristen schwanken zwischen einigen Hundert bis etwa Tausend. Die in Algerien weiterhin einflussreichste Gruppe AQIM (Al Qaida im islamischen Maghreb) ist durch den Anschluss der Salafist Group for Preaching and Combat (GSPC) an Al-Qaida entstanden. Inzwischen hat sich diese Gruppe wieder mehrmals geteilt, 2013 u.a. in die MUJAO (Bewegung für Einheit und Jihad in Westafrika). Ableger dieser Gruppen haben den Terroranschlag in In Amenas/Tigentourine im Jänner 2013 zu verantworten. 2014 haben sich mit dem Aufkommen des "Islamischen Staates" (IS) Veränderungen in der algerischen Terrorismusszene ergeben. AQIM hat sich aufgespalten und mindestens eine Teilgruppe, Jund al-Khilafa, hat sich zum IS bekannt. Diese Gruppe hat die Verantwortung für die Entführung und Enthauptung des französischen Bergführers Hervé Gourdel am 24.9.2014 übernommen. Dies war 2014 der einzige Anschlag, der auf einen Nicht-Algerier zielte. Ansonsten richteten sich die terroristischen Aktivitäten ausschließlich auf militärische Ziele (ÖB 3.2015).

 

Islamistischer Terrorismus und grenzübergreifende Kriminalität in der Sahelregion stellen weiterhin Bedrohungen für die Stabilität Algeriens dar. Algerien ist massiv in der Bekämpfung des Terrorismus engagiert und hat sein Verteidigungsbudget auf mehr als 10 Mrd. EUR erhöht (somit das höchste in Afrika). Eine kleine Anzahl islamistischer Extremisten operiert vor allem in der Sahara und den Berberregionen. Unsicherheit in der Region und die Aktivitäten des IS in einigen Nachbarländern machen diese jedoch zu einer potenziellen Bedrohung (BS 2016).

 

Spezifische regionale Risiken

 

Von Terroranschlägen und Entführungen besonders betroffen ist die algerische Sahararegion, aber auch der Norden und Nordosten des Landes (v.a. Kabylei). Die Gefahr durch den Terrorismus, der sich in erster Linie gegen die staatlichen Sicherheitskräfte richtet, besteht fort (AA 15.2.2017). Am 28.10.2016 wurde ein Polizist in Constantine ermordet; eine islamistische Gruppierung bekannte sich zu der Tat. Im Nordwesten Algeriens, der Provinz Ain Defla, wurden am 17.7.2015 zehn algerische Soldaten bei einem Angriff getötet (FD 15.2.2017).

 

Vor Reisen in die Grenzgebiete zu Libyen, Niger, Mali, Mauretanien, Tunesien und Marokko sowie in die sonstigen Saharagebiete, in ländliche Gebiete, Bergregionen (insbesondere Kabylei) und Gebirgsausläufer wird gewarnt (BMEIA 15.2.2017; vgl. AA 15.2.2017, FD 15.2.2017). Ausgenommen davon sind nur die Städte Algier, Annaba, Constantine, Tlemcen und Oran (BMEIA 15.2.2017; vgl. FD 15.2.2017). Im Rest des Landes besteht weiterhin hohes Sicherheitsrisiko. Von nicht notwendigen Reisen nach Algier, Annaba, Constantine, Tlemcen und Oran wird abgeraten (BMEIA 15.2.2017).

 

Die häufigen Entführungen, besonders in der Region Kabylei treffen in erster Linie wohlhabende Einheimische und sind kriminell (Lösegeldforderung) motiviert. In den südlichen Grenzregionen zu Niger und Mali und jenseits der Grenzen gehen terroristische Aktivitäten, Schmuggel und Drogenhandel ineinander über. Es wird angenommen, dass AQIM in Nordmali, aber auch andernorts vereinzelt mit der lokalen Bevölkerung für Schmuggel aller Art zusammenarbeitet (ÖB 3.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Rechtsschutz/Justizwesen

 

Obwohl die Verfassung eine unabhängige Justiz vorsieht, beschränkte die Exekutive die Unabhängigkeit der Justiz (USDOS 13.4.2016, vgl. GIZ 12.2016a, BS 2016) bzw. ernennt der Präsident alle Richter (USDOS 13.4.2016, vgl. BS 2016) und Staatsanwälte (USDOS 13.4.2016) und alle Mitglieder des obersten Verfassungsrates (GIZ 12.2016a). Die in der Verfassung garantierte Unabhängigkeit von Gerichten und Richtern wird in der Praxis nicht gänzlich gewährleistet (BS 2016). Die Justizreform wird zudem nur äußerst schleppend umgesetzt. Algerische Richter sehen sich häufig einer außerordentlich hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt, was insbesondere in Revisions- und Berufungsphasen zu überlangen Verfahren führt. Ein berufsständisches Gesetz zu Status und Rolle der Anwaltschaft existiert nicht (AA 18.1.2016).

 

Der Oberste Justizrat ist für die richterliche Disziplin und die Ernennung und Entlassung aller Richter zuständig; der algerische Präsident ist der Vorsitzende dieses Rates (USDOS 13.4.2016, vgl. BS 2016). Praktische Entscheidungen über richterliche Kompetenzen werden von diesem Rat getroffen (BS 2016). Die Richter werden für eine Dauer von zehn Jahren ernannt und können u.a. im Fall von Rechtsbeugung abgelöst werden (AA 18.1.2016). Im Straf- und Zivilrecht entscheiden Justizministerium und der Präsident der Republik mittels weisungsabhängiger Beratungsgremien über das Fortkommen von Richtern und Staatsanwälten. Das Rechtswesen kann so unter Druck gesetzt werden, besonders in Fällen, in denen politische Entscheidungsträger betroffen sind. Es ist der Exekutive de facto nachgeordnet. Im Handelsrecht führt die Abhängigkeit von der Politik zur inkohärenten Anwendung der Anti-Korruptionsgesetzgebung, da auch hier die Justiz unter Druck gesetzt werden kann (GIZ 12.2016a).

 

Das algerische Strafrecht sieht explizit keine Strafverfolgung aus politischen Gründen vor. Es existiert allerdings eine Reihe von Strafvorschriften, die aufgrund ihrer weiten Fassung eine politisch motivierte Strafverfolgung ermöglichen. Dies betrifft bisher insbesondere die Meinungs- und Pressefreiheit, die durch Straftatbestände wie Verunglimpfung von Staatsorganen oder Aufruf zum Terrorismus eingeschränkt werden. Rechtsquellen sind dabei sowohl das algerische Strafgesetzbuch als auch eine spezielle Anti-Terrorverordnung aus dem Jahre 1992 (AA 18.1.2016). Der Straftatbestand der "Diffamation" führt zu zahlreichen Anklagen durch die staatlichen Anklagebehörden und schwebt als Drohung über Journalisten und allen, die sich öffentlich äußern (GIZ 12.2016a).

 

Die Verfassung gewährleistet das Recht auf einen fairen Prozess (USDOS 13.4.2016), aber in der Praxis respektieren die Behörden nicht immer die rechtlichen Bestimmungen, welche die Rechte des Angeklagten wahren sollen (USDOS 23.4.2016, vgl. AA 18.1.2016). Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung und sie haben das Recht auf einen Verteidiger, dieser wird falls nötig auf Staatskosten zur Verfügung gestellt. Die meisten Verhandlungen sind öffentlich. Angeklagten und ihren Anwälten wird gelegentlich der Zugang zu von der Regierung gehaltenen Beweismitteln gegen sie verwehrt. Angeklagte haben das Recht auf Berufung. Die Aussage von Frauen und Männern wiegt vor dem Gesetz gleich (USDOS 13.4.2016). Den Bürgern fehlt nach wie vor das Vertrauen in die Justiz, und sie sehen vor allem in politisch relevanten Strafverfahren Handlungsbedarf. Nach belastbarer Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen und kritischen Journalisten nimmt die Exekutive in solchen Fällen unmittelbar Einfluss auf die Entscheidungen des Gerichts (AA 18.1.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Sicherheitsbehörden

 

Die staatlichen Sicherheitskräfte lassen sich unterteilen in nationale Polizei, Gendarmerie, Armee und Zoll (GIZ 12.2016a).

 

Die dem Innenministerium unterstehende nationale Polizei DGSN wurde in den 90er Jahren von ihrem damaligen Präsidenten, Ali Tounsi, stark ausgebaut und personell erweitert, und zwar von 100.000 auf 200.000 Personen, darunter zahlreiche Frauen. Ihre Aufgaben liegen in der Gewährleistung der örtlichen Sicherheit. Sie ist in den blauen Uniformen sehr präsent und in den Städten überall wahrnehmbar (GIZ 12.2016a, vgl. USDOS 13.4.2016).

 

Der Gendarmerie nationale gehören ca. 180.000 [Anm. GIZ: 180.000; USDOS: 130.000] Personen an, die die Sicherheit auf überregionaler (außerstädtischer) Ebene gewährleisten sollen (GIZ 12.2016a, vgl. USDOS 13.4.2016). Sie untersteht dem Verteidigungsministerium und verfügt über zahlreiche spezielle Kompetenzen und Ressourcen, wie Hubschrauber, Spezialisten gegen Cyberkriminalität, Sprengstoffspezialisten usw. Mit ihren schwarzen Uniformen sind sie besonders außerhalb der Städte präsent, z.B. bei den häufigen Straßensperren auf den Autobahnen um Algier (GIZ 12.2016a).

 

Die Gendarmerie locale wurde in den 90er Jahre als eine Art Bürgerwehr eingerichtet, um den Kampf gegen den Terrorismus in den ländlichen Gebieten lokal zielgerichteter führen zu können. Sie umfasst etwa 60.000 Personen (GIZ 12.2016a).

 

Die Armee ANP (Armée nationale populaire) hat seit der Unabhängigkeit eine dominante Stellung inne und besetzt in Staat und Gesellschaft Schlüsselpositionen. Sie zählt allein an Bodentruppen ca. 120.000 Personen und wurde und wird im Kampf gegen den Terrorismus eingesetzt. Die Armee verfügt über besondere Ressourcen, wie hochqualifizierte Militärkrankenhäuser und soziale Einrichtungen (GIZ 12.2016a).

 

Die Zollbehörden nehmen in einem außenhandelsorientierten Land wie Algerien eine wichtige Funktion wahr. Da in Algerien gewaltige Import- und Exportvolumina umgesetzt werden, ist die Anfälligkeit für Korruption hoch (GIZ 12.2016a).

 

Straffreiheit bleibt ein Problem (USDOS 13.4.2016). Übergriffe und Rechtsverletzungen der Sicherheitsbehörden werden entweder nicht verfolgt oder werden nicht Gegenstand öffentlich gemachter Verfahren (ÖB 3.2015). Das Strafgesetz enthält Bestimmungen zur Untersuchung von Missbrauch und Korruption, aber die Regierung veröffentlicht keine Informationen bzgl. disziplinärer oder rechtlicher Maßnahmen gegen Mitglieder der Sicherheitskräfte (USDOS 13.4.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

Folter und unmenschliche Behandlung

 

Folter ist gesetzlich verboten (USDOS 13.4.2016). Unmenschliche oder erniedrigende Strafen werden gesetzlich nicht angedroht. Die Verfassung verbietet unmenschliche Behandlung (AA 18.1.2016, vgl. ÖB 3.2015). Das traditionelle islamische Strafrecht (Scharia) wird in Algerien nicht angewendet. Rechtsgedanken der Scharia spielen im Wesentlichen im "allgemeinen Familienrecht" eine Rolle (AA 18.1.2016). Es gibt aber ernstzunehmende Hinweise darauf, dass es im Polizeigewahrsam manchmal zu Übergriffen bis hin zu Folter kommt (AA 18.1.2016, vgl. USDOS 13.4.2016, ÖB 3.2015). Nach Berichten von Menschenrechtsorganisationen kommt es weiterhin zu Fällen von Folter und geheimer Haft ohne Kontakt zur Außenwelt in nichtregulären Gefängnissen durch den Militärgeheimdienst. Dies betrifft vor allem Fälle im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Terrorismus (AA 18.1.2016).

 

Das Strafmaß für Folter liegt zwischen 10 und 20 Jahren. Es gab jedoch keine Verurteilungen und staatlichen Untersuchungen diesbezüglich während des Jahres 2015. Lokale und internationale NGOs berichten, dass Straffreiheit ein Problem bleibt (USDOS 13.4.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

Korruption

 

Gesetzlich sind zwar bis zu zehn Jahre Haft für behördliche Korruption vorgesehen, jedoch wird das Gesetz von der Regierung nicht effektiv durchgesetzt. Daten von Transparency International bestätigen, dass im Bereich der Korruption ein Problem besteht (USDOS 13.4.2016). Das dem Justizministerium unterstellte Zentralbüro zur Bekämpfung der Korruption ist das hauptverantwortliche Regierungsorgan (USDOS 13.4.2016, vgl. GIZ 12.2016a), daneben gibt es in beratender Funktion noch die Nationale Organisation zur Verhinderung und Bekämpfung von Korruption. Korruption in der Regierung beruht hauptsächlich auf einer überbordenden Bürokratie und mangelnden transparenten Strukturen (USDOS 13.4.2016). Auf dem Corruption Perceptions Index für 2016 liegt Algerien auf Platz 108 von 176 (TI 2017). [Anm.: vgl. 2015:

Platz 88 von 168 (TI 2016)].

 

Quellen:

 

 

 

 

 

NGOs und Menschenrechtsaktivisten

 

Verschiedene nationale Menschenrechtsgruppen operieren und können ihre Ergebnisse publizieren. Sie sind jedoch in unterschiedlichem Ausmaß Einschränkungen durch die Regierung ausgesetzt. Gesetzlich ist es allen zivilen Organisationen vorgeschrieben, sich bei der Regierung zu registrieren. Dennoch operieren einige Organisationen ohne Registrierung und werden seitens der Regierung toleriert (USDOS 13.4.2016). Gemäß Website des algerischen Innenministeriums sind in Algerien 93.000 Vereinigungen beim Innenministerium und bei lokalen Behörden offiziell registriert. Viele davon sind zwar teilweise inaktive kleine kommunale oder religiöse Organisationen. In den letzten Jahren kam es jedoch auch zu einem deutlichen Anstieg aktiver sozialer und kultureller Organisationen, und auch Umweltschutzorganisationen. Das Vertrauen der Bevölkerung in solche zivilgesellschaftliche Organisationen ist traditionell größer als in staatliche Institutionen (BS 2016).

 

Einige Organisationen und Netzwerke, wie beispielsweise das Wassila Netzwerk (Frauenrechte), das Nada Netzwerk (Kinderrechte) und die Fédération Algérienne des Personnes Handicapés (FAPH) sind zur Mobilisierung und Lobbying auf nationalem Level fähig (BS 2016). Die aktivste unabhängige Menschenrechtsgruppe ist die Ligue Algérienne pour la Défense des Droits de l’Homme (LADDH) mit Mitgliedern im ganzen Land und unabhängiger Finanzierung. Die kleinere "Ligue Algérienne des Droits de l'Homme" (LADH - "Einmann-Unternehmen" eines Rechtsanwaltes aus Constantine) ist anerkannt und Mitglieder im ganzen Land befassen sich mit Einzelfällen (AA 18.1.2016, vgl. USDOS 13.4.2016). Es gibt auch private Vereinigungen mit sozialen und teilweise menschenrechtsrelevanten Zielsetzungen (z.B. Wassila, SOS femmes en détresse, Ciddef, jeweils aktiv für die Rechte von Frauen und Kindern). Internationale MR-Organisationen sind in Algerien nicht dauerhaft vertreten. Das lokale Amnesty International-Büro behandelt regionale Fragestellungen (AA 18.1.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

Ombudsmann

 

Für Menschenrechtsanliegen wurde die nationale Menschenrechtskommission (Consultative Commission for the Protection and Promotion of Human Rights - CNCPPDH) als Ombud bestellt. Diese Kommission wird vom UN-ECOSOC als nicht-unabhängige Kommission geführt. Zahlreiche Betroffene scheinen sich nicht an diese Kommission zu wenden – ob aus Unkenntnis über ihr Mandat oder aus anderen Gründen, kann nicht beurteilt werden. Zahlreiche Einzelfälle zeigen, dass die Funktion eines Ombudsmannes gegenüber der Verwaltung fehlt (ÖB 3.2015). Die CNCPPDH hat eine konsultative und beratende Rolle für die Regierung. Sie veröffentlicht jährlich Berichte zur Menschenrechtslage im Land (USDOS 13.4.2016).

 

Quellen:

 

 

 

Wehrdienst und Rekrutierungen

 

Freiwilliger Militärdienst kann bereits im Alter von 17 Jahren angetreten werden. In Algerien sind Männer im Alter von 19 - 30 Jahren zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet. Dieser dauert 18 Monate und ist in sechs Monate Grundausbildung und zwölf Monate zivile Projekte unterteilt (CIA 12.1.2017). Wenn der verpflichtende Militärdienst abgeleistet wurde, stehen die Soldaten dem Verteidigungsministerium weitere fünf Jahre zur Verfügung und können jederzeit wieder einberufen werden. Danach werden sie für weitere 20 Jahre Teil der Reserve (UKBA 17.1.2013).

 

Quellen:

 

 

 

Wehrdienstverweigerung / Desertion

 

Nach dem Militärstrafgesetzbuch wird Wehrdienstentziehung (Art. 254 des Militärstrafgesetzbuches, Strafrahmen drei Monate bis fünf Jahre Haft) (AA 18.1.2016, vgl. SFH 24.2.2010) und Fahnenflucht (§§ 258 ff., Strafrahmen im Frieden je nach Fallgestaltung sechs Monate bis fünf Jahre, bei Offizieren bis zehn Jahre Haft) geahndet. Nach Algerien zurückgekehrte Wehrpflichtige, die keine Befreiung vom Wehrdienst (z. B. wegen Studiums oder aus familiären Gründen) nachweisen können, werden zur Ableistung des Wehrdienstes den Militärbehörden überstellt. Eine Bestrafung ist nicht vorgesehen. Deserteure müssen nach Verbüßung ihrer Haftstrafe den unterbrochenen Militärdienst bis zur Erfüllung der regulären Dienstzeit (Haftzeit nicht eingerechnet) fortsetzen. Wehrdienstentziehung oder Fahnenflucht können dann zu weiteren Repressalien führen, wenn besondere, als staatsgefährdend eingestufte Handlungen hinzutreten (AA 18.1.2016). Seit der Umsetzung einer entsprechenden Ankündigung des Staatspräsidenten (2001) in eine Verwaltungsvorschrift sind alle über 27jährigen, die sich nicht auf strafbare Weise dem Wehrdienst entzogen haben, künftig nicht mehr einzuziehen. Strafbar ist dagegen die Entziehung nach Zustellung eines Einberufungsbescheides, der auf Grundlage der Registrierung bei den Meldebehörden (seit 1994 für alle männlichen Algerier bei Erreichen des achtzehnten Lebensjahres verpflichtend) erstellt wird (AA 18.1.2016, vgl. SFH 24.2.2010). Von der Maßnahme sind vor allem im Ausland lebende junge Algerier begünstigt, die der Registrierungspflicht so faktisch entkommen (AA 18.1.2016).

 

Quellen:

 

 

 

Allgemeine Menschenrechtslage

 

Staatliche Repressionen, die allein wegen Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe erfolgen, sind in Algerien nicht feststellbar (AA 18.1.2016).

 

Algerien ist den wichtigsten internationalen Menschenrechtsabkommen beigetreten. Laut Verfassung werden die Grundrechte gewährleistet. Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen haben seit Ende der 1990er Jahre abgenommen, bestehen jedoch fort (AA 6 .2016). Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind eingeschränkt (USDOS 13.4.2016, vgl. GIZ 12.2016a, BS 2016). Weitere bedeutende Menschenrechtsprobleme sind mangelnde Unabhängigkeit der Justiz und übermäßige Anwendung von Untersuchungshaft. Andere Probleme sind übermäßige Gewaltanwendung durch die Sicherheitskräfte, die Einschränkung der Möglichkeit der Bürger, ihre Regierung zu. Weitverbreitete Korruption begleitet Berichte über eingeschränkte Transparenz bei der Regierungsführung. Straffreiheit bleibt ein Problem (USDOS 13.4.2016).

 

Die Mitte der 90er Jahre von den islamistischen Gruppen durchgeführten gezielten Ermordungen von Intellektuellen und Journalisten kommen seit mehreren Jahren nicht mehr vor, zu Todesdrohungen insbesondere gegen Journalisten und Menschenrechtsaktivisten beziehungsweise Rechtsanwälte sind keine Vorkommnisse mehr bekannt (AA 18.1.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Meinungs- und Pressefreiheit

 

Obwohl die Verfassung Rede- und Pressefreiheit gewährleistet, schränkt die Regierung diese Rechte ein (USDOS 13.4.2016, vgl. HRW 12.1.2017, GIZ 12.2016a, BS 2016). NGOs kritisieren diese Einschränkungen (AA 6 .2016, USDOS 13.4.2016). Bürger können die Regierung nicht ungehindert kritisieren. Es drohen Belästigungen und Verhaftungen; Bürger sind somit bei der Äußerung von Kritik zurückhaltend (USDOS 13.4.2016).

 

Demokratie, Transparenz, freie Meinungsäußerung und freie Medien stellen in der jüngeren algerischen Geschichte die Ausnahme dar und nicht die Regel. Nach 1988 kam es aber unter dem Druck der Verhältnisse zu einer Öffnung im Pressewesen; zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften wurden gegründet. Diese Vielfalt der gedruckten Publikationen in französischer und arabischer Sprache könnte zu dem Eindruck verleiten, in Algerien herrsche praktisch Pressefreiheit. Tatsächlich hat die Presse einen gewissen Spielraum, ist aber auch ständig von Vertretern und Handlangern des Regimes bedroht (GIZ 12.2016a). Die Gründung von drei privaten Fernsehsendern durchbrach 2013 das staatliche TV-Monopol (BS 2016). Dadurch begannen private Anbieter sich zu etablieren (GIZ 12.2016a, vgl. BS 2016), stehen aber unter scharfer Beobachtung. Die privaten Sender sind nicht vor Ort, sondern haben lediglich redaktionelle Mitarbeiter in Algier, senden seit Mitte 2013 von Jordanien aus über den Nilsat-Satelliten und ahmen das Geschäftsmodell von Al Jazira nach (Numidia news, El Jazaira, Ennahar TV, Echourouk TV). Das Tor zur Welt stellt für die algerische Bevölkerung ohnehin das Satellitenfernsehen dar - Satellitenschüsseln sind in riesiger Anzahl überall installiert und erlauben den Zugang zu Europa und zur arabischen Welt (GIZ 12.2016a).

 

In Algerien ist das Internet zentralisiert, die staatliche Telekom bietet verschiedene Varianten für private oder gewerblich-kommerzielle Zwecke an, gestaffelt nach Leistungsfähigkeit der Verbindung. Private Service-Provider haben sich auf dem von der Telekom dominierten Markt nicht behaupten können. Die Qualität der Verbindungen ist instabil, mit Unterbrechungen oder drastischen Leistungsschwankungen muss gerechnet werden. Direkte Zensurmaßnahmen, Verfolgungen oder Sanktionen sind bisher nicht bekannt geworden. In allen Städten von Algier im Norden bis Tamanrasset an der malischen Grenze gibt es ein dichtes Netz von Internet-Cafés (GIZ 12.2016a).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

 

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit

 

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit werden durch die algerische Verfassung garantiert, sie bleiben aber bislang – auch nach Aufhebung des Ausnahmezustands durch Präsident Bouteflika im Februar 2011 – in der Praxis stark eingeschränkt (AA 18.1.2016, vgl. USDOS 13.4.2016, HRW 12.1.2017). Ergebnis ist, dass die Möglichkeiten politischer Tätigkeit insbesondere in Algier weiterhin eng begrenzt sind (ÖB 3.2015). So besteht in Algier unter Berufung auf ein Dekret aus dem Jahr 2001 weiterhin ein generelles Demonstrationsverbot. Auch in anderen Städten werden Demonstrationen trotz Aufhebung des Ausnahmezustands weiterhin regelmäßig nicht genehmigt. Oppositionelle Gruppierungen haben zudem oft Schwierigkeiten, Genehmigungen für Veranstaltungen in geschlossenen Räumen zu erhalten (AA 18.1.2016, vgl. HRW 12.1.2017).

 

Das Gesetz garantiert der Regierung weitreichende Möglichkeiten zur Überwachung und Einflussnahme auf die täglichen Aktivitäten von zivilgesellschaftlichen Organisationen (USDOS 13.4.2016). Das Innenministerium muss der Gründung zivilgesellschaftlicher Organisationen zustimmen, bevor diese gesetzlich zugelassen werden (USDOS 13.4.2016; vgl. HRW 12.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Opposition

 

Das im Jahr 2012 verabschiedete Gesetz über Vereinigungen erleichterte auch die Gründung von politischen Parteien (BS 2016), wofür wie bei anderen Vereinigungen eine Genehmigung des Innenministeriums nötig ist. Politische Parteien auf Basis von Religion, Ethnie, Geschlecht, Sprache oder Region sind verboten. Es gibt jedoch islamistisch ausgerichtete Parteien, v.a. jene der grünen Allianz (USDOS 13.4.2016). Seit Verabschiedung des Parteigesetzes 2012 nahm die Anzahl der Parteien deutlich zu. Dies führte jedoch auch zu einer Zersplitterung der Opposition (BS 2016).

 

Mit der Neuregelung des Parteiengesetzes (inkl. Genehmigungsverfahren beim Innenministerium) dürften nunmehr etwa 50-60 Parteien zugelassen sein. Die FIS bleibt verboten, eine Verbindung zur FIS allein führt aber nicht zu einer strafrechtlichen oder außergerichtlichen Verfolgung. In mehreren Parteien, die Abgeordnete in die APN entsenden, sind ehemalige FIS-Mitglieder vertreten. Oppositionsparteien können sich relativ ungehindert betätigen, soweit sie zugelassen sind, und haben Zugang zu privaten und – in sehr viel geringerem Umfang – staatlichen Medien (AA 18.1.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

Haftbedingungen

 

Die Haftbedingungen entsprechen im Allgemeinen internationalen Standards (USDOS 13.5.2016). Es gab Berichte von Überbelegungen in einigen Gefängnissen. Für Ersttäter mit Verurteilung zu drei Jahren Haft und weniger sind Haftersatzstrafen vorgesehen. Eine Ombudsmannstelle für Beschwerden gibt es nicht, jedoch können Insassen unzensierte Beschwerden an die Gefängnisverwaltung, Doktoren oder deren Rechtsvertreter richten. Das Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) besucht Inhaftierte in verschiedenen Gefängnissen, wobei besonderes Augenmerk auf vulnerable Häftlinge gesetzt wurde. Die Behörden verbesserten die Zustände in den Gefängnissen um internationalen Standards gerecht zu werden (USDOS 13.4.2016). Es gibt Fälle lang andauernder Haft ohne Anklage oder Urteil. Laut der staatlichen Menschenrechtskommission stünden jedem Häftling 2012 nur ca. zwei Quadratmeter Zellenfläche zur Verfügung. An Resozialisierungsmaßnahmen fehle es weitgehend, Ausbildungsmaßnahmen seien ineffektiv, die medizinische Versorgung hingegen in allen Gefängnissen gut. Seit 2005 wird im Rahmen der Reform des Strafvollzugs an einer Verbesserung der Haftbedingungen gearbeitet. Ein Aspekt der Reform sind – im Rahmen eines Kooperationsprojekts mit der EU-Delegation seit 2008 – Alternativen zu Haftstrafen wie gemeinnützige Arbeit (durch das Strafgesetzbuch seit 2009 in bestimmten Fällen vorgesehen, seit Januar 2010 auch verhängt) und Resozialisierungsmaßnahmen (AA 18.1.2016).

 

Die Regierung erlaubte dem IKRK und lokalen Menschenrechtsbeobachtern den Besuch von nicht-militärischen Gefängnissen (USDOS 25.6.2015). Das IKRK besucht seit 1999 Gefängnisse (AA 18.1.2016, vgl. USDOS 13.4.2016), das Augenmerk liegt auf vulnerablen Häftlingen (USDOS 13.4.2016). Der IKRK-Delegierte hält engen Kontakt mit algerischen Ministerien und Behörden und beurteilte die Zusammenarbeit mit der Regierung als grundsätzlich positiv (AA 18.1.2016).

 

Quellen:

 

 

 

Todesstrafe

 

Die Todesstrafe ist für zahlreiche Delikte vorgesehen und wird auch verhängt, doch gibt es in der Praxis ein Moratorium und seit 1993 werden offiziell keine Exekutionen mehr durchgeführt (GIZ 12.2016a, vgl. AI 24.2.2016, AA 6 .2016). Gerichte verhängen zahlreiche Todesurteile, meist für Mord und terrorismusbezogene Straftaten sowie für Fälle, die bis in die Zeit des bewaffneten internen Konflikts in den 1990er Jahren zurückreichen (AI 24.2.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

Religionsfreiheit

 

Die Verfassung gewährleistet Glaubensfreiheit. Gesetzliche Bestimmungen gestatten Muslimen wie Nicht-Muslimen die Freiheit, ihre Religion auszuüben, solange öffentliche Ordnung, Moral und Rechte sowie Grundfreiheiten von anderen gewahrt bleiben (USDOS 10.8.2016). Die Verfassung erklärt den Islam zur Staatsreligion (USDOS 10.8.2016, vgl. AA 18.1.2016), verbietet aber Diskriminierung aus religiösen Gründen (AA 18.1.2016). Auch in der Praxis ist die Religionsfreiheit gut etabliert. Christen können ihren Glauben an designierten Örtlichkeiten frei ausüben (BS 2016). Muslime, die zum Christentum konvertieren bzw. den Islam oder islamische Würdenträger kritisieren, sind gesellschaftlichen und rechtlichen Restriktionen ausgesetzt (BS 2016, USDOS 10.8.2016). Die kollektive Religionsausübung muslimischer wie nichtmuslimischer Religionen ist einem Genehmigungsvorbehalt unterworfen. Religiöse Gemeinschaften müssen sich als "Vereine algerischen Rechts" beim Innenministerium akkreditieren lassen, Zulassungen bzw. Neubauten von Moscheen und Kirchen vorab durch eine staatliche Kommission genehmigt werden, und Veranstaltungen religiöser Gemeinschaften fünf Tage vor Veranstaltungsbeginn dem örtlichen Wali angezeigt werden. Diese dürfen nur in dafür vorgesehenen und genehmigungspflichtigen Räumlichkeiten stattfinden. Zuwiderhandlungen sind mit Strafe bedroht (AA 18.1.2016). Gemäß Verfassung sind politische Parteien auf Grundlage der Religion verboten (USDOS 13.4.2016). Missionstätigkeit ist gesetzlich verboten (USDOS 10.8.2016, vgl. AA 18.1.2016). Die (versuchte) Konvertierung eines Muslims ist unter Strafe gestellt (Haftstrafe von zwei bis fünf Jahren) (AA 18.1.2016), seit einigen Jahren wird dieses Gesetz jedoch seitens der Regierung nicht angewendet (USDOS 10.8.2016).

 

Es gibt Berichte über gesellschaftlichen Missbrauch oder Diskriminierung basierend auf Religionszugehörigkeit, Glauben oder Religionsausübung. Obwohl Ausländer und algerische Bürger, die andere Religionen als den Islam praktizieren, üblicherweise gesellschaftlich toleriert werden, halten sich algerische Juden und teilweise auch algerische Konvertiten zum Christentum bedeckt, um ihre persönliche Sicherheit zu gewährleisten und potentielle rechtliche und soziale Probleme zu vermeiden. Andere algerische Konvertiten zum Christentum üben hingegen ihre neue Religion auch offen aus (USDOS 10.8.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Religiöse Gruppen

 

Die Bevölkerung besteht zu 99 Prozent aus sunnitischen Moslems, und zu weniger als einem Prozent aus Christen, Juden und anderen (CIA 13.1.2016). Christen stellen eine sehr kleine; Juden eine praktisch nicht sichtbare Minderheit dar. In Algerien leben derzeit ca. 10.000 Katholiken (zumeist entsandte Ausländer, Doppelstaater, Studenten aus Staaten südlich der Sahara) sowie mehrere Tausend evangelische Christen. Beide christliche Kirchen sind als Vereine algerischen Rechts offiziell akkreditiert, mit dem Vatikan unterhält Algerien seit 1972 über einen Nuntius diplomatische Beziehungen (AA 18.1.2016).

 

Quellen:

 

 

 

Ethnische Minderheiten

 

Algeriens ethnische Zusammensetzung ist eine Mischung aus Arabern und Berbern, wobei die große Mehrheit der Algerier berberischen Ursprungs ist. Nur eine Minderheit identifiziert sich selbst jedoch als Berber (CIA 12.1.2017). Staatliche Repressionen, die allein wegen Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe erfolgen, sind in Algerien nicht feststellbar. Eine rassisch diskriminierende Gesetzgebung existiert nicht; es liegen auch keine belastbaren Erkenntnisse über tatsächlich erfolgte Diskriminierungen vor. Neben der mehrheitlich arabischen Bevölkerung leben in verschiedenen Regionen Berbervölker. Die überwiegend im Bergland östlich von Algier lebenden Kabylen haben ihre eigene kulturelle Identität weitgehend erhalten, die nach der Verfassung von 1996 Bestandteil der algerischen Identität ist. Das Tamazight, die gemeinsame Berbersprache, ist durch einen Verfassungszusatz vom April 2002 als nationale Sprache anerkannt. Kabylen finden sich in angesehenen Positionen in allen Bereichen der Gesellschaft. Die über Jahre hinweg existierenden Spannungen zwischen Regierung und Kabylenorganisationen haben sich seit 2004 weitgehend beruhigt. Ende 2006 kehrte die Gendarmerie, die nach schweren Auseinandersetzungen im Jahre 2001 aus der Kabylei abgezogen worden war, dorthin zurück. Trotz Einleitung eines politischen Dialoges zwischen kabylischen Bürgerkomitees und der Regierung bleibt die Kabylei aber staatskritisch eingestellt. Die Region leidet weiterhin stärker als andere Regionen v.a. unter Aktivitäten der Terrororganisation AQIM, welche sich auf diese Gegend (und den Süden des Landes) konzentrieren, sowie einer zunehmenden Kriminalität zum Zwecke der Terrorfinanzierung (insbesondere Raubüberfälle, Entführungen und Lösegelderpressung). Die nomadisch lebenden Tuareg bilden eine zahlenmäßig kleine Gruppe, sie haben ebenso wenig unter ethnisch motivierten Benachteiligungen zu leiden. (AA 18.1.2016).

 

Ethnische Minderheiten, vor allem im Süden des Landes, führen diskriminierendes Verhalten der Sicherheitskräfte an. Mozabiten [Anm.: eine muslimische Minderheit] in der Wilaya Ghardaia beklagen, dass sie von Sicherheitskräften nicht ausreichend gegen Gewalt geschützt würden. Polizei und Gendarmerie seien parteiisch, außerdem mache sich bemerkbar, dass Mozabiten vom verpflichtenden Militärdienst praktisch befreit seien und keine Vertreter in Polizei und Gendarmerie entsendeten (ÖB 3.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

Relevante Bevölkerungsgruppen

 

Frauen

 

Die Verfassung verbietet Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts und die Regierung setzt dies auch in der Praxis um, wiewohl Frauen weiterhin rechtlicher (im Ehe-, Scheidungs- und Erbrecht) und sozialer Diskriminierung ausgesetzt sind (USDOS 13.4.2016, vgl. HRW 12.1.2017).

 

Insbesondere in den unteren sozialen Schichten führen Scheidungen, Scheidungsfolgen und das diskriminierende Erbrecht häufig zu Mittellosigkeit und gesellschaftlicher Marginalisierung. In Algier und anderen großen Städten des Nordens spielen Frauen gleichwohl eine maßgebliche Rolle in allen gesellschaftlichen Zusammenhängen. Der neuen, im Anschluss an die Präsidentschaftswahl vom 17.4.2014 eingesetzten Regierung gehörten sieben Ministerinnen bzw. beigeordnete Ministerinnen an, nach der Umbildung sind es vier. Die Mehrheit der Frauen bleibt jedoch fest in patriarchale Strukturen eingebunden. Eine Novelle des Familiengesetzbuches (Code de la famille), die die Situation vor allem geschiedener Frauen verbessert, wurde am 14.3.2005 von der Nationalversammlung verabschiedet. Obwohl dadurch wesentliche Defizite des auf der Scharia fußenden Familienrechts oder ein eingeschränktes Scheidungsrecht abgemildert worden sind, wirken traditionell-religiöse Regelungen faktisch in vieler Weise fort (AA 18.1.2016). Auch erwachsene Frauen benötigen die Zustimmung eines männlichen Vormunds zur Heirat, während dies bei Männern nicht vorgesehen ist (USDOS 13.4.2016).

 

Vergewaltigung ist strafbar. Das Strafmaß beträgt ein bis fünf Jahre, und die Behörden setzen das Gesetz üblicherweise durch (AA 18.1.2016, vgl. USDOS 13.4.2016). Innereheliche Vergewaltigung ist gesetzlich nicht anerkannt (USDOS 13.4.2016). Anzeigen von Frauen wegen Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch sind juristischen Hindernissen ausgesetzt (AA 18.1.2016) und viele Frauen zeigen Fälle von Vergewaltigung aufgrund von gesellschaftlichem Druck und bürokratischen Problemen, die einer Verurteilung im Wege stehen, nicht an. Sieben Monate nach der Annahme durch die Nationalversammlung stimmte auch der Senat im Dezember 2015 einer Gesetzesvorlage "zum Schutz der Frauen" vor häuslicher Gewalt zu (AA 18.1.2016, vgl. USDOS 13.4.2016). Das Strafmaß für häusliche Gewalt ist dem Gesetz zufolge bis zu 20 Jahre Haft (USDOS 13.4.2016). Es handelt sich jedoch um eine abgemilderte Fassung – das Opfer kann durch Erklärung jederzeit das Strafverfahren beenden und riskiert daher, unter Druck gesetzt zu werden. Dennoch ist das neue Gesetz entsprechend den Äußerungen von NGOs und Zivilgesellschaft als bewusstseinsbildender Fortschritt zu sehen, der die Rechtswirklichkeit nicht unbeeinflusst lassen sollte. Dem Vernehmen nach gibt es landesweit nur eine Einrichtung, die mit einem Frauenhaus verglichen werden kann und die in Algier durch die Organisation "S.O.S. femmes en détresse" betrieben wird (AA 18.1.2016). Es gibt Aufnahmezentren (centres d’accueil), an die sich Frauen in Notfällen wenden können (ÖB 3.2015). Es gibt keine Erkenntnisse zu weiblicher Genitalverstümmelung (AA 18.1.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Kinder

 

Zwar besteht eine allgemeine Schulpflicht für Kinder und Jugendliche und ist Bildung bis zum Universitätsabschluss kostenlos (AA 18.1.2016, vgl. USDOS 13.4.2016, SOS o.D.). Die Schulpflicht besteht bis zum Alter von 16 Jahren (USDOS 13.4.2016, vgl. SOS o.D). Dennoch gibt es vermehrt Schulabbrüche (AA 18.1.2016, vgl. SOS o.D.), die ihre Ursache in der prekären finanziellen Situation der Familien haben. Nach offiziellen Angaben werden zwar fast sämtliche Kinder eingeschult, zeitweilige Kinderarbeit (speziell in den Schulferien) als Straßenverkäufer oder in der Landwirtschaft kommt jedoch vor. Als Fortschritt anzuerkennen ist die Annahme des neuen Gesetzes zum Schutz der Kindheit durch den Senat am 16.6.2015, ein Rechtsrahmen verstärkter staatlicher Fürsorge. Vorgesehen ist die Schaffung einer speziell zuständigen Oberbehörde - "nationales Organ" für den Kinderschutz. Dessen Wirksamkeit wird von der Ausstattung der Behörde und dem Willen, es mit Leben zu erfüllen, abhängen. Bislang sind mit Blick auf Themen wie Gewalt gegen Kinder (in Elternhaus, Schule u. Gesellschaft) und deren Versorgung (einschließlich Recht auf Bildung und Gesundheit und sonstigen rechtlichen Schutz) gravierende Defizite zu konstatieren (AA 18.1.2016).

 

Das gesetzliche Mindestalter für eine Heirat ist 19 Jahre für Männer und Frauen. Unabhängig vom Geschlecht dürfen Minderjährige mit elterlicher Zustimmung heiraten. Gegen ihren Willen dürfen Minderjährige laut Gesetz nicht verheiratet werden. Das Mindestalter für einvernehmlichen Geschlechtsverkehr ist 16 Jahre. Ein Mann, der eine Minderjährige vergewaltigt hat, kann sich einer Strafverfolgung durch Heirat derselben entziehen. Über die Anwendung dieser rechtlichen Regelung gibt es keine Erkenntnisse. Kindesmissbrauch ist illegal, stellte jedoch ein gravierendes Problem dar (USDOS 13.4.2016).

 

Zurzeit gibt es in Algerien ein SOS-Kinderdorf, eine SOS-Jugendeinrichtung, einen SOS-Kindergarten und vier SOS-Sozialzentren. SOS-Kinderdorf setzt sich für den Schutz und die Unterstützung der Kinder und Jugendlichen des Landes ein. In Algerien leben ca. 550.000 Waisenkinder, die ein oder beide Elternteile verloren haben. Waisenkinder sind besonders stark von Ausbeutung jeglicher Art bedroht. Nach Angaben von Berichten ist der Kindesmissbrauch in Algerien nach wie vor ein weit verbreitetes Problem. Viele Fälle werden nicht gemeldet, und die gegen Kindesmissbrauch verabschiedeten Gesetze haben bislang nur in sehr wenigen Fällen zu einer strafrechtlichen Verfolgung geführt. Die meisten Kinder, die Zwangsarbeit verrichten, gehen nicht zur Schule und erhalten daher keine Grundausbildung (SOS o.D.).

 

Quellen:

 

 

 

 

Homosexuelle

 

Homosexualität ist ein Tabu-Thema. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Homosexuelle aufgrund ihrer als "unislamisch" empfundenen Lebensweise durch islamistische Gruppierungen gefährdet sind. Homosexuelle Handlungen sind nach Art. 338 des Code pénal strafbar. Daneben sieht Art. 333 eine qualifizierte Strafbarkeit für Erregung öffentlichen Ärgernisses mit Bezügen zur Homosexualität vor. In der Rechtspraxis finden beide Vorschriften regelmäßig Anwendung (Zahl anhängiger Verfahren nicht überprüfbar), insbesondere Art. 333 wird von den Polizei- und Strafverfolgungsbehörden zur Verhinderung der Gründung von Schutzorganisationen homosexueller Personen herangezogen. Eine systematische Verfolgung homosexueller Personen findet jedoch nicht statt; Homosexualität wird für die Behörden dann strafrechtlich relevant, wenn sie offen ausgelebt wird (AA 18.1.2016).

 

Gleichgeschlechtliche Beziehungen sind laut Gesetz strafbar (USDOS 13.4.2016, vgl. HRW 12.1.2017) und können mit Haftstrafen bis zu drei Jahren und Geldstrafen geahndet werden. Die vage Definition von "homosexuelle Akte" und "Akte gegen die Natur" im Gesetz erlaubt gemäß LGBT Aktivisten pauschale Beschuldigungen, welche in zahlreichen Inhaftierungen für gleichgeschlechtliche Beziehungen aber keinen Verurteilungen resultieren. LGBT Personen sehen sich sozialer Diskriminierung ausgesetzt. Einige LGBT Personen leben ihre sexuelle Orientierung offen aus, die meisten jedoch nicht (USDOS 13.4.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

Bewegungsfreiheit

 

Die Verfassung garantiert Bewegungsfreiheit, dieses Recht wird jedoch von der Regierung in der Praxis eingeschränkt. Die Regierung hält aus Gründen der Sicherheit Reiserestriktionen in die südlichen Bezirke El-Oued und Illizi, in der Nähe von Einrichtungen der Kohlenwasserstoffindustrie sowie der Libyschen Grenze, aufrecht. Jungen wehrpflichtigen Männern, die ihren Wehrdienst noch nicht abgeleistet hatten, wird die Ausreise ohne Sondergenehmigung verweigert. Sondergenehmigungen erhalten Studenten und Personen in besonderen Familienkonstellationen. Personen, die jünger als 18 Jahre sind, ist es gemäß Familienrecht nicht gestattet, ohne die Erlaubnis einer Aufsichtsperson ins Ausland zu reisen. Verheirateten Frauen, die jünger als 18 Jahre sind, dürfen ohne die Erlaubnis ihres Ehemanns nicht ins Ausland reisen. Ehefrauen, die älter als 18 Jahre sind, sind Auslandsreisen auch ohne Erlaubnis des Ehemanns gestattet (USDOS 13.4.2016).

 

Quellen:

 

 

IDPs und Flüchtlinge

 

Die Regierung kooperiert üblicherweise mit dem UNHCR und anderen humanitären Organisationen bei der Gewährung von Schutz und Hilfe für IDPs, Flüchtlinge, zurückkehrende Flüchtlinge, Asylwerber und staatenlosen Personen (USDOS 13.4.2016).

 

Die Regierung sprach im April 2015 von "20.000 migrants clandestins", nach aktuellen Schätzungen des UNHCR ist eher von der doppelten Zahl aus Subsahara-Staaten stammender Migranten auf algerischem Staatsgebiet auszugehen. Von diesen zu trennen sind die vor allem seit 2014 in größerer Zahl nach Algerien drängenden, seit 1.1.2015 visumspflichtig einreisenden geschätzt über 50.000 Flüchtlinge aus Syrien (Auffanglager Sidi Fredj bei Algier; algerische Zivilorganisationen kümmern sich, syrische Kinder dürfen Schulen besuchen). Nach vom UNHCR durchgeführter Erhebung befanden sich im Oktober 2015 darüber hinaus 6.486 Asylbewerber im Land. Von den Genannten wurden 158 (rund 2,4 Prozent) anerkannt. In Algerien gibt es nach wie vor kein Asylgesetz, so dass sich Asylsuchende auf keinen entsprechenden Rechtstitel berufen können. Sie riskieren, festgehalten, unter Umständen misshandelt und zur Grenze zurückgedrängt zu werden. Hinzu kommen etwa 4.000 Palästinenser, die nach 1948 bzw. 1967 nach Algerien kamen. Algerien ist in den vergangenen Jahren zunehmend zum Transit- und teilweise auch zum Zielland von Migranten, vor allem aus seinen südlichen Nachbarstaaten, geworden. Die Behörden nehmen regelmäßig Abschiebungen von Flüchtlingen aus dem südlichen Afrika an die nigrische bzw. malische Grenze vor. Mit Niger hat Algerien im November 2014 ein Repatriierungsabkommen abgeschlossen, aufgrund dessen seitdem rund 3.000 Nigrer zurückgeführt worden sind. Dem Vernehmen nach ist rund die Hälfte danach erneut nach Algerien gelangt. Gleichermaßen schiebt Algerien immer wieder im Grenzgebiet zu Marokko aufgegriffene Flüchtlinge der Subsahara nach Marokko zurück (AA 18.1.2016).

 

Quellen:

 

 

 

Grundversorgung und Wirtschaft

 

Algeriens Wirtschaft hängt stark vom Export von Erdöl und Erdgas ab. Dank anhaltend hoher Öl- und Gaspreise konnte Algerien über Jahre hinweg ein kontinuierliches Wachstum von durchschnittlich 3% verzeichnen. Die weiteren Prognosen mussten jedoch aufgrund des derzeitigen Preisverfalls bei Öl und Gas bereits nach unten korrigiert werden. Die "rente petrolière" ist langfristig fragil - hinzu kommt die Unsicherheit über die künftige politische Entwicklung und die Stabilität des Landes. Für das Jahr 2017 verdüstern sich die Aussichten somit. Ein neues Budgetgesetz sieht u. a. eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, höhere Grund- und Immobilienabgaben sowie eine höhere Besteuerung von Mieten, Kraftstoff und Gütern des täglichen Bedarfs vor. Öffentliche Ausgaben werden drastisch eingeschränkt – manche Stimmen sprechen bereits von einer "Kriegserklärung" an die algerische Gesellschaft (GIZ 12.2016b).

 

Algerien leistet sich – wohl nicht zuletzt aus politischen Gründen – ein hochaufwendiges Sozialsystem, das aus den Öl- und Gasexporten finanziert wird. Die Höhe der Subventionen beträgt derzeit pro Jahr 60 Milliarden Dollar. Schulbesuch und Gesundheitsfürsorge sind kostenlos. Energie, Wasser und Grundnahrungsmittel werden stark subventioniert. Ein Menschenrecht auf Wohnraum wird anerkannt. Für Bedürftige wird Wohnraum kostenlos zur Verfügung gestellt. Missbräuchliche Verwendung ist häufig (ÖB 3.2015). Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist bislang durch umfassende Importe gewährleistet. Dass sich für 2016 angekündigte Importbeschränkungen auch in diesem Bereich auswirken, erscheint derzeit eher unwahrscheinlich. Insbesondere im Vorfeld religiöser Feste, wie auch im gesamten Monat Ramadan, kommt es allerdings immer wieder zu substanziellen Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln. Für Grundnahrungsmittel wie Weizenmehl, Zucker und Speise-Öl gelten im Januar 2011 eingeführte Preisdeckelungen und Steuersenkungen. Im Bereich der Sozialfürsorge kommt, neben geringfügigen staatlichen Transferleistungen, vornehmlich der Familien-, im Süden des Landes auch der Stammesverband für die Versorgung alter Menschen, Behinderter oder chronisch Kranker auf. In den Großstädten des Nordens existieren "Selbsthilfegruppen" in Form von Vereinen, die sich um spezielle Einzelfälle (etwa die Einschulung behinderter Kinder) kümmern. Teilweise fördert das Solidaritätsministerium solche Initiativen mit Grundbeträgen (AA 18.1.2016).

 

Nach offiziellen Angaben wird mittlerweile zum ersten Mal von einer Arbeitslosenquote von unter 10% ausgegangen, davon sind 70% jünger als 30 Jahre alt. Diese jungen Leute machen wiederum rund 70% der Bevölkerung aus. Die Arbeitslosigkeit ist die Folge des Niedergangs des verarbeitenden Gewerbes und der Landwirtschaft, die in der Ära Boumedienne viele Arbeitsplätze geschaffen haben. Allerdings beträgt die Arbeitslosigkeit in der Altersgruppe von 16-24 Jahren über 20%. Gegenwärtig werden die betroffenen Jugendlichen ermuntert, eine freiberufliche Perspektive aufzubauen, dazu werden Kredite und steuerliche Anreize geboten (GIZ 12.2016b). Das staatliche Arbeitsamt Agence national d’emploi / ANEM (http://www.anem.dz/ ) bietet Dienste an, es existieren auch 10 private Jobvermittlungsagenturen (z.B. http://www.tancib.com/index.php?page=apropos ). Seit Februar 2011 stehen jungen Menschen Starthilfekredite offen, wobei keine Daten darüber vorliegen, ob diese Mittel ausgeschöpft wurden. Die Regierung anerkennt die Problematik der hohen Akademikerarbeitslosigkeit. Grundsätzlich ist anzumerken, dass allen staatlichen Genehmigungen/Unterstützungen eine (nicht immer deklarierte) sicherheitspolitische Überprüfung vorausgeht, und dass Arbeitsplätze oft aufgrund von Interventionen besetzt werden. 80 Prozent der Wirtschaft ist in staatlicher Hand (ÖB 3.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

Medizinische Versorgung

 

Grundsätzlich ist medizinische Versorgung in Algerien allgemein zugänglich und kostenfrei (ÖB 3.2015, vgl. AA 18.1.2016). Krankenhäuser, in denen schwierigere Operationen durchgeführt werden können, existieren in jeder größeren Stadt; besser ausgestattete Krankenhäuser gibt es an den medizinischen Fakultäten von Algier, Oran, Annaba und Constantine. Häufig auftretende chronische Krankheiten wie Diabetes, Krebs, Tuberkulose, Herz- und Kreislaufbeschwerden, Geschlechtskrankheiten und psychische Erkrankungen können auch in anderen staatlichen medizinischen Einrichtungen behandelt werden. AIDS-Patienten werden in sechs Zentren behandelt (AA 18.1.2016). Der Standard in öffentlichen Krankenhäusern entspricht nicht europäischem Niveau. Grundsätzlich meiden Algerier nach Möglichkeit die Krankenhäuser und bemühen sich, Kranke so schnell wie möglich in häusliche Pflege übernehmen zu können. Oft greift man zu Bestechung, um ein Intensivbett zu bekommen oder zu behalten. Ohne ständige familiäre Betreuung im Krankenhaus ist eine adäquate Pflege nicht gesichert. Die Müttersterblichkeit und Komplikationen bei Geburten sind aufgrund von Nachlässigkeiten in der Geburtshilfe hoch. Mit Frankreich besteht ein Sozialabkommen aus den 60er Jahren, das vorsieht, dass komplizierte medizinische Fälle in Frankreich behandelt werden können. Dieses Abkommen ist seit einiger Zeit überlastet. Nicht alle Betroffenen können es in Anspruch nehmen. Auch mit Belgien besteht ein entsprechendes Abkommen (ÖB 3.2015).

 

Es sind Privatspitäler, v.a. in Algier entstanden, die nach europäischem Standard bezahlt werden müssen. Der Sicherheitssektor kann auf ein eigenes Netz von Militärspitälern zurückgreifen. Immer wieder wird darauf aufmerksam gemacht, dass sich in Algerien ausgebildete Ärzte in Frankreich niederlassen, was zu einem Ärztemangel in Algerien führt. Die Versorgung im Landesinneren mit fachärztlicher Expertise ist nicht sichergestellt. Augenkrankheiten sind im Süden häufig. Algerien greift diesbezüglich für die Versorgung im Landesinneren auf kubanische Ärzte zurück, z.B. die im April 2013 neu eröffnete Augenklinik in Bechar. Tumorpatienten können medizinisch nicht nach westlichem Standard betreut werden. Schwierig ist die Situation von Alzheimer- und Demenzpatienten und von Behinderten (ÖB 3.2015).

 

Krankenversichert ist nur, wer einer angemeldeten Arbeit nachgeht. Die staatliche medizinische Betreuung in Krankenhäusern steht auch Nichtversicherten beinahe kostenfrei zur Verfügung, allerdings sind Pflege und die Verpflegung nicht sichergestellt, Medikamente werden nicht bereitgestellt, schwierige medizinische Eingriffe sind nicht möglich (ÖB 3.2015).

 

In der gesetzlichen Sozialversicherung sind Angestellte, Beamte, Arbeiter oder Rentner sowie deren Ehegatten und Kinder bis zum Abschluss der Schul- oder Hochschulausbildung obligatorisch versichert. Die Sozial- und Krankenversicherung ermöglicht grundsätzlich in staatlichen Krankenhäusern eine kostenlose, in privaten Einrichtungen eine kostenrückerstattungsfähige ärztliche Behandlung. Immer häufiger ist jedoch ein Eigenanteil (Krankenhausbett zum Beispiel 100,- Dinar = 1,03 Euro pro Nacht) zu übernehmen. Die höheren Kosten bei Behandlung in privaten Kliniken werden nicht oder nur zu geringerem Teil übernommen. Algerier, die nach jahrelanger Abwesenheit aus dem Ausland zurückgeführt werden, sind nicht mehr gesetzlich sozialversichert und müssen daher sämtliche Kosten selbst übernehmen, sofern sie nicht als Kinder oder Ehegatten von Versicherten erneut bei der Versicherung eingeschrieben werden oder selbst einer versicherungspflichtigen Arbeit nachgehen (AA 18.1.2016).

 

Seit der Ära Boumedienne ist in Algerien die medizinische Versorgung kostenlos und wurde vom Staat garantiert. Daran hat sich bis heute im Prinzip nichts geändert. Die Finanzierung erfolgt über Sozialversicherungsbeiträge, die zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgeteilt werden (den größeren Teil, derzeit 12,5%, trägt der Arbeitgeber, wesentlich weniger, 1,5%, der Beschäftigte) und Staatszuweisungen aus dem Budget des Gesundheitsministeriums. Algerien gibt 6,64% seines BIP (2013) für das Gesundheitswesen aus (Deutschland: 11,3%). Die Versorgung mit Standard-Medikamenten (Schmerzmittel, Antibiotika, Herz-Kreislauf-Mittel) zumindest in den Städten ist durch die Apotheken gewährleistet. Spezielle chirurgische Eingriffe, die über die Grundversorgung hinausgehen, werden jedoch nur nach langer Wartezeit durchgeführt. Sehr wohlhabende Familien, wie auch der Präsident selbst, lassen sich gern in Frankreich behandeln. Eine Infrastruktur für Notfälle, z.B. Notrufe, gibt es nicht (außer bei Verkehrsunfällen); es ist Sache der Betroffenen, Hilfe zu organisieren (GIZ 12.2015c).

 

Quellen:

 

 

 

 

Rückkehr

 

Die illegale Ausreise, d.h. die Ausreise ohne gültige Papiere bzw. ohne eine Registrierung der Ausreise per Stempel und Ausreisekarte am Grenzposten, ist gesetzlich verboten (Art. 175 bis 1. algerisches Strafgesetzbuch, Gesetz 09-01 vom 25.2.2009, kundgemacht am 8.3.2009) (ÖB 3.2015, vgl. SGG o.D., AA 18.1.2016). Das Gesetz sieht ein Strafmaß von zwei bis sechs Monaten und / oder eine Strafe zwischen 20.000 DA bis 60.000 DA vor (SGG o.D.). Laut deutscher Botschaft wird das Gesetz auch angewendet; die algerischen Behörden erklären jedoch, das Gesetz sollte nur abschreckende Wirkung entfalten (ÖB 3.2015).

 

Rückkehrer, die ohne gültige Papiere das Land verlassen haben, werden mitunter zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Für illegale Bootsflüchtlinge ("harraga") sieht das Gesetz Haftstrafen von drei bis zu fünf Jahren und zusätzliche Geldstrafen vor. In der Praxis werden zumeist Bewährungsstrafen verhängt. Menschenrechtsorganisationen bezeichnen das Gesetz als "völlig verfehlt", da es sich gegen die Symptome (Migrationsdruck), nicht aber gegen die Ursachen (Perspektivlosigkeit im eigenen Land) richte. Im August 2012 fand ein sog. "Harraga"- oder Bootsflüchtlings-Prozess auf o.g. Grundlage statt, der mit einem Freispruch endete (AA 18.1.2016).

 

Eine behördliche Rückkehrhilfe ist ho. nicht bekannt. Ebenso sind der Botschaft keine NGOs bekannt, die Unterstützung leisten. Bekannt ist, dass Familien zurückkehrende Familienmitglieder wieder aufnehmen und unterstützen. Viel bekannter hingegen sind Fälle, in denen Familien Mitglieder mit beträchtlichen Geldmitteln bei der illegalen Ausreise unterstützen. Sollten Rückkehrer auf familiäre Netze zurückgreifen können, würde man annehmen, dass sie diese insbesondere für eine Unterkunft nützen. Wer nicht von seiner Familie aufgenommen wird und ohne Einkommen ist, wird insbesondere in Algier Schwierigkeiten haben, die hohen Mieten zu zahlen. In Algier wird vermehrt gegen informelle Siedlungen vorgegangen. Die Botschaft kennt auch Fälle von finanzieller Rückkehrhilfe (EUR 1.000-2.000) durch Frankreich, für Personen, die freiwillig aus Frankreich ausgereist sind. Der algerische Außenminister erklärte gegenüber dem politischen Direktor des BMEIA im Jänner 2013, dass man jederzeit bereit sei, Rückkehrer aufzunehmen, sofern zweifelsfrei feststehe, dass es sich um algerische Staatsangehörige handle. Nachfragen bei EU-Botschaften und Pressemeldungen bestätigen, dass Algerien bei Rückübernahmen kooperiert. Zwischen Algerien und einzelnen EU-Mitgliedsstaaten bestehen bilaterale Rückübernahmeabkommen (ÖB 3.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

A) 2. Beweiswürdigung

 

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben der Beschwerdeführerin vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid sowie in den Beschwerdeschriftsatz Beweis erhoben.

 

A) 2.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:

 

Die Feststellungen zu ihren Lebensumständen, ihrer Herkunft und ihrer Staatsangehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin vor der belangten Behörde. Es ist im Verfahren nichts hervorgekommen, das Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen aufkommen lässt.

 

Die Behauptung, in ihrem Elternhaus "eingesperrt" gewesen zu sein, konnte im Zuge der Befragung der Beschwerdeführerin in den mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht glaubwürdig konkretisiert werden.

 

Die Feststellungen zu ihrem Gesundheitszustand beruhen auf dem schlüssigen und vollständigen Gutachten des Sachverständigen Dr. E. D., das in der mündlichen Verhandlung am 9. Juni 2016 erstattet und in der mündlichen Verhandlung am 24. Februar 2017 erörtert wurde.

 

Da die Beschwerdeführerin entweder nicht imstande oder nicht willens war, den österreichischen Behörden identitätsbezeugende Dokumente vorzulegen, steht ihre Identität nicht fest.

 

Die Tatsache, dass sie strafgerichtlich unbescholten ist, ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich vom 3. Juli 2017.

 

A) 2.2. Zum Herkunftsstaat:

 

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin wurden dem "Länderinformationsblatt" zu Algerien mit Stand 17. Mai 2017 entnommen.

 

Bezüglich der Erkenntnisquellen zur Lage im Herkunftsstaat wurden sowohl Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von internationalen Organisationen, wie beispielsweise dem UNHCR, sowie Berichte von allgemein anerkannten und unabhängigen Nichtregierungsorganisationen, wie zB der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, herangezogen.

 

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

 

A) 3. Rechtliche Beurteilung

 

A) 3.1. Zur anzuwendenden Rechtslage:

 

1. § 8 Abs. 1 Z 1, Abs. 2 und 3, § 10 Abs. 1 Z 3 sowie § 57 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2017, lauten:

 

"Status des subsidiär Schutzberechtigten

 

§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,

 

1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

 

2. ,

 

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

 

(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.

 

(3a) Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme

 

§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

 

1. 3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

 

4. und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.

 

(2) Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz

 

§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

 

1. Wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

(2) ".

 

2. § 50, § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9 sowie § 55 Abs. 1 und 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2017, lauten:

 

"Verbot der Abschiebung

 

§ 50. (1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

 

(4) Rückkehrentscheidung

 

§ 52. (1) (2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

 

1. 2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

 

3. ...

 

und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

(3) (9) Das Bundesamt hat mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

 

(10) Frist für die freiwillige Ausreise

 

§ 55. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

 

(1a) (2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen."

 

A) 3.2. Zur Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides:

 

A) 3.2.1. Zur Nichtgewährung von subsidiärem Schutz (Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides):

 

1. Der Beschwerdeführerin droht in Algerien – wie aufgrund des unangefochten in Rechtskraft erwachsenen Spruchpunktes I des angefochtenen Bescheides vom 15. Februar 2016 feststeht – keine asylrelevante Verfolgung.

 

2.1. Auch dafür, dass der Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Algerien die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (zur "Schwelle" des Art. 3 EMRK vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Juli 2003, 2003/01/0059), gibt es im vorliegenden Beschwerdefall keinen Anhaltspunkt, zumal ihre psychische Erkrankung in Algerien behandelbar ist.

 

Außerdem besteht ganz allgemein in Algerien derzeit keine solche extreme Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung iSd Art. 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK ausgesetzt wäre.

 

2.2. Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht sind auch keine Umstände bekannt geworden, die nahelegen würden, dass bezogen auf die Beschwerdeführerin ein "reales Risiko" einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw. der Todesstrafe besteht.

 

3. Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, sodass sie auch hinsichtlich des Spruchpunktes II des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen war.

 

A) 3.2.2. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach den §§ 55

und 57 Asylgesetz 2005 (Spruchpunkt III des angefochtenen Bescheides, erster Spruchteil):

 

1.1. Im ersten Spruchteil des Spruchpunktes III des angefochtenen Bescheides sprach die belangte Behörde (u.a.) aus, dass der Beschwerdeführerin eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 Asylgesetz 2005 nicht erteilt werde.

 

Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung einer solchen Aufenthaltsberechtigung wurde weder von der Beschwerdeführerin behauptet, noch gibt es dafür im Verwaltungsakt irgendwelche Hinweise.

 

1.2. Überdies entschied die belangte Behörde im ersten Spruchteil des Spruchpunktes III des angefochtenen Bescheides in merito über die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 Asylgesetz 2005.

 

Jedoch hat der Verwaltungsgerichthof seinem Erkenntnis vom 15. März 2016, Ra 2015/21/0174, mwN, ausgesprochen, dass das Gesetz keine Grundlage dafür biete, in Fällen, in denen eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz erlassen werde, darüber hinaus noch von Amts wegen negativ über eine Titelerteilung nach § 55 Asylgesetz 2005 abzusprechen.

 

2. Da somit die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 Asylgesetz 2005 nicht gegeben sind und über die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 Asylgesetz 2005 von der belangten Behörde angesichts der zugleich getroffenen Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz nicht abgesprochen werden durfte, war der erste Spruchteil des Spruchpunktes III entsprechend abzuändern.

 

A) 3.2.3. Zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung und zur Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt III des angefochtenen Bescheides, zweiter und dritter Spruchteil):

 

1.1. Da das Asylverfahren negativ abgeschlossen wurde, hat sich die belangte Behörde zutreffend auf § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 gestützt und eine Rückkehrentscheidung erlassen.

 

Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes ergibt auch eine individuelle Abwägung der berührten Interessen, dass ein Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin als im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig angesehen werden kann:

 

Schließlich ist die Beschwerdeführerin illegal in das Bundesgebiet eingereist; sie hält sich seit (spätestens) 15. Juli 2013 und lediglich auf Grundlage eines unbegründeten Asylantrages in Österreich auf. Außerdem wurden mit Erkenntnissen vom heutigen Tag die Beschwerden gegen die Rückkehrentscheidungen als unbegründet abgewiesen, die gegen ihren Ehemann und ihre Stiefsöhne sowie ihre Schwiegertochter und deren Kinder erlassen worden waren. Somit sind alle ihre, im Bundesgebiet aufhältigen Familienangehörigen algerischer Staatsangehörigkeit zur Ausreise verpflichtet.

 

Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie die Beschwerdeführerin erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen. Überdies würde dies dazu führen, dass Fremde, die die fremdenrechtlichen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen beachten, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, die ihren Aufenthalt im Bundesgebiet lediglich durch ihre illegale Einreise und durch die Stellung eines unbegründeten oder sogar rechtsmissbräuchlichen Asylantrages erzwingen, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (zum allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen, vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Dezember 2003, 2003/07/0007; vgl. dazu auch das Erkenntnis VfSlg. 19.086/2010, in dem der Verfassungsgerichtshof auf dieses Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Bezug nimmt und in diesem Zusammenhang explizit erklärt, dass "eine andere Auffassung sogar zu einer Bevorzugung dieser Gruppe gegenüber den sich rechtstreu Verhaltenden führen würde.")

 

Den persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin an einem weiteren Aufenthalt in Österreich steht somit das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens gegenüber; diesem gewichtigen öffentlichen Interesse kommt aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. März 2002, 98/18/0260, vom 18. Jänner 2005, 2004/18/0365, vom 3. Mai 2005, 2005/18/0076, vom 17. Jänner 2006, 2006/18/0001, und vom 9. September 2014, 2013/22/0246).

 

Ihrer psychischen Erkrankung kommt dabei kein entscheidendes Gewicht zu, weil diese auch in Algerien behandelbar ist, sodass mit ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat kein Abbruch einer laufenden Behandlung und damit auch keine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes verbunden wäre (vgl. dazu das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 12. Juni 2010, U 613/10); vielmehr geht der Sachverständige Dr. E. D. sogar von einer wahrscheinlichen Verbesserung ihrer psychischen bzw. psychosozialen Situation im Falle ihrer Rückkehr nach Algerien aus.

 

Schließlich hat nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwer zugänglich oder kostenintensiver als im fremden Aufenthaltsland ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt (vgl. dazu das Erkenntnis VfSlg. 19.086/2010, in dem der Verfassungsgerichtshof sich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte stützt).

 

Die im vorliegenden Beschwerdefall vorzunehmende Interessenabwägung schlägt somit –unter Zugrundelegung der unter A) 1.1. getroffenen Feststellungen – zuungunsten der Beschwerdeführerin und zugunsten des öffentlichen Interesses an ihrer Ausreise aus.

 

1.2. Zur Feststellung, dass eine Abschiebung gemäß § 46 nach Algerien zulässig ist (§ 52 Abs. 9 Fremdenpolizeigesetz 2005), ist auf die oben stehenden Ausführungen unter Punkt A) 3.2.1. zu verweisen.

 

2. Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, sodass sie auch hinsichtlich des zweiten und dritten Spruchteils des Spruchpunktes III des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen war.

 

A) 3.2.4. Zur Festsetzung der Frist für die freiwillige Ausreise

(Spruchpunkt IV des angefochtenen Bescheides):

 

Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

 

Derartige "besondere Umstände" wurden von der Beschwerdeführerin nicht dargetan und sind auch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht hervorgekommen.

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprech ung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte