BFG RV/7103240/2012

BFGRV/7103240/201219.8.2015

Zuschätzung bei Apotheke wegen formeller Mängel

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2015:RV.7103240.2012

 

Beachte:
Revision eingebracht (Amtsrevision). Beim VwGH anhängig zur Zl. Ra 2015/13/0051. Mit Erk. v. 27.7.2016 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Fortgesetztes Verfahren mit Erkenntnis zur Zahl RV/7104157/2016 erledigt.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch Senat_X in der Beschwerdesache Bf_KG über die Beschwerden vom 29.11.2011 bzw. 17.10.2012 gegen die Bescheide des Finanzamtes FA vom 29.9.2011 betreffend Feststellung von Einkünften und Umsatzsteuer 2006-2009 bzw. vom 2.10.2012 betreffend Umsatzsteuer 2010 in der Sitzung am 12.8.2015 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt: 

I.1. Die Beschwerde betreffend die Jahre 2006-2008 wird als unbegründet abgewiesen. Die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide bleiben unverändert, die angefochtenen Feststellungsbescheide werden abgeändert.

I.2. Der Beschwerde betreffend die Jahre 2009-2010 wird Folge gegeben. Die angefochtenen Umsatzsteuer- und Feststellungsbescheide werden abgeändert.

I.3. Die Abänderungen sind dem beiliegenden Berechnungsblatt zu entnehmen, das einen Spruchbestandteil bildet.

II. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) unzulässig.

 

Entscheidungsgründe

Im Zuge einer Betriebsprüfung über die Jahre 2006-2009 und Nachschau für u.a. 2010 bei der Bf wurde von der belangten Behörde festgestellt, die Bücher und Aufzeichnungen seien mangelhaft:

 

In der Berufung (nunmehr Beschwerde, § 323 Abs 38 BAO) bringt die Bf dagegen vor:

 

Zur Beschwerde nimmt die belangte Behörde wie folgt Stellung: Die Anwendung eines Sicherheitszuschlages gehöre zu den Elementen einer Schätzung. Es sei im Prüfungsverfahren wiederholt darauf hingewiesen worden, dass nach Ansicht der belangten Behörde weitere Einnahmen vorlägen und nicht alle Geschäftsfälle aufgezeichnet worden seien. Seitens des Programmierers des EDV-Systems der Bf selbst sei ein Maßnahmenkatalog erstellt worden, der Änderungen zur BAO-Konformität der Aufzeichnungen der Bf enthalte.

Die Sicherheitszuschläge stützten sich auf Warenentnahmen von insgesamt 75.601,08 Euro, denen keine Erlöse zugerechnet werden konnten. Nach Abschlägen für nachgereichte Rezepte, Fehlabgaben, Korrekturbuchungen, Sonderartikelverkauf und Änderungen der Pharmazentralnummer sei ein Durchschnittsaufschlag vorgenommen worden, der eine Gesamtdifferenz von 78.000 Euro für drei Jahre ergebe. Dieser Betrag sei auf die Prüfungsjahre gleichmäßig aufgeteilt und in den Nachschauzeitraum gezogen worden. Die Zuschätzung entspreche ca. 7,5 % der Privatumsätze.

 

Dazu verfasste die Bf eine Gegenäußerung: Die vorgelegten Standardauswertungen hätten bei bisherigen Prüfungen immer genügt, erst die gegenständliche Prüfung habe genauere Daten abverlangt, weshalb die Auswertung länger gebraucht habe. Die Forderung nach Datenerfassungsprotokollen etwa sei eineinhalb Jahre vor Veröffentlichung der Kassenrichtlinie erfolgt. Der vom Programmierer erstellte Maßnahmenkatalog (AS 181 des Bp-Arbeitsbogens) nehme auf die von der Betriebsprüfung geforderten Auswertungen bezug, doch indiziere diese Anpassung nicht, dass die Aufzeichnungen nicht auch vorher ordnungsgemäß gewesen seien.

Differenzen aus der Verbrauchserfassung (rd. 59.000 Euro) und aus Lagerkorrekturen (rd. 16.000 Euro) rechtfertigten keine Zuschätzung von 78.000 Euro – zumal unter Berücksichtigung der vorgetragenen Einwendungen. Die Ausführungen zu den überdurchschnittlichen Gewinnspannen seien nicht einmal kommentiert worden. Es werde unterstellt, hochpreisige Medikamente (Wert 100-180 Euro) seien bar abgegeben worden, obwohl die Kunden nur die Rezeptgebühr zu entrichten gehabt hätten; zudem unterlägen diese nur über den Großhandel beziehbaren Medikamente einer verstärkten Kontrolle und seien über Lieferscheine nachvollziehbar. Es sei jedoch kein einziger nicht erfasster Lieferschein des Großhandels beanstandet worden.

Am Beginn der Beschwerde und Ende ihrer Ausführungen schildert die Bf den Ablauf der Schlussbesprechung: Zunächst habe die Betriebsprüfung die Bf mit einer griffweisen Zuschätzung von 40.000 Euro netto wegen schwerwiegender Mängel konfrontiert. Nach durchgeführter Diskussion sei das Wort „schwerwiegend“ gestrichen und die Zurechnung auf 26.000 Euro jährlich herabgesetzt worden, ohne dass jemals eine Berechnung vorgelegt worden wäre. Alle übergebenen Unterlagen seien kaum oder nicht gewürdigt worden.

 

In der mündlichen Verhandlung wird ergänzend vorgebracht: seitens der Bf, dass die Beanstandungen bloße Bedienmängel beträfen, jedoch zu keinen Mängeln in der Buchhaltung geführt hätten; seitens der belangten Behörde, dass damit sehr wohl die Buchhaltung mangelhaft gewesen sei, etwa auch dadurch, dass Lagerkorrekturen immer ohne Begründung gebucht worden seien, obwohl die EDV ein Begründungsfeld vorsehe, was eine Nachvollziehbarkeit ermöglichen würde.

 

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Die Bf betreibt eine Apotheke. Bei der Bf gab es festgestellt durch die Außenprüfung der belangten Behörde in den Jahren 2006 bis 2008 formelle Mängel, insbesondere sind Grundaufzeichnungen über Korrekturbuchungen und Verbrauchserfassungen nicht aufbewahrt worden. Anhand der vorgelegten Unterlagen konnte zwar ein Großteil der aufgezeigten Differenzen nachvollzogen werden, jedoch nicht die Geschäftsfälle im einzelnen.

Aus Lagerkorrekturen ergibt sich über drei Jahre (2006-2008) ein Fehlbetrag von 16.000 Euro, der nicht aufgeklärt werden konnte. Der Abgang aufgrund von Verbrauchserfassungen im Ausmaß von rund 59.000 Euro erscheint im Ausmaß von 29.000 Euro (nacherfasste Rezepte) aufgeklärt; den verbleibenden 30.000 Euro Verbrauchserfassung (zum Einstandspreis) stehen Umsätze von 23.000 Euro aus Sonderartikeln gegenüber. Unter Berücksichtigung der Handelsspanne daraus bleiben aus Lagerkorrekturen und Verbrauchserfassungen Buchungen im Ausmaß von rund 30.000 Euro nicht nachvollziehbar, somit rund 10.000 Euro jährlich.

Während die Abwicklung leerer Lieferscheine dem Senat hinreichend plausibel erscheint (Erklärung der Fa A, AS 108 des Bp-Arbeitsbogens), stellt eine nicht nummerierte Rechnung an die Schwester einer Gesellschafterin einen formalen Mangel dar, und ein angeblicher Warentausch, zu dem es verschiedene Sachverhaltsschilderungen, u.a. eine Entnahme durch Mitarbeiter gegeben hat, ist im System nicht nachvollziehbar.

Letztlich sind händische Aufzeichnungen zur Verbrauchserfassung, zu Medikamentenabgaben an Stammkunden und zur Kassastandsermittlung nicht aufbewahrt worden. Dabei handelt es sich um Grundaufzeichnungen, die der Aufbewahrungspflicht nach § 131 BAO unterliegen. Aufgrund fehlender Aufzeichnungen und mangelnder Dokumentation der Verbrauchserfassung (etwa durch Eingabe einer Begründung, was vom Programm zwar vorgeschlagen wurde, vom Anwender jedoch übergehbar war) war auch die Verbuchung von Natural- bzw. Barrabatten nicht hinreichend auf den Einzelfall bezogen nachvollziehbar.

Die Fehlbedienungen bei Verwendung des EDV-Systems der Bf haben somit zu formellen Mängeln geführt, die zur Schätzung nach § 184 Abs 3 BAO berechtigten. Auch ist der Ansatz eines Sicherheitszuschlages im vorliegenden Fall ein adäquates Mittel, weil nicht einzelne Mängel aufgegriffen wurden, sondern aufgrund der Summe der vorgefundenen Mängel eine Umsatzerhöhung in jenem Ausmaß erfolgte, das bei den vorgefundenen Mängeln möglich erscheint. Die Schätzung erscheint auch der Höhe nach plausibel, denn schon aus zwei der angeführten Mängel (nicht nachvollziehbare Differenzen bei Verbrauchserfassung und Lagerkorrekturen) ergeben sich unaufgeklärte Fehlbeträge von 10.000 Euro jährlich. Unter Bedachtnahme auf die weiteren Mängel (insbesondere fehlende Grundaufzeichnungen) erscheint die pauschale Zuschätzung von 26.000 Euro jährlich gerechtfertigt, zumal dies nur rund 1,3 % des Umsatzes sind und somit am unteren Ende eines zulässigen Sicherheitszuschlages angesiedelt ist.

Die Erhöhung der steuerpflichtigen Umsätze um 26.000 Euro jährlich führt zu einer jährlichen zusätzlichen Umsatzsteuerschuld von 5.200 Euro. Diese ist ertragsteuerlich zusätzlich zu passivieren, weshalb die Feststellungsbescheide entsprechend abzuändern waren.

Feststellungen über vorliegende Mängel wurden seitens der belangten Behörde nur für die Jahre 2006-2008 getroffen. In die beiden Folgejahre wurden diese Feststellungen einfach "hinübergezogen", ohne auf diese Jahre bezogene Prüfungshandlungen durchgeführt zu haben, weil das Vorhandensein der selben Mängel auch in diesen Zeiträumen vermutet wurde. Eine bloße Vermutung reicht als Begründung für die Festsetzung einer Steuer jedoch nicht aus. Es bedarf fundierter Feststellungen den konkreten Veranlagungszeitraum betreffend. Die Übertragung von Sachverhaltsfeststellungen, die andere Veranlagungszeiträume betreffen, erfüllt diese Bedingung nicht. Daher war die Zuschätzung in den Jahren 2009 und 2010 rechtswidrig.

 

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Revision ist unzulässig, weil die Entscheidung von der Lösung einer Sachverhalts- und nicht einer Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG abhängig war.

 

 

Wien, am 19. August 2015

 

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer

betroffene Normen:

§ 184 Abs. 3 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961

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