BFG RV/2100202/2019

BFGRV/2100202/201916.7.2019

Frühestmöglicher Beginn des Studiums nach Präsenzdienst (Aufnahmeverfahren)

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2019:RV.2100202.2019

 

Beachte:
Revision eingebracht (Amtsrevision). Beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2019/16/0181. Zurückweisung mit Beschluss vom 12.11.2019.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R. in der Beschwerdesache Bf., Adr., vertreten durch Kanzlei Kleiner Eberl Brandstätter Steuerberatung GmbH, Burgring 22, 8010 Graz, über die Beschwerde vom 16.07.2018 gegen den Abweisungsbescheid der belangten Behörde Finanzamt Graz-Stadt vom 29.06.2018 betreffend Familienbeihilfe für Kind, geb. xx.xx..1999, für den Zeitraum Februar 2016 bis September 2016 zu Recht erkannt: 

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird – ersatzlos – aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Mit dem Formular „Beih 1“ beantragte die Beschwerdeführerin (Bf.) am 02.02.2018 ohne Angabe eines Zeitraumes die Gewährung der Familienbeihilfe für ihren Sohn Kind, geb. xx.xx..1999.

Im Zuge eines Vorhalteverfahrens vor dem Finanzamt wurden Unterlagen vorgelegt, aus denen hervorgeht, dass der Sohn Vorname am 13.06.2017 die Reifeprüfung mit gutem Erfolg bestanden hat und nach Absolvierung des Präsenzdienstes vom 01.08.2017 bis 31.01.2018 sich für das Aufnahmeverfahren für das Studium der Humanmedizin an der Medizinischen Universität Graz sowie das Aufnahmeverfahren für das Bachelorstudium Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der WU Wien angemeldet hat. Die Bf. bringt ergänzend vor, dass sich der Sohn seit Beendigung des Präsenzdienstes auf den Aufnahmetest für das Studium der Humanmedizin vorbereite, der seit vielen Jahren immer Anfang Juli stattfinde, weshalb ein Studienbeginn frühestens im Oktober 2018 erfolgen könne.

Mit Bescheid des Finanzamtes vom 29.06.2018 wurde der Antrag auf Familienbeihilfe für den Sohn Kind für den Zeitraum 02/2018 bis 09/2018 abgewiesen. Unter Hinweis auf § 2 Abs. 1 lit. e FLAG 1967 wurde begründend ausgeführt, dass der Sohn mit einer weiteren Berufsausbildung nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt
(= Sommersemester 2018) begonnen habe.

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht die Beschwerde mit der Begründung, dass der Beginn des Studiums der Humanmedizin des Sohnes im Sommersemester auf Grund des Aufnahmetests, auf den er sich fünf Monate vorbereitet und der am 06.07.2018 stattgefunden habe, ausgeschlossen sei.
Ergänzend bringt der steuerliche Vertreter der Beschwerdeführerin vor, dass das Aufnahmeverfahren für das Studienjahr 2018/2019 über Internetanmeldung bei der Med Uni Graz in der Zeit zwischen 01. und 30.3.2018 möglich gewesen und auch so genutzt worden sei. Während des Grundwehrdienstes habe der Sohn der Bf. einen einwöchigen Vorbereitungskurs für das Aufnahmeverfahren an der Med Uni Graz absolviert und danach seine eigene weitere Vorbereitung auf Basis der dort empfohlenen Literatur während der Dauer von fünf Monaten, also vom 01.02.2018 bis zum Beginn des Aufnahmetests am 06.07.2018 angeschlossen. Der Sohn der Bf. habe am Aufnahmetest für das Studium Humanmedizin teilgenommen, jedoch keinen Studienplatz erreicht.
Der Sohn der Bf. sei seit Oktober 2018 an der WU Wien als Student der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften inskribiert und studiere in Wien.

Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung ab. In der Begründung wurde ausgeführt, dass die Vorbereitungszeit zur Ablegung der Aufnahmeprüfung keine Berufsausbildung iSd § 2 Abs. 1 FLAG sei, da der Sohn der Bf. keinen Studienplatz im Studium Humanmedizin erreicht habe. Überdies sei der Nachweis für ein ernstliches und zielstrebiges Bemühen um den Studienfortgang und dass die Vorbereitungszeit auch in quantitativer Hinsicht die volle Zeit in Anspruch genommen habe, nicht erbracht worden.

Daraufhin stellte der steuerliche Vertreter der Bf. den Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde an das Bundesfinanzgericht (Vorlageantrag), auf Abhaltung einer mündlichen Verhandlung und Entscheidung durch den Senat. Begründend wurde ergänzend ausgeführt, dass dem FLAG die vom Finanzamt vorgenommene Auslegung der Vorbereitungszeit, vor allem hinsichtlich der Ernstlichkeit und Zielstrebigkeit sowie in quantitativer Hinsicht nicht zu entnehmen sei. Es wird beantragt im Haus der Bf. einen Augenschein über das Vorhandensein von Bergen von Vorbereitungsmaterial für den Aufnahmetest, die vom Sohn durchgearbeitet worden seien, vorzunehmen.

Durch weitere Ermittlungen stellte das Bundesfinanzgericht fest, dass einmal jährlich im Frühjahr die Möglichkeit besteht sich für das Aufnahmeverfahren für das Bachelorstudium Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der WU Wien zu bewerben (Homepage der WU Wien). Der Sohn der Bf. hat sich am 22.04.2018 zu diesem Aufnahmeverfahren registriert und erhielt am 17.05.2018 die Information, dass kein Aufnahmeverfahren stattfindet, da die Anzahl der gültigen Registrierungen unter jener der zur Verfügung stehenden Studienplätze liegt. Somit berechtigt die Registrierung die Aufnahme des Studiums im Wintersemester 2018/19.
Der Sohn der Bf. begann im Wintersemester 2018/19 das Bachelorstudium Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der WU Wien (J033561) und erwarb lt. Abfrage in der Studienauskunft im Wintersemester 2018 20 ECTS und im Sommersemester 2019 16 ECTS.

Mit Schriftsatz vom 10.07.2019 wurde vom steuerlichen Vertreter der Bf. der Antrag auf Abhaltung einer mündlichen Verhandlung und Entscheidung durch den Senat zurückgezogen.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. b Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) idgF haben Personen Anspruch auf Familienbeihilfe, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist. Bei volljährigen Kindern, die eine in § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992, BGBl. Nr. 305, genannte Einrichtung besuchen, ist eine Berufsausbildung nur dann anzunehmen, wenn sie die vorgesehene Studienzeit pro Studienabschnitt um nicht mehr als ein Semester oder die vorgesehene Ausbildungszeit um nicht mehr als ein Ausbildungsjahr überschreiten. Wird ein Studienabschnitt in der vorgesehenen Studienzeit absolviert, kann einem weiteren Studienabschnitt ein Semester zugerechnet werden. Die Studienzeit wird durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis (zB Krankheit) oder nachgewiesenes Auslandsstudium verlängert. Dabei bewirkt eine Studienbehinderung von jeweils drei Monaten eine Verlängerung der Studienzeit um ein Semester. Zeiten als Studentenvertreterin oder Studentenvertreter nach dem Hochschülerschaftsgesetz 1998, BGBl. I Nr. 22/1999, sind unter Berücksichtigung der Funktion und der zeitlichen Inanspruchnahme bis zum Höchstausmaß von vier Semestern nicht in die zur Erlangung der Familienbeihilfe vorgesehene höchstzulässige Studienzeit einzurechnen. Gleiches gilt für die Vorsitzenden und die Sprecher der Heimvertretungen nach dem Studentenheimgesetz, BGBl. Nr. 291/1986. Der Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie hat durch Verordnung die näheren Voraussetzungen für diese Nichteinrechnung festzulegen. Zeiten des Mutterschutzes sowie die Pflege und Erziehung eines eigenen Kindes bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres hemmen den Ablauf der Studienzeit. Bei einem Studienwechsel gelten die in § 17 Studienförderungsgesetz 1992, BGBl. Nr. 305, angeführten Regelungen auch für den Anspruch auf Familienbeihilfe. Die Aufnahme als ordentlicher Hörer gilt als Anspruchsvoraussetzung für das erste Studienjahr. Anspruch ab dem zweiten Studienjahr besteht nur dann, wenn für ein vorhergehendes Studienjahr die Ablegung einer Teilprüfung der ersten Diplomprüfung oder des ersten Rigorosums oder von Prüfungen aus Pflicht- und Wahlfächern des betriebenen Studiums im Gesamtumfang von acht Semesterwochenstunden oder im Ausmaß von 16 ECTS-Punkten nachgewiesen wird; Gleiches gilt, wenn alle Lehrveranstaltungen und Prüfungen der Studieneingangs- und Orientierungsphase nach § 66 des Universitätsgesetzes 2002, BGBl. I Nr. 120/2002, erfolgreich absolviert wurden, sofern diese mit mindestens 14 ECTS-Punkten bewertet werden. Der Nachweis ist unabhängig von einem Wechsel der Einrichtung oder des Studiums durch Bestätigungen der im § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992 genannten Einrichtungen zu erbringen. Für eine Verlängerung des Nachweiszeitraumes gelten die für die Verlängerung der Studienzeit genannten Gründe sinngemäß.

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. e FLAG 1967 besteht ein Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, für die Zeit zwischen der Beendigung des Präsenz- oder Ausbildungs- oder Zivildienstes oder eines Freiwilligen Dienstes nach § 2 Abs. 1 lit. l sublit. aa bis dd und dem Beginn oder der Fortsetzung der Berufsausbildung, wenn die Berufsausbildung zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach dem Ende des Präsenz- oder Ausbildungs- oder Zivildienstes oder Freiwilligen Dienstes nach § 2 Abs. 1 lit. l sublit. aa bis dd begonnen oder fortgesetzt wird.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 26.05.2011, 2011/16/0057) erfordert der Tatbestand des § 2 Abs. 1 lit. e FLAG die tatsächliche Fortsetzung oder den tatsächlichen Beginn der Berufsausbildung nach Ende des Präsenz-­, Zivil- oder Ausbildungsdienstes.
Weiters führt der VwGH aus: „ Die einer tatsächlichen Ausbildung vorangehenden Schritte einer Bewerbung einschließlich eines Tests und eines Bewerbungsgespräches stellen noch keine Ausbildung dar und im Falle des Unterbleibens der Ausbildung (weil der Bewerber nicht aufgenommen wurde - wobei es unerheblich ist, ob mangels hinreichender Qualifikation etwa auf Grund eines negativen Testergebnisses bei der Bewerbung oder "lediglich infolge Platzmangels" -) wird diese Berufsausbildung eben nicht iSd § 2 Abs. 1 lit. e FLAG begonnen."

Im Erkenntnis des VwGH 19.06.2013, 2012/16/0088, wird ausgesprochen: „Wäre der Beginn der vom Sohn des Beschwerdeführers auch tatsächlich begonnenen Berufsausbildung des Studiums der Humanmedizin an der Paracelsus Medizinische Privatuniversität nach der Beendigung des Ausbildungsdienstes am 31. August 2010 wegen der Zulassungsvoraussetzung eines Aufnahmeverfahrens erst im Sommer 2011 frühestens mit dem Wintersemester 2011/12 möglich gewesen, läge ein Fall des § 2 Abs. 1 lit. e FLAG vor, weshalb für die Zeit zwischen der Beendigung des Ausbildungsdienstes und dem Beginn der Berufsausbildung, Familienbeihilfe zustünde“ und „Hat der Beschwerdeführer nach dem Ausbildungsdienst die ins Auge gefasste Ausbildung des Studiums der Humanmedizin, dann auch tatsächlich zum frühest möglichen Zeitpunkt begonnen, dann ist der (frühere) Beginn des Biologiestudiums nicht maßgeblich.

Im Erkenntnis des VwGH 19.10.2017, Ro 2016/16/0018, wird ausgeführt, dass es dem Erfordernis des § 2 Abs. 1 lit. e FLAG entsprochen ist, wenn die Bewerbung um eine solche Ausbildung unmittelbar nach dem Ende des Präsenz- oder Ausbildungsdienstes oder des Zivildienstes erfolgt und in weiterer Folge die bis zum tatsächlichen Ausbildungsbeginn erforderlichen Maßnahmen (so zum Beispiel Antreten zu Bewerbungsgesprächen, Aufnahmeprüfungen udgl.) ohne dem Bewerber anzulastende Verzögerung erfolgen.

Somit kann im vorliegenden Fall, wie das Finanzamt zu Recht ausgeführt hat, die Vorbereitungszeit auf die Aufnahmeprüfung nicht als „Berufsausbildung“ allgemeiner Art im Sinne des FLAG 1967 angesehen werden. Zudem wurde die Berufsausbildung „Studium der Humanmedizin“ tatsächlich auch nicht begonnen, da der Sohn der Bf. keinen Studienplatz erreichte.

Allerdings hat sich der Sohn der Bf. unmittelbar nach Beendigung des Präsenzdienstes auch um die Aufnahme an der WU Wien beworben. Wenn dann  auch kein Aufnahmeverfahren stattgefunden hat, weil es weniger Bewerber als Studienplätze gab, war zumindest eine Online-Registrierung für die Zulassung des Bachelorstudiums Wirtschafts- und Sozialwissenschaften notwendig. Der Sohn der Bf. begann daher das zuletzt genannte Studium zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach Beendigung des Präsenzdienstes. Er hat alle erforderlichen Schritte zum Studienbeginn ohne ihm anzulastende Verzögerung gesetzt.

Der Beweisantrag des steuerlichen Vertreters der Bf. auf Durchführung eines Ortsaugenscheins wird gemäß § 183 Abs. 3 BAO abgelehnt, da die unter Beweis zu stellenden Tatsachen für die Beurteilung im ggst. Fall unerheblich sind. Die sachverhaltserhebliche Tatsache, dass der Sohn der Beschwerdeführerin zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach Beendigung des Präsenzdienstes mit dem Studium begonnen hat, ergibt sich bereits durch die im Verfahren vorgelegten Beweise.

Auf Grund des im gegenständlichen Fall vorliegenden Sachverhaltes, der gesetzlichen Bestimmungen und der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes war über die Beschwerde wie im Spruch zu entscheiden.

Zulässigkeit einer Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Da im vorliegenden Fall eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht vorliegt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht abweicht (siehe zitierte VwGH-Judikatur), ist eine (ordentliche) Revision nicht zulässig.

 

 

Graz, am 16. Juli 2019

 

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer, FLAG

betroffene Normen:

§ 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 2 Abs. 1 lit. e FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967

Verweise:

VwGH 26.05.2011, 2011/16/0057
VwGH 19.06.2013, 2012/16/0088
VwGH 19.10.2017, Ro 2016/16/0018

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