BFH XI R 13/02

BFHXI R 13/026.3.2003

Amtlicher Leitsatz:

Die Erteilung der Spendenbescheinigung nach § 48 Abs. 3 EStDV a.F. ist ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977.

Amtlicher Leitsatz:

Die Erteilung einer Spendenbescheinigung i.S. des § 48 Abs. 3 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung in der im Streitjahr 1997 noch geltenden Fassung (EStDV a.F.) ist ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977, denn das Vorliegen der Bestätigung ist materiell-rechtliche Voraussetzung für den Spendenabzug.

Auch nachträglich ausgestellte Spendenquittung zählt

Wird einem Steuerzahler die Quittung über eine Spende für "als besonders förderungswürdig anerkannte gemeinnützige Zwecke" erst ausgestellt, nachdem der Steuerbescheid für das Jahr, in dem die Spende geleistet wurde, bereits bestandskräftig geworden ist, darf das Finanzamt die nachträgliche Anerkennung nicht mit dem Argument verweigern, bei Abgabe der entsprechenden Steuererklärung hätte er zumindest auf seine Spende hinweisen müssen.

Quelle: Wolfgang Büser

Normen

§ 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO 1977
§ 48 Abs. 3 EStDV a.F.

FG Düsseldorf - 04.09.2001 - AZ: 3 K 8898/98 E
FG Düsseldorf - 04.09.2001 - AZ: 3 K 8898/98 F

 

Entscheidungsgründe

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) übertrug im Streitjahr 1997 einer von ihm errichteten und vorläufig als gemeinnützig anerkannten Stiftung ein Grundstück in X. Auf seinen Antrag vom 27. August 1997 erteilte ihm die Stadt X am 14. September 1998 eine Bestätigung über eine Zuwendung an eine juristische Person des öffentlichen Rechts in Höhe von 2 Mio. DM und bescheinigte, dass die Spende für als besonders förderungswürdig anerkannte gemeinnützige Zwecke i.S. der Nr. 4 der Anlage 7 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) verwendet werde.

Am 21. September 1998 reichte der Kläger beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -FA-) die Spendenbescheinigung ein und beantragte, die Spende als Großspende bei den Veranlagungen für 1995 bis 1997 zu berücksichtigen. Da die Einkommensteuerbescheide für diese Jahre zu diesem Zeitpunkt bereits bestandskräftig waren, lehnte dies das FA aus verfahrensrechtlichen Gründen ab. Die Spendenbescheinigung sei lediglich ein Beweismittel, das der Kläger grob schuldhaft verspätet vorgelegt habe.

Der Kläger erhob gegen die Einspruchsentscheidung Klage. Während des Klageverfahrens änderte das FA antragsgemäß die Einkommensteuerbescheide für 1995 und 1996. Für das Streitjahr 1997 hielt es an seiner Auffassung fest.

Am 14. März 2000 beantragte der Kläger beim FA, für die Großspende einen Feststellungsbescheid nach § 10b Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 10d des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu erlassen. Diesen Antrag lehnte das FA unter Hinweis auf die Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids 1997 ab. Hiergegen erhob der Kläger Klage.

Das Finanzgericht (FG) hat die beiden Klagen verbunden und als unbegründet abgewiesen. Eine Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids 1997 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) scheitere an der grob schuldhaft verspäteten Vorlage der Spendenbestätigung. Der Kläger hätte bereits in seiner Einkommensteuererklärung für 1997 auf die Großspende hinweisen müssen, um auf diese Weise einen vorläufigen oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Einkommensteuerbescheid zu erhalten. Da die Spendenbescheinigung kein Grundlagenbescheid sei, könne der bestandskräftige Einkommensteuerbescheid auch nicht nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 geändert werden. Ebenso wenig ermögliche § 10b Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 10d Abs. 1 EStG die Änderung bestandskräftiger Einkommensteuerbescheide. Eine Feststellung des verbliebenen Großspendenbetrags zum 31. Dezember 1997 scheitere an der Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids 1997.

Mit seiner Revision rügt der Kläger Verletzung des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977; die nachträgliche Erteilung der Spendenbescheinigung sei ein rückwirkendes Ereignis im Sinne dieser Vorschrift.

Er beantragt,

das Urteil des FG aufzuheben und das FA zu verpflichten, den Einkommensteuerbescheid 1997 dahin gehend zu ändern, dass weitere Spenden in Höhe von 43.751,00 DM zum Abzug zugelassen werden und einen Feststellungsbescheid für eine Großspende in 1997 über 2 Mio. DM zu erlassen.

Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Erteilung und Vorlage der Spendenbescheinigung seien keine rückwirkenden Ereignisse i.S. des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977. Die Spendenbestätigung sei bloßes Beweismittel. § 10b EStG sehe -im Gegensatz zu den §§ 44 bis 46 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG)- die Vorlage einer Bescheinigung nicht vor. Zwar sei nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) die Spendenbescheinigung unverzichtbare sachliche Voraussetzung für den Spendenabzug, dieser komme "an sich" aber keine rechtsbegründende Wirkung zu. Rechtsbegründend sei lediglich die tatsächliche Verwendung der Spende für begünstigte Zwecke.

II.

Die Revision des Klägers ist begründet. Das Urteil des FG und die Ablehnungsbescheide sind aufzuheben. Das FA ist verpflichtet, den Einkommensteuerbescheid 1997 vom 30. Juli 1998 zu ändern und einen Feststellungsbescheid nach § 10b Abs. 1 Satz 4 EStG zum 31. Dezember 1997 zu erlassen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, § 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-). Der Senat kann offen lassen, ob -wie das FG meint- einen Steuerpflichtigen an der verspäteten Vorlage einer Spendenbescheinigung ein grobes Verschulden i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 trifft, wenn der Spendenempfänger erst nach Ergehen des Einkommensteuerbescheides die Spendenbescheinigung ausstellt. Das FG hat jedenfalls zu Unrecht § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 als Rechtsgrundlage für die begehrte Bescheidsänderung außer Betracht gelassen.

1.

Gemäߧ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Aus dem Bedeutungszusammenhang, in dem diese Norm steht, ergibt sich, dass der Begriff "Ereignis" alle rechtlich bedeutsamen Vorgänge umfasst. Dazu rechnen nicht nur solche mit ausschließlich rechtlichem Bezug, sondern auch tatsächliche Lebensvorgänge. Das Ereignis muss ferner stattfinden, nachdem der Steueranspruch entstanden ist und für die Fälle der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids, nachdem dieser Steuerbescheid ergangen ist. Die Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 liegen nicht vor, wenn das FA -wie im Fall des § 173 Abs. 1 AO 1977- lediglich nachträglich Kenntnis von einem bereits gegebenen Sachverhalt erlangt. Die nach dem Steuertatbestand rechtserhebliche Sachverhaltsänderung muss sich darüber hinaus steuerlich in die Vergangenheit auswirken, und zwar in der Weise, dass nunmehr der veränderte an Stelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zu Grunde zu legen ist. Ob einer nachträglichen Änderung des Sachverhalts rückwirkende steuerliche Bedeutung zukommt, d.h. ob eine solche Änderung dazu führt, dass bereits eingetretene steuerliche Rechtsfolgen mit Wirkung für die Vergangenheit sich ändern oder vollständig entfallen, bestimmt sich allein nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897).

Je nach Ausgestaltung des materiellen Besteuerungstatbestandes kann auch die Vorlage einer Bescheinigung ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 sein (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 18. April 2000 VIII R 75/98, BFHE 192, 80, BStBl II 2000, 423, m.w.N.). Beweismittel, die ausschließlich dazu dienen, eine steuerrechtlich relevante Tatsache zu belegen und die als solche keinen Eingang in eine materielle Steuerrechtsnorm gefunden haben, können, auch wenn sie erst nach Bestandskraft eines Bescheids beschafft werden können, kein nachträgliches Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 sein.

2.

Die Erteilung einer Spendenbescheinigung i.S. des § 48 Abs. 3 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung in der im Streitjahr 1997 noch geltenden Fassung (EStDV a.F.) ist ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977, denn das Vorliegen der Bestätigung ist materiell-rechtliche Voraussetzung für den Spendenabzug.

Nach § 10b Abs. 1 Satz 1 EStG sind Ausgaben zur Förderung u.a. der als besonders förderungswürdig anerkannten gemeinnützigen Zwecke als Sonderausgaben abzugsfähig. Nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c EStG ist die Bundesregierung ermächtigt, Vorschriften durch Rechtsverordnung über eine Beschränkung des Abzugs von Ausgaben zur Förderung steuerbegünstigter Zwecke i.S. des § 10b EStG auf Zuwendungen an bestimmte Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen, über den Ausschluss des Abzugs von Mitgliedsbeiträgen sowie über eine Anerkennung gemeinnütziger Zwecke als besonders förderungswürdig zu erlassen. In Ausfüllung dieser Ermächtigungsgrundlage bestimmt § 48 Abs. 3 EStDV a.F., dass Zuwendungen u.a. für gemeinnützige und besonders förderungswürdig anerkannte Zwecke nur dann abzugsfähig sind, wenn der Empfänger der Zuwendung bestätigt, dass der zugewendete Betrag für den gemeinnützigen und als besonders förderungswürdig anerkannten Zweck verwendet wird. Die Gültigkeit dieser Bestimmung wird von der Rechtsprechung des BFH nicht in Frage gestellt (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 24. November 1993 X R 5/91, BFHE 173, 519, BStBl II 1994, 683; vom 7. November 1990 X R 203/87, BFHE 164, 14, BStBl II 1991, 547).

Die Spendenbestätigung ist unverzichtbare sachliche Voraussetzung für den Spendenabzug (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 23. Mai 1989 X R 17/85, BFHE 157, 516, BStBl II 1989, 879; vom 5. Februar 1992 I R 63/91, BFHE 168, 35, BStBl II 1992, 748, jeweils m.w.N.; ebenso Hofmeister in Blümich, Einkommensteuergesetz, § 10b Rz. 36 f.). Allein der Zweck der Bestätigung, die Verwendung der Zuwendung zu steuerbegünstigten Zwecken nachzuweisen (vgl. z.B. BFH in BFHE 168, 35, BStBl II 1992, 748, m.w.N.), nimmt dieser nicht den Charakter eines materiell-rechtlichen Tatbestandsmerkmals (vgl. ebenso zur Bescheinigung nach § 44 KStG, BFH-Urteil in BFHE 192, 80, BStBl II 2000, 423, unter II. 2. c). Der vom FA zitierten gegenteiligen Literaturmeinung (vgl. insbesondere Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 18. Aufl., § 10b Rdnr. 35) folgt der Senat nicht (vgl. auch BFH-Urteil vom 25. August 1987 IX R 24/85, BFHE 151, 39, BStBl II 1987, 850, unter 2. a, m.w.N.).

3.

Nachdem das FA den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid 1997 zu ändern hat, ergeben sich aus dem vom erkennenden Senat zu § 10d Abs. 3 EStG erlassenen Urteil vom 9. Dezember 1998 XI R 62/97 (BFHE 187, 523 , BStBl II 2000, 3) keine Bedenken mehr, den verbleibenden Spendenabzug gemäߧ 10b Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 10d Abs. 3 Satz 1 EStG festzustellen.

4.

Die Anträge des Klägers sind der Höhe nach allerdings nur teilweise begründet.

Bei der Festsetzung der Einkommensteuer 1997 ist neben den bereits anerkannten Spenden nur noch ein zusätzlicher Spendenbetrag in Höhe von 43.379,00 DM zu berücksichtigen. Der Höchstbetrag für den Spendenabzug nach § 10b Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG beträgt 48.979,00 DM; denn der Gesamtbetrag der Einkünfte beläuft sich unter Berücksichtigung des Altersentlastungsbetrages (§ 2 Abs. 3 EStG) auf 489.791,00 DM.

Der verbleibende Spendenabzug zum 31. Dezember 1997 beträgt nur 1.837.396,00 DM. Im Feststellungsbescheid ist nach § 10b Abs. 1 Satz 4 EStG in entsprechender Anwendung des § 10d Abs. 3 Satz 1 EStG lediglich der am Schluss des Veranlagungszeitraums (hier: 1997) verbleibende Spendenabzugsbetrag festzustellen (vgl. z.B. Schmidt/Heinicke, a.a.O., 21. Aufl., § 10b Rdnr. 67; Hofmeister in Blümich, a.a.O., § 10b Rdnr. 51). Der aus der Großspende verbleibende Spendenabzug ist entsprechend § 10d Abs. 3 Satz 2 EStG der Betrag, der sich nach Spendenabzug im Streitjahr 1997 und nach Abzug der in 1995 und 1996 vom FA mittlerweile berücksichtigten Beträge ergibt.

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