BFH

BFHI R 43/791.12.1982

Amtlicher Leitsatz:

Die Prüfung, ob eine ausländische Basisgesellschaft ihre Geschäftsleitung im Inland hat und unbeschränkt steuerpflichtig ist, kann nicht mit der Begründung unterbleiben, die Gestaltung sei jedenfalls mißbräuchlich, wenn die unbeschränkte Steuerpflicht zu einer höheren Steuerbelastung führt, als dies bei Annahme eines Gestaltungsmißbrauchs der Fall wäre.

Normen

§ 15 Abs. 1 StAnpG
§ 6 StAnpG

FG Baden-Württemberg

 

Tatbestand:

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Anstalt (Etablissement) des liechtensteinischen Personen- und Gesellschaftsrechts (PGR).

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) gelangte aufgrund einer Steuerfahndungsprüfung zu der Auffassung, die Geschäftsleitung (§ 15 Abs. 1 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -; § 10 der Abgabenordnung - AO 1977 -) der Klägerin, einer Sitzgesellschaft, werde durch den in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) wohnhaften Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) ausgeübt. Die Klägerin sei als sonstige juristische Person des privaten Rechts in der Bundesrepublik unbeschränkt körperschaftsteuer- und vermögensteuerpflichtig. Der Kläger hafte für die Steuerschulden der Klägerin gemäß §§ 109, 108, 103 der Reichsabgabenordnung (AO).

Das FA setzte gegen die Klägerin Körperschaftsteuer für die Veranlagungszeiträume 1964 bis 1971 und Vermögensteuer für die Jahre 1965 bis 1972 (mit Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens 1. Januar 1965 bis 1. Januar 1972) fest. Gegen den Kläger erließ es einen Haftungsbescheid. Die gegen sämtliche Bescheide eingelegten Einsprüche hatten im wesentlichen keinen Erfolg. Die dagegen erhobenen Klagen, die das Finanzgericht (FG) zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verband, hatten die Aufhebung der angefochtenen Bescheide zur Folge.

Das FG führte aus: Die angefochtenen Bescheide seien auch bei Wahrunterstellung des vom FA behaupteten Sachverhalts (Schlüssigkeitsprüfung) rechtswidrig. Dem FG sei es deshalb verwehrt, in die Beweisaufnahme einzutreten. Sei die - von den Klägern bestrittene - Tatsachendarstellung des FA richtig, so erfülle die Errichtung der Klägerin und jeder einzelne vom FA ermittelte Geschäftsvorfall den Tatbestand des Mißbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten (§ 6 Abs. 1 StAnpG; § 42 AO 1977). Folglich seien die den angefochtenen Bescheiden zugrundeliegenden Besteuerungsgrundlagen nicht der Klägerin zuzurechnen. Somit erübrige sich die Frage nach der beschränkten oder unbeschränkten Steuerpflicht der Klägerin, da ein Steueranspruch gegen die ausländische Basisgesellschaft mangels sachlichen Substrats nicht entstanden sein könne.

Gegen die Heranziehung der Mißbrauchsvorschrift lasse sich nicht einwenden, durch die Einschaltung der Klägerin sei keine Steuerumgehung eingetreten, weil die Verlagerung von Einkommen und Vermögen auf eine unbeschränkt steuerpflichtige Person in aller Regel zu einer höheren Gesamtsteuerbelastung führe. Zwar rechtfertige der vom FA angenommene Sachverhalt die Schlußfolgerung, die Geschäftsleitung der Klägerin habe sich in der Bundesrepublik befunden, so daß unbeschränkte Steuerpflicht vorliege. Das Tatbestandsmerkmal der Steuerumgehung sei jedoch nicht so zu verstehen, daß durch eine häufig gar nicht durchzuführende Vergleichsrechnung eine niedrigere Gesamtsteuerbelastung festzustellen wäre. Daher seien vom FG keine Feststellungen darüber zu treffen, wie die in § 6 Abs. 2 StAnpG (§ 42 Satz 2 AO 1977) vorgeschriebene Steuerfestsetzung durchzuführen sei.

Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das FG habe mit seiner Beschränkung auf die Schlüssigkeitsprüfung den Untersuchungsgrundsatz (§ 76 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) verletzt, da es nicht jeden einzelnen Geschäftsvorfall auf den Mißbrauchstatbestand hin untersucht habe. Wäre dies geschehen, hätte das FG möglicherweise in einzelnen Fällen auch unter dem Gesichtspunkt des Vorrangs des Mißbrauchstatbestandes von einer unbeschränkten Steuerpflicht der Klägerin ausgehen müssen. Im übrigen gebühre bei der Besteuerungskonkurrenz zwischen unbeschränkter Steuerpflicht und Mißbrauchsbesteuerung der Vorrang der unbeschränkten Steuerpflicht.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Der Senat kann offenlassen, ob die Verfahrensrüge der mangelnden Sachaufklärung ordnungsgemäß erhoben ist. Nach der Rechtsauffassung des FG war eine weitere Sachaufklärung mangels Entscheidungserheblichkeit nicht geboten. Die Rüge, das FG habe nicht alle für die Entscheidung wesentlichen Faktoren aufgeklärt, steht somit in unlösbarem Zusammenhang mit den gerügten materiell-rechtlichen Rechtsfehlern. Ein Verfahrensmangel wäre in diesem Fall selbst dann mit zu prüfen, wenn er nicht oder nicht ordnungsgemäß gerügt worden wäre (Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 118 Anm. 15 c).

2. Dem FG kann nicht in seiner Auffassung gefolgt werden, die angefochtenen Bescheide seien "auch bei Wahrunterstellung des vom FA behaupteten Sachverhalts (Schlüssigkeitsprüfung)" rechtswidrig und damit aufzuheben.

a) § 6 StAnpG (§ 42 AO 1977) und § 15 Abs. 1 StAnpG (§ 10 AO 1977) sind voneinander unabhängige und nebeneinander bestehende Regelungen. Es verbietet sich daher die Vorstellung, daß die Anwendung der einen Vorschrift zurücktreten müsse, weil schon die andere eingreifen könne (Debatin, Deutsche Steuer-Zeitung/Ausgabe A - DStZ/A - 1968, 361, 362). Dieser Ansicht ist auch das FG. Bedenken begegnet jedoch seine Formulierung, wonach es sich bei Anwendung des Mißbrauchstatbestandes erübrige, die Frage nach der beschränkten oder unbeschränkten Steuerpflicht zu stellen. Der "Basiseffekt" dürfte - wovon auch das FG ausgeht - in der Regel nicht erreicht werden, wenn eine Basisgesellschaft der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegt (vgl. Debatin, Der Betrieb - DB - 1979, 181; Grossfeld, Basisgesellschaften im Internationalen Steuerrecht, 1974, 82; Friedrich, Die Basisgesellschaft als Instrument betrieblicher Steuerpolitik, 1980, 80). § 6 StAnpG setzt aber voraus, daß die mißbräuchliche Gestaltung zu einer Steuerminderung führt. Ob das der Fall ist, kann regelmäßig erst beurteilt werden, wenn die Berechnungsgrundlage, der Umfang der Steuerpflicht, bestimmt ist (Raupach, Finanz-Rundschau - FR - 1969, 72, 73).

b) Hat das FG sonach Feststellungen über die Art der subjektiven Steuerpflicht (beschränkt oder unbeschränkt) sowie über die daraus folgende Steuerbelastung getroffen, kann sich aufgrund dieser Feststellungen die Prüfung anschließen, ob - unter Berücksichtigung der festgestellten Steuerbelastung - ein Gestaltungsmißbrauch vorliegen kann. Entgegen der Auffassung des FG ist hierbei die Feststellung eines "Umgehungserfolges" nicht verzichtbar. Die Mißbrauchsvorschrift will wirtschaftlich ungerechtfertigten Steuerminderungen entgegenwirken (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 8. November 1960 I 131/59 S, BFHE 71, 706, BStBl III 1960, 513). Voraussetzung für die Anwendung des § 6 StAnpG (§ 42 AO 1977) ist, daß auf dem angemessenen Wege eine höhere Steuer zu zahlen wäre als auf dem tatsächlich eingeschlagenen (Becker/Riewald/Koch, Reichsabgabenordnung, Kommentar, § 6 StAnpG Anm. 3 a Abs. 4; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 6 StAnpG Anm. 6; 10. Aufl., § 42 AO 1977 Anm. 18).

Ergeben die weiteren Feststellungen des FG eine unbeschränkte Steuerpflicht der Klägerin und trifft auch die vom FG geäußerte Vermutung zu, daß die unbeschränkte Steuerpflicht zu einer höheren Steuerbelastung führt, als dies bei einer angemessenen Gestaltung der Fall wäre, ist für eine Anwendung des § 6 StAnpG (§ 42 AO 1977) kein Raum.

c) Besteht sonach die Möglichkeit, daß im Rahmen einer unbeschränkten Steuerpflicht der Klägerin Steuerschulden entstanden sind, können entsprechende Haftungsansprüche gegenüber dem Kläger nicht ausgeschlossen werden. Die angefochtene Entscheidung ist daher auch insoweit aufzuheben.

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