BFH

BFHI R 125/7026.10.1972

Amtlicher Leitsatz:

Den Erlaß der Steuer rechtfertigende sachliche Billigkeitsgründe liegen nicht vor, wenn die Steuerpflichtige nach Bruttofrachteinnahmen bemessene ausländische Steuern, die bei der Einkommensermittlung gemäß § 12 Nr. 2 KStG nicht abziehbar sind, nicht auf die deutsche Körperschaftsteuer anrechnen kann (§ 19a KStG, § 34c EStG), weil die entsprechende Tätigkeit im Ausland verlustbringend war und es daher mangels einer Belastung durch die Körperschaftsteuer an einer Doppelbesteuerung fehlt.

Normen

§ 131 Abs. 1 S. 1 AO
§ 19a KStG
§ 34c EStG

 

Tatbestand:

Die Klägerin und Revisionsbeklagte -- eine GmbH -- ist Organ der X-GmbH. Aufgrund eines Ergebnisabführungsvertrages hat diese GmbH die Verluste der Klägerin übernommen.

Die Klägerin betreibt Hochseeschiffahrt mit Charterschiffen, die unter anderem auch im Linienverkehr nach der Türkei und nach Australien eingesetzt sind. Beide Länder haben aufgrund der auf sie entfallenden Bruttofrachten Steuern erhoben, die die Klägerin als Betriebsausgaben verbucht hat; demzufolge wirkten sie sich auf die Höhe des vom Organträger übernommenen Verlustes aus. Anläßlich einer Betriebsprüfung wurden diese Betriebsausgaben -- insgesamt 170 592 DM für die Veranlagungszeiträume 1958 bis 1962 -- mit Rücksicht auf § 12 Nr. 2 KStG dem Einkommen wieder hinzugerechnet. Eine Anrechnung der im Ausland gezahlten Steuer (§ 19a KStG 1958 bis 1961 in Verbindung mit § 34c Abs. 1 Sätze 2 und 3, Abs. 2--4 und 6 EStG für den gleichen Zeitraum) ist unterblieben, weil aus dem Betrieb der Handelsschiffe im Ausland nur Verluste entstanden waren.

Die Klägerin hat beim Beklagten und Revisionskläger (FA) beantragt, die nachgeforderte Körperschaftsteuer für die Veranlagungszeiträume 1958 bis 1962 -- insgesamt 87 005 DM -- gem. § 131 Abs. 1 Satz 1 AO aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen. Sie sieht eine unbillige Härte darin, daß sie angesichts der Unanwendbarkeit des § 19a KStG durch die Zurechnung der im Ausland gezahlten Steuer zum Einkommen auf diese Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer zu bezahlen habe.

Die gegen die ablehnende Verfügung des FA eingelegte Beschwerde zur OFD ist erfolglos geblieben. Nach Ansicht der Behörden bedeutet die Nichtanrechnung der im Ausland gezahlten Steuern -- weil die im Ausland erzielten Einkünfte negativ waren -- oder die Nichtabzugsfähigkeit dieser Steuern keine sachliche Unbilligkeit. Die Unebenheiten des § 34c EStG seien der gesetzlichen Regelung immanent und rechtfertigten keine Billigkeitsmaßnahmen.

Auf die Klage hat das FG die Beschwerdeentscheidung der OFD und die ablehnende Verfügung des FA aufgehoben und die Sache zur weiteren Bearbeitung entsprechend den Gründen des Urteils des FG an das FA zurückverwiesen.

Mit der Revision rügt das FA fehlerhafte Anwendung des § 131 AO.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Der dem Revisionsverfahren beigetretene BdF (§ 122 Abs. 2 Satz 1 FGO) hält die Revision für begründet. Dem Zweck des § 19a KStG (§ 34c EStG), Doppelbesteuerungen zu vermeiden, werde dadurch Genüge getan, daß die ausländische Steuer von ausländischen Einkünften bis zur Höhe der darauf entfallenden deutschen Steuer angerechnet wird. Durch den Höchstbetrag solle erreicht werden, daß sich die Vorschriften in der Beseitigung der Doppelbesteuerung erschöpften, nicht aber darüber hinaus extrem hohe Steuerbelastungen in ausländischen Staaten durch Ermäßigung der deutschen Steuer honorierten.

Die Klägerin und der BdF haben nicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

I. Das FG hat die Verfügungen des beklagten FA und der OFD aufgehoben, weil diese Behörden "bei ihren Entscheidungen die von der Klägerin in ihren Anträgen stets geltend gemachten und nach ihrer Ansicht für einen Billigkeitserlaß sprechenden Umstände der besonderen Art der Erhebung und Berechnung der maßgebenden Steuer in der Türkei und in Australien nicht hinreichend geprüft und gewürdigt" hätten; insoweit bedeute die Entscheidung der Finanzverwaltung einen Ermessensmißbrauch.

Diese Begründung ist nicht geeignet, die Entscheidung des FG zu rechtfertigen. Das FG hat weder die Tatsachen festgestellt, die den Schluß auf die Art der nicht näher bezeichneten Umstände zulassen, noch hat sich das FG zu der Frage geäußert, ob diese besonderen Umstände für die Ermessensanwendung im Rahmen des § 131 Abs. 1 Satz 1 AO erheblich sein können. Mangels entsprechender tatsächlicher Feststellungen kann der Senat nicht prüfen, welche besonderen Umstände im Sinne des FG vorgelegen haben. Dieser Mangel nötigt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und würde auch zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG führen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO -- Urteil des BFH II R 36/67 vom 5. März 1968, BFHE 92, 416, BStBl II 1968, 610), wenn es für den Senat nicht möglich wäre, in der Sache selbst zu entscheiden (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Dies ist indessen der Fall.

II. Die Entscheidung über einen Erlaßantrag aus Billigkeitsgründen ist eine Ermessensentscheidung (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes GmS -- OGB 3/70 vom 19. Oktober 1971, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603; Urteil des Senats I R 158/71 vom 26. Juli 1972, BFHE 106, 489, BStBl II 1972, 919). Nach der Entscheidung des Gemeinsamen Senats reicht der Begriff "unbillig" in den Ermessensbereich hinein und bestimmt zugleich Inhalt und Grenzen der pflichtgemäßen Ermessensausübung (BFHE 105, 109).

1. Eine Unbiligkeit der Einziehung der Steuer aus sachlichen Gründen kommt nach der Rechtsprechung des BFH in Betracht, wenn die Tatsache der Besteuerung als solche, unabhängig von den wirtschaftlichen Verhältnissen des Steuerpflichtigen, unbillig ist (Urteil des BFH III 224/65 vom 28. März 1969, BFHE 96, 186, BStBl II 1969, 567). Dies ist der Fall, soweit nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, daß der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage -- hätte er sie geregelt -- im Sinne des beabsichtigten Erlasses entschieden haben würde (Urteil des BFH VII 185/57 U vom 28. Oktober 1958, BFHE 68, 27, BStBl III 1959, 11). Die bloße Feststellung, daß der Steuertatbestand erfüllt sei, reicht aber nicht aus, einen Erlaß abzulehnen (Urteil des BFH II R 123/68 vom 25. März 1969, BFHE 96, 283, BStBl II 1969, 602). Es ist vielmehr zu prüfen, ob die dem Gesetz entsprechende Besteuerung den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Falle derart zuwiderläuft, daß die Erhebung der Steuer als unbillig erscheinen muß (Urteile des BFH II R 123/68, a. a. O.; II R 99/70 vom 9. Februar 1972, BFHE 105, 172, BStBl II 1972, 503).

2. Die Voraussetzung der Unbilligkeit in der Sache selbst, daß das durch den Wortlaut des Gesetzes und seinen Sinnzusammenhang erzwungene Ergebnis den Zielsetzungen des Gesetzes nicht entspricht, hat das FG in seinem Urteil nicht geprüft. Der Aufhebung der Verfügungen der Verwaltungsbehörden muß jedoch denknotwendig die Erwägung zugrunde liegen, daß dies der Fall ist. Denn "Umstände der besonderen Art der Erhebung und Berechnung der maßgebenden Steuern in der Türkei und in Australien" könnten für die Ermessensausübung nur dann erheblich sein, wenn die Erhebung der Steuer, deren Erlaß die Klägerin begehrt, den durch § 19a KStG zum Ausdruck gebrachten Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft. Dies ist indessen, wie das FA und die OFD richtig erkannt haben, nicht der Fall.

3. Die Klägerin hat auf der Grundlage von Bruttofrachteinnahmen in der Türkei und in Australien Steuern, die unstreitig der deutschen Körperschaftsteuer entsprechen (vgl. für die Türkei: Urteil des BFH I 196/59 U vom 3. April 1962, BFHE 74, 685, BStBl III 1962, 254), entrichten müssen. Diese Steuern sind zwar Betriebsausgaben, jedoch angesichts § 12 Nr. 2 KStG bei der Ermittlung des Einkommens nicht abzugsfähig (BFH-Urteil I 196/59 U, a. a. O.).

Die durch § 19a KStG 1958 bis 1961 in Verbindung mit § 34c Abs. 1 Sätze 2 und 3 EStG 1958 bis 1961 vorgesehene Anrechnung der im Ausland festgesetzten und gezahlten Steuern auf die deutsche Körperschaftsteuer war jedoch nicht möglich, weil die Klägerin aus den genannten Ländern keine die deutsche Körperschaftsteuer auslösende Einkünfte erzielt, vielmehr Verluste erlitten hat. Hierbei kann außer Betracht bleiben, daß die zur Erhebung der Steuern in der Türkei und Australien führenden Besteuerungsgrundlagen begrifflich nicht identisch sind mit Einkünften im Sinne des deutschen Rechts, vielmehr in einem vereinfachten rohen Verfahren auf der Grundlage eines Hundertsatzes der Bruttofrachteinnahmen ermittelt werden. Wie der BdF in seiner Stellungnahme mit Recht darlegt, kann die Regelung des § 19a KStG die Möglichkeit nicht ausschließen, daß im Ausland gezahlte, der deutschen Körperschaftsteuer entsprechende Steuer auf die deutsche Körperschaftsteuer nicht anrechnungsfähig ist. Dies ist zum Teil der Fall, wenn die ausländische Steuer höher ist als die auf die ausländischen Einkünfte entfallende deutsche Körperschaftsteuer (vgl. § 34c Abs. 1 Satz 2 EStG). Die Anwendung ist in vollem Umfange ausgeschlossen, wenn eine Körperschaftsteuer mit Rücksicht auf die Höhe des Einkommens im Sinne des § 5 Abs. 1 KStG nicht festzusetzen ist oder wenn -- wie im Streitfall -- ausländische Einkünfte, die sich für die Bemessung der deutschen Körperschaftsteuer erhöhend auswirken, nicht vorhanden sind.

Dies ist auch sachgerecht. Die Vorschrift soll, wie § 34c Abs. 2 EStG verdeutlicht, die Doppelbesteuerung ausschließen oder mildern; hierbei ist davon auszugehen, daß die Anrechnungsmethode nicht stets zum vollen Ausschluß der Doppelbesteuerung, sondern meist nur zu einer Milderung der Doppelbesteuerung führt. Im Streitfalle fehlt es aber aus den Gründen, die eine Anrechnung der im Ausland bezahlten Steuer ausschließen, an einer Doppelbesteuerung.

4. Da es an einer Doppelbesteuerung fehlt, die Klägerin wegen desselben Sachverhaltes nicht sowohl ausländische als auch deutsche Körperschaftsteuer zahlen mußte, ist es nicht unbillig, die nachgeforderte Körperschaftsteuer zu erheben. Diese Steuerbelastung ist nicht die Folge einer Besteuerung, die den Wertungen des Gesetzgebers über die Vermeidung oder Milderung der Doppelbesteuerung durch § 19a KStG 1958 bis 1961 in Verbindung mit § 34c EStG 1958 bis 1961 und § 68a ff. der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung 1958 bis 1961 zuwiderläuft. Die Klägerin erstrebt in Wirklichkeit nicht die Milderung einer Doppelbesteuerung, sondern sie will eine Steuerbelastung abwenden, der sie aufgrund § 12 Nr. 2 KStG unterworfen ist, und damit eine ausländische Steuerbelastung, die sich wegen dieser Vorschrift nicht einkommensmindernd auswirkt, mildern. Diese Wirkung entspricht jedoch den Wertvorstellungen des Gesetzgebers, wie sie in § 12 Nr. 2 KStG zum Ausdruck kommen.

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