BFH

BFHII R 36/675.3.1968

Amtlicher Leitsatz:

1. Reichen die tatsächlichen Feststellungen des FG nicht aus, um die daran geknüpfte Rechtsfolge zu decken, muß das Urteil auch dann aufgehoben werden, wenn eine Verfahrensrüge nicht erhoben ist.

2. Der Mangel ausreichender tatsächlicher Feststellungen kann nicht durch eine allgemeine Bezugnahme auf den Inhalt der Akten, Beiakten, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen seien, ersetzt werden.

3. Zur Frage der Prozeßvertretung eines FA durch die OFD.

Normen

§ 3 KVStG
§ 62 FGO
§ 105 Abs. 2 Nr. 4 FGO
§ 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO
§ 118 Abs. 2 FGO

 

Tatbestand:

Durch den angefochtenen Bescheid zog das FA -- Beklagter und Revisionsbeklagter -- die Klägerin wegen Forderungsstundungen des Alleingesellschafters zur Gesellschaftsteuer heran. Der Einspruch und die Klage blieben erfolglos.

Dem Bescheid war eine Kapitalverkehrsteuerprüfung vorangegangen, Der Prüfer hatte auf Grund einer Kapitalbedarfsberechnung für Zwecke des § 3 KVStG die vom FA übernommene Ansicht vertreten, das Eigenkapital habe am 31. Dezember 1959 zur Deckung des Anlagevermögens nicht ausgereicht; zum Eigenkapital hatte der Prüfer das Stammkapital, ein versteuertes partiarisches Darlehen und den Gewinn gerechnet. Im Urteil des FG ist ausgeführt: "Unter anderem hatte die Klägerin der Vermieterin des von ihr übernommenen Einzelhandelsgeschäftes, eines Kaufhauses in M., das in gemieteten Räumen betrieben wird, eine Abstandszahlung in Höhe von ... DM geleistet. Diese Zahlung erfolgte zur Abgeltung der von der Vormieterin, der A-GmbH, aufgewendeten Kosten für den Umbau und die Erweiterung der Geschäftsräume des Kaufhauses." Nach dem Geschäftsabschluß 1959, so fährt das FG fort, habe sich der Wert des Anlagevermögens und der Beteiligungen erhöht; erhebliche Aufwendungen für das Anlagevermögen seien ausgewiesen worden.

Im Tatbestand der angefochtenen Entscheidung gibt das FG die Einspruchsbegründung, die Gründe der Einspruchsentscheidung und den Vortrag der Klägerin und des Beklagten in gekürzter Form wieder. Im übrigen nahm die Vorinstanz "auf den Inhalt der Akten und Beiakten, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug". In den Entscheidungsgründen ist -- nach Rechtsausführungen zur Auslegung des § 3 Abs. 1 KVStG -- dargelegt:

"Mit Recht hat der Beklagte danach die Klägerin zur Gesellschaftsteuer herangezogen; denn der Alleingesellschafter hat der Klägerin durch die Stundung seiner Forderung über mehrere Jahre hin einen Kredit gewährt (§ 3 Abs. 3 KVStG), mit dessen Hilfe sie ihren Kapitalbedarf, den sie im Jahre 1959 aus eigenen Mitteln nicht zu decken vermochte, für Investitionszwecke in das Anlagevermögen decken konnte. Zutreffend hat der Beklagte angenommen, daß das mit Hilfe dieses Kredits erworbene Nutzungsrecht an dem durch den Ladenumbau geschaffenen Wirtschaftsgut dem Anlagevermögen der Klägerin zuzurechnen ist. ... Daran, daß das durch den Ladenumbau geschaffene Wirtschaftsgut dem Geschäftsbetrieb auf die Dauer zu dienen bestimmt ist, kann ein ernstlicher Zweifel nicht bestehen; denn die Vermieterin der Klägerin hat die Aufwendungen für den Ladenumbau allein im Interesse des Geschäfts gemacht und die Klägerin hat den 'Abstand' ebenfalls nur in ihrem geschäftlichen Interesse im Hinblick auf die dauernde Nutzung der modernisierten Ladeneinrichtung bezahlt."

Mit der Revision beantragt die Klägerin, sie von der Gesellschaftsteuer freizustellen. Sie wendet weiterhin ein, die Absiandssumme für den Ladenumbau sei nicht für Anlagevermögen aufgewandt; ein bilanzmäßiger Abgrenzungsposten sei nicht mit Eigenkapital zu bedecken.

Der Revisionsbeklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben; die Sache wird an das FG zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.

I.

Das Urteil des FG muß aufgehoben werden, weil die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz nicht ausreichen, um die Entscheidung zu rechtfertigen, eine durch die Sachlage gebotene Kapitalzuführung sei dadurch ersetzt worden, daß der Alleingesellschafter der Revisionsklägerin ihm gegen diese zustehende Forderungen gestundet habe. Da die ausgesprochene Rechtsfolge durch tatsächliche Feststellungen nicht gedeckt ist, ist es unerheblich, daß eine Verfahrensrüge nicht erhoben wurde; das angefochtene Urteil ist wegen fehlerhafter Anwendung sachlichen Rechts aufzuheben (vgl. Urteil des BFH I 406, 421/61 vom 11. November 1964, HFR 1965, 178, 144).

Zur Forderungsstundung hat das FG in den Entscheidungsgründen ausgeführt, der Alleingesellschafter habe der Klägerin durch die Stundung seiner Forderung über mehrere Jahre hin einen Kredit gewährt. Dieser Ausspruch setzt tatsächliche Feststellungen darüber voraus, in welcher Höhe eine bestimmte, eine Mehrheit zahlenmäßig bestimmter Forderungen oder die Summe einer Mehrheit von Forderungen, die an sich fällig waren, während eines umgrenzten Zeitraums auf Grund einer ausdrücklichen oder aus den Umständen zu entnehmenden Stundungsabrede nicht erfüllt zu werden brauchten. Da solche Angaben fehlen, kann das Revisionsgericht nicht nachprüfen, ob das FG den Rechtsbegriff der Forderungsstundung richtig angewandt hat.

Es ist auch nicht möglich, eine entsprechende Schlußfolgerung an den Vortrag des FA zu knüpfen, der in dem angefochtenen Urteil wiedergegeben ist, ohne daß sich ihn das FG zu eigen gemacht hätte. Das mit der Revision beklagte FA hatte dargelegt, die Klägerin habe bereits am 31. Dezember 1959 gegenüber ihrem Alleingesellschafter Verbindlichkeiten in Höhe von ... DM gehabt, die langfristig bestehen und weiter angestiegen seien. Hierbei kann unerörtert bleiben, ob eine solche Äußerung, die sich das Gericht nicht zu eigen gemacht hat, als tatsächliche Feststellung gewertet werden könnte. Eine derartige Äußerung ersetzt nicht die nach den obigen Darlegungen erforderlichen Feststellungen.

Schließlich ist es auch nicht möglich, einen Ersatz für das Fehlen tatsächlicher Feststellungen darin zu erblikken, daß die Vorinstanz "im übrigen ... auf den Inhalt der Akten, Beiakten, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen" hat. Zwar ist eine Bezugnahme auf genau bezeichnete und abgegrenzte Teile der Akten zulässig (RFH 7, 246; RFH 9, 116; RFH 15, 190); doch ist eine allgemeine Bezugnahme auf den Akteninhalt nicht statthaft (Urteil des RFH VI A 48/38 vom 25. Oktober 1938, RStBl 1939, 81). Durch eine solche Bezugnahme wird eine klare, vollständige und richtige Grundlage der Entscheidung nicht geschaffen (Urteil des BVerwG II C 163/57 vom 17. April 1958, BVerwGE 7, 12).

II.

Bei der erneuten Entscheidung wird das FG zu prüfen haben, ob das FA als Beklagter rechtswirksam durch die OFD vertreten wurde. Das FG hat die Klageschrift der OFD zugestellt. Dies war mit § 71 FGO unvereinbar, wonach die Klageschrift dem Beklagten zuzustellen ist. Beklagter war das FA als die Behörde, die den ursprünglichen Verwaltungsakt erlassen hat (§ 65 Abs. 1 FGO). In ihren Schriftsätzen hat die OFD angegeben, sie vertrete das FA. Es gibt keinen Rechtssatz, aus dem sich ergibt, daß die OFD als Aufsichtsbehörde das FA in seiner Eigenschaft als beklagte Behörde gesetzlich vertrete; § 3 des Gesetzes über die Finanzverwaltung (FVG) verleiht der OFD nur die Stellung einer Aufsichtsbehörde. Ob der OFD eine Prozeßvollmacht im Sinne des § 62 FGO wirksam erteilt werden konnte, ist zunächst unerheblich, da ihr ausweislich der Akten eine solche nicht erteilt ist. Das FG wird jedoch zu prüfen haben, ob der OFD eine solche Vollmacht überhaupt erteilt werden kann.

Stichworte