vorheriges Dokument
nächstes Dokument

BGBl III 18/2018

BUNDESGESETZBLATT

FÜR DIE REPUBLIK ÖSTERREICH

18. Vereinbarung zwischen dem Bundesministerium für Inneres der Republik Österreich und dem Bundesministerium des Innern der Bundesrepublik Deutschland über die Zusammenarbeit im Gemeinsamen Zentrum Passau

18.

Vereinbarung zwischen dem Bundesministerium für Inneres der Republik Österreich und dem Bundesministerium des Innern der Bundesrepublik Deutschland über die Zusammenarbeit im Gemeinsamen Zentrum Passau

Das Bundesministerium für Inneres der Republik Österreich

und

das Bundesministerium des Innern der Bundesrepublik Deutschland

(im Folgenden „die Vertragsparteien“) -

in dem Bemühen, die Zusammenarbeit der zuständigen Polizeibehörden bei der Kriminalitätsbekämpfung, beim Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie bei der Bekämpfung der irregulären Migration unter den Bedingungen des gemeinsamen Schengener Raums weiter zu vertiefen,

auf der Grundlage des Vertrages vom 10. November 2003 und 19. Dezember 2003 zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zur polizeilichen Gefahrenabwehr und in strafrechtlichen Angelegenheiten11 Kundgemacht in BGBl. III Nr. 210/2005. (im Folgenden „Polizei- und Justizvertrag"),

unter Berücksichtigung insbesondere

des Übereinkommens vom 19. Juni 199022 Kundgemacht in BGBl. III Nr. 90/1997 und BGBl. III Nr. 203/1997. zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen sowie des das Übereinkommen fortentwickelnden und in das Recht der Europäischen Union einbezogenen Schengen-Besitzstandes,

der Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) in seiner geltenden Fassung,

des Abkommens vom 16. Dezember 1997 zwischen der Bundesregierung der Republik Österreich und der Regierung der Bundesrepublik Deutschland über die Rückübernahme von Personen an der Grenze33 Kundgemacht in BGBl. III Nr. 19/1998. (Rückübernahmeabkommen) sowie

der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist -

sind wie folgt übereingekommen:

Artikel 1

Die Vertragsparteien richten auf Grundlage von Artikel 34 in Verbindung mit Artikel 24 des Polizei- und Justizvertrages ein Gemeinsames Zentrum mit Sitz in Passau im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland ein.

Artikel 2

(1) Im Gemeinsamen Zentrum werden in gemeinsamen Räumlichkeiten österreichische und deutsche Bedienstete tätig, die von den zuständigen Behörden (im Folgenden „Entsendebehörden“) in Übereinstimmung mit dem Polizei- und Justizvertrag entsandt werden.

(2) Beide Vertragsparteien informieren sich gegenseitig, welche Entsendebehörden sich jeweils an dem Gemeinsamen Zentrum beteiligen.

(3) Die Bediensteten des Gemeinsamen Zentrums werden im Rahmen ihrer Zuständigkeiten und in Übereinstimmung mit ihren jeweiligen innerstaatlichen Rechtsvorschriften als Vertreter der Entsendebehörden tätig und unterliegen deren Weisungs- und Disziplinargewalt.

(4) Weitere Staaten können auf Einladung und mit Zustimmung beider Vertragsparteien Verbindungsbeamte in das Gemeinsame Zentrum entsenden.

Artikel 3

(1) Die Zusammenarbeit im Gemeinsamen Zentrum umfasst insbesondere

  1. 1. den Austausch und die Weiterleitung von Informationen, die den Zuständigkeitsbereich der Behörden in den Grenzgebieten im Sinne von Artikel 3 des Polizei- und Justizvertrages betreffen, sowie die Unterstützung bei deren Analyse, soweit dies nicht unmittelbar zwischen den beteiligten Behörden oder über die nationalen polizeilichen Zentralstellen erfolgt;
  2. 2. die Unterstützung bei der Erstellung gemeinsamer Lagebilder anhand von vereinbarten einheitlichen Standards;
  3. 3. die Unterstützung bei der Vorbereitung, Stellung, Beantwortung und Weiterleitung von Ersuchen im Rahmen der polizeilichen Zusammenarbeit bei der Kriminalitätsbekämpfung, bei der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie bei der Bekämpfung der irregulären Migration;
  4. 4. die Unterstützung bei der Koordinierung von Einsätzen, insbesondere
    1. a) bei der Abstimmung von polizeilichen Maßnahmen, die die Grenzgebiete im Sinne von Artikel 3 Absatz 2 des Polizei- und Justizvertrages betreffen,
    2. b) bei der Abstimmung von Einsätzen sowie grenzüberschreitenden Fahndungsmaßnahmen,
    3. c) bei der Vorbereitung und Durchführung gemeinsamer Streifen sowie sonstiger gemeinsamer Einsätze,
    4. d) von grenzüberschreitenden Observationen und Nacheilen;
  5. 5. die Unterstützung bei der Vorbereitung und Koordinierung von Überstellungen von Personen auf der Grundlage geltender völkerrechtlicher Verträge und des Rechts der Europäischen Union;
  6. 6. die Unterstützung der zuständigen nationalen Stellen bei der Rückführung von Drittstaatsangehörigen auf der Grundlage der zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland geltenden Übereinkünfte;
  7. 7. die Unterstützung bei der Umsetzung von Maßnahmen im Falle der befristeten Wiedereinführung von Grenzkontrollen;
  8. 8. die Unterstützung bei der Plausibilitätsprüfung von Dokumenten;
  9. 9. die Unterstützung bei der Umsetzung von Maßnahmen im Bereich der Aus- und Fortbildung in Angelegenheiten der österreichisch-deutschen Polizeizusammenarbeit sowie bei der Weiterentwicklung und Förderung der österreichisch-deutschen Polizeizusammenarbeit.

(2) Dem Gemeinsamen Zentrum obliegt nicht die selbständige Durchführung operativer Einsätze. Es kann jedoch bei operativen Einsätzen in koordinierender und unterstützender Funktion tätig werden.

(3) Die Bediensteten des Gemeinsamen Zentrums können unter Beachtung ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften auch über die Aufgaben nach den Absätzen 1 und 2 hinausgehende nichtoperative Tätigkeiten, insbesondere Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit und der Aus- und Fortbildung, mit Wirkung für ihre Entsendebehörden ausüben, soweit dadurch nicht in Rechte Dritter eingegriffen wird.

(4) Die Aufgaben und Zuständigkeiten der nationalen polizeilichen Zentralstellen, bestehende Unterrichtungspflichten diesen gegenüber sowie andere Formen der österreichisch-deutschen Polizeizusammenarbeit bleiben unberührt.

(5) Die unmittelbaren Geschäftswege der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen bleiben unberührt.

Artikel 4

(1) Die Bediensteten des Gemeinsamen Zentrums arbeiten vertrauensvoll zusammen und unterstützen sich gegenseitig.

(2) Jede Vertragspartei bestimmt jeweils einen Koordinator. Jeder Koordinator vertritt die Entsendebehörden seines Staates. Jeder Koordinator ist für einen reibungslosen Betrieb im Gemeinsamen Zentrum verantwortlich, soweit dieser Bediensteten seines Staates obliegt, und trifft Entscheidungen, die für die Organisation und die Abwicklung der laufenden Tätigkeiten im Gemeinsamen Zentrum erforderlich sind. Die Weisungs- und Disziplinargewalt der Entsendebehörden gegenüber den Bediensteten bleibt unberührt.

(3) Die Koordinatoren erarbeiten gemeinsam eine Geschäftsordnung für das Gemeinsame Zentrum. Die Geschäftsordnung wird von den Entsendebehörden beider Vertragsparteien genehmigt.

(4) Die Koordinatoren übergeben einander eine Liste der im Gemeinsamen Zentrum tätigen Bediensteten der Entsendebehörden ihres Staates, die in Form einer Gesamtliste laufend zu aktualisieren ist.

(5) Das Gemeinsame Zentrum wird durch beide Koordinatoren gemeinsam repräsentiert, soweit nichts anderes vereinbart ist. Soweit für das Gemeinsame Zentrum eine eigene Presse- und Öffentlichkeitsarbeit erforderlich ist, wird diese zwischen den Koordinatoren abgestimmt. Informationen zu konkreten Fällen der Zusammenarbeit erteilen die Koordinatoren nur im Einvernehmen mit den zuständigen Behörden beider Staaten.

(6) Die mit dem Betrieb und dem Schutz der Liegenschaft verbundenen Rechte und Pflichten werden vom deutschen Koordinator ausgeübt.

Artikel 5

(1) Das Gemeinsame Zentrum wird mit einem Amtsschild gekennzeichnet.

(2) Die Koordinatoren regeln die Aufteilung der Räumlichkeiten sowie der Ausstattung des Gemeinsamen Zentrums schriftlich im gegenseitigen Einvernehmen. Dabei ist die Zahl der entsandten Bediensteten entsprechend zu berücksichtigen. Die Koordinatoren stimmen dies im Voraus mit den Entsendebehörden ab.

(3) Der Betrieb des Gemeinsamen Zentrums erfolgt rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche. Die Einzelheiten zur Anwesenheit der Bediensteten im Gemeinsamen Zentrum werden in der Geschäftsordnung geregelt.

(4) Die Arbeitssprache im Gemeinsamen Zentrum ist deutsch.

Artikel 6

(1) Die deutsche Vertragspartei stellt für das Gemeinsame Zentrum eine geeignete und sachgerecht hergerichtete Liegenschaft zur Verfügung und trägt die Betriebs- und Unterhaltskosten.

(2) Die deutsche Vertragspartei stellt auf ihre Kosten für alle Bediensteten der Entsendebehörden der österreichischen Vertragspartei die Installation der erforderlichen Informations- und Kommunikationsnetze in der Liegenschaft sicher. Die erforderlichen Daten- und Telekommunikationsverbindungen stellen die jeweiligen Entsendebehörden sicher.

(3) Die Entsendebehörden gewährleisten ihren in das Gemeinsame Zentrum entsandten Bediensteten die vollständige Möglichkeit zur Datennutzung nach den für sie geltenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften. Dies gilt insbesondere für die Nutzung personenbezogener Daten unter Beachtung der jeweiligen innerstaatlichen und internationalen datenschutzrechtlichen Vorschriften.

(4) Für alle Arbeitsplätze ist eine Ausstattung mit Kommunikationstechnik und die Nutzungsmöglichkeit von Computertechnik zu gewährleisten. Die Kosten für Telekommunikations- und Datenverbindungen sowie elektronische Datenverarbeitungs- und Telekommunikationsanlagen werden von jeder Vertragspartei selbst getragen.

(5) Die Verteilung der Kosten für die weitere Ausstattung des Gemeinsamen Zentrums sowie der laufenden Kosten, insbesondere für Büromaterial, wird in der Geschäftsordnung geregelt.

(6) Die Kosten für spezifische Ausstattungen und die persönliche Ausstattung der Bediensteten einschließlich Reparaturen und Ersatzbeschaffungen werden von jeder Vertragspartei selbst übernommen, wobei eine Absprache der Entsendebehörden über eine andere Art und Weise der Kostenverteilung im Einzelfall nicht ausgeschlossen ist. Soweit eine gemeinsame und einheitliche Beschaffung möglich ist, soll diese Möglichkeit genutzt werden.

(7) Weitere Kosten, die beim Betrieb des Gemeinsamen Zentrums entstehen, trägt die deutsche Vertragspartei.

Artikel 7

Einmal jährlich oder anlassbezogen beraten sich die Entsendebehörden über die Zusammenarbeit im Gemeinsamen Zentrum sowie über die Umsetzung dieser Vereinbarung im Rahmen einer gemeinsamen Besprechung und erstellen ein Protokoll darüber. Die den Entsendebehörden vorgesetzten Behörden können an dieser Besprechung teilnehmen.

Artikel 8

(1) Diese Vereinbarung tritt am ersten Tag des zweiten Monats in Kraft, der auf den Zeitpunkt folgt, in dem die Vertragsparteien einander mitgeteilt haben, dass die jeweiligen hierfür erforderlichen innerstaatlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Maßgebend ist der Tag des Eingangs der letzten Mitteilung.

(2) Diese Vereinbarung wird auf unbestimmte Zeit geschlossen. Sie kann in beiderseitigem Einvernehmen geändert oder ergänzt werden. Sie kann von jeder Vertragspartei schriftlich auf diplomatischem Weg gekündigt werden. Die Kündigung wird am neunzigsten Tag nach Eingang der Notifikation bei der anderen Vertragspartei wirksam.

(3) Diese Vereinbarung tritt spätestens an dem Tag außer Kraft, an dem der Polizei- und Justizvertrag außer Kraft tritt, es sei denn, dieser wird durch eine andere vertragliche Regelung ersetzt.

Geschehen zu Passau am 28. März 2017 in zwei Urschriften in deutscher Sprache.

Für das Bundesministerium für Inneres

der Republik Österreich

Für das Bundesministerium des Innern

der Bundesrepublik Deutschland

  

Wolfgang Sobotka

Thomas de Maizière

Die vorliegende Vereinbarung tritt gemäß ihrem Art. 8 Abs. 1 mit 1. Februar 2018 in Kraft.

Kurz

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)