Der überlieferte Kontrast
Für den modernen Konstitutionalismus ist es eine zentrale Frage, unter welchen Bedingungen sich die Autorität der Verfassung als Rechtsnorm aufrechterhalten lässt. Im Versuch, diese Frage zu beantworten, haben sowohl die angelsächsische als auch die kontinentaleuropäische Rechtstradition auf die Gerichtsbarkeit gesetzt und so entweder die konkrete Normkontrolle durch allgemeine Gerichte etabliert oder einem Verfassungsgericht einen besonderen Status eingeräumt. Während auf dem geduldigen Papier akademischer Kontroversen die Geschworenen des Weltgerichts noch darüber beraten, ob der „judicial review of legislation“ eine gute Idee ist,1 gilt dies in vielen Ländern gleichwohl als selbstverständlich. Versuche, an der Verfassungsgerichtsbarkeit etwas zu ändern, werden regelmäßig mit großer Besorgnis beobachtet und stoßen weitestgehend auf Ablehnung.2 Diese Einstellung mag darüber den Ausschlag geben, warum die Frage kaum gestellt wird, ob es klug oder überhaupt möglich ist, den Schutz des Verfassungsrechts nur einer einzigen Institution innerhalb eines politischen Systems zu übertragen, auch wenn diese Institution ein Gericht sein mag. Eine inzwischen in Vergessenheit geratene Alternative sieht den Schutz des Verfassungsrechts immer schon durch die Realverfassung gewährleistet und hält das für gut.