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§ 1. StV St. Germain

Aktuelle FassungIn Kraft seit 16.7.1920

Anlage.

§ 1.

Binnen drei Monaten nach der im Artikel 248, Absatz e, vorgesehenen Mitteilung errichtet jeder der Hohen vertragschließenden Teile ein Prüfungs- und Ausgleichsamt für die Zahlung und die Einziehung der feindlichen Schulden.

Es dürfen örtliche Ämter für einen Teil der Gebiete der Hohen vertragschließenden Teile errichtet werden. Solche Ämter üben innerhalb dieser Gebiete ihre Tätigkeit wie ein Zentralamt aus. Mit einem Amt im gegnerischen Land verkehren sie indessen nur durch die Vermittlung des Zentralamtes.

§ 2.

Im Sinne dieser Anlage sind „feindliche Schulden“ die im ersten Absatz des Artikels 248 genannten Geldverbindlichkeiten, „feindliche Schuldner“ die Personen, die diese Summen schuldig sind, „feindliche Gläubiger“ die Personen, denen sie geschuldet werden. Im Sinne dieser Anlage ist „Gläubigeramt“ das Prüfungs- und Ausgleichsamt im Lande des Gläubigers, „Schuldneramt“ das Prüfungs- und Ausgleichsamt im Lande des Schuldners.

§ 3.

Die Hohen vertragschließenden Teile belegen Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen des Paragraph a des Artikels 248 mit den gegenwärtig in ihrer Gesetzgebung für Handel mit dem Feinde vorgesehenen Strafen. Ebenso untersagen sie auf ihrem Gebiet jedes auf Zahlung der feindlichen Schulden abzielende gerichtliche Vorgehen. Eine Ausnahme gilt für die in dieser Anlage vorgesehenen Fälle.

§ 4.

Die im Paragraph b des Artikels 248 vorgesehene Haftung der Regierung tritt ein, sobald die Schuld sich aus irgendeinem Grunde als uneinbringlich erweist, es sei denn, daß nach der Gesetzgebung des Landes des Schuldners die Schuld im Zeitpunkt der Kriegserklärung verjährt war oder daß der Schuldner sich in diesem Zeitpunkt im Konkurs, in Zahlungsunfähigkeit oder im Zustand erklärter Zahlungseinstellung befand oder daß die Begleichung der Schuld einer Gesellschaft oblag, deren Geschäfte auf Grund der Ausnahmegesetzgebung des Krieges liquidiert worden sind. In diesem Falle findet das in der gegenwärtigen Anlage vorgesehene Verfahren Anwendung auf die Zahlung der Ausschüttungssummen.

Die Ausdrücke „im Konkurs“, „in Zahlungsunfähigkeit“ sind im technisch-juristischen Sinne der einschlägigen Gesetzgebung zu verstehen. Der Ausdruck „im Zustand erklärter Zahlungseinstellung“ hat die Bedeutung, die ihm im englischen Rechte zukommt.

§ 5.

Die Gläubiger melden bei dem Gläubigeramt binnen sechs Monaten nach seiner Errichtung ihre Forderungen an und liefern diesem Amte alle ihnen abgeforderten Urkunden und Auskünfte.

Die Hohen vertragschließenden Teile treffen alle geeigneten Maßnahmen, um betrügerische Einverständnisse zwischen feindlichen Gläubigern und Schuldnern zu verfolgen und zu bestrafen. Die Ämter teilen einander alle zur Entdeckung und Bestrafung derartiger Einverständnisse dienlichen Anhaltspunkte und Unterlagen mit.

Die Hohen vertragschließenden Teile erleichtern auf Kosten der Parteien und durch Vermittlung der Ämter soweit wie möglich die Post- und telegraphische Verbindung zwischen Schuldnern und Gläubigern, die sich über den Betrag der Schuld verständigen wollen.

Das Gläubigeramt teilt dem Schuldneramt alle bei ihm angemeldeten Forderungen mit. Das Schuldneramt gibt dem Gläubigeramt binnen angemessener Frist bekannt, welche Forderungen anerkannt und welche bestritten worden sind. Im letzteren Falle hat das Schuldneramt die Gründe für die Nichtanerkennung der Forderung anzugeben.

§ 6.

Wird eine Forderung ganz oder teilweise anerkannt, so schreibt das Schuldneramt den anerkannten Betrag sogleich dem Gläubigeramt gut und gibt ihm gleichzeitig Nachricht von der Gutschrift.

§ 7.

Eine Forderung gilt als völlig anerkannt und ihr Betrag wird alsbald dem Gläubigeramt gutgeschrieben, sofern das Schuldneramt nicht binnen drei Monaten seit Empfang der an dieses Amt gerichteten Mitteilung die Nichtanerkennung der Schuld anzeigt (es sei denn, daß das Gläubigeramt eine Verlängerung der Frist bewilligt).

§ 8.

Wird die Forderung ganz oder teilweise nicht anerkannt, so prüfen die beiden Ämter die Angelegenheit gemeinsam und versuchen, eine gütliche Einigung der Parteien herbeizuführen.

§ 9.

Das Gläubigeramt zahlt den einzelnen Gläubigern die ihm gutgeschriebenen Summen aus den durch die Regierung seines Landes ihm zur Verfügung gestellten Mitteln und unter den durch diese Regierung festgesetzten Bedingungen, insbesondere mit einem entsprechenden Abzug für Ausfälle, Kosten und Vermittlungsgebühren.

§ 10.

Wer einen Anspruch auf Zahlung einer feindlichen Schuld erhebt, der sich ganz oder teilweise als unbegründet erweist, bezahlt dem Amte zur Strafe fünf v. H. Zinsen auf den nicht begründeten Teil des Anspruches. Wer ohne zureichenden Grund die Anerkennung des Gesamtbetrages oder eines Teiles des gegen ihn erhobenen Anspruches verweigert hat, zahlt zur Strafe gleichfalls fünf v. H. Zinsen von dem Betrag, bezüglich dessen seine Weigerung sich als unbegründet erweist.

Diese Zinsen laufen vom Tage des Endes der im § 7 vorgesehenen Frist bis zu dem Tage, an dem der Anspruch als ungerechtfertigt erkannt oder die Schuld bezahlt worden ist.

Die obengenannten Strafen werden durch die jeweils zuständigen Ämter eingezogen, die für den Fall der Uneinbringlichkeit verantwortlich sind.

Die Strafen werden dem gegnerischen Amte gutgeschrieben, welches sie als Beitrag zu den Kosten der Durchführung der gegenwärtigen Bestimmungen einbehält.

§ 11.

Die Abrechnung zwischen den Ämtern erfolgt jeden Monat und der Saldo wird binnen einer Woche von dem Schuldnerstaate durch bare Zahlung beglichen.

Indessen werden Salden zu Lasten einer oder mehrerer der alliierten oder assoziierten Mächte bis zur völligen Bezahlung der den alliierten oder assoziierten Mächten oder ihren Staatsangehörigen aus Anlaß des Krieges geschuldeten Summen einbehalten.

§ 12.

Um den Meinungsaustausch zwischen den Ämtern zu erleichtern, hat jedes von ihnen einen Vertreter in der Stadt, in der das andere tätig ist.

§ 13.

Von begründeten Ausnahmen abgesehen, werden die Verhandlungen soweit wie möglich in den Diensträumen des Schuldneramtes geführt.

§ 14.

Gemäß Artikel 248, Absatz b, haften die Hohen vertragschließenden Teile für die Zahlung der feindlichen Schulden, die ihren Staatsangehörigen zur Last fallen.

Demgemäß hat das Schuldneramt dem Gläubigeramt alle anerkannten Schulden gutzuschreiben, selbst dann, wenn die Einziehung vom Privatschuldner sich als unmöglich erweist. Die Regierungen geben ihrem Amt nichtsdestoweniger jede benötigte Vollmacht, um die Einziehung der anerkannten Forderungen zu betreiben.

§ 15.

Jede Regierung bestreitet die Kosten des in ihrem Gebiete arbeitenden Amtes, einschließlich der Bezüge des Personals.

§ 16.

Können sich zwei Ämter über das tatsächliche Bestehen einer Schuld nicht einigen oder kommt es zwischen dem feindlichen Schuldner und dem feindlichen Gläubiger außerhalb der Ämter zum Streit, so wird der Fall entweder einem Schiedsgericht unterbreitet (dies gilt, wenn die Parteien zustimmen, und es sind dafür dann die Bedingungen maßgebend, auf die sie sich einigen) oder vor den im nachstehenden Abschnitt VI vorgesehenen Gemischten Schiedsgerichtshof gebracht.

Doch kann auf Ansuchen des Gläubigeramtes der Fall auch der Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte am Wohnort des Schuldners unterbreitet werden.

§ 17.

Die von dem Gemischten Schiedsgerichtshof, den ordentlichen Gerichten oder dem Schiedsgericht zugesprochenen Summen werden durch Vermittlung der Ämter in der gleichen Weise eingezogen, wie wenn diese Summen durch das Schuldneramt als geschuldet anerkannt worden wären.

§ 18.

Die beteiligten Regierungen bestimmen einen Vertreter, dem die Einleitung der Verfahren beim Gemischten Schiedsgerichtshof für das Amt seines Landes obliegt. Diesem Vertreter steht die allgemeine Aufsicht über die Bevollmächtigten oder Anwälte der Staatsangehörigen seines Landes zu.

Der Gerichtshof urteilt auf Grund der Akten. Doch kann er die Parteien anhören, wenn sie persönlich erscheinen, oder sich nach ihrem Belieben entweder durch von beiden Regierungen zugelassene Bevollmächtigte oder durch den oben genannten Vertreter vertreten lassen, welcher das Recht hat, sich der Partei anzuschließen, sowie auch das Recht, den von der Partei aufgegebenen Anspruch wieder aufzunehmen und aufrecht zu erhalten.

§ 19.

Die beteiligten Ämter liefern dem Gemischten Schiedsgerichtshof alle in ihrem Besitze befindlichen Auskünfte und Urkunden, damit der Gerichtshof über die ihm unterbreiteten Angelegenheiten rasch entscheiden kann.

§ 20.

Legt eine der beiden Parteien gegen die gemeinsame Entscheidung der beiden Ämter Berufung ein, so hat der Berufungskläger eine Sicherheit zu leisten, die nur zurückgezahlt wird, wenn die erste Entscheidung zugunsten des Berufungsklägers abgeändert wird, und nur in dem Verhältnis, in dem er Erfolg hat. In diesem Falle wird sein Gegner im gleichen Verhältnis zur Tragung der Kosten und Auslagen verurteilt. Die Sicherheitsleistung kann durch eine von dem Gerichtshof angenommene Bürgschaft ersetzt werden.

In allen dem Gerichtshof unterbreiteten Angelegenheiten wird auf den Betrag der Streitsumme eine Gebühr von fünf v. H. erhoben. Diese Abgabe fällt dem verlierenden Teile zur Last, es sei denn, daß der Gerichtshof ein anderes bestimmt. Diese Gebühr tritt zu der oben erwähnten Sicherheitsleistung hinzu, wie sie auch von der Bürgschaftsleistung unabhängig ist.

Der Gerichtshof kann einer der Parteien Entschädigung bis zur Höhe ihrer Prozeßkosten zubilligen.

Jede auf Grund dieses Paragraphen geschuldete Summe wird dem Amte der gewinnenden Partei gutgeschrieben und dort besonders verrechnet.

§ 21.

Zwecks schneller Abwicklung der Geschäfte wird bei der Besetzung der Ämter und des Gemischten Schiedsgerichtshofes auf Kenntnis der Sprache des beteiligten gegnerischen Landes Rücksicht genommen.

Die Ämter haben freien schriftlichen Verkehr miteinander und können sich Urkunden in ihrer Sprache übermitteln.

§ 22.

Vorbehaltlich anderweitiger Abmachungen zwischen den beteiligten Regierungen werden die Schulden gemäß nachstehenden Bedingungen verzinst:

Auf Summen, die als Dividenden, Zinsen oder sonstige wiederkehrende, eine Kapitalverzinsung darstellende Zahlungen geschuldet werden, sind keine Zinsen zu zahlen.

Der Zinsfuß beträgt fünf vom Hundert für das Jahr, es sei denn, daß der Gläubiger auf Grund Vertrages, Gesetzes oder örtlichen Gewohnheitsrechtes Zinsen zu einem anderen Zinsfuß zu beanspruchen hatte. In diesem Falle hat dieser Zinsfuß Geltung.

Die Zinsen laufen vom Tage der Eröffnung der Feindseligkeiten an oder, wenn die zu zahlende Schuld im Laufe des Krieges fällig geworden ist, vom Fälligkeitstage an bis zu dem Tage, an dem der Betrag der Schuld dem Gläubigeramte gutgeschrieben worden ist.

Soweit Zinsen geschuldet werden, gelten sie als durch die Ämter anerkannte Schulden und werden unter denselben Bedingungen wie diese dem Gläubigeramt gutgeschrieben.

§ 23.

Fällt gemäß einer Entscheidung der Ämter oder des Gemischten Schiedsgerichtshofes ein Anspruch nicht unter die im Artikel 248 vorgesehenen Fälle, so kann der Gläubiger seine Forderung vor den ordentlichen Gerichten oder auf jedem anderen Wege Rechtens geltend machen.

Die Anmeldung der Forderung bei dem Amt unterbricht die Verjährung.

§ 24.

Die Hohen vertragschließenden Teile vereinbaren, die Entscheidungen des Gemischten Schiedsgerichtshofs als endgültig anzuerkennen und sie für ihre Staatsangehörigen verbindlich zu machen.

§ 25.

Weigert sich ein Gläubigeramt, einem Schuldneramt einen Anspruch mitzuteilen oder eine Verfahrenshandlung vorzunehmen, die in dieser Anlage zur gänzlichen oder teilweisen Geltendmachung einer bei ihm gehörig angemeldeten Forderung vorgesehen ist, so ist es verpflichtet, dem Gläubiger eine Bescheinigung auszustellen, die den Betrag der beanspruchten Summe angibt. Der betreffende Gläubiger kann alsdann seine Forderung vor den ordentlichen Gerichten oder auf jedem anderen Wege Rechtens geltend machen.

Zuletzt aktualisiert am

21.03.2023

Gesetzesnummer

10000044

Dokumentnummer

NOR12001152

alte Dokumentnummer

N1192019798S

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